Die McGill-University-Arctic-Research-Expedition nach Axel Heiberg Island, 1962
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Die McGill-University-Arctic-Research-Expedition nach Axel Heiberg Island, 1962

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

BERGSTEIGERBERICHT 1962 VON HANS WEISS, KÜSNACHT-ZÜRICH

( NORTHWESTERN TERRITORIES, CANADA ) I. 6. AugustMit 7 Bildern ( 133-139 ) Eine surrealistisch scheinende Landschaft umgibt uns: unwirklich und fremd. Die Entfernungen sind schwer abzuschätzen. Die Atmosphäre scheint luftleer. Die Gewissheit, dass wir die ersten menschlichen Wesen sind, die dieses Gebiet betreten, mag den Eindruck des Unwirklichen noch verstärken. Vor uns liegt eine spärlich mit Moos, arktischem Mohn und Grasarten bewachsene Steinwüste, die sich in blauen Fernen verliert. Landeinwärts erhebt sich blendend der runde Schild einer Eiskappe, scheinbar in einigen Fussstunden erreichbar, in Wirklichkeit aber, wie der Blick auf eine Flugphoto, unserer « Landkarte », lehrt, einen guten Tagesmarsch entfernt. Im Nordosten erheben sich gestaffelt intensiv-violette Basaltberge in Form von leicht schiefgestellten Brettern. Hinter uns liegt, parallel der Küste, ein Streifen Wüste aus weissem Quarzsand. Er trennt uns vom arktischen Ozean, dessen ufernahes Wasser offen ist und mit seinem tiefen Himmelsblau eher ans Mittelmeer erinnert. Die wenigen gestrandeten Eisschollen und Eisberggestalten sind die einzigen Zeichen, die es glaubhaft machen, dass wir uns am 80. Breitengrad befinden.

Vor zwei Stunden verliessen wir das Camp, ein Zweierzelt, das wir etwas windgeschützt in einem trockenen Bachbett aufgestellt hatten. Nach dem obligaten Ablesen der Instrumente ( Wind-, Feuchtigkeits- und Regenmesser ), punkt 6 Uhr morgens, marschierten wir so geradlinig wie möglich auf unser Ziel zu: den « Upadluq Mtn .», wie Roland Beschel, mein Gefährte, ihn getauft hat. Upadluq soll in der Eskimosprache Piratenbein heissen. Der Berg hat wirklich ein humoristisches Aussehen: eine rötlich getönte symmetrische Pyramide, gestuft und mit einem wie ein krum- mer Dolch aussehenden Basaltgipfel. Zum Charakter der Sahara hinter uns und der polaren Weite vor uns verleiht diese Berggestalt der Landschaft noch ein nicht ganz ernsthaftes Wildwest-gepräge.

Nach dem etwas flauen, in 6000 m Höhe aufgenommenen Luftphoto der Royal Canadian Air Force zu schliessen, muss zwischen uns und dem Berg noch ein beträchtlicher Bach liegen, die Entwässerung der Eiskappe nach Westen ins Meer. Die Überquerung dieses Wassers wird unser Problem sein. Es ist überhaupt ein Merkmal beim Bergsteigen in der Arktis, dass die Schwierigkeiten nicht in erster Linie klettertechnischer Art sind. Die Probleme beginnen viel weiter unten. Wenn der Fuss des Berges erreicht ist, sei es, weil der Pilot einen Landeplatz gefunden hat, oder sei es, weil man zu Fuss so weit gekommen ist und wenn kein unpassierbarer Gletscherfluss dazwischen liegt, dann ist einem der Gipfel gewiss.

Plötzlich vernehmen wir das laute Rauschen des erwarteten Flusses. Geheimnisvoll bricht er aus einem dunkeln Canon hervor. Er hat mehr Wasser, als wir vermuteten. Lange suchen wir nach einer für die Überquerung geeigneten Stelle. Wo liegt die günstigste Kombination von Flussarmen, untiefen Stellen und Steininseln? Endlich glauben wir, sie gefunden zu haben: eine komplizierte Zickzackroute. Die Dauer und damit die Kälte des Eiswassers dürfen keine Rolle spielen. Barfuss, Schritt für Schritt sondieren wir mit dem Pickel. Krächzend segeln zwei grosse Raubmöwen um unsere Köpfe, als wollten sie uns gezielt ablenken von der Konzentration auf die Strömung. Das Schuheanziehen drüben macht Schwierigkeiten. Unsere Füsse sind noch eine Weile gefühllos und wie aus Holz. Stellenweise reichte uns das Wasser bis an den Bauch. Doch nun wärmt die Sonne, und nichts kann uns mehr aufhalten. Wie von einer unermüdlichen Triebfeder gedrängt, steigen wir mühelos. Nach kurzer Rast auf der Bergschulter nehmen wir die Basaltnadel, die zwar hier viel weniger kühn aussieht, in Angriff. Messerscharfe und meterlange Splitter und Säulen bauen das enttäuschend lotterige Gestell auf. Aber unvermutet stehen wir auf ihr! Beide gelangten auf verschiedene Weise hinauf. Roland fand ein brüchiges Kamin, während ich es vorzog, mich über die Gratschneide abzumühen.

Langsam verebbt das Gefühl der Anstrengung und macht der Aufnahme des überwältigenden Landschaftsbildes Platz. Erst jetzt kann man die Unendlichkeit des arktischen Ozeans ahnen. Eine Luftspiegelung, die an einen flachen Pilz gemahnt und Meighen Island andeutet, ist das einzige Zeichen, welches das immergefrorene Polarmeer unterbricht. Waren es solche Luftspiegelungen, welche in trügerischer Verführung Peary im Nordwesten von Axel Heiberg das nicht existierende Crocker Island suchen liessen?

Unser Fluss, « Upadluq River », verzweigt sich vor der Küste in unzählige Arme, von hier aus wie ein metallisch blitzendes Arteriennetz zu schauen. Der Kundige weiss, dass eine Überquerung unten im heimtückischen Quick- oder Fliessland den sicheren Tod bedeuten würde.

Die Abstiegsroute führt uns noch einmal an den ruinenartigen, dem Grat aufgesetzten Überresten der Winderosion vorbei. Roland photographiert die aus weissem Sandstein und schwarzen Schiefern in Kreuzschichtung sich aufbauende Formation, mit mir als « Massstab ».

Die Farben werden nun immer intensiver. Die Sonne steht tief, so dass die Felsen lila und rot im Widerschein zu leuchten beginnen. Wegen der Zeit müssen wir uns keine Sorgen machen: Der Sonnenschein dauert hier 24 Stunden!

Das Wasser des Flusses ist unterdessen noch gestiegen. Eine halbe Stunde raubt uns die mühselige Waterei. Am Gegenufer muss ich mich des Kälteschmerzes wegen eine gute Weile auf den Boden legen, um dann wieder gut zu Fuss zu sein.

I139 Beim Crusoe Glacier nahe dem Basislager. Im Vordergrund der vom Gletscher aufgerissene Dauerfrostboden. Nach den durchgeführten Messungen zu schliessen, ist das Zungenende dieses Gletschers im Vorstoss begriffen Photos Hans Weiss Pünktlich für unsere zwölfstündlichen Ablesungen erreichen wir das Zelt, ein mikroskopisches Pünktlein in der Einöde. Und doch vermag es ein Zentrum zu sein, für uns lebenswichtig und Ort häuslicher Gefühle.

Am nächsten Tag soll John, der Expeditionspilot, uns abholen und zurückbringen ins Basislager, gemäss Abmachung und unter der Voraussetzung, dass das Wetter es erlaubt. Eine gute Stunde dauert der Flug zurück mit dem kleinen Piper cup. Roland fliegt zuerst. Ich richte meine Sachen bereit zum Abflug. Es bleiben mir noch etwa zweieinhalb Stunden, wenn alles gut geht und die Nebelbank, die ausgerechnet heute auf dem Meer draussen erscheint, mich nicht verschluckt. Für diesen Fall lasse ich einzig das leere Zelt stehen, denn allein könnte ich es ja nicht mehr gut aufstellen. Gerade solche Fragen haben nach einiger Zeit eine beruhigende Wirkung, denn sie werden als problemloses Geschehen genommen. Gegen den Nebel kann man ja nichts unternehmen; ob er kommt oder nicht, das entscheidet sich unabhängig von menschlichem Wirken, und damit verlieren solche Naturerscheinungen den Charakter eines Gegners.

Am Strand verweilte ich mich mit Muschelsuchen. Rezente, d.h. noch nicht fossile Muscheln finden sich landeinwärts bis auf 30 m über dem Meeresspiegel. Das Alter dieser geologisch ganz jungen Schalen beträgt nur einige Tausend Jahre, was mit der Radiocarbonmethode in einem Labor in Kanada ermittelt wurde. Die Interpretation dieser Verhältnisse ergibt, dass das Küstenland sich in diesem Zeitabschnitt um 30 m gehoben hat. Im Gebiet des Basislagers stieg das Land sogar um 70 m im Vergleich zum Meeresspiegel. An einer Sanddüne fand ich ein etwa beindickes und anderthalb Meter langes Holzstück. Holz ist in der Arktis eine grosse Seltenheit, und die Eskimos verwenden es als Kostbarkeit nur für besondere Zwecke oder zum Schnitzen. Mein Holzstück ist Treibgut aus den am nächsten gelegenen Regionen mit Bewaldung: Sibirien! Viele Gedanken liessen sich an diesen Fund anknüpfen und weiterspinnen, doch ein feines und noch sehr fernes Geräusch lässt mich den Himmel absuchen: Der Piper kommt zurück! Hier in der Arktis ist Motorengeräusch noch Musik in den Ohren. Wenig später stieg derselbe John aus der Maschine, der vor einer Woche, als er uns hier abgesetzt hatte, zu mir sagte: „ I guess, you will stay here for the rest of your life. "

Auf meine Bitte flog John auch mit mir die Schleife entlang des Gebirgsrandes, so dass ich den Upadluq, der sich ja nur etwa 400 m über den Meeresspiegel erhebt, noch einmal senkrecht unter mir sehen konnte. In ziemlich gerader Linie schwenkte er dann auf den Middle Fjord hinaus und über eine traumhafte Landschaft mit Gletscherströmen und Eisbergen in tiefen Fjorden zwischen namenlosen Bergen zurück ins Basislager, begleitet vom Schatten des Flugzeugs, der als winzige Libelle langsam aber stetig, dann und wann schnell flitzend, wenn eine Bergflanke sich bedrohlich näherte, über Grate und Täler kroch. Trotz der scheinbaren Mühelosigkeit eines solchen Fluges gewinnt die Vorstellung an Macht, dass der Mensch hier nichts und die Landschaft alles sei.

II. Mitte August An einem trüben und kalten Abend flog mich unser Pilot als letzten vom Basislager in das weite Firnbecken des oberen White Glacier. In einer gegen das Meer ausholenden Schleife gewannen wir die Höhe des im Osten liegenden Bergkammes. Als wir über der ersten Erhebung schwebten, die wir, den Namen des Steinmannes auf den ganzen Berg übertragend, Marie Antoinette nannten, zeigte John auf diesen Steinmann hinunter und rief im Motorenlärm nach hinten: „ Who did that foolish thing down there ?" Ich war froh, geradeheraus lachen zu können, ohne dass er es merkte. John verstand nicht, wie wir in dieser für ihn absolut feindlichen, ja bösartigen Umwelt Steinmänner, 18 Die Alpen- 1964 -Les Alpes273 Vermessungssignale, Zelte und andere für ihn zwecklose Sachen aufstellen konnten. Ihn interessierte nichts als seine heile Haut und der Motor der Maschine, den er zu überwachen hatte. Wenige Minuten später sahen wir Fritz Müller, David Terroux und Jim Havens auf dem Gletscher stehen, mit ausgestreckten Armen, in regelmässigen Abständen wie Strohpuppen aussehend. Im fahlen Weiss in Weiss gab das dem landenden Piloten die einzige Möglichkeit, seine Höhe über dem Firn abzuschätzen. Das Verschwimmen jeglicher Konturen im Schnee oder Nebel heisst in der Flieger-sprach « White out ». Ohne geringste Erschütterung gelang die Landung. Eine Sekunde lang beneidete ich John, der nun in ein paar Minuten im warmen und komfortablen Basislager zurück sein würde, während wir hier, zuerst noch schlotternd vor Kälte, die beiden Zelte aufstellten. Kurz nach Mitternacht begannen Fritz Müller und ich die Ablesungen an den Aluminiumstangen über den ganzen Gletscher hinunter bis zum Basislager. David blieb allein zurück und besorgte die neu eingerichtete Messstation im Wetterhäuschen. Zwei Tage später rückten Fritz Müller, Bob Molson, Simon Ommanney, Paul Gamble und ich vom Basis Lager wieder nach, diesmal zu Fuss, schwer beladen mit Ski und Proviant. Das Wetter war zu schlecht für Gletscherlandungen.

Auf kleinem Raum zusammenlebend verbrachten wir zu sechst die folgende Woche auf dem oberen White Glacier mit halbstündlichen Ablesungen im Schichtwechsel ( Temperatur in verschiedenen Eistiefen, Feuchtigkeit, Luftdruck und Strahlungsintensität, im Zusammenhang mit Grösse der Eiskristalle der Oberfläche ). Nach einem zweitägigen Schneesturm, der die Zelte zur Hälfte in kalten Schneehaufen verschwinden liess, machten Paul, Simon Ommanney und ich uns auf den Weg über den spaltenreichen White Glacier hinunter ins Basislager. Die dazwischenliegenden Lager waren « leergefressen » und ein Proviantnachschub notwendig. Ein Versuch, mit dem Piper hinaufzufliegen und den Proviant abzuwerfen, misslang. John flog mit mir, dem leichtesten, so nah wie möglich an das Firnbecken heran, aber jedesmal drängte uns ein rasender Fallwind gegen die östlichen Felswände. Das Flugzeug kam mir plötzlich winzig und gebrechlich vor. Jedesmal drückte der Wind die Nase des Pipers ruckartig nach unten, so dass wir flatternd etwa dreissig Meter ab-sackten. Nach drei Versuchen musste John es aufgeben. Es blieb uns nichts anderes übrig, als den drei Kameraden den Proviant auf unserm Rücken ächzend zuzutragen. Das Wetter hellte auf, und bei grossartiger Weitsicht über das verschneite Land hinweg waren wir in der Nacht glücklich wieder vereint im Zeltlager, und ausgelassene Spässe begleiteten das Gelage nach langer Fastenzeit. Das Leben war wieder schön!

21. August, letzter Abend auf dem oberen White Glacier Um 6 Uhr abends beenden wir die letzten Messungen im kalten Schneeloch. Jedesmal ist der Aufbruch eine kleine Erlösung, weil schon mit den ersten Schritten das Blut in den kalt gewordenen Füssen wieder zu strömen beginnt. Wir errichten ein Depot, wo wir alles unnötige Material zurücklassen, decken die gemachte Schneegrube wieder zu, damit keine unnatürlichen Verwehungen entstehen und das Bild späterer Messungen verfälschen. Das Firnbecken ist weit und scheint spaltenlos. Fritz Müller erzählt uns aber, dass hier letztes Jahr bei aperer Oberfläche Spalten klafften, in die man ganze Kirchen versenken könnte. Seil und Stehschlingen sind erste Bedingung, um sich gleich dem Seefahrer auf die Einöde hinaus zu wagen. Die Sonne steht schon im Nordwesten, über unserem Ziel, dem Mt. Horace Watson. Fast waagrecht wandert sie über die schönen und unendlich elegant geschwungenen Schneegipfel. Schaut man zurück, so erschrickt man über die eigenen, mehr als hundert Meter weit ausgezogenen Schatten. Weit im Süden strahlen die noch schnee- 274

freien Gebirgszüge in warmem Ocker und Lila. Wiederum empfindet man sich als Eindringling, wenn auch nur « mikroskopisch klein », in diesem Teil einer andern Welt, in der das Leben ganz anderen Gesetzen gehorcht, und wo der Mensch eigentlich nichts zu suchen hat. Doch rasch siegt wieder der Vorwärtsgedanke! Die Kälte ist nicht nur ein Feind, sie treibt auch an und mahnt ständig zum Aufbruch. Kaum ist die Sonne unter einen kritischen Winkel gesunken, gefriert die weiche Schneeoberfläche wieder rasch. Und die Sonne steht nur noch als mildleuchtende Scheibe hinter einer rauchigen Nebelwand.

Alles vollzieht sich reibungslos. Um 20 Uhr erreichen wir den Gipfel des von Fritz Müller so benannten Mt. Horace Watson ( Watson war Dozent für Physik an der McGill University in Montreal ).

Es gibt wenig zu berichten von grossen Abenteuern in Schneestürmen und Gletscherspalten. Die Erlebnisse in dieser unangetasteten Welt sind innerlicher und schwer beschreibbarer Natur, aber um so stärker. Man spürt den Eishauch des Kosmos. Nach Westen gleitet der Blick über chaotische Nebeigetürme, die wie erstarrt in der glasklaren Luft stehen, hinaus zur Küste: die Erde am ersten Schöpfungstag, bevor sich das Wasser vom Land getrennt hat! Nach Norden tut sich die weisse Einöde des Inlandeises auf, das Gebiet, das auf der Karte ein « weisser Fleck » ist: unbekannt und Eis!

Zum Erstaunen der andern packe ich den in meiner Daunenjacke während des ganzen Aufstiegs vor der Kälte geschützten « Fruit Cocktail » aus. Wie heisshungrige Wölfe öffnen wir die Büchse und verschlingen das Zeug, den einzigen Löffel, den wir mit uns haben, reihum gebend. Der Saft gefriert auf dem Löffel zu dünnen, blätterigen Kristallen.

Mit leisem Schaudern blicken wir in die bodenlosen Spalten hinab, die sich ausgerechnet über den Gipfel ziehen. Das ist das merkwürdige am Verhalten arktischer Gletscher, man trifft sie dort an, wo sie der von den Alpen Gewohnte zuletzt erwartet: auf KämmenGrossartige Belohnung sind dann eine Abfahrt in samtigem Pulverschnee und der aufgehende Mond, während die Sonne sich bereits wieder gegen Osten bewegt. In einigen Stunden wird sie wieder wärmen!

Im Lager L 10 bestand keine Rationierung mehr, wie vor zwei Tagen. Drei von uns besorgten den Lebensmittelnachschub aus dem Base Camp, und John, der Pilot, warf zusätzlich Lebensmittel ab. Ein grosses Nachtmahl bei Zufriedenheit über den gelungenen Vorstoss bildete den Abschluss der Tage im Feld.

III.24. August Ziemlich spät am Abend noch hatte uns Fritz Müller, der Expeditionsleiter, die Erlaubnis gegeben, den von mir scherzhaft mit « Cock Comb » benannten Basaltberg zu besteigen. Er tat es, obwohl die letzten Tage auf Axel Heiberg von allen ein vollgerütteltes Mass an Arbeit erheischten: Abschluss der letzten Mess-Serien und gleichzeitig Vorbereitung für die Evakuierung. Im Basislager wurden fast stündlich per Funk Meldungen mit der Wetterstation Eureka auf Ellesmere Island ausgetauscht über Wetter, Windstärken und Gefrierzustand der Lande- und Startpisten, hüben und drüben. Bereits hatte John mit dem Hinausfliegen von nicht mehr benötigtem Material begonnen. Nach einem arbeitsreichen Sommer kündigte sich ohne Übergang der Winter mit Schnee und Schlechtwetter an. Die Spannung bis zum noch ganz Ungewissen Aufbruch und Abflug in den Süden machte die Expedition wieder zum Abenteuer. Die Bedingungen für Piper-flüge über den Eurekapass wurden mit jedem Tag kritischer, und das Otterflugzeug hatte sogar Eureka selbst schon verlassen, so dass wir auf eine Gelegenheit passen mussten, als letzte in der Hocharktis mit der vom Geological Survey bestellten Maschine nach Resolute Bay gelangen zu können. Wir befanden uns nur 700 Meilen vom Pol entfernt, und selbst die Tage waren bei bedecktem Himmel schon leicht dämmerig.

Doch diese schwierigen Fragen waren Sache des Expeditionsleiters, während David und ich durch steile aber griffige Kamine zum Südgrat aufstiegen, der zu unserer Überraschung vollkommen senkrecht nach Osten abbricht. Ein Weiterkommen war unmöglich. Leichtes Schneetreiben setzte ein. Etwas enttäuscht kletterten wir wieder abwärts. Es musste anderswo gelingen. Selbst riesige Blöcke gerieten bei der leisesten Berührung ins Wanken. Scharfkantige Keulen, Schwerter und Türme schienen bereit, sich vornüber zu neigen und in die Tiefe zu krachen. Aus Übermut stiessen wir einige tonnenschwere Blöcke an: Rauch hinter sich zurücklassend jagten sie in wilder Flucht das Couloir hinunter. Die meisten barsten, bevor sie den Rand des Gletschers erreichten.

Es folgte eine äusserst mühsame und Kraft vergeudende Traversierung von abwechselnd Basalt-schutthalden und Schieferbrei. Bei den einen zerschund man sich an scharfkantigen Brocken die Schuhe, bei den andern glitt man bei jedem Schritt wieder zurück. Nach einer kurzen und überraschend schönen Kletterei über den Nordwestgrat standen wir nacheinander auf dem Gipfel, denn er war wirklich so spitz wie ein Hahnenkamm. Es gelang uns aber, eine Steinplatte so darauf zu legen, dass sie als Grundlage dienen konnte für ein kleines Steinmännchen aus Steinbrocken, die wir sorgfältig und mit fast angehaltenem Atem hinaufheben konnten. Der White Glacier lag ca. 400 m steil unter uns, und wir schätzten die Höhe des Gipfels auf 750 m ü. M. Alter Sitte gemäss liessen wir im Steinmann einen Zettel mit unseren Namen zurück, und wir befestigten als weiteres Zeichen unserer erstmaligen Anwesenheit einen halben Skistock, den David im Rucksack mit hatte, im Steinmann und banden ein feuerrotes Tuch daran. Eine Gipfelbesteigung im roten Reich hätte keine besseren Schaubilder liefern können! Doch Rot war die Farbe, mit der wir die Messpunkte auf den Gletschern signalisierten, und sie ist zugleich in den Landesfarben von Kanada und der Schweiz enthalten. David Terroux bestand als Franco-Kanadier darauf, dass der Name des Berges in französischer statt englischer Sprache fixiert werde: so einigten wir uns auf « Montagne du Coq ».

Um Mitternacht machten wir uns auf den Abstieg über ein Band in der Nordwand, welche auf einem breiten Schuttrücken fusst. Die Stimmung war düster und die Nacht bei diesem Wetter etwas vom Bedrückendsten, was ich mir vorstellen kann: eine endlose Flucht von dunkeln Bergzügen mit weiss angeschneiten Kuppen, oben von schwarzen Wolken verhangen.

Durch ein steiles Geröllcouloir hinab gewannen wir wieder den spaltenreichen Gletscher. Der Wiederaufstieg zum Depot, wo wir Stativ und Theodolit liegen hatten, war ein bitterer Schluss-tropfen. Müde schleppten wir uns nochmals durchs Geröll hinauf und beladen dann über den Gletscher, der unsrigen und der Spur eines einsamen Wolfes folgend bis zum Ice Cave Camp. ( Wir wussten, dass Wölfe in der Hocharktis für den Menschen ungefährlich sind. Sie greifen höchstens seine Proviantlager an, zernagen Konserven wie Papier und lassen wenig zurück. ) Nach 3 Uhr krochen wir ins Winnetou-Zelt und fielen, voll von den Eindrücken einer verwunschenen Landschaft und voller Alpträume von endlosem Fels und Geröll wie in einem Märchen in einen tiefen Schlaf.

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