Drei Berggestalten im Peloponnes
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Drei Berggestalten im Peloponnes

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Von Morii} Blumenthal. Griechenland als Bergland.

Wenn auch nicht bezüglich der Höhe, so doch in der Dichte der Scharung der Bergketten lässt die Oberflächengestaltung des alten Griechenland einen Vergleich mit alpinen Strecken zu. Nur ganz untergeordnet gewinnt von der Küste her ebenes Land im Inneren etwelchen Raum, Gebirgswall an Gebirgswall, bald bescheidene Hügel, bald scharfe Kalkgrate, folgt sich zwischen der Ägäis im Osten und dem Ionischen Meere im Westen.

In den Zusammenhang der nördlicheren Ketten Zentralgriechenlands mit den Bergen des Peloponnes reisst der Wasserarm des Golfes von Korinth eine tiefe Scharte, die, geologisch gesprochen, einem jungen Einbruchsgebiet innerhalb eines zusammengehörigen Gebirgssystems entspricht. Von dieser Wasserstrasse aus sieht beinahe jeder über See ausziehende Hellasfahrer zum erstenmal griechische Bergszenerie auftauchen. Vom gemütlichen Sitz des Dampfer-decks lässt er mit Genuss diese gross sein wollenden Berge vor sich vorbei defilieren. Ist es Frühjahr, dann tragen die höheren, entfernteren Bergrücken noch eine ansehnliche Schneehaube, während im Küstensaum der Blütenschnee der Mandelbäume das Kontrastvolle der Landschaft lebendig hervorhebt.

Doch, was uns erst beschäftigen möge, sei, in dieses Kulissenspiel von stets neu aufsteigenden Bergfronten und eingreifenden Meeresbuchten einige geographische Ordnung zu bringen ( vgl. Kartenskizze ). Von Norden her tritt der eigentliche Gebirgsrückgrat der Halbinsel, der in verallgemeinernder Weise als das System des Pindos zusammengefasst wird, mit seinen südlichen, ätolischen und dorischen Teilästen an die Golfküste heran. Ihr Gegenufer, die Küste des Peloponnes, übernimmt das nach Schichtinhalt und Schichtbau gleiche Gebirgssystem und leitet es, wenn auch mit manchen Beugungen und abirrenden Ästen in gleicher NNW-SSE-Richtung weiter bis in die Südspitzen des Landes, von wo es seinen teils untermeerischen Zusammenhang über Kreta nach Rhodos findet. Golfeinwärts fortschreitend können wir vielleicht von unserem fahrenden « Kahn » aus erkennen, dass ein allmähliches Abbiegen der Bergketten nach Osten sich geltend macht, wodurch dieselben, insbesondere auf der Nordseite, uns ihre Halbinselenden entgegen kehren; über dieses reizvolle Buchtgelände sendet das innere « Hochgebirge », Vardussia und Parnass, uns seine Lockreize. Einfacher erscheint die Gliederung der Südküste, wo in massiger Behäbigkeit hinter ihren Vorbergen Ziria und Chelmos eine Art Zentralmassiv vortäuschen.

Beiderseits des Golfes ladet somit reiche Auswahl den Bergfreund zur Auskundung griechischer Bergreize. Ich leistete ihr im Frühjahr 1931 Folge nach den verschiedensten Ecken und Winkeln, will aber heute hier allein die Erinnerung wachrufen an drei Berggestalten, die sich wie ordnende Marksteine in dem Kleinwerk des bergerfüllten Peloponnes ausnehmen; es sind dies der Chelmos in der Landschaft Achaia, der Artemision zwischen der trockenen Argolis und dem waldgeschmückten Arkadien und weit drunten im Süden der Hüter Lakoniens, der Taygetos.

Über die Berge des Peloponnes und ihre Bereisung.

In der Einschätzung für unsere Gefühle, für unsere Zuneigung, dürfen wir an die Gebirgslandschaft mediterraner Strecken nicht den uns geläufigen alpinen Massstab anlegen. Sie könnte dann leicht enttäuschen. Es ist ein anderes Bild mit anderen Formen und Farben; anders geartet ist das Klima und die von ihm abhängige belebte Welt und somit auch der Mensch mit seiner Kultur und Wirtschaft. Wer aber die neue Einstellung gefunden hat, den greift doch stets wieder die Sehnsucht nach jenen südlichen Bergzügen unter blauem Himmel und warmer Sonne, die in ihrer derben, kahlen Schönheit und Eigenart das zurückgewinnen, was ihnen an « Metern » abzugehen scheint.

Gleiches gilt von den Bergen des Peloponnes, jener Halbinsel, die, für sich abgelöst wie ein abgehauenes Glied, nur mit dem schmalen Isthmus von Korinth sich an das übrige Festland angliedert. Einmal über diese, dazu noch durch den Korinther Kanal durchschnittene Landbrücke in das südliche Landesinnere vorgedrungen, überrascht die Ausdehnung des Berglandes, in dem wir die schon eingangs erwähnte ordnende Streichrichtung seiner Hauptzüge fast überall eingehalten finden. Nirgends überragen die höchsten Erhebungen wesentlich die 2400er Linie Dies schliesst jedoch nicht aus, dass die Gesamterhebung des Landes ganz bedeutend ist, ein Endergebnis der Hebungen, die den ganzen Landkörper erfassten und gegenüber den Einbruchssenken, die die umspülenden Meere einnehmen, als hohen Rücken hervorhob. So sehen wir die Ablagerungen der jüngeren Tertiärzeit nicht mehr beteiligt am inneren Faltenbau des Landes, wohl aber — und dies besonders im Norden — bis in Höhen von über 1600 m hinaufgehoben. Am augenfälligsten wird aber diese Heraushebung der peloponnesischen Oberfläche, wenn wir uns das westlich besäumende Ionische Meer leergeschöpft vorstellen. Dann senkt sich dort der Festlandsrücken vom Rande der heutigen Inseln zu einer Tiefe von über 3000 m unter das heutige Meeresniveau hinab. Die peloponnesischen Berge gewinnen dann, von Westen gesehen, den Rang behäbiger Fünftausender.

Gedenken wir also dieser relativen Höhenlage, wenn die warme Sonne allzu sehr über den Rücken des peloponnesischen Bergwanderers brennt. Bergfahrten sind heutzutage, da so ziemlich das ganze Land dem modernen Verkehr aufgeschlossen ist, leicht ausführbar. Freilich bleibt das angestrebte Höhenziel oft in recht weitem Abstand von der möglichen Unterkunftsstätte. Eine solche bietet sich gewöhnlich in einem mehr oder weniger primitiven oder in den Städten auch recht komfortablen Xenodichion ( Gasthaus ) oder zur Not in einem « Magazi » ( Kramladen ) oder bei irgendeinem Dorf-schulzen, gehört ja die Gastfreundschaft zu einem der Wesenszüge des griechischen und besonders peloponnesischen Landmannes; gepaart geht damit aber eine auf die Dauer fast langweilende Neugier des Gastgebers über Dinge, die ihm doch spanische Dörfer bleiben. Selbstverständlich ist die Sicherheit überall gewährleistet, es sei denn, man habe sich die nötige Elastizität und Treffsicherheit im Steineschleudern erworben, um sich der auf den Höhen nicht seltenen und nicht übermässig freundlichen Begrüssung durch die Hunde zu erwehren, welche die so zahlreichen Schafherden begleiten. Etwelche Kenntnisse des Griechischen und nicht allzu grosse Empfindlichkeit gegenüber nächtlichen, kleinen Störenfrieden werden dem Wanderer von Nutzen sein; Frühjahr und etwa noch Herbst werden für ihn die beste Reisezeit sein, und wenn er sich nicht allzu sehr als « Lordy » benimmt — so nannte man in früheren Jahren in Erinnerung an die englischen Reisepioniere jeden Fremdländer —, so wird ein für eine grössere Alpenfahrt aufgestelltes Reisebudget auch hier für die gleiche Reisezeit ausreichen.

An orientierender Literatur und topographischen Hilfsmitteln wird der Bergfahrer sich nicht mit einer grossen Bibliothek zu belasten haben. Sie ist spärlich 1 ). Auf der Durchreise in Athen kann er sich die leidlichen Detailkarten des Peloponnes ( 1: 100,000, griechische Beschriftung ) beschaffen.

In der Chelmos-Gruppe.

Hinter einem breiten Band von Vorbergen, die aus jenen gelbgrauen jungtertiären Trümmergesteinen aufgebaut sind, erhebt sich südlich der Golfküste das Kalkgebirge im Chelmos und der Ziria zu 2355 und 2375 m. Jenem Bergfuss entlang führt den von Athen her ausziehenden Chelmos-pilger die Patrasbahn durch anmutiges Reb- und Gartengelände, aus dem die kleinen Rosinen stammen, die trockenen Korinthertrauben, die uns von Jugend ab aus dem Gebäck in Erinnerung sind. Wie uns nach halbtägiger Reise das Ross der Küste zum « Pferdewechsel » an seinen kleineren Bruder abgibt — wir sind in Diakophto —, beginnt schon der « Bergschnauf ». Nicht dass unsere Lunge schon in Anspruch genommen wird, es sei denn durch die Kohlenschwaden der pustenden Maschine, sondern ein kleines Bergbähnchen strengt sich an, die übergeladene Fracht durch ein enges, felsiges Tal quer durch die Vorberge nach dem darüber liegenden Hochland von Kalâvryta zu bringen. Beiderseits flankieren das enge Tal die oben erwähnten jungen Konglomerate, bald in senkrechten Wänden vortretend, bald stufenförmig zurückweichend.

Das kleine Städtchen Kalâvryta, ca. 750 m, sei unsere erste Bergstation. Es ist gewissermassen das Rütli der griechischen Freiheit, denn von hier aus wurde 1821 die Fahne der Erhebung entrollt, die zu den griechischen Befreiungskriegen von der 400 Jahre dauernden Türkenherrschaft führte. Noch gehört die Höhe des Chelmos nicht zur unmittelbaren Bergumrahmung, x ) Von solcher sei speziell verwiesen auf das heute noch als Standardwerk für den Peloponnes geltende und über Land und Leute, Bau und Boden erschöpfend orientierende Werk von A. Philippson ( « Der Peloponnes o, Berlin 1892 ). Über « peloponnesische Bergfahrten » berichtet der gleiche Autor im Jahrgang 1891 der Zeitschrift des D. u. ö. A. V. Über geographisch-morphologische Forschungen findet man gute Auskunft in den « Geographischen Abhandlungen » ( Engelhorn, Stuttgart ), und zwar in grösseren Aufsätzen von O. Maull ( Morphologie des Peloponnes usw., X. Heft, 1921 ) und A. Philippson ( III. Heft 3, 1930 ). Tektonischen Fragen ist die Abhandlung über das « Querprofil des zentralen und nördlichen Peloponnes » von M. Blumenthal ( Jahrbuch für Mineralogie etc., Bd. 70, Stuttgart 1933 ) gewidmet.

Für Reisezwecke sind natürlich die Bände von Guide Bleu und Baedeker geschaffen; auch besteht ein staatlicher Führer in griechischer und französischer Ausgabe.

denn die Kette der Velia verbirgt sie im Südosten dem Blick. Ein Frühaufsteher wird aber auch von der Stadt aus in eintägigem Marsche Hin- und Rückkehr bewältigen. Von der Höhe der Velia werfen wir erst einen Über-sichtsblick über das Bergmassiv, das den alten Griechen als jenes der Aroania bekannt war. Wir entdecken keine schroffen Zacken oder wilden Grate in diesem Bergbild. Ein breiter hoher Bergblock strebt aus einem mehr felsigen Flussgelände, das lichter Wald umgürtet, zur Höhe und trägt in seinem welligen Rücken einzelne unausgeprägte Gipfelformen, die als A-, B-, C- usw.Gipfel des Chelmos bezeichnet worden sind. Äusserst lieblich ist der nähere Rahmen des Bildes. Wohltuend grün bekleiden lichte Tannenwaldungen ( Schwarzkiefer ) die Bergrunsen und Steilhänge, die in das jenseitige Flussgebiet hinableiten. Doch nicht von dieser Nordwestseite, die dem zeitbemes-senen Wanderer die gegebene Anstiegsroute sein muss, sondern auf Umwegen wollen wir uns dem Chelmos nähern.

Ungemein viel schroffer schaut die Chelmosfront nach Nordosten. Der von der Küste her in seine Flanke tief eingreifende Kratisfluss hat hier mit seinen oberen Verzweigungen den Gebirgsbau bis auf seine Eingeweide blossgelegt. Ein Selbsanft oder ein Vättner Calanda « en miniature » steht vor dem Beschauer, Berge, deren Felsabsturz in durchgehender Flucht die einzelnen Glieder des inneren Baues aufzeigt. Wie bei seinen alpinen Leidensgenossen, deren Bergleib bis auf die älteste Unterlage aufgerissen erscheint — dort die kristallinen Gesteine des Aarmassivs —, so kommt auch hier am Fusse der Chelmosabstürze die alte, vornehmlich schiefrige Unterlage zum Vorschein. Darüber schichtet sich eine recht gleichartige Kalkfolge in mehreren Hunderten von Meter von Schichtdicke, der sogenannte Tri-politzakalk, um nach oben in ein schmales Band junger Flyschbildungen überzugehen. Nun aber kommt noch die Kappe oben drauf, jene unausgeprägten Chelmosgipfel. Sie gehört nochmals einer Kalkbildung an, dem Olonóskalk, der aber einer älteren Formation als seine Flyschunterlage zugehört und somit hier wie im ganzen übrigen zentralen Peloponnes ein aufgeschobenes, aus ferner Heimat herkommendes Deckstück darstellt. Ein Gebirgsbau, grosszügig wie in den Alpen, offenbart sich hiemit im Untergrund peloponnesischer Berge.

Diese Frontseite vom Kratistale her sei unser Anstieg, dessen Ausgangspunkt wir freilich von Kalâvryta her erst nach halbtägiger Wanderung längs dessen nördlichen Vorbergen über das Plateau des Xerokampos hinweg erreichen werden. Dabei steigen wir hinab in die anscheinend weltverlorenen Verzweigungen des Kratistales und sind überrascht, dort eine relativ reiche Besiedlung, wenn auch in kümmerlich kleinen Weilern, anzutreffen. Ein Fremdling ist hier ein weisser Rabe, doch fällt es ihm nicht allzu schwer, seinen Käfig bei irgendeiner Bauernfamilie zu finden. Meine Beobachtungen hielten mich etwas lange fest. Der dritte Morgen sah mich aber schon — es war noch sternenklare Nacht — fluchtartig die Stätte der nächtlichen Blutabzapfung verlassen — und wohin ging die Flucht? Wörtlich, nach der Unterwelt! War der Lebensüberdruss durch den nächtlichen Kampf mit dem Ungeziefer gar so sehr angewachsen? Kaum, denn der Chelmos-nordanstieg lag ja in meinem Tagesplan. Nun, dieses Wortspiel klärt sich auf, wenn ich sage, dass die griechische Sage die Herkunft des Styx, des Flusses, der den Eingang in den Hades, die Unterwelt, bestimmte, in die Nordwände des Chelmos verlegte.

Der Anmarsch — unser Ausgangspunkt lag um 1100 m — ging also dem Styxbach entlang, einer unscheinbaren kleinen Runse, die hinauf in die hohen Abstürze des Chelmos leitet. Trotz der Abermillionen, die den Weg schon nach dem Hades angetreten haben, hier bleibt er pfadlos. Zwischen Felsstufen und -köpfen drückt man sich aufwärts, über sich die hohen Wände des Nordgipfels und unter sich das kleine Wässerchen des Styxbaches, die steilen Gehänge noch stets von isolierten Tannengruppen belebt. Bald gibt es nur mehr einen einzigen Durchpass, und hier ist der Sturzbach des Styx, das « ewig herabträufelnde Wasser », von dem uns schon die Ilias berichtet.

Besehen wir uns aber den Mythos mit den Augen der Beobachtung. Da liegt am Fusse einer hohen Felswand die Styxhöhle, ein geräumiges Auswitterungs-loch, da gelegen, wo ein schief die Basis der Wand querender Bruch durchschneidet. Und gerade auf den Höhleneingang stürzt aus grosser Höhe der Styxfall, bei meinem Besuch ein klägliches Wasserfädchen, das sich im Sturz nahezu verlor. Es war eben schon warmer Juni geworden, und die nährende Schneekappe der Chelmoshöhe war nur mehr in kleineren Schneeflecken anwesend. Dass hier aber im Frühjahr grössere Wassermassen hinabstürzen und wohl ein imposanteres Schauspiel darbieten, zeigt die stark schwarze Verfärbung, welche die Felswand aufweist und wonach heute dieser Staubbach beim Volke der « Mavroneri » heisst, d.h. das Schwarzwasser.

Im Grunde genommen ist man ein klein wenig enttäuscht über das Naturobjekt, das sich hier die altgriechische Mythologie gewählt hat, um die Schrecknisse der Unterwelt auszumalen. Jedwede alpine Talschlucht, die so oft den Namen « zur Hölle » trägt, könnte mit diesem Höllentor des klassischen Altertums wetteifern, was bildliche Übertragung anbelangt Ja, es steigt einem fast der Gedanke auf, der Baedeker des Altertums, Pausanias, könnte vielleicht das « Sternchen » seines Reisebuches, seiner « Periegesis », an den unrichtigen Ort verlegt haben. Andererseits ist aber freilich auch einzusehen, dass besonders für den von der Tiefe her hinauf-blickenden Menschen diese Felswildnis äusserst eindrucksvoll wirkte und deren abweisende Einsamkeit ihm gewiss als ein Ort der Abgeschiedenheit und Verbannung vorkommen musste.

Doch kehren wir wieder zur Wirklichkeit zurück. Nach Begehung der abschüssigen, durch Abwitterung aber etwas gestuften Verwerfungsfläche bei der Styxhöhle haben wir knapp die Höhe von 1800 m erreicht und nähern uns der schon früher erwähnten Deckkappe aus Olonóskalken; sie bewirkten mildere Geländeformen, und alsbald stehen wir in den grossen Weitungen, die das Gipfelgebiet des Chelmos bestimmen. Es sind dies zum guten Teil karförmige Geländeformen, also Reste alten Gletscherstandes, denn im Diluvium war der Chelmos eines der südlichsten, noch eine Eiskappe tragenden Bergmassive im südlichen Europa; es war einzig die viel höhere und ausgedehntere Sierra Nevada Andalusiens, die eine ganz bedeutendere Eishaube trug. Eine Umschau wird uns aber kaum mehr Moränenreste entdecken lassen, sie sind der Wegführung zum Opfer gefallen, und allein in der Nordwestseite des Chelmosmassivs hätten wir bei Aufmerksamkeit am Rande des Hochplateaus des Xerokampos, von Kalâvryta herkommend, kleine Moränenwälle in ca. 1900 m entdecken können.

Wenn uns bei Erreichen der Gipfelregion die Wahl der Gipfelhöhe in Verlegenheit bringen sollte, denn in weitem nach Norden geöffneten Hufeisen umranden sie den Ursprungszirkus des Styxbaches, so wird doch allererst der Nordgipfel ( A-Gipfel, 2341 m ) die erste Lockung sein; denn er ist der gegen das Flussgebiet des Kratis vorgeschobene Punkt, der die volle Ausschau auf die Weite des Korinthergolfes ermöglicht. Hier wie anderwärts im Hochland von Hellas entzückt am meisten der reiche Wechsel von Meer und Land. Und wo nicht Meeresbucht die fjordartige Aufteilung des Landes hervorhebt, da sind es gelegentlich nebel- oder dunsterfüllte, in sich geschlossene Becken, umrahmt von hohen Bergzügen, welche die See vortäuschen können. Jenseits eines solchen, dem gewaltigen, oberirdisch abflusslosen, alten Seebecken des Pheneos, erhebt sich zu gleicher Höhe der breite Rücken der Ziria. Ein Abstecher dahin leitet uns allmählich südwärts, wo eine weitere, markante Berggestalt im arkadisch-argolischen Grenzgebirge unser nächstes Bergziel sei.

Zum Artemision.

Sichtlich ernster und lebensfeindlicher als die Berge des Chelmos muten die Berge zwischen der Argolis und dem mehr zentralen Arkadien an, dies um so mehr, je weiter sie östlich gelegen sind. Wenn wir dem eigentlichen Eingangskorridor in den Peloponnes folgen, uns dem « Peloponnes-Express » anvertrauen, der über Argos und Tripolis der Südküste bei Kalamae zustrebt, dann haben wir diese kahlen Berge bei den bekannten Königsgräbern von Mykenä vor uns. Wir sind hier in den östlichen Regenschatten der Berge des Landesinnern geraten; während dort in Arkadien die die Westwinde auffangenden Bergrücken einen oft geradezu an mitteleuropäische Mittelgebirge gemahnenden Wald aufweisen, gehört nunmehr die Oberfläche der niedrigen Macchia, der Phrygana, wie diese Gestrüppvegetation in Griechenland heisst, an oder bleibt überhaupt kahl.

Wir fassen wieder festen Fuss in der Stadt Argos und wenden uns an einem klaren Morgen durch das Tal des Xerias — den Talfluss suchen wir natürlich vergebens — bergeinwärts. In leuchtenden Farben prangen die gelbroten Felswände, die als Eingangstor das enge Tal nach der Ebene zu abschliessen. Nur kümmerlich hat der Mensch hier drinnen Fuss gefasst, er ward viel eher angelockt durch die Ebene, wo in grossen « Kephalaris » ( Stromquellen ) das versiegte Wasser der abflusslosen Becken zutage kommt und die bekannten baulichen Reste ( Mykene, Argos ) von jahrtausendealter Kultur erzählen. Um so kontrastreicher mutet die Einöde innerhalb der Bergketten an. Da und dort treffen wir eine vielleicht schon ausser Gebrauch geratene Kalyvie — jahreszeitliche Siedelungen, unseren Maiensässen vergleichbar — dann erst nach einigen Wanderstunden weitet sich das Tal, verzweigt sich und leitet uns der Weg nach dem artig am Fusse des Malevos gelegenen Dorfe Karyd hinauf.

Bleiben wir eben vor dieser Siedlung einen Augenblick stehen und diene dieselbe dazu, einige Bemerkungen über das griechische ländliche Milieu einzuflechten. Anmutig liegt der aufgelöste Steinhäuserkomplex zwischen den umgebenden Weinbergen und den hier entspringenden Quellbächen mit ihrem Baumgrün. Im Grunde genommen ist jedoch das griechische Dorf recht schmuck- und stillos. Seine Häuser, meist vierkantige, ungekalkte Blockmauern mit flach ansteigendem Rundziegeldach fügen sich höchstens auf Abstand und in malerische Gruppierung versetzt zu einem einigermassen reizvollen Dorfbild zusammen Es fehlt die Romantik italienischer Bergnester oder das belebte Häusergedränge weissgetünchter Andalusier Dörfer; auch vermögen Kirche, Kapelle oder Burgruine gewöhnlich wenig zur harmonischen Belebung des Dorfbildes beizutragen; erstere sind gar oft äusserst nüchtern und dürftig unterhalten oder aber wieder zu « tempelförmig-unländ-lich ». Auffällig sind nicht selten die recht stattlichen Schulhäuser; sie verdanken ihr besseres Kleid meist grosszügigen Stiftungen, wie denn das Schenken zum Wohle des Ganzen ein edler Charakterzug des Griechen ist. Aber auch im kleinen schenkt er gerne, und der wandernde Turist spürt dies — und wir bei unserem Eintritt in Karyâ —, wenn er freundliche Aufnahme in irgendeinem Dorfhause findet. So behergte auch mich in Karyâ einer jener vielen Amerika-Griechen, die so reichlich übers Land verteilt sind. Wie in keinem zweiten Lande scheint das rückgewanderte Auswanderungselement so sehr im Volke verteilt, und jeder Reisende wird alsbald von irgendeinem « welt-gewandten » Dorfbewohner neugierig auf « Englisch » über seine Herkunft, Arbeit usw. ausgefragt, ja es ist gelegentlich gar der Schafhirt, der sich freut, seine Über-see-Erinnerungen in solcher ungewohnter Unterhaltung auffrischen zu können.

Von den von Karyâ ausgeführten einsamen Bergwanderungen sei einzig jene des Malevos erwähnt; es ist dies der Gipfelstock des von den alten Griechen als Artemision bezeichneten Bergkomplexes. Von dem tieferen Tripolitza-kalk-Unterbau, auf welchem Karyâ liegt, steigen wir wie im Chelmosstock über den mildgeformten Flyschrücken bergan und treffen dann in der höheren Gratpartie die aufgeschobene Decke der Olonóskalke. Hier in den wellig-plattigen Kalklagen stellt sich ein recht wild geschalteter Grat ein, der zu dem massig-abgerundeten ca. 1770 m hohen Gipfelstück emporleitet Die Gipfelausschau zeigt uns die langgezogenen Bergzüge des inneren Arkadien, zwischen welchen, anmutig gelegen, dessen Hauptstadt Tripolis aus der Ferne grüsst. Über diese hinweg ziehen wir tags darauf um die 100 km weiter südwärts und stehen in der Tiefebene von Sparta vor unserem dritten Bergziel.

Der Taygetos.

Als markanteste Kammlinie, die den Körper des Peloponnes weit nach Süden, dem Kap TänaronMatapan ) zu, hinausreckt, erhebt sich südlich Sparta der Taygetos. Als Fünffingerstöcke könnte man seine Kette bezeichnen, wenn man seine alte Benennung Pentedaktylos in die moderne Sprache übersetzt. Die geschlossene Einheit dieses Gebirgszuges und insbesondere seine grosse relative Höhe über dem Tiefland — sie überbietet ja das Hochgebirge des Bernina, vom Engadin aus genommen — macht den Die Alpen — 1937 — Les Alpes.5 Taygetos zur schönsten Bergsicht des ganzen Peloponnes, die am ehesten einen alpinen Vergleich aushält. Das verträumte, breit und weit angelegte neue Sparta, das sozusagen nichts von seiner wechselvollen Geschichte zu erzählen vermag, ist der gegebene Ausgangspunkt für eine Taygetosbesteigung und andere lohnende Querzüge in diesen Gebirgen des Südens.

Schon der Fernblick zeigt die kulissenförmig aufgeteilte Bergfront ab-wechslungsvoll in eine Vorstufe aufgeteilt, über welcher sich der eigentliche Gipfelkamm mit steilem ostgekehrtem Abbruch aufbaut. Eine weisse Schneelinie, die sich noch weit bis in das Frühjahr hinein abhebt, erhöht den Reiz des schönen Landschaftsbildes. Die genannte, auf 6-800 m abgesetzte Vorstufe trägt noch zahlreiche ansehnliche Siedelungen, worunter das so anmutig gelegene grosse Dorf Anâvryti; es kann als ein noch weitabgelegenes Standquartier für die Besteigung des Hagios Ilias, wie der Gipfelpunkt des Taygetos zubenannt ist, dienen.

Noch sind wir in Anâvryti in der Weinrebenzone, doch recht unvermittelt lagert sich darüber die nächst höhere der Äcker und anschliessender Weiden, ihrerseits wieder verknüpft mit dem wohltuenden Waldgürtel, der sich an die höhere Bergschulter lehnt; dessen Baumpioniere endigen an den Steilabhängen mit ihren gebänderten Felswänden in ca. 1600 m. Während wir auf der Vorstufe von Anâvryti auf der älteren Unterlage mit kristallinischen Schiefern stehen, verrät uns die Bänderung des Oberbaues die jüngere Sedimentfolge, in welcher sich Dolomite, Kieselbänderkalke und zuoberst mehr kristallin-körnige Kalkbänke aufeinander folgen.

An vielen Stellen erlaubt die Stufenfolge dieser Sedimentgesteine für den alpin Geübteren eine Durchsteigung ihrer Wände schon bei Anâvryti und so eine prächtige Gipfelwanderung nach dem noch ca. 5 km weiter südlich den Grat abschliessenden Hagios Ilias. Ich wählte eine solche ungewohnte Route für den Abstieg, denn die noch nächtliche Frühwanderung beim Aufbrechen von Anâvryti zwang vorsichtshalber auf den gangbarsten Weg. Stunde um Stunde ging es tief unter dem Hauptkamme entlang durch Wald und Weiden, durch Tobel und um Vorsprünge, bis endlich der Gipfel des Propheten Elias von Süden her mühelos angegangen wurde.

Einmal auf der Kuppe des 2409 m hohen Berges, fesselt unbedingt am meisten der eindrucksvolle Tiefblick auf die halbinselreiche Küstenlinie des endigenden Peloponnes, diese zackigen « Girlanden », mit welchen das dina-risch-hellenische Gebirgssystem, wie mit ausstreckenden Armen nach Hilfe und Anschluss suchend, ins Mittelmeer hinaustastet. Es ist, als ob man hier vor dem Schaukasten steht und auf ein ins Gewaltige übertragenes, von Künstlerhand geschaffenes Relief hinabsieht. Doch es ist wahre Natur, aber auch gebildet und geschnitten vom Künstler. Dieser heisst hier « Aufbau und Abbau », jener türmt die Berge, dieser nagt als Meereswoge am allmählich schwindenden Fels.

Wir haben die Angelpunkte unseres peloponnesischen Dreiecks bewältigt. Jeder für sich ist ein Ausschnitt hellenischen Gebirgslandes, lässt aber weite Zwischenräume ungesehen und unberührt.

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