Die Prüfung des Seraphin Schnegg
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Die Prüfung des Seraphin Schnegg

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

Karl Springenschmidt, Elsbethen ( A )

Eben steigt der Seraphin Schnegg über die Felswand hernieder. Behutsam, Griff für Griff, Tritt für Tritt, wie einer klettern muss, der den Vorsitzenden der Prüfungskommission am Seil hat.

( Jetzt den anderen Fuss, Herr Hofrat, ja den da!> sagt er freundlich und wartet mit Geduld. Und der lange, magere Hofrat, trotz seiner Fünfzig immer noch ein tüchtiger Mann im Fels, tut ein wenig umständlicher, als es sein müsste, und braucht eine gute Weile, bis er den Tritt gefunden hat.

Jetzt kommt der breite Kamin. Da geht es viel besser.

( Steigen tut der Hofrat wie ein Junger !) sagt der Seraphin.

Der Hofrat schlüpft aus dem Kamin und lächelt.

( Das ist ein gutes Vorzeichen !) denkt der Seraphin und lässt vorsichtig die Seilschlingen nach. Aber plötzlich verstummt er.

Sein scharfes Auge hat unten am Fusse der Wand die übrigen Herren der Prüfungskommission entdeckt. Mit Gläsern bewaffnet spähen sie zu ihm in die Felsen herauf. Und richtig, da steht er wieder, der kleine weissschop-fige Professor, der immer alle Hosensäcke voll Steine hat und den Hammer an der Seite, der Mann, den sie alle fürchten wie den Leibhaftigen.

Grad wie der Seraphin Schnegg mit dem Hofrat aus der Wand kommt, hört er ihn sagen:

dm Praktischen, meine Herren, im Praktischen gut, vielleicht sogar sehr gut. Ich will das Urteil darüber ganz Ihnen überlassen. Aber im Theoretischen! Bedenken Sie, meine Herren! Wir können doch unmöglich einen Mann auf die Berge lassen, der etwa die untere und die obere Trias verwechselt und allenfalls nicht einmal einen Malmkalk von einem Serizitquarzit unterscheiden kann. ) Der Seraphin Schnegg tut langsam und vorsichtig den Hofrat vom Seil, drückt das linke Auge zu und blinzelt zu dem Herrn hin, dem gewissen.

( Ist gut, Herr Schnegg !) sagt der Hofrat freundlich. ( Sie können gehenNachher geh i!> sagt der Seraphin ebenso freundlich und geht zur Schutzhütte hinüber, wo die Kameraden beisammensitzen.

( Hast alles getan, wie wir gesagt haben ?) fragt der Schoibl Much und schiebt ihm das Weinglas hin.

( Alles getan !) wiederholt der Seraphin, noch ein wenig benommen, und greift um das Glas.

( Das Seil allweil leicht nachgebenGriff und Tritt sauber angesagtWoll, angesagt hab i sauber und allesNachher fehlt dir beim Hofrat nix, Sera-phinDen Hofrat furcht i nit!> murmelt der Seraphin dumpf und fasst unwillkürlich das Weinglas fester, ober den Professor mit seine Stoaner, den furcht i!> Unversehens brach Regenwetter herein. Der Vorsitzende beschloss, den praktischen Teil der Prüfung zu unterbrechen und inzwischen die theoretische Prüfung vorzunehmen.

So geschah es, dass der Seraphin Schnegg, gerade als er seine ( Anleitung zur Ausübung des Bergführerberufes ) gut im Kopfe hatte, vor der Kommission stand. Der Hofrat prüfte das allgemeine Bergführerwesen.

( Darf sich ein Bergführer öffentlich anbieten, Herr SchneggNein, das darf er nit, Herr Hofrat ), und nach der Schrift ergänzte er: ( Es ist dem Bergführer untersagt, sich öffentlich anzubietenUnd welche Aufgabe hat der Bergführer seinem Herrn gegenüber ?) Jetzt strahlt der Seraphin über das ganze Gesicht, und im schönsten Hochdeutsch de-klamiert er: ( Der Bergführer hat den Reisenden auf einer bestimmten Tour zu begleiten, denselben auf die notwendige Vorsicht aufmerksam zu machen, Verirrungen und sonstige Gefahren zu verhüten und auf die Hintanhaltung von Unglücksfällen ein besonderes Augenmerk zu richten !) Der Hofrat schmunzelt zufrieden: ( Es genügt, lieber Schnegg. ) So ging das allgemeine Bergführerwesen gut vorüber. Aber dann schiebt der kleine, weissschopfige Professor seine Brille zurecht, räuspert sich und greift in seinen Hosensack.

( Jetzt kommt 's !) denkt der Seraphin.

Der Professor fingert einen Stein aus der Tiefe heraus und hält ihn vor sich hin. ( Was ist das, Herr SchneggDos ischt a Stoan, Herr ProfessorStein !) stöhnt der Professor und macht ein saures Gesicht, ( was für ein Stein, Herr SchneggA schwarzer Stoan !) Wieder stöhnt der Professor auf, wie von inwendigen Schmerzen geplagt.

( Jetzt hat er mich schon mit seine vermaledeiten Stoaner !) denkt der Seraphin wütend.

( Sie sind in Tiers zu Hause, Herr Schnegg ?) fragt der Professor plötzlich mit veränderter Stimme, aber nicht unfreundlich.

( Ludermandl, wo willst denn jetzt aussi ?) denkt der Seraphin heimlich und schaut misstrauisch an dem Professor auf und nieder. Dann sagt er laut: ( Zuständig bin i nach Klausen, Herr Professor, mein Vater ist von Völs, die Mutter... ) ( Schon gut, Herr Schnegg, da kennen Sie gewiss den Schiern !) Da lächelt der Seraphin bitter. ( Den Schiern kenn i woll, Herr ProfessorUnd woraus besteht der Schiern, Herr Schnegg ?) Der Seraphin legt die Stirne in Falten. ( Aus Stoan, Herr Professor !) Wieder macht der Professor das schmerzhafte, bekümmerte Gesicht. ( Aus welchem Gestein, Herr Schnegg? Ein Bergführer muss doch wissen, womit er es zu tun hat. Es muss Ihnen doch schon aufgefallen sein, dass die untere Trias eine ganz andere Gesteinsfolge aufweist als die obere ...> ( Woll, dös is mir auch schon aufgefallen !) sagt er schnell, ( die Stoan sein öfters ganz un-terschiedlichNa, sehen Sie, Herr Schnegg! Wir unterscheiden also... ) ( Wir Bergführer unterscheiden an gsunden Stoan und an kranken Stoan. Krank ist der Stoan, der einem in der Hand bleibt, wann man ihn angreift, und gsund ist er, wann sich der schwerste Ochs dranhängen kann, ohne dass der Stoan einen Naggier tut !) Jetzt kriegt der Professor schon wieder das wehleidige Gesicht. ( Ihre vulgäre Klassifizierung in Ehren, Herr Schnegg! Aber ich habe Sie gefragt, was Ihnen an der Gesteinsfolge des Schiern auffälltDa fallt mir weiter nix aufSie wissen also nicht einmal, dass die Hauptmasse des Schiern, der Grundstock sozusagen, aus Schierndolomit besteht ?) Der Seraphin schaut wieder zum Hofrat hin über. ( Woll ), sagt er, ( dös woass i schon. Der Schiern besteht aus Schierndolomit und der Langkofel aus Langkofeldolomit und die Marmolata aus Marmolatadolomit und halt so weiter, die ganzen Dolomiten !) Da lachen die Herren alle mitsammen. Nur der Professor bleibt ganz ernst. Dem Seraphin wird übel, wie sie alle so lachen, und er weiss nicht, warum. Er schaut den Professor an, der ganz unglücklich auf dem äussersten Eck seines Stuhles sitzt und aufgeregt hin und her rutscht.

( Stoanermandl, verflucht 's !) denkt der Seraphin zornwütig, ( dir werd'i's woll no recht machen !) Da ist schon wieder die scharfe, bissige Stimme: ( Und woraus besteht die Spitze des Schiern, Herr SchneggDos woass i nicht !) schreit der Seraphin und kriegt einen blitzroten Kopf, ( und dös geht mi auch gar nix an, weil der Schiern überhaupt keine Spitzen nit hat, der Schiern ischt ja bloss a Rucken. ) Der Professor, mit allen zehn Fingern in den Haaren: ( Mensch, Sie wissen also nicht, dass der Schiern mit seiner östlichen Hochfläche in der Rotertspitze kulminiert und dass diese Spitze... ) ( Dos ischt koa Spitzen nit, dös ischt bloss so an linker Zacken, den schaut ein richtiger Bergführer gar nicht an ...> ( ...diese Spitze ), der Professor lässt sich nicht unterbrechen, ( besteht, was Sie als Bergführer wissen sollten, aus Dachsteinkalk !) Jetzt ist es aus.

( Aus was ?) schreit der Seraphin zurück. Die Stimme kippt ihm über.

Drei Wochen Bergführerkurs, die ganze Prüfung und die Taxe dazu und das schöne, neue Abzeichen - soll der Teufel holen, in diesem Augenblick ist ihm alles gleich.

( Aus was ?) schreit er.

Unwillkürlich weicht der Professor vor dieser losbrechenden Urgewalt zurück.

( Aus Dachsteinkalk, hat er gesagt! I hab es gehört! Da hilft kein Leugnen nit! Aus Dachsteinkalk! Höllsakra, jetzt kommt der ganze Schwindel auf! Wie könnt'denn der Schiern da herinnen in Tirol seine Spitze vom Dachstein haben, frag i, der draussen ischt in der Steiermark, ha? Dos ischt ein aufgelegter Schwindel, und mit solchem Zeug wird der arme Bergführer geplagt, ja Himmelhöll-tuifl... ) und nieder wuchtet er seine Bärenfäu-ste auf den Tisch, dass es nur so dröhnt...

Das war die Prüfung des Seraphin Schnegg.

Wenn nicht der alte Hofrat dazwischengetreten wäre, sage ich, und bei der entscheidenden Besprechung mit beredten Worten die praktischen Fähigkeiten des Seraphin Schnegg gerühmt hätte, seine zahlreichen Erstbesteigungen, seine hervorragende Orientierungsgabe, seine oft bewiesene Kameradschaftlichkeit - wer weiss, ob nicht die obere und untere Trias für immer verhindert hätten, dass aus dem Seraphin Schnegg -vor nun allerdings schon gar langer Zeit - einer der besten Tiroler Bergführer geworden wäre.

Kloster Roussano in Meteora Inhalt 181 Oswald Oelz, Ebmatingen Bergsteigen in der Antarktis 188 Peter Donatsch, Mastrils GR Meteora, der Felsenwald Griechenlands 196 Markus Aellen Die Gletscher der Schweizer Alpen im Jahr 1985/86 221 Carole Milz, Neuchâtel Ferientage in den Dolomiten 229 Pierre Galland, Neuchâtel Gebirge in der Region Northwest Pacific ( USA ) Herausgeber Redaktion Schweizer Alpen-Club, Zentralkomitee; Helvetiaplatz 4, 3005 Bern, Telefon 031/433611, Telex 912388.

Publikationenchef CC St. Gallen, 1986-1988 Hans-Peter Lebrument.

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Kloster Roussano in Meteora Photo: Peter Donatsch 238 Nicolas Roth, Lausanne Eine schöne klassische Route: der Nordgrat der Dent Blanche Preis Abonnementspreise ( Nichtmitglieder ) für Monatsbulletin und Quartalsheft zusammen ( separates Abonnement nicht möglich ): Schweiz, jährlich Fr. 42., Ausland, jährlich Fr. 58..

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