Die Erstersteigungen am Tödi
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Die Erstersteigungen am Tödi

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

Von Rudolf Bühler.

Im Hintergrund des glarnerischen Linthtales erhebt sich als markiger Grenzberg zwischen Glarus und Graubünden der firngekrönte Tödi. Er ist der höchste Gipfel der Nordostschweiz und beherrscht als massiger, pyramidaler Felsstock in weiter Runde die Bergwelt. Seine drei Kuppen: Piz Rusein 3623 m, Glarner Tödi 3601 m und Sandgipfel 3434 m erheben sich nur wenig über das zwischen ihnen liegende grosse Firnfeld. Während die letztern beiden Gipfel noch im Kanton Glarus liegen, bildet der Rusein die Grenzscheide zwischen Glarus und Graubünden. Nach Osten, Norden und Westen stürzt der Tödi in gewaltigen, mit Eiscouloirs durchsetzten Wänden in das Biferten-, Sand- und Ruseintal ab. Im Süden windet sich von seinem Haupt ein mächtiger, mehrfach terrassierter Firnstrom, der Bifertengletscher, um seine Flanken. Die Basis des Gebirgsstockes bilden kristalline Gesteine des Aarmassivs. Darüber liegt ein mächtiger Mantel von Sedimentgesteinen, deren Hauptmasse aus oberem Jura besteht. Eine auffällige Erscheinung ist das rostgelbe Dolomitband, das sich in gewundenen Falten um das Massiv zieht.

Der monumentale Bau des Tödi hat durch seine Grosse und Gestalt wie auch durch den Farbenwechsel seiner Gesteinsarten und Firne von jeher die Blicke naturfreudiger Menschen auf sich gezogen und bei Naturforschern und Bergsteigern den Wunsch erregt, von seinem königlichen Haupte aus die Alpenwelt zu überblicken. Aber lange galt der Berg als eine unbezwingbare Hochburg.

Die ersten genauer bekannten Ersteigungsversuche erfolgten am Ende des 18. Jahrhunderts von der Bündnerseite durch den Benediktinermönch und Alpenforscher Placidus a Spescha von Truns. Trotz wiederholten Anstrengungen gelang ihm aber die Ersteigung des Tödi nicht, doch erlebte er noch die Freude, von der ersten Besteigung des Piz Rusein durch die beiden Bündnerjäger Placidus Curschellas von Truns und Augustin Bisquolm von Disentis Zeuge zu sein. Von der Ruseinalp aus erstiegen diese Männer am 1. September 1824 über die Südwestwand die höchste Spitze des Berges. Den Übergang über den verwächteten sogenannten Simlergrat zum Glarner Tödi wagten sie nicht und kehrten nach kurzem Aufenthalt auf dem Anstiegsweg wieder nach Rusein zurück, wo sie dem Pater, der den Auf- und Abstieg verfolgt hatte, ihre Erlebnisse berichteten.

Ein paar Jahre früher erfolgten auch Besteigungsversuche auf den Tödi auf der Glarnerseite durch den Arzt und Naturforscher Johannes Hegetschweiler von Stäfa. Mehrmals versuchte er in Begleitung des Gemsjägers Hans Thut in Linthal den Berg zu bezwingen. Von der Obersandalp aus erreichten sie über die Röti und das Grünhorn, wo heute die erstgebaute Clubhütte des S.A.C. steht, den Bifertengletscher und stiegen durch die etwas berüchtigte Schneerunse bis über die Gelbe Wand auf etwa 2850 m hinauf. Hier wurden sie durch Verschlechterung des Wetters und die vorgerückte Tageszeit zum Rückzuge gezwungen. Wenn auch Hegetschweiler der Ruhm versagt blieb, von der Glarnerseite die erste Tödibesteigung ausgeführt zu haben, so hat er doch mit seinem Führer Thut die Hauptschwierigkeiten auf dem Bifertengletscher und an der Gelben Wand zuerst überwunden und den spätem Besteigern den Weg gezeigt. In seiner Schrift « Reisen in den Gebirgsstock zwischen Glarus und Graubünden » schildert er anschaulich seine Bergfahrten. In Anerkennung seiner Verdienste wurde 1863 bei der Gründung des S.A.C. auf der Felsrippe der Gelben Wand eine eherne Gedenktafel angebracht. Der Name Grünhorn stammt von Hegetschweiler, der dort die letzten Blütenpflanzen fand.

War den beiden Bündnerjägern die Erstersteigung des Piz Rusein geglückt, so sollte es auch Glarnern gelingen, über den Bifertenfirn zuerst den Fuss auf den noch unerstiegenen Glarner Tödi zu setzen. Dieser Erfolg war vor genau hundert Jahren, am 11. August 1837, den drei Linthaler Bauern und Gemsjägern Bernhard Vögeli, seinem Sohne Gabriel und Thomas Thut beschieden. Nach einem Biwack an der Gelben Wand erreichten sie am andern Tage unter grossen Anstrengungen bei nebligem Wetter das Tödiplateau. Als sich die Wolken plötzlich teilten, überschauten sie eine zahllose Menge von Berggipfeln, von denen keiner zu ihnen emporragte. Sie überzeugten sich fast zu ihrem Schrecken, dass sie auf dem Haupt des Tödi standen. Um den Talbewohnern ein sichtbares Zeichen ihres errungenen Sieges zu geben, pflanzten sie an einem Stocke ein Tüchlein auf. Als sie, ins Tal zurückgekehrt, den Volksgenossen ihre Besteigung des Tödi kundtaten, fanden sie nicht überall gläubige Ohren, namentlich weil man das aufgesteckte Signal nicht ent- Die Alpen — 1937 — Les Alpes.31 decken konnte. Erst als man es durch Fernrohre wahrnahm, hielt man ihre Aussage für wahr. Acht Tage später führten sie den im Bad Stachelberg weilenden Junker Friedrich von Dürler aus Zürich als ersten Turisten auf den Tödi.

Trotzdem nun die Möglichkeit der Ersteigung auch auf der Glarnerseite ausser Zweifel stand, dauerte es doch noch etliche Jahre, bis wieder eine Tödifahrt gemacht wurde. Der Hochalpinismus befand sich eben erst in seinen Anfängen, und die mühevolle und auch unter Umständen etwas gefährliche Wanderung auf den höchsten Glarnerberg schreckte ab; sie wurde noch lange als ein gewagtes Unternehmen betrachtet. Zu den frühesten Tödibesteigern gehören Professor Melchior Ulrich, Antiquar Siegfried von Zürich und Statthalter Gottlieb Studer von Bern, die mit den Führern Thomas Thut, Gabriel Vögeli und Johann Madutz von Matt am 13. August 1853 ihren Fuss auf den Glarner Tödi setzten. Sie genossen bei völlig heiterem Himmel und angenehmer Temperatur eine grossartige Aussicht und verzichteten auf den Aufstieg zum Rusein. Erstmals wurde die scheinbar riskierte Überschreitung des scharfen Simlergrates von Norden nach Süden zum Rusein von Heinrich Speich-Jenny ( Glarus ), Th. von Hallwyl ( Bern ) und H. Sprecher ( Chur ) mit den Führern Thut und Vögeli am 8. August 1859 ausgeführt.

Zu den ersten Ruseinbesteigern gehörte auch Dr. Rudolf Theodor Simler in Bern, der Gründer des S.A.C. Im Sommer 1861 kam er nach Linthal und unternahm mit Georg Sand aus St. Gallen und den Führern Heinrich Eimer von Elm und Gabriel Zweifel von Linthal am 31. Juli eine Tödifahrt. In der von ihm 1863 erschienenen Schrift « Der Tödirusein und die Exkursion nach Obersand » schildert er die gemachte Bergfahrt und bemerkt, dass angesichts der grossartigen vor Augen liegenden Bergwelt, welche zu einem guten Teil noch unerforscht war, ihm der Gedanke gekommen sei, eine Vereinigung der Freunde der Alpenwelt zu gründen. Mit dieser Idee kehrte Simler ins Tal zurück und setzte sie 1863 in die Tat um. Er trat mit gleichgesinnten Männern in verschiedenen Kantonen in Verbindung, und am 19. April 1863 wurde an einer einberufenen Versammlung von Bergfreunden in Ölten der S.A.C. gegründet. Als erstes offizielles Exkursionsgebiet des jungen Vereins wurde die Tödigruppe samt der Biferten- und Claridenstockkette bezeichnet und der Bau einer Clubhütte am Tödi beschlossen.

Im Jahr 1871 wurde noch die dritte Spitze des Tödimassivs ihrer Jungfräulichkeit entkleidet. Auf einer Clubfahrt der Sektion Tödi am 15./16. Juli bestiegen Advokat Kaspar Hauser, Glarus, und ein junger Polytechniker aus Zürich in Begleitung der Führer Albrecht Zweifel, Linthal, und Peter Hefti, Luchsingen, den befirnten Sandgipfel, während unterdessen die übrigen Teilnehmer teils den Piz Rusein und teils den Porphyr besuchten.

Am Ende der Siebziger]ahre des 19. Jahrhunderts war die topographische Erforschung des Tödigebietes, dank namentlich der Tätigkeit des S.A.C., so ziemlich abgeschlossen. Sämtliche Gipfel waren erstiegen und die hauptsächlichsten Zugangswege ausgekundschaftet. Kaum ein anderes Ge- biet der Alpen wurde damals so systematisch von Clubisten und andern Bergfreunden begangen und in der Literatur behandelt wie die Tödigruppe. Zumeist gingen die Wanderungen von Linthal aus, und dieser Ort wurde eine Hauptstation der Bergsteiger. In der folgenden Zeit wurden von wagemutigen, klettertüchtigen Leuten Tödibesteigungen auf neuen Routen gemacht, die man vorher für unmöglich gehalten hatte. Man kann heute sagen, dass wohl alle Probleme bergsteigerischer Art in diesem Alpengebiet gelöst sind * ).

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