Der Berg Ida auf Kreta
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Der Berg Ida auf Kreta

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Mit 2 Bildern ( 28, 29Von Karl Lukan

( Klosterneuburg bei Wien ) Der Berg Ida ( 2498 m ) ist der höchste Berg der Insel Kreta. Auf ihm befindet sich auch die berühmte Grotte, in der Zeus seine Jugend verbracht haben soll. Und das erste, was der sich der Insel nähernde Reisende sieht, ist der Berg Ida: wie eine Vision erhebt sich sein bis in den Sommer schneebedeckter Gipfel über dem Meer und dem Dunst der Ferne.

Den Berg Ida haben die Reisebüros noch nicht für ihre Schaf lein beschlagnahmt. Der Berg Ida gehört noch den wirklichen Schafen, welche an seinen Hängen Gras und Kräutlein rupfen, und er gehört den Hirten, welche diese Schafe hüten. Für den Fremden, der auf den Berg Ida steigen will ( und dabei weder Kräutlein rupfen noch Schafe hüten will ), gibt es auf Kreta nur die eine Entschuldigung: dass er ein Fremder ist!

Auf dem Berg Ida ist noch alles so, wie es schon vor tausend und zweitausend Jahren, vor dreitausend und viertausend Jahren gewesen sein mag: wild und urtümlich. Wild ist die Landschaft, und urtümlich sind deren Bewohner. Und dies alles wurde uns schon drei Stunden später bewusst, nachdem wir mit dem Autobus die Stadt Herakleion verlassen hatten...

Wir sassen in dem kleinen Gebirgsdorf Anogia vor dem Hause unseres Führers Giorgio. Die Sonne war soeben hinter dem Berg verschwunden, doch ihr Glühen lag noch rot über dem Land. An unserem Tisch sass würdevoll der Bürgermeister des Ortes, während Giorgio wie ein Pascha seine Frau und seine Töchter, Schwestern und Tanten dauernd mit Befehlen in Trab hielt. Man brachte uns Brot, Käse und Wein, Oliven und Tomaten, Pfefferminz-salat und Gurken. Und rundherum stand das halbe Dorf und kommentierte jede unserer Bewegungen...

Endlich war mein Bauch voll und rund. Geniesserisch strich ich mir darüber, um Giorgio meine Zufriedenheit zu zeigen. Giorgio ahmte meine Bewegung nach. Da merkte ich, dass unter seinem Hemd ein eckiger Gegenstand steckte. Ich fragte, was das sei. Giorgio grinste nur und zog einen Revolver aus seinem Hemd. Als er unser Erstaunen darüber sah, machte er eine verächtliche Handbewegung...

Das sei gar nichts, meinte er. Und dann führte er uns in ein Zimmer im ersten Stock seines Hauses. In dem Zimmer lagen sauber geputzt und gut geölt an die zwanzig Gewehre.

« Gut? » fragte er uns sehr stolz.

« Sehr gut sogar! » stotterten wir etwas perplex.

Am nächsten Morgen ging es dann noch vor Sonnenaufgang ins Gebirge. Giorgio, gestiefelt, in schwarzem Hemd und mit schwarzem Kopftuch, den Revolver am Gürtel, entpuppte sich dabei wieder als ein richtiger Pascha. Den Esel mit unseren Rucksäcken musste sein Sohn treiben. Blieb nun das Vieh vor einer fetten Distel lüstern stehen ( und es gab viele fette Disteln auf unserem Weg !), so gab nicht Giorgio dem Esel den entscheidenden Tritt in den Hinterteil, sondern er gab nur an seinen Sohn die persönliche Anweisung weiter, dass diese unvermeidliche Züchtigung zu geschehen hätte. Erst hatten wir geglaubt, dass Giorgio junior stumm sei, weil er kein Wort redete. Aber dann, als Giorgio senior des öftern zurückblieb, um den am Wegrand kauernden Hirten zu erklären, welche komische Vögel er da mit seinem Esel ins Gebirge hinauftrieb, wurde Giorgio junior gesprächig.

Die Alpen - 1956 - Les Alpes4 Und wie gesprächig! Dagegen waren die Frauen am Dorfbrunnen von Anogia fast wortkarg gewesen. Und Zigaretten rauchen konnte der Knabe wie ein Chefredaktor vor Redaktionsschluss! Aber seine Rede verstummte, und die Zigarette flog sofort in hohem Bogen weg, wenn sein Vater wieder hinter uns auftauchte. Dann redete nur mehr Giorgio senior. Wichtig erklärte er uns, wem die Schafherde da und die Steinhütte dort gehöre...

Nach fünf Stunden Marsch erreichten wir die Hochfläche Campos tes Nida und nach einer weiteren halben Stunde die Zeusgrotte. Hier erklärte Giorgio senior, dass uns nun sein Sohn weiter auf den Gipfel führen werde. Scheinbar hatte er bei der ganzen Tour für seine Person nur eine Art geistiger Führung im Auge gehabt. Zwei Stunden seien es noch bis zum Gipfel, versicherte er uns...

« Der gute Giorgio dürfte in seinem ganzen Leben wahrscheinlich noch nie auf dem Ida gewesen sein! » sagten wir, als nach zwei Stunden vom Idagipfel noch immer nichts zu sehen war. Darum also hatte er die Führung an seinen Sohn abgetreten!

Als wir nach vier Stunden noch immer nicht auf dem Gipfel standen, korrigierten wir unsere Meinung. Nur einer, der diesen Schinder nicht kannte, konnte die Wahnsinnsidee haben, in der glühendsten Mittagshitze bei 45° im Schatten ( aber wo war hier schon ein Schatten ?) auf den Ida zu steigen. Giorgio kannte also den Ida!

Der Berg Ida ist schon in den alten Sagen der Hirtenberg. Das heisst, dass die Schafe fast bis zu seinem Gipfel weiden. Der Berg Ida entspricht also gerade nicht der Vorstellung, die ein zünftiger Bergsteiger von einem Berg hat...

Als wir aber um halb 3 Uhr nachmittags auf dem Gipfel des Berges Ida standen, hatten wir vergessen, was ein zünftiger Bergsteiger für eine Vorstellung von einem Berg hat. Dieser Gipfel sprach unmittelbar zu uns. Da lag die Sageninsel Kreta zu unseren Fussen, und rings um sie baute sich als eine azurne Mauer das Meer auf, da unten standen die Häuser dieses so liebenswerten Hirtenvolkes und die Paläste der Könige, welche diese Insel schon vor viertausend Jahren beherrscht hatten. Und über all diesem standen wir. Seltsam, dass wir Bergsteiger immer und überall die Höhe brauchen, um von den Dingen unserer Welt Besitz zu ergreifen...

Wir traten ein in die kleine steinerne Kapelle, welche die Hirten auf dem höchsten Punkt ihres Landes errichtet hatten. Es hingen einige alte Heiligenbilder darin, auf einem rostigen Kerzenleuchter klebte das Wachs einer ausgebrannten Kerze. In einer Ecke der Kapelle war eine Feuerstelle, und der Raum roch stark nach Schafen. Begonnen hatte unsere Idabesteigung in einer Höhle, in der die Menschen schon vor dreitausend Jahren ihrem Gotte geopfert hatten, und nun fand sie ihr Ende in dieser Kapelle, deren Kühle uns das Gefühl des Geborgenseins gab.

Dann löschten wir an dem eiskalten Wasser der mitten in den Gipfelfels gebohrten Zisterne unseren Durst. Wir hatten auf Kreta schon jeden Zeitbegriff verloren. War diese Zisterne vor zwanzig Jahren gebohrt worden? Oder vor zweitausend Jahren?

Der Abstieg wurde eine brennheisse Angelegenheit. Zuerst ging es den Gipfelgrat hinab. Da wehte noch ein kühlendes Lüftchen. Dann kamen die Schneefelder. Da konnte man noch die Pulse kühlen. Dann aber kam die Schlucht, und in die Schlucht brannte unbarmherzig die Sonne hinein. In der Schlucht holte ich mir auf den Waden einen Sonnenbrand. Obwohl meine Haut gegen Sonne so unempfindlich ist, dass ich auf dem höchsten Gletscher keine Sonnenschutzcreme brauche und auch während der ganzen Idabesteigung ohne Schaden das Hemd ausgezogen hatte. Aber in der Schlucht holte ich mir einen Waden-sonnenbrand! Von der Hitze der Felsen, welche die Sonnenglut wie durch ein Brennglas verstärkt wiedergaben.

Giorgio junior, der während der ersten zwei Stunden des Aufstieges wie ein Wasserfall geredet hatte, hätte nun einen Wasserfall gebraucht, um seine Sprache wieder zu finden. Stumpf trotteten wir das Steiglein dahin. Diese Stumpfheit wurde durch das Achweh-geschrei unserer Idastürmerin unterbrochen, welche auf einem Stein ausgeglitten war und sich mit ihrem Hinterteil in saftige Disteln gesetzt hatte. Das Dumme an der Sache war nur, dass die kretensischen Disteln Tausende von feinen Stacheln haben. Diese Stacheln wollte das Mädchen aus ihrer Hose gezogen haben.

Gentlemanlike, wie wir waren, unterzogen wir uns hingebungsvoll dieser Aufgabe. Nach einer Viertelstunde erklärten wir aber, dass wir im Grunde genommen keine Gentlemen seien. Wären wir es gewesen, so stünden wir heute noch auf dem Ida...

Um 6 Uhr abends erreichten wir wieder die Zeusgrotte. Wir waren vierzehn Stunden unterwegs gewesen.

Es gibt auf Kreta zwei Höhlen, die mit der Geburt des Zeus in Verbindung gebracht werden. Die eine befindet sich auf dem Berg Dikte, die andere auf dem Ida. Beide Grotten waren im Altertum Stätten hoher Verehrung.

Die Zeussage: Kronos hatten die Götter prophezeit, dass er von einem seiner Söhne bezwungen werde. Worauf Kronos jeden der ihm von seiner Gattin Rheia geborenen Söhne verschlang. Als aber Zeus geboren werden sollte, floh Rheia ins Gebirge und vertraute dann den Nymphen den jungen Zeus zur Obhut an. Dem Kronos gab sie einen Stein, den dieser als seinen Sohn verschlang. Der junge Zeus wuchs heran, bezwang schliesslich seinen Vater, so wie es die Weissagung prophezeit hatte, und herrschte dann als der Herr des Himmels.

Sage oder vielleicht doch auch Geschichte? Wir fragten nicht darnach. Es genügte uns, zu wissen, dass in dieser Grotte die Pilger schon vor Tausenden von Jahren ihre Anliegen und ihre Opfergaben niedergelegt hatten. Vor der Grotte stand noch der steinerne Opferaltar. Und auf dem Boden der riesigen Grotte brauchten wir nur die obenauf liegenden Steine auf die Seite zu schieben, um in den Tonscherben aus den verschiedensten Epochen zu wühlen.

Abend war es geworden. Die Hunderte von Amseln, welche die Höhle bewohnten, sangen ihr letztes Lied. Wir sassen müde auf den Steinen und liessen unser erhitztes Blut auskühlen. Prosaisch verklebten wir unsere wunden Zehen mit Leukoplast. Doch in der Phantasie sahen wir einen Zug von Priestern mit Opfergaben feierlich in die Höhle herabsteigen...

Dann stiegen wir ab zur Quelle auf dem Pian tes Nida und löschten unseren Durst. Die Hochfläche Pian tes Nida ist kreisrund und ringsum von Bergen umschlossen. Wie ein Krater, dachte ich. Damit war aber das Stichwort gegeben zu einem der grössten Rätsel der Archäologie: zum Untergang des Königspalastes von Knossos. Hatte Evans doch recht mit seiner Theorie, dass die Katastrophe, welche den Bewohnern des Königspalastes nicht einmal mehr Zeit liess, ihre Wertsachen in Sicherheit zu bringen, dass diese Katastrophe, für die man die Zeit um 1400 v.Chr. annehmen darf, ein Erdbeben war? Wenn Pian tes Nida einst ein Vulkan war, dann mochte er damals wohl auch erloschen gewesen sein ( sonst würde eine Sage von ihm berichtensein unterirdisches Grollen hatte aber die Erde noch lange erschüttert. Dann hatte aber Evans recht mit seiner Deutung des Stierkultes der alten Kretenser, in dem das Brüllen des Stieres an das Brüllen der Erde bei einem Erdbeben gemahnte! Und dann war auch die seltsame Bauweise des Königspalastes von Knossos begründet, die keine hohen Räume kennt und etwas Gedrücktes, Erdverbundenes an sich hat...

So weit waren wir gerade in unseren Überlegungen, als plötzlich zwei Männer mit Maschinenpistolen vor uns standen...

Unser Führer hatte sich längst in eine der Hirtenhütten verzogen, und wir drei müden Idabesteiger waren ganz allein in der wilden Landschaft. Und da standen plötzlich die zwei Männer mit den Maschinenpistolen vor uns...

Zuerst waren wir sehr beruhigt, als wir Teile der Polizeiuniform an ihnen entdeckten. Doch gleich darauf sagte der eine der Männer, dass sie auf der Jagd nach zwei Partisanen in Polizistenuniform seien, welche sich hier in der Gegend herumtrieben. Und da waren wir dann sehr beunruhigt...

Seltsam, dachte ich, die Baskenmütze des einen gehört sicher nicht zur Polizisten-uniform. Und der Pullover des anderen schaut auch nicht so aus. Und dann die Schuhe? Zwei Männer sind es auch...

Man fragte uns, woher wir kämen und ob wir allein seien und wo wir die Nacht verbringen wollten. Wir sagten, dass wir hier irgendwo im Freien unser Biwak aufschlagen werden. Daraufnahm der eine Polizistseine Maschinenpistole und entfernte sich. Gleich nachdem er hinter der nächsten Wegbiegung verschwunden war, krachte ein Schuss...

Schön langsam wurde mir die Sache unheimlich! Ich stand auf und entfernte mich langsam von unserem Lagerplatz. Ich wollte sehen, wie der zurückgebliebene Polizistdarauf reagierte. Er blieb ruhig sitzen. Also kehrte ich wieder zurück...

Ich will jetzt keine Räubergeschichte erzählen, ich will nur die Stimmung wiedergeben, in der wir uns bei diesem Erlebnis befanden. Und ich möchte jetzt auch gleich sagen, dass die Polizistenwirkliche Polizisten ( ohnewaren, dass der Schuss für drei nachfolgende Polizisten als Signal gegolten hatte, und dass der eine Polizist nur deswegen weggegangen war, um in einer der Hirtenhütten für uns Quartier zu machen, weil er es als echter Kreter nicht dulden konnte, dass Fremde ohne ein Dach über dem Kopf schlafen.

Man brachte uns also nach einer der Hirtenhütten auf dem Campo tes Nida. Diese Hütten sind bienenkorbförmig aus immer kleiner werdenden Steinringen gefügt - sie erinnerten uns an das Grab des Atreus in Mykäene. In dem « Atreusgrab » warteten schon die Hirten auf uns, gaben uns Schafmilch zu trinken und Schafkäse zu essen, boten uns ihr Nachtlager zum Schlafen und ihre Mäntel zum Zudecken an, während sie selbst im Freien schlafen wollten. Ihr Anführer war ein riesiger Mann mit pechschwarzen Haaren, der nur ein Auge hatte - wir nannten ihn den Zyklopen.

Als dann die Polizisten auf Wache zogen, lagerten wir uns auf den Boden der Hütte hin. Ab und zu kläffte draussen vor der Hütte ein Hund. In gleichmässigen Intervallen tropfte Milch in den Käsekessel, und das klang wohltönend wie ein Gong durch den Raum, der durch das flackernde Feuer im Kamin sein Licht erhielt. In solch romantischer Stimmung klang für uns der Tag aus, an dem wir den Berg Ida erstiegen hatten.

Am nächsten Tag stiegen wir nach Vorica ab. Das ist ein kleines Bergdorf, das ringsum von Felsen umschlossen ist. Vorica ist eine Bratpfanne, in welche die Sonne unbarmherzig hineinbrennt und in der Mensch und Tier eigentlich schon längst mit einer knusperig gebratenen Haut herumlaufen müssten. Als wir gegen Mittag in dieser Bratpfanne ankamen, brachten wir gerade noch so viel Energie auf, um für 3 Uhr nachmittags drei Esel zu bestellen. Dann senkte sich die Lethargie über uns, und wir gingen in einer schattigen Höhle am Fusse einer überhängenden, sonnenglühenden Felswand zum landesüblichen Mittagsschlaf über...

Brennender Durst weckte uns. Die Hitze hatte ihren Höhepunkt erreicht und unsere Stimmung den Tiefpunkt. Träge schlichen wir in das Wirtshaus und wurden von dem dort ebenso träge herumschleichenden Wirt mit warmer Limonade, heissem Kaffee und lauem Wein bewirtet. Das Wort « kalt » ist in Vorica ein Fremdwort. Als wir dann zahlen wollten, sagte uns der Wirt, dass für uns schon bezahlt worden sei. Wir fragten von wem und warum...

« Das ist Kreta! » sagte darauf der Mann, der für uns bezahlt hatte, und wünschte uns alles Gute für unseren weiteren Weg.

Ja, das ist Kreta! Und auch das war Kreta, als wir dann auf dem mit bunten Decken geschmückten Rücken unserer Esel sassen, durch blühenden Oleander und entlang wildzerklüfteter Schluchten dahinritten, als sich unsere Karawane durch meterhohes Schilf am Grunde des Bachbettes dahinschlängelte und die Hirten und Bauern die Hand zum Grasse hoben, wenn wir an ihnen vorbeiritten. Ja, das alles ist Kreta: die heissen Felsen, die Romantik und der Durst und die Gastfreundschaft seiner Bewohner K Am Spätnachmittag erreichten wir die Südküste von Kreta. Und bei Sonnenuntergang standen wir auf den Trümmern des Königspalastes von Phaestos. Der Königspalast liegt auf einem etwa hundert Meter hohen Plateau in der Ebene von Messara. Von diesem Hügel aus sahen wir den Berg Ida in seiner ganzen Grösse vor uns liegen...

Neben uns stand Alexandros, der Hüter des Gästehauses von Phaestos. Alexandros fragte uns, ob wir auf dem Berg Ida auch durch Schnee gehen mussten. Wir sagten ja. An der Nordseite des Berges habe es noch einige grössere Schneefelder gegeben. Darauf sagte Alexandros, dass er in seinem Leben noch nie Schnee in den Händen gehalten habe. Nur von der Ferne hatte er ihn immer glitzern gesehen, im Winter und im Frühjahr, hoch oben auf dem Berg Ida...

« Dann steigen Sie doch einmal hinauf auf den Ida » sagte ich.

« Oh nein! » antwortete darauf Alexandros und lächelte. « Der Berg Ida gehört nur den Göttern... und den Fremden! » « Und vor allem den Schafen! » scherzte ich und wartete darauf, dass Alexandros in mein Lachen einstimmen werde.

Aber Alexandros war ernst geworden. Mit ruhigen Augen schaute er hinauf auf den Berg Ida, dessen weiter Höhenrücken sich dunkel von dem hellen Sternenhimmel abhob.

1 Zwei Monate nach unserer Rückkehr las ich folgende Notiz in der Zeitung: „ Blutiges Fest am Fusse des Berges Ida. Am Fusse des Ida-Berges spielte sich in der Nacht zum Sonntag während eines Festes in dem Dorf Vorica eine Tragödie ab, die sieben Menschenleben und sechs Schwerverletzte forderte. Ein 35jähriger Wilderer, der einige Tage zuvor von einem Förster erwischt worden war, sprang während des Festes plötzlich auf und erstach den Förster mit einem zerschlagenen Glas. Zehn Minuten später waren vier Verwandte des Mörders von den Familienangehörigen des Försters umgebracht worden, während der nächsten 20 Minuten kam es zwischen beiden Familien zu einer Schlacht, in der alle Waffen von Glasscherben bis zu Handgranaten eingesetzt wurden und in der zwei weitere Personen getötet wurden. Polizeiverstärkungen konnten endlich die Ruhe wiederherstellen und den Abtransport von sechs Schwerverletzten in das Krankenhaus veranlassen.Auch das ist Kreta!

Da wurde auch ich ernst. Denn ich war ja nur ein Fremder, der in ein fremdes Land gekommen war und erklärt hatte, dass er unbedingt auf den Berg Ida hinauf müsse und dann auch tatsächlich auf den Berg seiner Wünsche gestiegen war. Es war sehr heiss, ziemlich anstrengend, aber, im Grunde genommen, doch sehr einfach gewesen. Mein Wunsch war in Erfüllung gegangen - aber der nächste Berg, dem meine Sehnsucht galt, stand schon wieder in einem andern Land...

Alexandras, wenn du einst deine Hand wirklich in den Schnee des Berges Ida tauchen könntest, nach was würdest du dann noch Sehnsucht haben können?

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