Dent d'Hérens. Finchroute
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Dent d'Hérens. Finchroute

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Finchroute. u __

Von Ernst Hopf

Mit J Bild ( 125Basel ) Der Südgrat der Dent Blanche liegt hinter uns, wir spüren noch den festen Gneis in den Händen und geniessen nun die Gipfelrast in vollen Zügen. Die Augen schweifen in die Runde zu manchem bestiegenen Hörn, und Grüsse gehen von Höhe zu Höhe. Da bleibt der Blick an den eisgepanzerten Nord- DENT D' HÉRENS, FINCHROUTE hängen der Dent d' Hérens haften, und damit eilen die Gedanken zwei Tage zurück zu einem der schönsten Bergerlebnisse; Von der Schönbühlhütte brachen am 12. Juli 1943 mehrere Seilschaften eines Gebirgsausbildungskurses in Richtung Dent d' Hérens auf. In nächtlicher Dunkelheit zog sich auf dem Tiefenmattengletscher südlich am Stockje vorbei die lange Reihe von Lichtern, überwand im Zickzack den unteren Gletscherabbruch und lavierte beim frühen Tagesgrauen durch den oberen Gletscher-sturz.B.ald nachdem die Laternen ausgelöscht waren, flammten im Osten die ersten Strahlen des grossen Lichtes auf. Davor stand die markante Silhouette des Matterhorns und noch näher die in bläuliche Schatten gehüllte Nordwand der Dent d' Hérens.

Ihr wandten sich die Schritte zweier Seilschaften zu, bestehend aus Oberstlt. Adolf Baumann, Gefr. André Roch, Gefr. Hans Furer und mir, während die übrige Kolonne in südlicher Richtung weiterzog. Bald standen wir am Einstieg zum Hängegletscher, der uns den Aufstieg vermitteln sollte. Dieser setzt bei Punkt 3130 mit einem schmalen zerbröckelnden Sporn an, zieht sich wie ein Kanapee aus Eis durch die ganze Nordwand und geht unter dem Ostgrat in steile Firnhänge über. Es war uns von Anfang an klar, dass die Schwierigkeiten dieser Route im Ein- wie im Ausstieg lagen. Wir freuten uns aber, sie zu meistern, waren wir doch alle in denkbar guter Form und hatten wir dazu in Gefr. André Roch einen der besten Eisspezialisten bei uns. Auch das gute Wetter war uns sicher.

Finch, nach dem die Route über das « Kanapee » benannt wird, hatte bei seiner Erstbegehung den Einstieg westlich über die Felsen des NW-Grates gewählt und musste dann sehr hoch wieder nach Osten traversieren, bevor er den oberen Bergschrund überschreiten konnte. Die andere und in der Routenführung idealere Möglichkeit, zu der wir uns entschlossen, besteht in der Überwindung des Eisabsturzes östlich von Punkt 3130.

Mehrere eingeklemmte Eisblöcke vermittelten uns den Übergang über den Bergschrund. Seine überhängende Oberlippe gab uns aber so schwer zu schaffen, dass sich der Vorderste erst nach wiederholten Versuchen und Gleichgewichtsübungen und mit vereinten Kräften hinaufschwingen konnte. Mit Hilfe einer ausgefeilten Stufentechnik und unserer Eckensteiner gelang uns dann trotz glashartem Eis eine rasche Anstiegstraverse. Eile tat Not, denn während dieser Querung hingen einige Tonnen Eis über unsern Köpfen. Nun standen wir aufatmend auf dem äussersten schmalen Ende eines steil aufstrebenden Firstes. Die ständige Konzentration im Stufenhacken und das unbedingt sturzfreie Gehen liessen uns die Ausgesetztheit dieses Abschnittes kaum bewusst werden. Unermüdlich schwang Hans sein Eisbeil und liess einen kalten Hagel von Splittern um unsere Köpfe sausen. Nach gut 100 m verbreitete und verflachte sich der First zusehends.

Wir hatten damit glücklich das Plateau des Hängegletschers erreicht und setzten uns zur ersten Rast. Uns gegenüber ragte vom Gold der Morgensonne Übergossen die Dent Blanche in den tiefblauen Äther hinein. Von dieser Seite aus betrachtet, kann sie sich mit der Schönheit und dem Ebenmass des Weisshorns messen. Wir konnten uns kaum sattsehen. Ihre drei Gräte formen eine edle Pyramidenspitze, und die Rillen und Rippen der Wände lassen sie noch höher erscheinen.

Die Länge unserer Tour zwang uns aber, bald wieder aufzubrechen. Eine knietiefe, nur oberflächlich verkrustete Schneeschicht lag auf unserem Weiterweg. Aus dem vermuteten Höhenspaziergang wurde deshalb eine ermüdende Schneestapferei. Zudem war der Boden mit Eisfragmenten übersät, so dass wir unsere Spur möglichst weit weg von der eisbehangenen Wand anlegen mussten. Nach zwei Dritteln Plateaulänge führte uns eine solide Brücke über den einzigen Spalt zu einem oberen Terrassensystem und damit heraus aus der objektiven Gefahr. Noch ein kurzes, flaches Stück, und schon standen wir am Bergschrund unter dem nahen Ostgrat. Zwischen uns und dem Grat lag ein kurzer, aber äusserst ausgesetzter Steilhang. Da eine Sicherung im steilen Eis stets problematisch ist, wurde doppelte Sorgfalt auf die Stufen angewandt, unter denen der Hang haltlos bis zum Tiefenmattengletscher abfiel.

Wir atmeten erst erleichtert auf, als der Ostgrat auf einem kleinen Absatz zwischen Pointe Blanche und der Schulter erreicht war. Vor unseren staunenden Blicken tat sich eine neue Welt auf: tief unten breitete sich Breuil inmitten seiner grünen Alpen und blauen Bergseen aus, und im Süden zog sich in zarten, abgestuften Tönen Kette um Kette der oberitalienischen Vorberge dahin.

Der Grat, auf dem wir standen, fällt in wilden Absätzen nach Osten ab, bildet die Tête de Lion und schwingt sich darauf gigantisch zum Italiener Gipfel des Matterhorns empor. Nun verstanden wir, dass dieser Grat mit seiner gewaltigen Länge, den man westlich vom Col Tournanche auch Tournanchegrat benennt, zu den schwierigsten und längsten Anstiegen in den Alpen gehört. Er ist überdies stellenweise stark verwittert und stellt mit seinem ständigen Wechsel von Fels zu Eis höchste technische Anforderungen.

Wir bekamen auf dem relativ kurzen Stück, dem wir ihm folgten, einen eindrücklichen Vorgeschmack davon. Der Fels war stellenweise derart brüchig, dass beim Anfassen die Griffe in der Hand blieben, und Tritte beim Belasten ausbrachen. Risse und Bänder waren mit Schmelzeis und Preßschnee zu-gekittet und schlüpfrig gemacht. Wir entschlossen uns deshalb, die bereits eingepackten Steigeisen wieder anzuschnallen und in einem Umgehungsmanöver unser Heil zu suchen.

André schlug aus dem harten Eis der Nordflanke in meisterlicher Art solch gute Tritte und Griffe, dass wir uns bald sicherer fühlten als auf dem unzuverlässigen Fels. Einige Meter unter der Schulter erreichten wir wieder den Grat, der von nun an leichter wurde. Wir folgten ihm bis zum grossen und von weitem sichtbaren Zacken unter dem Gipfel. Da uns ein Frontalangriff in ausgesetzten und griffarmen Fels geführt hätte, verliessen wir die Gratkante wieder und traversierten auf leichten Bändern, diesmal durch die felsige Südflanke.Von der Nähe des Gipfels angezogen, verschärften wir unser Tempo, und über das letzte horizontale Gratstück eilten wir seinem höchsten Punkt entgegen.

Nahe beim einfachen Gipfelkreuz setzten wir uns nach elf Stunden Aufstieg zur wohlverdienten Rast. Während Dörrobst und die letzten Tropfen Tee kameradschaftlich verteilt wurden, und die Räuchlein der Gipfelzigaretten aufstiegen, genossen unsere Blicke die unermessliche Aussicht.

Die Alpen - 1944 - Les Alpes31 Der Abstieg über die WNW-Flanke. ging rasch und wie am Schnürchen vor sich, da die anderen Kameraden bereits ein hervorragendes Tracé angelegt und — was uns wichtig war — im Abstieg geschont hatten. Knapp nach einer Stunde erreichten wir den hintersten Boden des Tiefenmattengletschers. Oberhalb des obersten Abbruchs begegneten wir wieder unseren morgendlichen Spuren, und damit fand die eigentliche Erkundungsfahrt über die Dent d' Hérens mit verschiedenem Auf- und Abstieg ihr Ende.

Als wir uns der Schönbühlhütte näherten, leuchtete die Wand im letzten Schein der Abendsonne auf. Sie hatte uns nicht nur wertvolle Einblicke in die Anstiegsmöglichkeiten gegeben, sondern uns mit einem ganz grossen Bergerlebnis im Zeichen treuer Kameradschaft beschenkt.

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