Der Elbrus
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Der Elbrus

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Von L. Purtscheller ( Sektionen St. Gallen und Weißenstein ).

Es ragt der hohe Elborus, Soweit der Himmel reicht.

Der Frühling blüht an seinem Fuss, Sein Haupt ist schneegebleicht. Mir za-Schaff y.

Von Jahr zu Jahr, in dem Maße, als der Verkehr und die Wechselbeziehungen der Völker zu einander sich entwickeln, tritt der gewaltigste aller Pestlandskolosse, Asien, in den Gesichtskreis des Abendlandes. Die hehre Bestimmung, die ein höherer Wille dem asiatischen Kontinente vorbehalten hat, ist noch nicht erfüllt. Asien gilt heutzutage als das be-gehrenswerteste Ziel der geographischen Forschung, sowie auch großer alpiner Reisen, und in der Zukunft dieses Erdteiles, in dem Geheimnis seiner Entwicklung, in der Machtentfaltung seiner Rassen und Völkerstämme liegen auch die Geschicke Europas und die der andern Kontinente verschlossen.

Schon die Geographen und Geschichtsschreiber der Griechen: Herodot, Xenophon, Strabo, Apollonius, geben uns von dem Kaukasus Kunde. Homer erwähnt den Zug der Argonauten nach „ Aiaso nennt er das Land zwischen dem Schwarzen und dem Kaspischen Meere — und hält dasselbe für eine Insel am Rande der Welt, wo die rosenfingerige, nebel-geborene Morgenröte ihren Wohnsitz hat und wo des Helios Flammen-gespann siegesstolz emporsteigt, um die Erde zu erhellen. Aristoteles bezeichnet den Kaukasus als das höchste Gebirge der Welt, aber erst Ptolemäus vermittelt uns über denselben eine richtigere Vorstellung und schätzt die Breite des kaukasischen Isthmus auf 60 deutsche Meilen.

Aber nicht nur als Grenze zweier Kontinente, sondern auch als Schutzwall gegen die aus dem nördlichen Europa und Asien heranstürmenden Völker diente der Kaukasus. An seiner von zwei Meeren umspülten Riesenmauer brachen sich die Wogen der Völkerwanderung, der Ansturm der Skythen, der Kimmerier, der Goten, Alanen, Avaren und Mongolen, und wenn es auch einzelnen dieser Völkerschaften gelang, durch den Dariel-paß oder durch das Thor von Derbent den Hauptwall des Kaukasus zu überschreiten oder zu umgehen, so vermochten dieselben doch nicht auf asiatischem Boden dauernd Wurzel zu fassen. Die Annahme derjenigen ist daher nicht unbegründet, welche behaupten, daß sich die alten Kulturstaaten am Euphrat und Tigris, in Syrien, in Kleinasien und Palästina und vielleicht auch in Ägypten nur unter dem Schütze des unübersteiglichen Riesenwalles des Kaukasus zu ihrer einstigen hohen Blüte entwickeln konnten und daß sich ohne diese Länder- und Völkerscheide die Geschicke des Orients und wohl auch Europas anders gestaltet haben würden.

Der Kaukasus erstreckt sich von dem Schwarzen bis zum Kaspischen Meere in der Richtung von Nordwesten nach Südosten. Seine Länge beträgt, je nachdem man die Biegungen des Kammes berücksichtigt oder nicht, 1100—1500 Kilometer, während seine größte Breite 100 Kilometer nicht übersteigt. In der Längsrichtung des kaukasischen Hochgebirges unterscheidet man drei Abschnitte: den westlichen Teil, der mit den niederen Bergen an der Nordostküste des Schwarzen Meeres beginnt und bis zum Elbrus reicht, den mittleren Teil, der sich vom Elbrus bis zum Kasbek erstreckt und den östlichen, gegen das Kaspische Meer verlaufenden Teil, der die Tuchinischen Alpen und den Hohen Dagestan umfaßt. Während die beiden seitlichen Kammstücke des Kaukasus unsern Alpen an Höhe der Gipfel und an Reichtum der Formen nahezu gleichkommen, übertrifft sie die 200 Kilometer lange Centralkette bei weitem. Wohl über zwanzig Gipfel ragen hier über Mont Blanc-Höhe empor, und nur ein Übergang ( der Mamisonpaß mit 2830 Metern ) steigt unter 3000 Meter herab. Aber nicht nur an Höhe und an Zahl der Gipfel, sondern auch in der Energie des Aufbaues, an der Großartigkeit und Erhabenheit der Feisund Schneescenerie steht dieser Teil des Kaukasus obenan. Und wenn europäische Geographen das Vorhandensein einer Gletscherbedeckung vor noch 15 Jahren in Abrede stellten und nur auf dem Elbrus einige Firn-anhäufungen gelten ließen, so weiß man in alpinen Kreisen seit Jahrzehnten, daß die Gletscherentwicklung des kaukasischen Hochgebirges den europäischen Alpen nicht nur in keiner Weise nachsteht, sondern dieselbe in manchen Stücken, insbesondere was die Kühnheit und Mannigfaltigkeit der Eisgebilde anbelangt, übertrifft. Auch ist es eine interessante Thatsache, daß die Schneegrenze am Sttdabhange des Gebirges um 400 Meter tiefer herabsteigt, als an der Nordseite. Diese Erscheinung findet dadurch ihre Begründung, daß die Längsachse des Kaukasus gegen das Schwarze Meer schräg gestellt ist, wodurch die Südseite die von diesem Meere herüber-wehenden, feuchtwarmen Dünste auffängt und niederschlägt, während die Nordseite dem trockenen Steppenklima ausgesetzt ist. Dessenungeachtet reichen die Gletscher am Nordabhange bedeutend tiefer herab, als am Südabhange, da der letztere viel steiler und unvermittelter abbricht und auch minder ausgedehnte Hochmulden und Thalverzweigungen aufweist.

Aus dem bisher Gesagten läßt sich der Schluß ziehen, daß Hochgebirgswanderungen im Kaukasus schwieriger, mühevoller und auch gefährlicher sind als in den Alpen. Für das Gelingen einer Ersteigung ist es nicht gleichgültig, ob eine schwierige Felskletterei, eine harte Stufenarbeit, ein ermüdendes Schneetreten nur eine oder zwei Stunden oder einen halben Tag in Anspruch nimmt, ob wir nur auf einige Minuten oder durch viele Stunden einer unberechenbaren objektiven Gefahr ausgesetzt sind, ob wir einen beschneiten Eishang in den Morgenstunden oder erst am späten Nachmittag überschreiten. Hierzu kommen noch die Schwierigkeiten der Proviantierung, die Strapazen des Zeltlagers und der Bivouacs und endlich die vielen Geduldproben, die der Verkehr mit den vielsprachigen, mißtrauischen, indolenten Bergvölkern erfordert. Derjenige Reisende, der nicht über viel Geld und Zeit, über eine starke widerstandsfähige Gesundheit, über ein möglichst hohes Maß dauernder Idealität verfügt, thut besser, den Kaukasus nicht zu besuchen. Im Vergleiche zum Kaukasus sind die Alpen ein Naturpark, eine Art Krippenlandschaft, ein liebliches, hochcivilisiertes Gebirge, das selbst Kinder zur Übernahme von Heldenrollen befähigt. Und doch steht der Kaukasus noch sehr weit hinter den andern großen Gebirgssystemen Asiens, dem Tianschan, dem Künlün und dem Himalaya zurück. Er bildet nur das Übergangsglied, die Propyläen zu jenen noch viel gewaltigeren Alpenkomplexen im Herzen dieses Kontinentes, deren genauere Erforschung eine Aufgabe der künftigen Jahrhunderte sein wird. Erst dann, wenn auch diese Hochgebirge in das System unserer Erkenntnis und in den Kreis unserer Beobachtungen eingefügt sein werden, kann von einer wirklichen Gebirgskunde, von einer alpinen Wissenschaft im universalen Sinne die Eede sein. Der höchste Gipfel des Kaukasus, der 5630 Meter hohe Elbrus, ist noch immer um mehr als 3000 Meter niedriger als die höchsten Spitzen des Himalaya, auch giebt es dort Pässe, die ihn an Höhe überragen.

Um die Erforschung des Kaukasus haben sich insbesondere englische Reisende hoch verdient gemacht. Ihnen und den deutschen Forschern Abich und Radde verdankt die Geographie die ersten Berichte über das kaukasische Hochgebirge. Die erste Bereisung des Kaukasus durch englische Alpinisten erfolgte im Jahre 1868. Auf der Liste der kühnen Pioniere begegnen wir den ersten Namen des Alpine Club: Freshfield, Moore, Grove, Gardiner, Dent, Holder, Mummery, Wolley, und nicht minder groß sind die Verdienste, die sich Moritz v. Déchy und Gottfried Merzbacher um die Erforschung dieses Hochgebirges erwarben. Als Illustrator des Kaukasus erntete besonderen Ruhm Vittorio Sella aus Biella, dessen Erzeugnisse zu den größten Leistungen der modernen Lichtbildkunst ge- hören. An dieser Stelle verdienen auch die neuen Mappierungsarbeiten der russischen Generalstabs-Offiziere Erwähnung, die in den Wildnissen des Kaukasus mit ganz anderen Schwierigkeiten zu kämpfen haben, als ihre Kollegen in den Alpen. Diese neuen Karten ( im Maßstab 1: 42,000 ) bedeuten einen höchst anerkennenswerten Fortschritt gegenüber der alten „ 5 Werst-Karte " und geben auch das eisbedeckte Hochgebirge mit großer Genauigkeit wieder. Ein weiteres, überaus wichtiges Hülfsmittel steht den künftigen Besuchern des Kaukasus durch das 1896 erschienene großartige Werk von Douglas W. Freshfield, „ The Exploration of the Caucasus " ( zwei Bände, 76 Vollbilder, 114 Textbilder und 22 Vignetten, Verlag bei E. Arnold in London, 1896 ), zur Verfügung, dem Vittorio Sella eine große Zahl seiner prachtvollen Photographien gewidmet hat, und eine andere, nicht minder beachtenswerte Publikation ist das Werk von Gottfried Merzbacher, „ Aus den Schneeregionen des Kaukasus " ( zwei Bände, mit Illustrationen von Compton, Diemer und Platz, Verlag bei Duncker & Humblot in Leipzig ), das demnächst die Presse verlassen wird.

Die Frage, ob der Kaukasus als Grenze zwischen Europa und Asien gelten könne und der Elbrus als der höchste Berggipfel Europas anzusehen sei, ist noch unentschieden. In Rußland gilt der Centralkamm des Kaukasus nur als Grenze zwischen Cis- und Transkaukasien, während die Nordgrenze der gesamten ( 472,666 Quadratkilometer umfassenden ) kaukasischen Provinz durch die Manytsch- und Kumalinie gebildet wird. Diese letztere Grenzlinie haben europäische Geographen auch als die Grenze zwischen den beiden Erdteilen angenommen.Richtiger wäre es gewiß, da andererseits auch der Ural als Grenzlinie gilt, den Gebirgswall des Kaukasus, seiner althistorischen Bestimmung als Länder- und Völkerscheide entsprechend, auch als Grenze zwischen den beiden Kontinenten festzusetzen. Sollte aber der Hauptkamm des Kaukasus die Grenze bilden, so müßte man den Elbrus, da er vom Hauptkamme 8 bis 10 Kilometer nördlich absteht, noch zu Europa rechnen.

Und somit wären wir dem Elbrus selbst nahe gerückt, dem die Aufschrift unseres Artikels gilt. Sowohl von der russischen Steppe, als auch vom Schwarzen Meere, auf eine Entfernung von 250 Kilometern, erglänzt sein altehrwürdiger, doppelgipfeliger Scheitel. Eine alte Tradition besagt, daß der Name „ Elbrus " Brust bedeutet. In dieser Benennung liegt viel Poesie, denn an seinen Gipfeln hängt, wie an der Mutterbrust, das umliegende Land und saugt in Gestalt der Gletscherbäche und der lebenspendenden Ströme die Nahrung, die es zu seiner Fruchtbarkeit bedarf.

Das imposante Bild der beiden Elbrusgipfel trat Herrn Merzbacher und mir das erste Mal in voller Erhabenheit von der cirka 4000 Meter hohen Leilagorakette entgegen. Hoch über alles umliegende Land, über die blauduftigen Schatten der Thäler, wie eine Vision aus der Patriarchenzeit, so zeigte sich der Elbrus vor unseren Blicken, und selbst die mächtigen Riesen der gegenüber aufragenden Hauptkette vermochten seine alles bezwingende Hoheit und Majestät nicht herabzudrücken.

Auf zwei Wegen können wir von Europa aus den Elbrus erreichen. Entweder man benützt von Podwoloczyska, der letzten österreichischen Grenzstation, die über Kiew nach Ciskaukasien führende Eisenbahn, indem man Pietigorsk oder Wladikawkas als Einbruchsstation wählt, oder man besteigt von Odessa aus den nach Nicolaieff oder Noworossisk abgehenden Dampfer, um dann auf der Eisenbahn die Fahrt nach den genannten Städten fortzusetzen. Auch von Süden, über die Hafenorte Poti oder Batum, läßt sich der Elbrus erreichen, doch ist dieser Zugang weiter und mit der Überschreitung von ein paar Hochpässen verbunden. Herr Merzbacher und ich benutzten bei unserer Kaukasus-Reise ( Sommer 1891 ) Batum als Ausgangspunkt, überstiegen den aus dem Rionthale nach Swanetien führenden Latparipaß ( 2805 m ), wo wir zum erstenmal den großartigen Anblick der Centralkette des Kaukasus genossen, und wandten uns dann nach Absolvierung eines Teiles unseres Programmes über den 3662 Meter hohen Adyr-su-Paß dem Baksanthale zu, das direkt zu dem Elbrusmassiv hinanzieht. Eine Reihe prachtvoller, stets wechselnder Bilder, hervorgerufen durch die Mannigfaltigkeit der geologischen Verhältnisse und die Gegensätze der Vegetation, begleiteten uns auf dieser Fahrt. Eichen und Linden, Walnußbäume, Lorbeer und Myrte, die Rebe, der baumartige Buchs, der Granatapfelbaum, dichtes Eschengebüsch bilden den Bestand des kolchischen Waldes, dessen „ wolkige Fülle " schon Fallmerayer in seinen berühmten „ Fragmenten aus dem Orient " in dichterischen Worten geschildert. Höher hinauf, wo der Einfluß des Alpenklimas stärker hervortritt, bedecken hochschaftige Nadelhölzer, darunter die prächtige Abies Nordmanndiana, das weißblühende Rhododendron Caucasicum, die mannshohe Azalea Pontica, der goldige Crocus Suworovianus die weich geschwellten Berghänge.

Wie die Ersteigung des Mont Blanc durch Saussure eine neue Ära der alpinen Forschung begründete, ro beginnt auch mit der ersten Bezwingung des Elbrus im Jahr 1868 durch D. W. Freshfield, A. W. Moore und C. C. Tucker die Erschließung des Kaukasus. Allerdings hatte schon 1829 eine russische Expedition, an deren Spitze der General Emanuel stand, einen Versuch zur Ersteigung des Elbrus von dem nordöstlich gelegenen Malkathale aus unternommen, aber von den Mitgliedern der Expedition, worunter sich die Petersburger Gelehrten Kupffer, Meyer und Lenz befanden, erreichte nur ein Kabardiner, Killar mit Namen, den Gipfel. Angespornt durch die hohen Geldpreise, die der General für die Ersteigung des Gipfels in Aussicht gestellt hatte, war er früher als die übrigen Teilnehmer aufgebrochen und betrat den Schnee noch zu einer Zeit, wo er hart gefroren war. Ob Killar den Kraterrand wirklich erreichte, bleibt zweifelhaft, da ihn einfallende Nebel der Beobachtung entzogen und von der Tiefe die Lage des höchsten Punktes nicht festgestellt werden kann. Aus dem Berichte Kupffers an die Akademie der Wissenschaften in Petersburg scheint auch nicht ersichtlich zu sein, welchem der beiden Elbrusgipfel der Ersteigungsversuch galt. Immerhin beansprucht die That Killars, der allein in der Ungeheuern Eiswüste mutig vorwärtsdrang, einen Ehrenplatz in der Geschichte der Elbrus-Besteigungen.

Einen andern Versuch zur Ersteigung des Elbrus unternahm der Direktor des kaukasischen Museums in Tiflis, G. Radde, im Jahre 1865 von der Westseite aus. Den Ausgangspunkt bildete das Dorf Chursuk im Chursukthale; das letzte Nachtlager wurde in einer Höhe von 3500 Metern aufgeschlagen. Er wählte die Nordostseite des südwestlichen Gipfels zum Angriff und wandte sich später dem nördlichen Gratausläufer desselben zu, aber um 1 Uhr mittags bei einer Höhe von 4750 Metern verließen ihn und seine Begleiter die Kräfte. Dieser Umstand und eintretende Nebel bestimmten ihn, eilig den Rückzug anzutreten.

Drei Jahre später ( 1868 ) wurde der Elbrus, und zwar der südwestliche Gipfel, wirklich erreicht. Eine englische Gesellschaft, bestehend aus den Mitgliedern des Alpine Club Freshfield, Moore und Tucker und dem Führer F. Devouassoud aus Chamonix, war, nachdem sie vorher die Hauptkette des Kaukasus besucht und den Kasbek zum erstenmal erstiegen hatte, am 30. Juli in der Alpe A sau im obersten Baksanthale eingetroffen. Die Gesellschaft nächtigte in dem seitwärts gegen Nordost sich öffnenden Thälchen Terskol, aus dessen eisumschlossenem Hintergrunde einer der Quellflüsse des Baksan entspringt, und stieg am nächsten Tage auf dem Bergrücken empor, der das Terskolthal westlich begrenzt. In einer Höhe von 3500 Metern wurde zwischen Lavablöcken ein Bivouac bezogen und am 31. Juli um 2 Uhr 10 Min. morgens aufgebrochen. Die Ersteigung der Elbrusgipfel ist nicht schwierig, erfordert aber bei der riesigen Ausdehnung der Schneehänge eine ungewöhnliche Ausdauer. Der Elbrus gleicht in dieser Hinsicht dem Mont Blanc, nur muß man, wenn man den letzteren zum Vergleiche heranzieht, die Wegstrecke von den Grands Mulets bis zur Calotte um das Zweifache, die zu überwindende Höhendifferenz dagegen um 600 Meter höher ansetzen und berücksichtigen, daß der gewöhnliche Bivouacplatz für die Elbrus-Ersteigung 200 Meter über der Seehöhe der Grands Mulets liegt. Freshfield und Genossen steuerten direkt auf die südöstliche Gipfelkuppe zu, deren felsige Abbruche nach 5 Jk stündigem Anstiege erreicht wurden. In weitern 3V4 Stunden, um 10 Uhr 40 Min. vormittags, also 8 Va Stunden nach erfolgtem Aufbruche, betraten sie den höchsten Punkt der genannten Erhebung. Der höchste Berg des Kaukasus war besiegt, leichter und widerstandsloser, als man voraussetzen konnte, und wenn auch die nordwestliche Kuppe die südöstliche um 36 Meter überragt, so blieb bei diesem geringen Höhenunterschiede der Ruhm der ersten Ersteigung des Elbrus doch der Fresh-fieldschen Expedition vorbehalten. Die höchste Spitze des Elbrus, die nordwestliche Kuppe, wurde sechs Jahre später ( 1874 ) von einer zweiten englischen Gesellschaft, den Herren F. Gardiner, J. C. Grove und H. Walker mit Führer P. Knubel von St. Nikolaus, am 28. Juli erstiegen. Auch sie nahm den Weg1 durch das Baksan- und das Terskolthal und nächtigte unweit derselben Stelle, wo ihre Vorgänger bivouakiert hatten. Man strebte der Einsattlung zwischen den beiden Gipfelkuppen zu und erreichte dieselbe dank den günstigen Schneeverhältnissen nach 7 Stunden vom Lagerplatze aus. Der weitere Anstieg auf den höchsten Gipfel, der aus einer Erhöhung im Kraterrande besteht, erforderte 2 Stunden 40 Minuten.

Eine zweite gelungene Ersteigung des höchsten Elbrusgipfels unternahm 1884 Herr Moritz v. Déchy mit den Führern A. Burgener und P. J. Ruppen aus dem Saasthale. Nach dem Besuche der Adai-Choch-gruppe im centralen Kaukasus wandte sich v. Déchy dem Baksanthale zu und vollführte die Ersteigung am 23. August auf der Wegroute seiner Vorgänger in 10^2 Stunden. Ungünstige Schneeverhältnisse verzögerten die Ersteigung. Der Gipfel konnte erst um 6 Uhr abends und der Lagerplatz um 3 Uhr morgens wieder erreicht werden.

Im Jahre 1889 sah der Elbrus zwei Expeditionen auf seinem höchsten Scheitel. Am 31. Juli erreichte Freiherr Theodor v. Ungern-Sternberg mit Führer F. Hofer aus Krimml in 10 Stunden 35 Minuten von der Schneegrenze aus den Gipfel, und am 18. August unternahmen die Herren Brüder Erminio und Vittorio Sella mit den Führern G. Guardi und D. Maquignaz und zwei Trägern ihre Elbrus-Ersteigung, die vom Lagerplatze aus 11 Stunden 50 Minuten in Anspruch nahm. Beide Partien gingen vom obersten Baksan-(Asau-)Thale aus und nächtigten auf dem gewöhnlichen Bivouacplatze in cirka 3500 Meter Seehöhe. Freiherr v. Ungern-Sternberg überschritt bei dieser Gelegenheit das erste Mal das Sattelplateau, indem er nordöstlich in das Malkathal abstieg, und Vittorio Sella gelang es, in 5000 Meter Seehöhe, sein großes Elbrus-Panorama aufzunehmen, das auf allen Ausstellungen die Bewunderung der Besucher hervorrief.

Ein Jahr später, Ende Juli 1890, erstieg der russische Militär-Topograph Pastuchow mit drei Kosaken den nordwestlichen Gipfel. Die Ersteigung nahm sechs Tage in Anspruch und gestaltete sich infolge des kalten, stürmischen Wetters sehr anstrengend und gefahrvoll. Die erste Nacht verbrachte er, indem er gleichfalls durch das Terskolthal anstieg, in cirka 3300 Meter Seehöhe, etwas unterhalb des von den frühern Partien gewählten Bivouacplatzes, die zweite Nacht in 5060 Meter an einer Felsen- gruppe am Südostabhange des südöstlichen Gipfels, die dritte Nacht in 5250 Meter am westlichen Abhänge desselben Gipfels und die vierte Nacht in 5300 Meter in der Nähe des Sattels, wo von fünf Kosaken zwei zuriick-blieben. Am fünften Tage endlich nach Aufbruch vom Thale, am 31. Juli, stand Pastuchow 9 Uhr 20 Min. morgens auf der höchsten Spitze der nordwestlichen Gipfelkuppe, auf der er 3 Stunden 40 Minuten zum Zwecke topographischer und photographischer Aufnahmen verblieb. Auf dem Bivouacplatze bei den Kosaken angelangt, hinderte ihn ein neuerlich eintretender starker Schneesturm an dem Weitermarsche, so daß er eine fünfte Nacht im Freien zubringen mußte. Am nächstfolgenden Morgen wütete der Schneesturm in gesteigerter Heftigkeit fort und verhinderte jede Orientierung, doch gelang es mit Aufwand aller Energie der Sturm-region zu entfliehen und den Abstieg ins Baksanthal auszuführen.

Pastuchow hatte kein Zelt bei sich; vor dem Erfrieren war er durch große, wasserdichte Filzmäntel ( in Rußland „ Burken " genannt ) geschützt. Ili diese Burken gehüllt und dicht aneinander gedrängt, ließ er sich mit seinen Leuten ruhig einschneien, obgleich sich die Kälte bei Tagesanbruch auf 18,8° C. steigerte.

Die fünfte Ersteigung des höchsten Elbrusgipfels bewerkstelligte Herr Gottfried Merzbacher und der Verfasser mit den beiden Kaiser Führern J. Kehrer und J. Unterweger am 18. August 1891, über welche Expedition nachstehend ausführlich berichtet wird, und im August 1896 führte Herr Pastuchow seine zweite Elbrus-Ersteigung aus, welche, wie eine Zeitungsnotiz berichtet, von Norden oder Nordosten aus unternommen wurde. Ein Student und zwei Träger folgten dem kühnen Manne bis 5000 Meter Höhe und blieben dann zurück. Von einem Träger begleitet, drang Pastuchow weiter vor, bis auch jenen sehr nahe dem Gipfel die Kräfte verließen und er allein das Ziel erreichte. Auf dem Rückwege brach ein Schneesturm und ein Gewitter los, und das Thermometer fiel auf 15° C. unter Null. Unfähig sich zu orientieren, irrten beide Männer vom rechten Wege ab und vergruben sich gänzlich erschöpft im Schnee. Gegen Morgen wurde der Himmel klar, und halb erstarrt arbeiteten sich dieselben mit aller Mühe aus der verschneiten Schlucht heraus, in die sie während des Schneesturmes geraten waren, und begannen den Abstieg. Zu ihrem Glück kamen ihnen die zurückgebliebenen Gefährten bald entgegen und die ganze Gesellschaft erreichte schließlich wohlbehalten das Thal. Der Auf- und Abstieg hatte viermal vierundzwanzig Stunden in Anspruch genommen, und Pastuchow mußte drei Nächte im Schnee zubringen. Wie aus den Berichten aller Expeditionen hervorgeht und auch der Verfasser aus eigener Erfahrung bestätigen kann, bilden Kälte, Stürme und Schneefälle stets die Haupthindernisse einer Elbrus-Ersteigung, und nicht wenige Versuche sind an diesem Umstände gescheitert. Aber wenn auch der Elbrus infolge seiner riesenhaften Dimensionen an die Kraft und Aus- dauer der Touristen erheblich größere Anforderungen stellt als der Mont Blanc, so besitzt er doch nicht jene Bollwerke von Eis und Schnee, jene Abstürze und Zerklüftungen, die den Hauptgipfel der europäischen Alpen und auch andere hohe Gletscherberge auszeichnen.

Wer eine Reise in den Kaukasus unternimmt, darf die Ersteigung des Elbrus oder, wie ihn die Eingebornen nennen, des Minghi-Tau, nicht unversucht lassen. Minghi-Tau bedeutet in der Sprache der Baksan-Tataren und der Kabardiner „ Weißer Berg ", und es wäre zu bedauern, wenn diese sinnvolle, an den Namen Mont Blanc erinnernde Bezeichnung in Vergessenheit geriete. Der Elbrus besteht aus verschiedenen vulkanischen Gesteinsarten. An den rechtsseitigen Hängen des Terskolthales tritt der Augit-Andesit in zusammenhängenden Massen auf, teilweise auch in schönen, deutlich ausgeprägten rhomboedrischen Säulen. Die linke Seite des Terskol-thales wird von Urgebirgsgneis gebildet, doch verwehrt der darübergelagerte Terskolgletscher die interessanten Kontaktverhältnisse zwischen den verschiedenen Gesteinsarten zu untersuchen. Im Asauthale bildet der Basalt ein wichtiges Element, sowohl in seinen feineren als auch in seinen gröberen Varietäten. Auch andere vulkanische Gesteine und Mineralien, wie Tephrite, Augite, Olivine, Obsidiane, finden sich unter den Geschieben des Asaubaches. Die höchsten Gipfelfelsen des Elbrus, von denen ich ein größeres Handstück mit schönen Blitzspuren abbrach, scheinen ebenfalls aus Andesit zu bestehen.

Aus einer über 10 Kilometer im Durchmesser zählenden Kreisfläche in breiter, kolossaler Masse ansteigend, zeigt der Elbrus vom Thale aus keine das Auge besonders fesselnde Formen, je höher wir aber an ihm oder an den Nachbarsbergen emporklimmen, desto mehr entwickeln sich seine gewaltigen Dimensionen, desto höher erheben sich seine beiden Kuppen, desto kleiner erscheinen die übrigen Gipfel in der weiten Runde; und nun steht auch er da im Hochgefühle seiner Herrscherwürde, als ein erhabenes Bild übermenschlicher Ruhe und gottähnlicher Majestät. Unabsehbar groß ist die Schnee- und Firnbedeckung des Elbrus. Aber die in seiner völlig intakten Mantelfläche eingeschnittenen, kurzen, steil abbrechenden Thäler vermögen keine großen Gletscher mit lang herabwallenden Zungen aufzunehmen. Die Zahl der Eisströme des Elbrus beträgt sicher über ein Dutzend. Die größeren derselben sind: an der Süd- und Südostseite der Asau-, der Terskol- und der Irikgletscher, an der West- und Nordwestseite der Kukurtlü- und der Bituk-Tubegletscher und an der Nord- und Nordostseite der Tschirkan- und der Malin-Derku-gletscher. Über die Höhe der Schneegrenze des Elbrus, der ungefähr in derselben Breite wie Marseille liegt, läßt sich eine Durchschnittsziffer infolge des sehr ungleichen Neigungswinkels der Hänge und anderer lokaler Einwirkungen schwer festsetzen. Dieselbe kann auf 3200 bis 3500 Meter veranschlagt werden. Jedenfalls ist es der Sonne auf den Elbrusgipfeln auch im Hochsommer nicht möglich, den Schnee zum Tauen zu bringen; die steten Winde entführen den trockenen, leicht beweglichen Schneestaub, und da die westlichen und südlichen Abhänge beider Gipfel im Gegensatze zu den Nordabhängen völlig schneefrei sind, so können wir annehmen, daß hier oben West- und Südwinde vorherrschen.

Die nordwestliche Gipfelkuppe mißt 5630 Meter und die südöstliche Kuppe 5594 Meter. Beide zeigen einen deutlichen, mit Felstrümmern und Schnee völlig ausgefüllten Krater; an dem Nordwestgipfel soll, nach der Angabe Ungern-Sternbergs, neben den älteren noch ein jüngerer, unvollständiger Krater vorhanden sein. Dagegen ist die Behauptung in geologischen und geographischen Werken, als sei der Sattel zwischen den beiden Gipfeln der Rest eines alten Kraters und diese nur die Überbleibsel der einstigen Kraterumrandung, in den thatsächlichen Verhältnissen nicht begründet.

Herr Merzbacher und ich waren am 8. August 1891 über die Höhen de8Adyr-su- oder Mestia-Passes in dem tatarischen Dorfe Urusbieh ( 1507 ra ), dem Hauptorte des Baksanthales, eingetroffen. Am zweitnächsten Tage ( 10. August ), um 11 Uhr vormittags, brachen wir mit den beiden Kaiser Führern, zwei Trägern und drei Packpferden zur Ersteigung des Elbrus auf. Das Baksanthal, das wir stromaufwärts verfolgten, ist ohne hervorragende landschaftliche Reize, aber quer über den Thalhintergrund ragt als großartiges Schaustück das schneefunkelnde Massiv des Dongussorum ( 4452 m ) auf, das wir in Aufbau und Gliederung mit dem Monte Rosa verglichen. Im Vorüberziehen streift das Auge die erhabenen Gletscherbilder der Thäler von Schikildi und Jusingi, die vom Hauptkamme des Kaukasus nördlich gegen das Baksanthal herabziehen. Uralte, riesige Föhren umstehen in kleinen Gruppen den ungebärdigen Gletscherbach, dessen Gebraus sich mit dem Gepolter der in der Flut dahintreibenden Felsblöcke vermischt. Auch ein volkstümlicher, osetinischer Tanz war uns auf einer Alpe geboten; die Musik bestritten eine Mundharmonika und einige aufeinander geschlagene, löffeiförmige Holzstücke. Auf der Alpe Terskol, in 2128 Meter Seehöhe, wo sich das Terskolthal vom obersten Baksan- oder Asauthale nördlich abzweigt, schlugen wir abends das Zelt auf.x ) Beide Thäler erhalten ihre Wasser aus den Gletschern des Elbrusgebietes, in dessen eisstrahlende Reviere wir teilweise hineinblickten, und südöstlich über der Mündung des Dongussorumthales erhob sich der erwähnte Gebirgsstock, eine Scenerie von hochpoetischer Pracht. Am 10., 11. und 12. August erlaubte die unbeständige, regnerische Witterung, unter der wir auf unserer Kaukasusreise unausgesetzt zu leiden hatten, keine Unternehmung im größern Stil, und auch am vierten Tage regnete es bis 9 Uhr 30 Min. vormittags. Ich benutzte eine kurze Aufheiterung, um den zwischen dem Asau- und Dongussorumthale aufragenden Kleinen Dongussorum, der in zwei schönen Gletscherspitzen ( 3765 m und 3838 m ) gipfelt, einen Besuch zu machen. Um 4 Uhr 15 Min. stand ich nach Überwindung einiger Hindernisse und Wettertücke auf der östlichen, niedrigeren Spitze und konnte mich an dem vor mir aufgerollten, herrlichen Hochgebirgspanorama erfreuen. Da stand er nun vor mir, der majestätische Elbrus, ein Bild von unvergleichlicher Hoheit und Pracht, in dem Strahlenkranze der untergehenden Sonne, mehr einer Vision als einem irdischen Wesen vergleichbar.

Der nächste Tag ( 14. August ) brachte schönes Wetter, aber wir konnten dasselbe nicht benutzen, da der um Lebensmittel ausgesandte Träger noch nicht zurück war. Am 15. August verließen wir endlich um 9 Uhr 30 Min. vormittags das Lager und erstiegen den zwischen dem Terskol- und Asauthale gelegenen Bergrücken, der sich direkt zu den Eisfeldern des Elbrus-Massivs hinanzieht. Unsere Führer und zwei Träger mit den nötigen Bivouac-Utensilien begleiteten uns. Anfangs bedeckte eine üppige Vegetation die Hänge, aber bald verlor sich der Pflanzenwuchs und nur einzelne blaue und rote Disteln vertraten die alpine Flora. Der Weg führte über Andesitgestein, über glasartige Obsidiane, Sand und Asche mäßig steil aufwärts. Fremdartig wie die Umgebung war auch der Blick auf die allmählich emportauchenden Häupter der Central-kette.Von Wolken umspielt, erstrahlten die Schneefelder des Dongussorum in wildem Glänze, drohend erhob der doppeltürmige Uschba seine Riesenzacken in die Lüfte, und neben ihn reihten sich die hohen Berge der Adyr-su- und Schikildi-Gruppe und andere uns unbekannte Hörner und Spitzen. Auch an der Nordseite des Baksanthales, östlich vom Elbrus, zeigten sich zwei Bergketten mit schönen, mäßig hohen, pyramidalen Spitzen. In der Tiefe des Baksanthales sammelten sich allmählich dichte Nebel, die der Westwind herantrieb, was wir mit Recht als ein schlimmes Anzeichen für unser Vorhaben deuteten.

Bequem fortschreitend, erreichten wir einen mit riesigen Andesitblöcken besäten Steilhang zwischen dem Asau- und dem Terskolgletscher, auf dem wir um 3 Uhr 30 Min. ein Bivouac in ungefähr 3550 Meter Seehöhe bezogen. Von der Eisdecke des Elbrus-Massivs trennte uns noch eine vertikale Entfernung von ungefähr 160 Metern. Ein Blick vom Rande des Eises ließ mich die ganze Ausdehnung der Gletscher- und Firnhänge übersehen, die anfänglich ziemlich sanft ansteigen, später aber an Steilheit rasch zunehmen. Um 7 Uhr begann es zu regnen und dann brach ein fürchterliches Unwetter mit heftigen Blitzschlägen los, das bis Mitternacht andauerte. Auch der nächste Morgen gestaltete sich nicht besser, und so wurde die Rückkehr zum Zeltlager beschlossen. Wir stiegen direkt in das Terskolthal ab, und gleichzeitig setzte ein neuer, wolkenbruchartiger Regen ein, der bis 6 Uhr abends anhielt und uns bis auf die Haut durchnäßte. Auch in der Terskol-Alpe gab es kein trockenes Plätzchen und zum Feuermachen fehlte es an allem. Das war nicht mehr das Land des sonnigen Helios, sondern Kolchis düstere Natur, von der Jason in Grillparzers Medea sagt: „ Der Tag ist wie die Nacht und die Nacht entsetzlich !"

Um so schöner aber ließ sich der nächste Morgen ( 17. August ) an. Den Vormittag benutzten wir um unsere Sachen zu trocknen, einen Hammel zu schlachten und tüchtig zu fcssen, dann stiegen wir neuerdings zum Bivouacplatze hinan. Unterwegs und in den Abendstunden hüllte sich einmal alles in Nebel und der Erfolg schien abermals in Frage gestellt. Diesmal schlugen wir den Weg durch das Terskolthal ein, der kaum länger ist, als der Anstieg über den erwähnten Scheiderücken, und erreichten in 4 Stunden vom Zeltlager aus den Schlafplatz. In der Nacht klärte es sich auf, Mond und Sterne funkelten am Firmament, die Ruhe war nur durch das Gepolter der vom Gletscher sich ablösenden Steine unterbrochen. Nach mehrstündigem Ausruhen — an Schlaf war bei der Kälte nicht zu denken — verließen wir am anderen Tage um 1 Uhr 15 Min. früh das Lager, erstiegen mit der Laterne in kurzer Zeit den Hang des Blockfeldes und setzten dann unseren Marsch auf den Gletscher fort. Der auflagernde Neuschnee war ziemlich hart gefroren, ein ernstes Hindernis gab es nicht und so kamen wir auf den mäßig geneigten Hängen rasch vorwärts. Unsere Wegrichtung war nordnordwestlich; schweigsam zogen wir auf der öden, unbeweglichen Fläche dahin, die das Licht des Mondes nur notdürftig erhellte. Entfernte Objekte, auch der gerade vor uns liegende südöstliche Elbrusgipfel, waren nicht sichtbar, aber im Osten begann es zu tagen. Ein weicher, perlmutterartiger Glanz, zarte, blaugraue Töne wickelten sich aus dem Grau der Dämmerung und am östlichen Himmel erschienen helle, purpurne Lichtstreifen. Einen Sonnenaufgang, die erhabenste und ursprünglichste aller Erscheinungen, die der Erde aus den Tagen des Chaos verblieben sind, in einer Höhe von 5000 Metern zu genießen, wird uns Alpinisten nicht alle Tage zu teil. Ein trügerisches Lichtspiel, unterstützt von der Durchsichtigkeit der Höhenluft, erweckte die Täuschung, daß wir dem Sattel zwischen den beiden Elbrusgipfeln schon sehr nahe wären, obgleich uns noch meilenweite Firnterrassen davon trennten. Jetzt nahte sie, die Königin des Lichtes, schon erglühen die Felsen des südöstlichen Elbrusgipfels in goldigem Rosa, und die Schneehügel und Firnen in der Nähe nehmen eine zarte rote, blaue und violette Färbung an. Auch auf die Riesen der Centralkette fällt der Feuerkuß des sieghaften Gestirns. Wie scharfkantige, lichtsprühende Krystalle streben sie empor über die Flucht der Kämme und Firnen, voran der majestätische Uschba, ein gotischer Dom, dann die herrliche Pyramide des Tetnuld, der königliche Dychtau und sein Rivale der Koschtantau, der gigantische Felsbau der Schkara, die Dschanga, der Kartantau und wie sie alle heißen die Vertreter jener erhabenen, in ihrer Art unvergleichlichen Gebirgswelt. Doch die Sonne stieg höher, mehr und mehr weitete sich der Horizont, und ahnungslos richteten wir unsere Blicke nach Westen, wo sich der Spiegel des Schwarzen Meeres befindet. Noch lag dämmeriges Halbdunkel über den ausgedehnten Räumen, nur die oberste, dünne Luftschichte war vom Tageslichte matt erhellt. Doch plötzlich stieg zur Linken, von einem verschwommenen, helleren Bande begrenzt, ein riesiges Dreieck in die Luft. Es war der tiefdunkle, blaupurpurne Schattenkegel des südöstlichen Elbrusgipfels. Er traf die schwach erhellte, dünne Luftschichte und mochte eine Länge von mehreren Kilometern aufweisen. Das projektierte Bild des Gipfels war scharf genug, um die merkwürdige bald vorübergehende Erscheinung richtig zu deuten. Wir stiegen auf den stärker geneigten Firnhängen ohne Aufenthalt weiter, dennoch machte sich die Kälte stark fühlbar. Am Fuße des südöstlichen Gipfels bogen wir links gegen den Sattel ab; der Morgenwind steigerte sich allmählich zu einem entsetzlichen Sturm und jagte ganze Wolken von Schneestaub und Eisnadeln in die Luft. Um 7 Uhr erreichten wir endlich den Sattel ( 5335 m ) zwischen den beiden Gipfeln; aber der Gedanke, hier vor dem wütenden Boreas einigermaßen Schutz zu finden, erwies sich als unausführbar. In großer Steilheit und mit tiefem Neuschnee bedeckt, so daß nur einzelne Felsmauern hervorragten, stieg der Nordwestgipfel vor uns empor, das letzte Ziel unserer Anstrengungen. Hinter einigen Felsblöcken gelang es endlich, ein kurzes Frühstück einzunehmen und 10 Minuten Atem zu schöpfen, und dann stiegen wir über den 40 — 60° geneigten Abhang empor, bis wir nach Durchbrechung der Gratwächte um 8 Uhr 30 Min. den Rand des muldenartig eingesenkten Kraters erreichten. Es war nicht der höchste Punkt der Kraterumwallung, der eigentliche Gipfel erhob sich uns gerade gegenüber im Westen und bildete ein mäßig hohes Schneedreieck. Der Sturm hatte sich in einen sinnbetäubenden Orkan verwandelt, unsere Stimme verhallte ungehört und das Sehen war durch die herumwirbelnden scharfen Eiskrystalle sehr erschwert. Der rascheste Entschluß war hier der beste und so eilten wir im Laufschritte dem nördlichen Kraterrand entlang unserem Endziele, einem etwa 40 Meter hohen Schneehange, entgegen. Der Schnee war am Kraterrande abgeweht, so daß wir rasch vorwärts kamen, und um 9 Uhr 10 Min. standen wir bei den kleinen Signalstangen, die beide von Pastuchow herrühren. Der höchste Gipfel des Kaukasus war erstiegen und eines der Hauptziele unserer Expedition erreicht. Unter uns lagen in unabsehbarer Ausdehnung die Länder Asiens und Europas, unbehindert schwebte der Blick nach allen Richtungen und selbst die höchsten Spitzen der Centralkette bildeten keine Schranke für das spähende Auge. Wolkenlos wölbte sich der Himmel über uns und die Sonne leuchtete in vollem Glänze, obgleich der Sturm in ungeschwächter Heftigkeit fortwiitete.

Gerne hätten wir, wie unser vom Glücke mehr begünstigte Vorgänger Pastuchow, einige Stunden der Beobachtung und der Betrachtung gewidmet, allein der Selbsterhaltungstrieb gebot, den Aufenthalt möglichst abzukürzen. Das Panorama vom Elbrus vereinigt in seiner Ungeheuern Ausdehnung alle Arten der Objekte, sowie alle Gegensätze und Verschiedenheiten der Bodengestaltung: unübersehbare Steppen und reiche Niederungen, sterile Hochländer und üppige Kulturdistrikte, das weite Meer und ein majestätisches Hochgebirge. Und das alles in jenen riesigen Raum- und Größenverhältnissen, wie das nur das östliche Europa und Asien aufweisen. Wohl ist der Ararat auch dem bewaffneten Auge kaum sichtbar und das Schwarze Meer zeigt sich nur unter günstigen Verhältnissen, aber der Horizont ist nach jeder Richtung frei und unbeschränkt, und zu der Bewunderung des prachtvollen Aussichtsbildes, zu der idealen Begeisterung für die Schönheiten dieser Erde gesellt sich das Gefühl des Unendlichen, des Ewig-Großen und des Göttlich-Erhabenen. Der schönste Teil des Elbrus-Panoramas ist jedoch der Anblick der kaukasischen Hauptkette, die sich dem trunkenen Auge in einer 500 bis 600 Kilometer langen Avenue von Gebirgsgruppen, blinkenden Firnfeldern, reich verzweigten Kämmen und Thälern darstellt. Besondere Erwähnung verdienen das breite Massiv des Dongussorutn, die hochpittoresken Pyramiden-gestalten des Zalmiag und Gvergischer, der Uschba, das Bild eines himmelstürmenden Titanen, die gedrängte Gipfelreihe der Adyr-su-Gruppe, die Riesenberge von Tschegem und Bezingi mit ihren unvergleichlich kühnen Formen und schreckhaften Eisgebilden und die stolzen Gipfel der Adai-Chochgruppe. Aber auch den Riesendom des Kasbek und die 300 Kilometer entfernten Berge Dagestans glaubten wir noch erspähen zu können.

Nur 20 Minuten verweilten wir auf dem Gipfel; die unausgesetzten, orkanartigen Windstöße und die niedere Temperatur12° C. ) gestatteten keinen Gebrauch von den mühsam lieraufgeschleppten Instrumenten zu machen. Herr Merzbacher nahm einige Ablesungen vor und ich sammelte ein paar Gesteinsproben, dann eilten wir, vom Nordweststurme gejagt, von der Spitze herab und zu dem jenseitigen Kraterrande zurück. Der Krater ist muldenartig eingesenkt, von Felsblöcken und angewehten Schneemassen fast ganz ausgefüllt; die Begehung würde bei günstiger Wetterlage keinerlei Schwierigkeiten verursachen. Eine ganz ähnliche Form hat, wie Pastuchow berichtet, auch der Krater des südöstlichen Gipfels. Der Durchmesser eines jeden Kraters kann auf 800 bis 1000 Meter geschätzt werden; die Ränder beider Krater sind auf den dem Sattel entgegengesetzten Seiten ausgebrochen. An der Stelle angelangt, wo wir den Kraterrand zuerst betraten, ging es in größter Eile durch weichen, tiefen Schnee den steilen Abhang hinab, gehetzt und getrieben von dem rasenden Boreas, der uns unaufhörlich die spitzen Eisnadeln ins Gesicht peitschte. Erst als wir den Sattel hinter uns hatten, besserte sich unsere Lage. Es war auch die höchste Zeit! Die Kälte und der Sturm hatten uns völlig betäubt, wir glichen völligen Eismännern; Gesicht, Bart und Kleider waren mit einer dicken Schneekruste überzogen und die Schuhe beinhart gefroren. Mich schmerzte überdies die rechte große Zehe, die ich durch das Stufentreten beim Anstieg verletzt hatte. Die Absicht, auch den südöstlichen Gipfel des Elbrus zu ersteigen, mußte unter solchen Verhältnissen mit schwerem Herzen aufgegeben werden, obwohl es an der nötigen Zeit nicht gefehlt hätte.

Etwa 8k Stunden nach Verlassen des Sattels betraten wir eine etwas ruhigere, nebelfreie Region und wir vermochten uns wieder zu orientieren. Um schneller vorwärts zu kommen, banden wir uns in zwei Partien an das Seil; später, als die Klüfte sich mehrten und wir wiederholt in dem weichen Schnee einbrachen, gestaltete sich das Fortkommen langsam und sehr ermüdend. Das Kältegefühl verlor sich, dagegen machte sich der Gletscherbrand fühlbar. Um 2 Uhr nachmittags erreichten wir die ersten Lavablöcke, von unseren beiden Trägern mit aufrichtiger Freude begrüßt, und nach kurzer Rast langten wir um 2 Uhr 40 Min. auf dem Bivouacplatze an. Hier wurde eine Erfrischung eingenommen, Decken und Schlafsäcke aufgepackt und der Abstieg in das Terskolthal fortgesetzt, wo wir noch vor Sonnenuntergang eintrafen.

In den nachfolgenden Wochen machten wir dem Dongussorum, der Adyr-su-Gruppe und der großartigen Gebirgswelt von Bezingi einen Besuch. Aber der damalige regenreiche kaukasische Sommer, ein ebenbürtiges Seitenstück zu dem alpinen Sommer des Jahres 1896, ermöglichte nur die Absolvierung eines sehr kleinen Teiles unseres aufgestellten glänzenden Programmes. Am 8. September verabschiedete ich mich von Herrn Merzbacher und kehrte über Wladikawkas und den Dariel-Paß, wo mir noch der majestätische Kasbek die Grüße des kaukasischen Hochgebirges zusandte, nach Tiflis zurück. Von Tiflis brachte mich die trans-kaukasische Eisenbahn nach der Hafenstadt Batum am Schwarzen Meere und am 18. September befand ich mich bereits an Bord des französischen Messagerie-Dampfers „ Manche ", der seinen Kurs nach Konstantinopel nahm.

Thalatta! Thalatta! So riefen die Zehntausend unter Xenophon, als sie das heilige Meer wieder sahen, das sie in ihre Heimat führen sollte, und auch mir war das musikalische Rauschen der vom Nordost aufgewühlten Pontuswelle, die zaubervolle Melancholie dieses großartigen Harfenspieles kein leeres Wort. Und Bild an Bild entstieg aus der Gewässer klarem Dunkel: Trapezunt, Kerassund und Samsun, mit ihren unvergleichlichen Buchten und Uferterrassen, mit ihren Denkmälern aus altverklungener Kaiserherrlichkeit, mit ihren prachtvollen, lichtdurchdrun-genen Gärten, und am dritten Tage tauchte auch das alte Stambul aus dem Meere empor, im Schmucke seiner farbigen Hügelketten, in seiner morgenländischen Schweigsamkeit, mit seinem Mastenwalde, mit seinen Intriguen und Diplomaten. Ein wunderbarer Goldglanz, eine feierliche Ruhe Jag über die Stadt, über den Bosporus und über die beiderseitigen Ufer ausgegossen. Auch der moderne Tourist kann sich dieses erhabenen Eindruckes nicht entziehen, und auch er spricht andachtsvoll mit dem Dichter:

„ Gottes ist der Orient!

Gottes ist der Occident! Nord und südliches Gelände Enht im Frieden seiner Hände. "

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III.

Abhandlungen.

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