Die Bärengrube
Unterstütze den SAC Jetzt spenden

Die Bärengrube

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

von p. plazidus hartmann, engelberg

( spannörter-engelberg ) Mit 2 Bildern ( 24,25 ) Vom oberen Engelbergertal führen zwischen Titlis und Schlossberg drei Gletscherpässe ins Erstfeldertal, ins Meiental oder zum Susten. Der steile, hohe Anstieg ist beschwerlich, war jedoch vor der Zeit der Schiffe, der Bahnen und der Autostrassen nicht nur der billigste, sondern auch der schnellste Übergang ins obere Reusstal und ins Gadmental, erschloss herrliche Blicke in den Zauber des Hochgebirges und wurde von bergtüchtigen Menschen, Gemsjägern und Touristen, begangen. Der Aufstieg von der Herrenrüti zum Wendenjoch erfordert strenge Stunden. Leichter ist der Übergang durch die Schlossberglücke nach Erstfeld, seit die Sektion Uto 1880 die Spannorthütte und die Sektion Gotthard 1882 die Kröntenhütte dem Bergwanderer zur Verfügung stellten. Am beschwerlichsten bleibt nach wie vor der Anstieg von der Nidersurenen über die Scheidegg zum Grassenpass, dessen Höhe seit alter Zeit als Bärengrube bezeichnet wurde. Warum die neue Landeskarte jeder Tradition zum Trotz « Bärengrube« » schreibt, bleibt unerklärlich. Diese Bärengrube, so wenig sie auch begangen wird, entschädigt und überrascht durch ein einzigartig schönes Bild in einem köstlich kühnen Rahmen. Sie wurde touristisch erstmals überschritten von den Zürchern Arnold Escher von der Linth und Hirzel-Escher im Sommer 1834 mit dem berühmten Engelberger Gemsjäger und « Gletschermann » Maurus Imfanger als Führer. Wenige Tage darauf wählte der grosse Naturfreund Heinrich Zeller, den wir unter den Gründern des SAC wissen und der zu dessen Ehrenmitglied erkoren wurde, mit dem nämlichen Führer die gleiche Überschreitung. Als 1857 die Gebirgswelt um Engelberg Clubgebiet des SAC wurde, veröffentlichte Heinrich Zeller-Horner im Jahrbuch seine Erlebnisse von 1834, welche den grossen Natur- und Kunstfreund in keiner Zeile verleugnen. Da das Jahrbuch 1875 wohl vielen Kameraden nicht zur Hand sein dürfte, gebe ich ihm auch hier das Wort:

« Von herrlich schönem Wefter begünstigt, rückten wir den 8. August Morgens in aller Frühe wieder gegen die Gletscherregion an, meinerseits zwar noch etwas müde, doch vertrauend auf die stärkende Bergluft, und erreichten nach 1stündigem Gange den Fuss des Gebirgs unweit der Herrenrüti.

Grassen heisst der begletscherte Kamm zwischen dem Titlis und den Spannörtern, welcher sich von Engelberg aus gesehen so imposant darstellt und durch dessen tiefste Einsattlung, die sogenannte Bärengrube ( 2718 m ), der Pass geht. Noch nie bin ich so steil angestiegen, wie hier die ersten zwei Stunden, Anfangs auf Rasen, nacher über Felsen bis zum Gletscher.

Auf einem hervorragenden Felskamm, der sogenannten Scheidegg, ruhten wir aus. Man übersieht hier das ganze Engelberger Thal mit allen seinen Gebirgen, worunter sich besonders der Titlis auszeichnet, welcher ganz nahe mit seinen ungeheuren Wänden aus dem Firnalpeligletscher aufsteigt. Ferner ist der Anblick der links und rechts zu Thal gehenden zerrissenen Gletscher und der über nahe Eiswälle emporragenden Riesensäulen der Spannörter ausserordentlich und unvergesslich. Bald betraten wir die Region des Winters, den Grassenfirn, welcher breit und mächtig den wilden Bergrücken deckt. Der Schnee war hart und die Spalten, unter denen es einige gab, in die man Häuser hätte versenken können, meist offen, so dass wir denselben ohne Gefahr ausweichen oder sie überschreiten konnten. Eine Stunde braucht man über den Gletscher bis zur Höhe des Passes, genannt Bärengrube. Welch ein Schauspiel öffnet sich vor den erstaunten Blicken! Man stelle sich einen Engpass zwischen zwei aus dem Eise sich erhebenden Felsklippen vor, etwa 40 Schritte breit. Ungeduldig, die Höhe zu erreichen, verdoppelt man seine Schritte und mit einem Male fesseln zwei himmelhohe Pyramiden, der Fleckistock ( 3418 m ) und das Sustenhorn ( 3512 m ), welche mit Gletscher belastet aus dem Meienthal sich erheben, die Blicke. Nur ungern wendet man sich dann in die nahe düstere Tiefe der Kleinalp, eines Seitenthaies des Meyenthals. wobei man unwillkürlich an das befürchtete Hinabsteigen denken muss. Auf einem aus dem Schnee ragenden Felsen ( 2718 m ) hielten wir ein frugales Mahl. Nachher zeichnete ich schnell jene prachtvollen zwei Gebirge, von deren Anschauung ich mich kaum trennen konnte. Diese, das Thal und die kühnen Felsgestalten des Grassen im Vorgrund, bildeten ein Gemälde, wie ich noch keines von solcher Erhabenheit gesehen hatte und ich bedauerte sehr, wegen der ungeheuren Blendung nicht länger arbeiten zu können. » In den Beilagen zum Jahrbuch 1875 hatte Zeller sein Gemälde « Auf dem Grassenpass, 2717 m, bei Engelberg. Aussicht gegen das Maienthal. Ct. Uri » in einer vorzüglichen farbigen Lithographie, 17 x 39,5 cm, der bekannten Offizin Lips in Bern wiedergegeben. Zeller fährt fort:

« Mein Gemsjäger mahnte zum Aufbruch, denn noch war das Schwierigste, das Hinabsteigen über den Kühfadfirn, zu bestehen. Der Anblick der in mehreren Wällen steil sich hinabsenkenden Gletscher war wirklich nichts weniger als lieblich. Gleich Anfangs war da eine grosse Schneeschanze, einem jähen Dache gleich, so dass es Imfanger endlich für gerathen fand, sein Seil anzuwenden und mich sachte daran hinabzulassen. Einige Schritte tiefer rief ich ihm zu, mich nur fahren zu lassen, und glücklich schoss ich, den Stock rückwärts fest an den Leib gedrückt, auf den unten liegenden ebenen Absatz. Er selbst folgte wohlgeübt auf gleiche Weise. Dann ging es vorsichtig weiter von Abhang zu Abhang, bald links bald rechts Spalten ausweichend, bald welche überspringend. Am schwierigsten ist es immer, vom Gletscher aufs feste Land zu kommen, weil dort das Eis gewöhnlich in allen Richtungen zerspalten ist und man oft nur auf schmalen Verbindungen zwischen gähnenden Schrunden durchkommen kann. Auch das wurde glücklich zurückgelegt und endlich nach lustiger Rutschfahrt über blossen Schnee befanden wir uns wieder auf Felsengrund. » An die 90 Jahre später, im Sommer 1920, hatte ich die Freude, auf der Bärengrube zu stehen und fand das Lob, das Heinrich Zeller ihr gespendet hatte, vollauf bestätigt. Es war gelegentlich eines alpinen Übungskurses, den die Sektion Engelberg für Schüler unseres Lyzeums in gütiger Weise organisiert hatte. Die treibende Kraft war ihr erster Obmann, der Kunstmaler und Gemsjäger Wilhelm Amrhein, ein echter Naturfreund seltener Prägung. Wie oft hatte ich mit Freund Willy unsere Berge durchstreift und mich immer wieder an seiner feinen Beobachtungsgabe, seinem praktischen Wissen und seinem künstlerischen Empfinden erbaut. Er kannte jedes Wild und seine Spur, jede Bergblume, jedes Gestein und nannte einen merkwürdigen Instinkt im Auffinden guter Versteinerungen sein eigen, um die ihn der Schreibende als Doktor der Erdkunde oft beneidete. Ein würdiger Nachfahre Heinrich Zellers! Schade, dass er nie Gelegenheit zum Studium hatte, er wäre eine Leuchte der Naturwissenschaft geworden. Weiter begleiteten die sechs jungen Leute Dr. med. Alfred Odermatt, sein langjähriger verdienter Nachfolger in der Leitung der Sektion, sowie der tüchtige Bergführer Karl Felder. Zu den fünf Lyzeisten, von denen Oberst i. Gst. Dr. iur. Franz Rudolf Fischer bereits das Zeitliche gesegnet hat, gesellte sich ausnahmsweise ein jüngerer schlanker Knabe, der sich nun als Schriftsteller Dr. Hans Urs von Balthasar auf den Höhen der Philosophie und Theologie mit grossem Erfolg bewegt.

Über unserm Trupp wölbte sich ein sternklarer Himmel, als wir frohgemut durch das Tal zur Herrenrüti zogen. Das günstige Wetter, das er versprach, sollte uns treu bleiben. Karl Felder gab.

den gleichmässigen, ruhigen Schritt an, als wir zum Firnalpeli und oberen Stäfeli anstiegen. Die Fluhabsätze am Seeligrat-Ruchberg boten Gelegenheit zu den ersten Kletterübungen. Eine Unvorsichtigkeit hätte beinahe zu einem Unfall geführt. Ich versäumte, einen Griff auf seine Zuverlässigkeit zu prüfen, und hätte ich nicht instinktiv einen Ersatz gefunden, ein kleiner Absturz wäre unvermeidlich gewesen. Dieser Misserfolg entmutigte mich derart, dass ich im Begriffe war umzukehren. Freund Willy aber tröstete mich, und während die Jungmannschaft mit ihrer Führung aufwärts stieg, gönnten wir uns eine geruhsame Erholung. Ein köstliches Gemisch von halb Wasser und halb Zucker gab mir Zuversicht und Kraft wieder zurück. Auf der Höhe des Grates holten wir den Trupp wieder ein. Der Gletscher war zum Glück nicht in der ganzen Breite von den riesigen Spalten durchrissen, die uns ein anderes Mal zum Rückzug gezwungen hatten. Wir erreichten die Firnlücke im Grassengrat und bestaunten während des Abstieges über den Stössenfirn zur Sustlihütte den Grassen und die Fünffingerstöcke zur Rechten und die lockenden Türme der Wichelplankstöcke zur Linken Tags darauf begannen die Übungen im nahen und weiteren Gelände. Mit Sehnsucht erwarteten die Jungen das Hauptziel, die Klettertour auf den Wichelplankstock, die unter Führung Karl Felders und Dr. Odermatts bei schönstem Wetter verwirklicht werden konnte. Indessen stiegen Freund Willy und der Schreibende zum Grassen empor, wo der erstere mitten im Firn seine Staffelei aufschlug und den bezaubernden Blick neben dem Titlis über den Wendengletscher zu den Oberländer Firnen auf die Leinwand bannte, während ich mit dem Geologenhammer den Grassengrat um einige Gesteinsproben erleichterte.Von der hohen Balustrade des Titlis äugte eine Zuschauermenge auf unser unbegreifliches Gebaren nieder.

In der Frühe des folgenden Morgens nahmen wir Abschied von unserer heimeligen Klause. In östlicher Richtung spurten wir zur Lücke neben der Kanzelfluh, die auf der Landeskarte nun ihren alten, ehrlichen Namen verloren hat. Angesichts des steilen Abstiegs gegen den Wichelplankfirn forschten die unternehmungslustigen Jungen, ob sich die Bärengrube nicht aufsteigend über den Westgrat erklimmen liesse. Karl Felder wehrte jedoch energisch ab: « Wir sind Bergsteiger und nicht Kunstturner. » Wir strebten durch die obersten Bänder über der Rotgand zum Stössenfirn, der seither nicht nur den grössten Teil seiner Fläche, sondern auch seinen Namen verloren hat. Von der berüchtigten steilen Firnwand war nichts mehr zu sehen. Wir gelangten vielmehr in leichter Kletterei über gutgriffiges kristallines Gestein auf die Bärengrube und genossen, rückwärts schauend, das überraschend schöne Bild, das Heinrich Zeller so meisterlich festgehalten hat. Ein herrlicher Rastplatz, den wir in aller Freude und Musse verkosteten. Die Jungen mühten sich rechts und links an den gigantischen Bärenzähnen. Ein Firnbuckel verwehrte uns vorerst noch den Blick in unsere Engelberger Heimat, aber wie wir auf dem Firn gegen die Spannörter aufstiegen, erfreute uns die köstliche Tiefenschau, die Zeller so anschaulich schilderte. Wie oft schaute ich in der Folge von meiner stillen Klause empor zum weissen Kamm, wo in der Abendsonne unsere Spur aufleuchtete, bis im Spätherbst der erste Schnee sie begrub.

Wie wir uns dem kleinen Spannort näherten, meinten die Jungen, wir könnten doch am Fusse seiner Nordwand traversieren, statt in die Firnmulde hinunter und zum Spannörter-Joch wieder emporzusteigen. Unsere Führung winkte aber im Hinblick auf das schwere Unglück vor kaum drei Jahren energisch ab, dem die Partie des ausgezeichneten Alpinisten Karl Selig mit seinen Begleitern Walter Hurter und Rose Cabanis trotz tadelloser Ausrüstung zum Opfer fiel. Als wir zur Unglücksspalte emporschauten, bemerkten wir an ihrer oberen Kante einen dunklen Gegenstand, der sich durch unsere Feldstecher als Lodenkittel entpuppte. Flugs benutzte Karl Felder mit zwei Schülern die Gelegenheit zu einer Übung am steilen Firn- und Eishang. Er umging den Schrund, der in Form eines stumpfen Winkels im Scheitel am weitesten auseinanderklaffte, in seinen Schen- kein sich aber nach unten verjüngte, auf der linken Seite, und erstellte von oben in der Fallrichtung eine tadellose Seilsicherung.

Indessen erzählte uns Freund Willy den mutmasslichen Hergang der Katastrophe nach den Feststellungen der Bergungsmannschaft. Die Dreier-Seilschaft wollte unter dem Nordwestfuss des Kleinen Spannorts hinüberqueren, um ins Meiental zu gelangen. Sie versuchten den steilen Eishang, der unten in den schrecklichen Bergschrund ausmündet, ohne Stufen zu schlagen, nur mit den Steigeisen zu überwinden. Im Augenblick, wo das Unheil geschah, scheinen sie zudem ganz nahe beieinander gestanden zu sein. Sie sausten dann ca. 20 m zum oberen Spaltenrand hin, der damals 23 m höher lag als der untere, wurden in die Luft geschleudert und schlugen 18 m tiefer auf einem in den Schrund eingeklemmten Eisblock auf. Von dort stürzten sie, nachdem das Seil mehrfach zerrissen war, rechts und links vom Block noch weitere 9, 13 und 17 m in die Tiefe, wo ihre Leichen unter grossen Schwierigkeiten erst am 1. und 2. Oktober geborgen werden konnten.

Feedback