Der Jura in der Dichtung
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Der Jura in der Dichtung

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Von Eduard Fischer

( Olten ) Während zum Thema « Die Alpenwelt in der Dichtung » schon längst und wiederholt Abhandlungen und Dissertationen erschienen sind, hat der Jura in dieser Beziehung noch wenige Darsteller gefunden. Und doch dürfte es reizvoll und dankbar sein, nachzuspüren und klarzulegen, seit wann und wie die Jurawelt Eingang und Darstellung in der Dichtung gefunden hat, wo sie Hintergrund eines bedeutenden dichterischen Geschehens ist, oder wie weit sich einzelne Schriftsteller selber über den Einfluss des Jura-Erlebnisses an ihren Werken ausgesprochen haben. Man würde dann finden, dass der Jura fast gleichzeitig mit den Alpen und durch bedeutendste Dichter erkannt, bestaunt und beschrieben worden ist. Albrecht von Haller, der erste grosse Sänger der Alpenwelt, hat ihn von Biel aus begangen, Rousseau fand dort und auf der Petersinsel seine Zuflucht, Goethe hat ihn in seinem Reisetagebuch meisterhaft dargestellt. AU dies ist geschehen gleich zu Anfang, als eben der schweizerische Fremdenverkehr ins Blickfeld des erstaunenden Auslandes trat. Gewiss, überwältigend steht dem Jura die Alpenwelt gegenüber, da muss er mit seinen Gipfeln von 1265 m am Weissenstein oder mit 1680 m an der Dôle bescheiden zurückstehen. Schlimm ist das nicht, denn der Jura ist von anderer Art und Schönheit, die durchaus ergreifend und nachhaltig zu wirken vermag. Nirgends schöner als bei den Dichtern findet man dieses ausgesprochen, und dies ist bereits auch in der mittelalterlichen Volksdichtung zu finden, bei den Sagen und Legenden, an denen der Jura so reich ist; denn mit seinen Tälern und Schluchten, seinen Wäldern und Burgen musste er naturgemäss ein Hort jener zaubervollen Fabelwelt werden. Zu untersuchen wäre ausserdem, wie stark die Juraheimat auch schon auf die ritterlichen Minnesänger eingewirkt und in ihren Dichtungen Nachhall gefunden hat, auf Rudolf von Fenis zu Neuenburg, auf Steinmar von Klingnau, auf Werner von Homberg und andere, die im 12. und 13. Jahrhundert gelebt haben und von denen uns Dichtungen erhalten sind.

Goethe aber ist es gewesen, der als Forscher und Dichter zugleich erstmals der Juralandschaft eine prachtvolle Darstellung gewidmet hat. Auf seiner zweiten Schweizer Reise kam er im Oktober 1779 durch die Birsschluchten. Am 3. Oktober übernachtete er in Moutier und schrieb dort abends in den Reisebericht nieder:

« Bald steigen aneinanderhängende Wände senkrecht auf, bald streichen gewaltige Lagen schief nach dem Fluss und dem Weg ein, breite Massen sind aufeinandergesetzt, und gleich daneben stehen scharfe Klippen abgesetzt. Grosse Klüfte spalten sich aufwärts, und Platten von Mauerstärke haben sich von dem übrigen Gesteine losgetrennt. Einzelne Felsstücke sind heruntergestürzt, andere hängen noch über und lassen nach ihrer Lage fürchten, dass sie dereinst gleichfalls herein kommen werden. Bald rund, bald spitz, bald bewachsen, bald nackt sind die Firsten der Felsen, wo oft noch oben drüber ein einzelner Kopf kahl und kühn herübersieht, und an Wänden und in der Tiefe schmiegen sich ausgewitterte Klüfte an. Mir machte der Zug durch diese Enge eine grosse und ruhige Empfindung. Das Erhabene gibt der Seele die schöne Ruhe, sie wird ganz dadurch erfüllt, fühlt sich so gross, als sie sein kann, und gibt ein reines Gefühl. » Auf seiner Weiterreise bestieg dann Goethe auch die « Dôle », es war Ende Oktober; leichte Nebel schwebten über der Tiefe und nach dem Genfer See hin, aber frei und offen lag die Alpenwelt vor dem Betrachter. Er schrieb darüber:

« Es sind keine Worte für Grösse und Schöne dieses Anblicks; man ist sich im Augenblick selbst kaum bewusst, dass man sieht! Immer wieder zog die Reihe der glänzenden Eisgebirge das Auge und die Seele an sich. » Anno 1828 stand am gleichen Platze der « Dôle » auch der amerikanische Schriftsteller J. F. Cooper, der Verfasser der bekannten Lederstrumpfgeschichten, nicht weniger ergriffen und begeistert als der deutsche Dichterfürst. Im Anblicke des Mont Blanc rief er aus:

« Niemals werde ich die Erschütterung dieses Augenblicks vergessen! Noch nie empfand ich den Wunsch, Flügel zu haben, so heftig, wie an diesem Platze! » Zu Anfang dieses Jahrhunderts wanderte der gemütvolle badische Dichter Hansjakob auf den Spuren Goethes von Basel her den Jura herauf und bestieg von Gänsbrunnen aus den Weissenstein. Auch er war ergriffen von der Schönheit der Juralandschaft, und vom Weissenstein rühmte er:

« Die Aussicht von dort oben kann sich kühn mit den schönsten in der Schweiz messen. Wer nicht glauben möchte, dass die Schweiz das naturschönste Land von Europa ist, der stelle sich auf die Terrasse des Weissensteinhotels, und er wird alsbald bekehrt sein. Eben kamen Schulkinder vom Massenquartier herauf und sangen auf der Terrasse mit ihren frischen Stimmen noch ein Abendlied ins dunkle Land hinab, als wollten sie ihrem schönen Heimatland Gutnacht sagen. Ihr Lied rührte mich in tiefster Seele. Eben ging der Mond auf. Nun lag die Ruhe der Ewigkeit über der Welt, nur hinter mir, von der Tiefe herauf, läuteten noch die Glocken einer Herde in der Nacht, friedlich und unbekümmert um alle Welträtsel. » Aber lassen wir jetzt die Dichter sprechen, die im Jura aufgewachsen sind, deren es an Zahl nicht wenige gibt. Josef Victor Widmann, der seine Jugendzeit in Liestal verbrachte, kannte den Jura sehr wohl. Über die Gegend von Langenbruck schrieb er nach einer Bergwanderung:

« Die Strasse führte uns durch prächtigen und reichlichen Hochwald empor. Sie zieht sich dann am Nordhang des Berges fast eben hin, bis sie bei Bärenwil sich in ein Tal senkt, das in die von malerischen Felshöhen beherrschte Basler Landschaft ausmündet. Die Sonne setzte die herbstlichen Höhenzüge, die man zwischen Hügeleinschnitten gewahrte, in desto wirksamere Beleuchtung. Wir waren zum Signalberg gegangen, wo sich das Waldgebirge in sanftem Halbkreis aufbaut, von der stolzen Hochfluh überragt. Die Sonne war nicht haushälterisch mit ihrem Golde, in weichen warmen Tönen lag sie auf der weiten Ebene uns zu Fussen. Das sind Naturgenüsse, die sich mit Worten nur schlecht wiedergeben lassen; selber hingehen und sehen ist das allerbeste. » Adolf Frey, der begeisterte Dichterworte für den Jura gefunden hat, hat uns vermittelt, was diese Landschaft auch dem grossen Basler Maler Arnold Böcklin bedeutete:

« Böcklins Augen tranken die hellste Sonne, die vollen tiefen Farben der heimatlichen Berghänge und Gründe. Als er später die leuchtendste aller Paletten errang, da glänzten sie wieder empor. Aber seine junge Seele sog auch den wehmütigen Ernst der Jurahöhen ein und hauchte ihn hundertfach in seine Schöpfungen. » Am tiefsten aber lässt uns der Liestaler Carl Spitteler einen Blick tun auf das Erlebnis der Juralandschaft, die für manches seiner Werke den Anreiz geboten hat, wie er selbst in einem aufschlussreichen Brief an den oben genannten Adolf Frey berichtet:

« Schluchten überall, von Langenbruck nach Hägendorf, von Langenbruck nach Balsthal, das ist märchenhaft schön. In meiner Poesie siehe über Juraschluchten ,Die Jurakönigin ', Pandora im ,Prometheus'( Weg von Langenbruck nach Hägendorf ), weil ich den stärksten Natureindruck meines Lebens dort gewonnen. Es ist für mich das Schönste alles Schönen. Diese Schluchten im Jura sind eine Schönheit allerersten Ranges, übertreffen die Schluchten der Alpen, die sie zwar nicht entfernt an Dynamik erreichen, unendlich an Poesie. Der Wald ist selten stattlich und hoch, sondern niedrige Buchen, mittelmässige Tannen, aber Unterholz mitunter phänomenal: paradiesisch und duftende Schlehen und namentlich wilde Hagerosen in Masse. Hagerosenlandschaften im herbstlichen Sonnennebel gehören zu meinen Kindersehnsuchten. In den Walddickichten und -lichtungen eine Unmasse von Schmetterlingsarten. Sämtliche Arten von Tagschmetterlingen kann man im Juli auf einem einzigen Spaziergang treffen. Für obiges siehe meine ,Schmetterlinge '. Sie sind aus der Juralandschaft geschaut. Formation monoton, aber beileibe nicht melancholisch. Grundtypus: kleine private Weltabschnitte. Ahnungs- und sehnsuchtsreich nach der Ferne oder Höhe. Baselland ist mit Auswandererfarben gefärbt. Ich wiederhole: keine Wehmut, sondern mutig hoffnungsvolle Sehnsucht. Mein Idyll .Wettfasten'und ,Gustav'spielt nicht wie die Widmannschen in Liestal, sondern in Waldenburg und Langenbruck, also vor Beginn der waldigen Jurahöhen. Ebenso die, Mädchenfeinde'am Gegenhange bei Langenbruck, Balsthal, Solothurn. In den ,Schmetterlingen'spielt ,Blauvögelein'auf einer Jura-langenbruckwiese, ,Segelfalter'im Basellandwald mit Neuvevillerdamen. .Rotes Ordens-band' ein Bachmotiv bei Balsthal. .Blaues Ordensband' zwischen Langenbruck und Waldenburg. » Genug der Beispiele, sie könnten leicht vermehrt werden bis in die Gegenwart bei Jakob Schaffner, Felix Möschlin, Hermann Hiltbrunner und Bernhard Moser. Aber einer Stimme möchten wir zum Schlüsse noch lauschen, sie kommt vom Solothurner Josef Reinhart, dem die Juralandschaft schöner und bedeutender Hintergrund in allen seinen Werken ist. Sein Lob gilt hier dem Jurahöhenweg:

« Wer noch im Abendglühen auf einer Herrgottskanzel des Juraweges steht, der trägt das Bild in den Alltag zurück, wie man das Bild vom Meer, von der grossen Ebene heimträgt; aber hier auf dem Höhen weg war es Geschenk der Heimat. Er ist ein Sinnbild wahrer Heimat: farbig, wechselvoll und heimelig lächelnd, fröhlich wie der Jodel der Sennen, weh- mutig wie der Sang der Handharfe; er ist herb und verschlossen wie des Bauern Wesen, heimlich, sehnsüchtig träumerisch wie der Sonntag der Landmädchen, rauh wie die Hand und das Wort des Ackerknechtes, hart und gross wie der Tod, der an der Felsenecke wartet; der Höhenweg ist lieblich, offen und heiter, aber in den Tiefen voll Schwermut und Rätsel -wie alles Grosse: Er ist die Sinfonie der Heimat. »

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