Der Basodino
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Der Basodino

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

Von Herbert Alboth

Mit 1 Bild ( 16Bern ) Gleich seinen Seen, der Eigenart seiner Täler und seines lebenslustigen Völkleins, haben auch die Berge des Tessins für uns Deutschschweizer ihre eigenen Reize und Schönheiten. Aufsteigend aus den lieblichen Tälern mit ihren schattigen Kastanienhainen, ihren grauen, traulich um die Kirche gescharten Häusern und Hütten und den einzelnen, schmucken Kapellen am Wege, ragen die Tessiner Alpen in ihren wechselnden, doch stets wuchtigen Formen in den freien Himmel, als stünden sie als Wächter über dem mit uns so verbundenen Lande. Wer je von den eigenartigen Stimmungen dieser Natur gepackt wurde, ihnen nachging und sie in sich aufnahm, wird immer wieder zu ihr zurückkehren.

Einer der schönsten und dankbarsten Berge ist der Basodino oder das Basaldinerhorn, wie ihn die Walser im italienischen Pommât nennen. Mit seinen leichten wie schwierigen Routen und Überschreitungen lässt er jeden Alpinisten das Passende finden, zudem ist er auch im Winter von der Cristallina her ein lohnender Skiberg.

Die für Tessiner Bergfahrten schönste Zeit ist der Herbst, wenn die Kastanien aus den stacheligen Hüllen fallen, das Laub der Bäume sich ^viel-fältig verfärbt und die drückende Sommerhitze aus den Tälern gewichen ist. So ist es auch an diesem dem Tessintal so eigenen, unvergesslich schönen Herbsttag, der noch warm und prächtig, in seinem ganzen Ton aber schon die wehmutsvolle Stimmung des scheidenden Jahres trägt, wie wir von Locamo aus dem Basodino zu fahren.

Die blauen Wagen der Valle-Maggia-Bahn führen uns das Tal aufwärts Bignasco zu. Wie bunte, saubere Flicken liegen die grau ummauerten Reb-flächen im letzten Grün der sterbenden Matten, umranken als schmale gelbrote Bänder die Füsse der Berge, die beidseits des Tales in die Höhe streben und mit ihren nackten Felsen im blauen Himmel enden. Vor den verwitterten Steinhütten sitzen die Alten mit den Kindern, während die übrigen Bewohner den letzten Feldarbeiten nachgehen. Da und dort steht ein Fischer an der Maggia und hält geduldig seine lange Rute in die Wasser, die von weit her dieses herrliche Tal befruchten, dann in den grossen Lago Maggiore weiterziehen und sich dort mit den Wassern aus hundert Tälern vereinigen.

Vor dem Hauptort Maggia grüsst ein Wäldchen von schlanken, dunkelgrünen Tannen, an deren Anblick sich das Auge weidet, das dieses satte Grün an den Hängen des Lago Maggiore so vermisst und sucht. Dort, wo auf beiden Seiten hohe Felsriegel die engen Seitentäler sperren, glänzen, schöner als Silber, die von der Höhe ins Tal stürzenden Wasserfälle, von denen der schönste gegenüber Riveo, unter dem Bogen eines alten Brückleins aus den Felsen quellt. Hier erzwängen sich die Wasser des so lieblich in den Bergen liegenden Lago Alzasca einen Durchbruch ins Maggiatal.

DER BASODINO Weit hinten im Tal, wo der uns begleitende Fluss plötzlich breiter, wird und die Berge zurückweichen, das Tal in scharfer Kurve nach Norden biegt, öffnet sich von Westen her das Bavonatal. Hier stehen wir am Bahnhof von Cevio an der Pforte zum Valle di Campo und dem Valle di Bosco.

Vorbei an den alten, mit bunten Fresken bemalten Häusern und Kirchen, wie sie auch hier als Zeugen der bewegten Geschichte dieser Talschaft stehen, fährt die Bahn durch das fruchtbare Schwemmland der Maggia der Endstation Bignasco zu..

* Wir verlassen die breite Hauptstrasse und hören noch das so freudig klingende Signal des Postkurses, der die Reisenden auf dieser Strasse noch weit hinauf ins Tal, nach Fusio bringt.

Vorbei am Zollhaus von Cavergno betreten wir das stille Bavonatal. Riesige Felstrümmer bilden die von den Menschen wohlausgenützten kühlen Nischen, Höhlen und Keller, verwehren Fluss und Weg den Durchgang und zwingen sie zu ihrem gewundenen Lauf. Erst die Überwindung dieser Pforte öffnet den Blick auf die kahle, das Tal beherrschende Felspyramide des Basodino. Unnahbar hoch ragt sie in das Blau des Himmels, nicht feindlich und abweisend, aber bestimmt unsere Kräfte fordernd. So empfängt uns das Ziel!

Es hat immer wieder seine eigenen Reize, dieses stille und erhabene Bergtal mit dem munter rauschenden Fluss und seinen oft senkrecht aufsteigenden Felswänden. In den kleinen, fruchtbaren Lichtungen stehen eng zusammengedrängt die durch viele Stürme erprobten Häuser mit grossen, luftigen Baikonen, deren Stangen übervoll mit Maiskolben behängt sind. Trotz der Kargheit des Tales vermitteln die an allen Häusern hängenden, durch die Sonne vergoldeten Bündel der Maiskolben einen Eindruck von Fruchtbarkeit und emsigem Schaffen. Ein kleines Stück Heimat, das von seinen Bewohnern trotz schweren Lebenskampfes geliebt und behauptet wird.

Weit hinten, dort wo das Tal scheinbar endet, liegt der feine Rauchschleier der Kohlenmeiler zwischen den steilen Wänden. Wo von Süden her das Val Calneggia einmündet, liegt eines der reizvollsten Tessiner Bergdörfer, Foroglio. Ein hohes, altes Brücklein führt über die noch wilde Bavona in die kleine Siedlung, die in ihrer Talabgeschiedenheit noch die uralte Form und Bauart erhalten hat. Zieht man talaufwärts weiter, erhält der Wanderer den Eindruck, als stürze der sprühende Wasserfall aus den Felsen direkt auf das Dorf hinab. Ein Bild, in dem ein eigener und seltener Hauch herber Natürlichkeit liegt.

Vorbei an weissen und schmucken Kapellen ziehen wir durch den Herbstwald talaufwärts San Carlo zu, näher zu den himmelragenden Felswänden des Basodino. Wir lassen diese Sommersiedlung mit ihrem alten Kirchturm hinter uns und steigen durch den letzten Baumbestand steil aufwärts auf den Boden der Alp Campo, deren weisse Kapelle uns schon weit ins Tal hinab grüsste.

Hier wird das Tal enger, der fruchtbare Alpboden wird spärlicher und bleibt ganz zurück. Hoch über Geröllhalden und steilen Abstürzen liegt

Blick vom Basodino ( 3277 m ) nach Nordwesten

Im Hintergrund die Berneralpen. Rechts davon der Griesgletscher mit dem Aufstieg zum Blindenhorn. Unten im Formazzatal rechts der Kastelsee und links, im Räume Moraschg, der neue Stausee ( auf T. A. noch nicht eingezeichnet ). Zwischen beiden Seen liegen in der Tiefe Kehrbächi und die Strasse nach dem San Giacomo.

16 - Aufnahme Herbert Alboth ( X. 1945 ) Art. Institut Orell Füssli A.G. Zürich nu. :QA1 _ l.Qo AlriöO direkt über einem wuchtigen Wasserfall auf 1879 m die wohlgebaute und geräumige Basodinohütte der Sektion Locamo.

Nach den fünf Stunden Marsch machen wir es uns in der Hütte bequem, studieren die Karte und das Gelände für den Aufstieg des nächsten Tages. Getrennt durch die tiefen Schluchten und Felsabstürze des Zotto, liegt der Hütte gegenüber das ganze Basodinomassiv vor uns. Hell gleisst in der Abendsonne der grosse Buckel des Basodinogletschers, als wollte er uns an diesem späten Oktobertag einen besonderen Gruss senden.

Noch ist es dunkel, wie wir am nächsten Morgen mit unseren Lampen vor die Hütte treten. Gleich hinter der Alpe Robiei verlassen wir den normalen Weg des Klubführers, klettern über den Abstürzen des Zotto über glatte Felsen und Basenbänder, um so die Normalroute in der obern Gletschermulde wieder zu der unseren zu machen. Über eine steile Geröllwand erreichen wir einen glatten, mit Felstrümmern besäten Felsbuckel, der langsam zum Gletscher aufsteigt, dessen Schmelzwasser in unzähligen Rinnen über die Felsen abfliesst.

Der erste steile Anstieg macht auf dem Gletscher einige Schwierigkeiten. Wir verlieren hier viel Zeit und sind froh, nach einer Stunde emsigen Stufenschlagens auf die Höhe des Gletscherplateaus zu kommen. Die Sonne steht hier schon hoch über dem Horizont, und ihre Strahlen werden vom blanken Eis blendend zurückgeworfen. Vor und hinter uns steigen Spitzen und Zacken über den Horizont und geben uns eine Vorahnung der Pracht, die uns auf dem Gipfel erwartet.

Wie queren den ungefährlich scheinenden Gletscher von Süden nach Norden und stehen nach einer kleinen Steigung am Fusse des Ostgrates, der uns in diesen Verhältnissen als der beste Aufstieg gilt. In luftiger Kletterei über Felsbänder und Blöcke erreichen wir nach etwas über vier Stunden das Gipfelkreuz unseres Zieles.

Der klare Herbsttag schenkt uns einen Rundblick, wie er wohl selten von diesem Punkt aus zu geniessen ist. Tief unter uns liegt das italienische Pommât, im tiefen Blau die beiden obersten Stauseen, eine neue Baracken-siedlung an der Strasse zum San Giacomo und die sauberen Häuser der Stauwehrwächter. Dahinter ist mit dem Feldstecher der Pfad zum Griespass zu erkennen, der über den gerade noch sichtbaren Griesgletscher ins Oberwallis führt. Über dem Pommât grüssen die Berge der engeren Heimat, die Riesen des Berner Oberlandes und der WaHiser Alpen. Davor türmt sich nach Süden die ganze Kette vom Blindenhorn, Ofenhorn bis hinunter zum Monte Leone, der Berge des Simplons und der eisgepanzerten Pyramiden des Unterwallis. Hinweg über Spitzen, Gräte, Kämme und Zacken der Tessiner Alpen und Oberitaliens endet der Blick weit unten in der dunstigen Ferne des Südens. Der Blick schweift weiter in der Runde, wo tausend Spitzen aus dem Dunstschleier stechen und im Osten die bekannten Formen der Bündner Berge hervortreten, bis zum Gotthardmassiv, wo der Gesichtskreis wieder geschlossen wird.

Die Alpen - 1947 - Les Alpes6 Noch selten hat uns ein unvergesslicher Rundblick so beglückt, uns alle Unrast des Irdischen vergessen lassen und dem Himmel näher gebracht. Das Herz schlägt freier, die Seele nimmt das Geschaute als einzige, grosse Predigt in sich auf. Wir sprechen nicht viel, sitzen still auf den sonnenwarmen Felsen und können uns kaum satt sehen. Immer wieder entdecken wir etwas Neues, etwas Besonderes. Sei es drüben am Gotthard oder unten im italienischen Val Formazza.

Nach der Eintragung im Gipfelbuch treten wir kurz vor Mittag den Abstieg an. Wir steigen senkrecht hinunter auf den Gletscher und halten dem Grat entlang auf eine Stelle zu, die uns den Übergang auf die Moräne erleichtern soll. Im schnellen Schritt geht es über die Geröllfelder abwärts der Hütte zu. Wir passieren diesmal auf der normalen Route die Ställe von Randinascia und stehen nach knappen zwei Stunden wieder in der Hütte.

Nach einer eindrucksvollen und an innerem Erleben reichen Bergfahrt eilen wir in den letzten hellen Stunden des scheidenden Herbsttages dem noch so fernen Airolo zu. Auf schmalem Weg führt uns die gut markierte Route über Fels- und Rasenbänder, entlang dem Lielpe, steil aufwärts zur Alpe Pioda. Im wechselnden Licht grüsst unter uns bereits der Lago Bianco, dessen Farbe bald blau, bald weiss aufleuchtet und Leben in den eintönigen Geröllkessel bringt. Vor uns beginnt das Abendrot ganz schüchtern die Felstürme der Cristallina zu überziehen.

Ein guter Weg führt uns hoch über dem grundlosen Lago Sfundau vorbei und lässt uns im letzten Licht des Tages die Höhe der Forcola di Cristallina erreichen. Unser letzter Gruss gilt dem stolzen Basodino, dem die ersten Schatten der Nacht gerade die letzten Schimmer des Abendrotes abstreifen.

Ohne Rast ziehen wir durch die einbrechende Dunkelheit, lassen die Skihütten der Cristallina hinter uns und steigen auf immer besser werdendem Weg hinunter ins Bedrettotal.

Geläutert und gestärkt, mit neuen Kräften und frohen Gedanken fahren wir dem Ort unserer täglichen Arbeit und Berufung zu.

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