Der Teufelsgrat.
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Der Teufelsgrat.

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

Zweifellos zu den erstklassigen, aber auch längsten Bergfahrten in den Walliseralpen gehört die Besteigung des Täschhorns über den Teufelsgrat. Ruhiges, ausdauerndes Klettern, besonders aber ein gutes Auge für den einzuschlagenden Weg machen die Tur erfolgreich. Wer den Teufelsgrat respektlos stürmt oder wer sich oft « verspringt » — wie die Walliser sagen—, erleidet eine Niederlage.

Es ist schade, dass dieser landschaftlich wie klettersportlich gleich reiz volle Grat so selten besucht wird. Sicher ist es der heikle Zugang, der abschreckt, und das Biwak. Einige Partien nächtigten ob der Täschalpe am Fuss des Kienhorn, 3755 m ( auf der Siegfriedkarte mit Strahlbett bezeichnet ), andere höher oben irgendwo am Kienhorn selbst oder gar in der Kien-hornlücke, wo der Teufelsgrat beginnt. Der Zugang von der Täschalpseite her ist jedoch der objektiven Gefahr des Steinschlags allzusehr ausgesetzt, und das Nächtigen auf jenen Höhen ist ebenfalls zu verwerfen, weil der damit bezweckte Zeitgewinn die Nachteile einer schlecht verbrachten Nacht nicht überwiegt. Mein Bergkamerad, Ingenieur Eugen Hauser, und ich hatten für die genannten « Genüsse » keine Sympathie. Wir stiegen von Randa bei Zermatt in fast drei Stunden zur Kienhütte hinauf. In dieser Hütte soll es gespenstern, wie man mir erzählte. Und wirklich: schon auf den ersten Blick sahen wir, dass es dort nicht geheuer sein konnte; denn der oder die « Geister » hatten fast alles weggeschleppt. Immerhin liessen sie, die auf den « Luxus » 91 der Bergsteiger neidisch zu sein schienen, dennoch ritterlich galant genügend Hüttenkomfort für wenigstens zwei Personen zurück. Wir fanden dies sehr anerkennenswert. Während mein Begleiter sich etwa zwei Stunden abmühte, tropfenweise rinnendes klares Wasser in zwei Gefässe zu sammeln, liess ich die Augen den soviel ich weissdamals noch jungfräulichen Weg zur Kienlücke erklettern, P. 3662 auf der Siegfriedkarte.

2 Uhr nachts verliessen wir die Hütte. Unter der Gletscherzunge des Kiengletschers durch, P. 2812, gelangten wir auf jenen kleinen Firn, der auf der Karte zwischen P. 3755 und P. 3353 eingezeichnet ist. Auf ihm wanderten wir so lange, bis der Eintritt links in die Felsen günstig schien. Von der Kiengletscherseite her stiegen wir gegen den Gipfel des Kienhorns ( Strahlbett ) an. Wir verbanden uns durch das Seil, als einige mit äusserst feiner Eisglasur überzogene Felsplatten moralisch dazu zwangen. Der berühmte, bloss eingebildete Halt tat uns wohl. Mit den Knien, welche Adhäsion fanden auf kleinen, eisfreien Stellen, überwanden wir sie. Bald war der Gipfel des Kienhorn erreicht und etwas absteigend die Kienhornlücke ( Kienhütte-Kienhornlücke 5 Stunden ). Die von hier aus, 3662 m, bis zum höchsten Ende der Teufelsgratroute zu erkletternde Höhe ist nicht gross; aber der Grat ist lang und das Gestein schlecht. An gefährlichen, steilen Stellen in der Wand muss jeder Griff geprüft werden, und der unten wartende Begleiter muss sich vor allfälligem Steinschlag an die Wand schmiegen. Im wahren Sinn des Wortes schwierige Stellen sind nicht vorhanden. Einige Türme werden überklettert, die meisten umgangen.

Die Nordwand war bei unserem Besuche glatt und kalt, die Südwand warm, schneefrei. Da letztere sehr gestuft und von horizontalen Bändern durchzogen ist, schlug ich Hauser vor, auf diesen rasch und bequem vorzurücken, um bei geeigneter Stelle auf den Grat zurückzukehren. Dieses Verfahren gaben wir bald auf; denn gleich schon das erste Band führte uns in die leere Wand hinaus, und es war unmöglich, auf den Grat zu gelangen. Wir kehrten zurück und kletterten an der einzig möglichen Stelle in der Wand etwa dreissig Meter hoch zum Grat empor. Über eine Stufe, sechs Meter unter der Gratschneide, wurden die Rucksäcke aufgeseilt, und von nun an verliessen wir den Grat nur, wenn wir abgedrängt wurden. Diese Art der Gratwanderung hatte mein Begleiter vorgeschlagen, und sie erwies sich als die richtige. Beinahe am Ende des Grates gelangt man, vielleicht etwa zehn Meter absteigend, in eine enge Scharte, welche die schönste Stelle der Wanderung ist. Die Felsblöcke wackeln, und der Blick zu beiden Seiten hinunter ist tief.

Die Tur ist aber auch reich an interessanten Einzelheiten, die man alle gar nicht aufzählen kann und zur Orientierung auch nichts nützen; denn bei der Begehung des Teufelsgrates und anderer ähnlicher Türen diktieren allein die Verhältnisse den Weg. Vergnügt denke ich an folgende Episode: Freund Hauser hatte die wenigen Beschreibungen der Teufelsgratwanderung in der alpinen Literatur aufgestöbert und gewissenhaft studiert. Bei einem der « Details » angelangt, es war dies eine bucklige, griffarme Stelle, meinte er in seiner langsamen, ruhigen Art: « Ich glaube, das ischt jetzt die Schtell, wo eine em andere muess uf d'Schultere schtige... » Darauf ich: « Mach kei Gschicht. » Hierauf er: « Ja, wenn du meinscht... »... Und langsam und sicher schob sich sein bärenstarker Körper ohne Hilfe über die « Schulterstandstelle » empor.

Um 6 Uhr abends hatten die kleinen Teufeleien des Grates aufgehört. Wir zogen die Steigeisen an und steuerten mässig ansteigend über den Schnee zum gewöhnlichen Täschhornweg hinüber. Wir fanden ihn zum Teil vereist. Auf den Täschhorngipfel verzichtete ich. Mein Begleiter war schon oben gewesen, und ich hatte keine Lust, auf dem Gipfel eine Mondschein-sonate zu singen. Das Dämmerlicht wurde vom Mondschein abgelöst, und um 10 Uhr, also nach genau zwanzig Stunden, waren wir wieder bei der Kienhütte. Dass hier « Gespenster » herumgehen, sahen wir jetzt ganz sicher: das eine in der einsamen Hütte gelassene Gefäss mit dem schwierig errungenen Wasser war leer!... Wir suchten, ob der freundliche « Geist » uns nicht vielleicht einen Sack Gold zurückgelassen hätte, fanden aber leider nichts, und ohne die nähere Bekanntschaft des luftigen Gastes gemacht zu haben, legten wir uns durstig auf die Pritsche. Mit dem frohen Bewusstsein, dem Walliser « Bergbozu » ( Berggeist ) den Tribut bezahlt zu haben, den er sich als Entgelt für das Eindringen in sein prächtiges Gletscher- und Felsgebiet geholt, schliefen wir tief und traumlos und entschädigten uns für den entgangenen Tee am andern Morgen im Hotel zu Randa mit einigen Serien Cafés complets.

Die vom schönsten Wetter und guten Verhältnissen begünstigte Fahrt über den Teufelsgrat lebt fort in unserer Erinnerung als eine der reizvollsten Wanderungen, die wir je gemacht.H Hafers de Magalhaes.

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