Ein Streifzug durch das Semien-Gebirge in Nord-Äthiopien
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Ein Streifzug durch das Semien-Gebirge in Nord-Äthiopien

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VON MOR.M.. BLUMENTHAL, LOCARNO

Mit 24 Bildern ( 29-52 ) und 3 Skizzen Inhalt: Lage und Stellung im afrikanischen Kontinent - Äthiopien als Bergland - Klima, Stadt und Volk - Trubel und Verzögerung - Über Gondar dem Bergziel entgegen - Längs des Semien-Südrandes nach dem Buahit ( 4440 m ) -Der Talabschluss des Mai Schaha-Tales und seine Hochgipfelumrandung ( Ras Degién, 4560 mDie nördliche Abstiegsroute durch das Ansia-Tal - Ausklang der äthiopischen Fahrten 1. Lage und Stellung im afrikanischen Kontinent Das Register der « Alpen » enthält keinen Text, der auf Äthiopien Bezug nimmt. Um diese Lücke auszufüllen, sei hier von einem Streifzug durch ein noch recht wenig bekanntes Bergland im nördlichen Äthiopien die Rede. Wollen wir dessen allgemeine Lage auf dem Globus erkunden, dann folgen wir einerseits dem Nil in den afrikanischen Kontinent, bis er sich in seine Hauptarme spaltet ( bei Chartum ), anderseits « navigieren » wir das Rote Meer « abwärts » bis zu seinem Übergang in den Golf von Aden ( Fig. 1 ). Zwischen diesen beiden Punkten liegt das Stammland Abessiniens, das sich als « Kaiserreich Äthiopien » bezeichnet und Deutschland, Frankreich und einen guten Teil Italiens, zusammengenommen, an Flächenausdehnung übertrifft. Äthiopien 1, nunmehr vereinigt mit der früheren italienischen Kolonie Eritrea, liegt mit seinen äussersten Spitzen zwischen dem 18. und dem 4. Breitengrad, ragt also schon ganz in die tropische Zone hinein, besitzt im Hauptteil aber zufolge seiner Höhenlage nicht deren Klima, sondern ist viel gemässigter und hat gutenteils einen Savannencharakter oder ist auch arid.

Dieses weite Land ist, orographisch gesehen, sehr belebt; was ihm an horizontaler Gliederung abgeht, kommt ihm an vertikaler Gliederung zu. Es ist Teil des nordöstlichen Afrikas, das, als Ganzes genommen, ein geologisch sehr alter und stabiler Rumpfteil der Erdkruste repräsentiert, dies in einem Gegensatz zu dem in mesozoisch-tertiärer Zeit so labilen alpinen Europa, das nur in den Kettengebirgen Marokkos und Algero-Tunesiens auf afrikanischen Boden übergreift. Dieser alte Rumpf Afrikas hat im Räume Nubien-Äthiopien ( inkl. Somalien)-Südwestarabien eine besondere Gestalt angenommen, die sich in früher geologischer Vorzeit ( vortertiär und später pro-noncierter werdend ) anbahnte. So hat sich das in sich altgefaltete und kristallin gewordene Grundgerüst langsam zu einem immensen, äusserst flachen Schild aufgewölbt, der in seiner Grundform durch alle Zeiten sich mehr oder weniger erhielt, wie sehr auch Ablagerungen jüngerer geologischer Perioden bei dessen Oszillationen auf ihn vordrangen. Äthiopien als Ganzes gehört, im Grunde genommen, eigentlich nur dem südlichen Teil dieses Schildes an, dessen stärkste Heraushebung sich bedeutend weiter nördlich, auf der Breite zwischen Mittelarabien und Nubien, befindet, weshalb auch von einem nubisch-arabischen Schild die Rede ist. Der südlichere, für sich auch gewaltige Teil ist der äthiopisch-somalische Schild bzw. die durch die mächtige Grabenzone aufgerissene Plattform, die auch auf Sudwestarabien übergreift ( Fig. 1 ).

1 Äthiopien und Abessinien werden gewöhnlich als synonym gebraucht, obwohl unter letzterem eigentlich nur das zentrale Stammland zu verstehen ist. Diese Bezeichnung erinnert an den in ganz früher Zeit eingewanderten arabischen Stamm der Habesch; auch bedeutet « habesch » dazu noch auf arabisch soviel wie « durcheinander », Gemisch, Mischling. Der Name Abessinien für das Kaiserreich wird heute nicht mehr gerne gehört.

6 Die Alpen - 1962 - Les Alpes81 Ein Wesenszug dieses Schildes ist, dass er in seinem Werdegang sozusagen seine Schildform verloren hat, weil sie durch spätere Brüche zertrümmert und teilweise unkenntlich gemacht wurde. In dieser Zertrümmerung ist es aber besonders eine Bruchrichtung, die gewaltiges Ausmass angenommen hat und generell S-N-Richtung, mit Abweichungen nach Nordosten und Nordwesten, besitzt. Die als Bruchschar auftretenden mächtigen Vertikalstörungen haben den sogenannten ostafrikanischen Grabenbruch eingetieft und reichen aus der Gegend der grossen ostafrikanischen Seen ( Nyasa-See, Tanganyka-See usw. ) in den Raum des äthiopisch-somalischen Schildes, in NO-Rich-tung und ihn in zwei Hälften teilend ( s. Fig. 1 ). Von hier ab bedingt diese Bruchzone die Depression des Roten Meeres, um dann von dessen Nordende über den Golf von Akaba und das Jordantal durch Nordsyrien bis an den Südsaum alpiner Gebirge - des Taurus - zu ziehen und dort auszugehen ( s. Eckkärtchen Fig. 1 ). Auf weite Strecken zeigt sich diese Störungszone als tiefe Depression, die vom Roten Meer eingenommen ist; in anderen Strecken, so auch in Äthiopien, wird sie von kleineren und grösseren Seen gezeichnet, von den Einflüssen eines starken Vulkanismus - in unserm Abschnitt meist erloschene Vulkane - begleitet. So besteht in der Grossform des Schildes ein nordwestlicher Flügel, der abessinische, und ein südöstlicher, der somalische, in die Teilstörungen hineingreifen oder in denselben mehr oder weniger parallel verlaufen. Im abessinischen Flügel, und zwar weitab von der Hauptbruchzone, liegt das Gebirgsmassiv, das Semién-Gebirge, dem wir uns noch speziell zuwenden werden.

2. Äthiopien als Bergland Der nordwestliche Flügel des Gesamtschildes erfasst das eigentliche Stammland Abessinien und ist ein ausgesprochenes Bergland ( vgl. Fig. 1 ). Als Ganzes genommen erhebt sich dasselbe wie eine vielgegliederte Burg über dem Umgelände. Die äusseren « Mauerwälle » erstrecken sich über Tausende von Kilometern. Im Innern dieser « Burg » gibt es wenig ebenes Land, alles ist gebirgig. Wenn auch kein übermässig wasserreiches Flußsystem an der Arbeit war - ausgenommen der Blaue Nil -, so ist doch das Land intensiv aufgeteilt, durchfurcht und zergliedert und durch die Erosion in ein unübersichtliches Gedränge von Tälern aufgelöst. Fast die Gesamtheit der Gewässer tendiert nach Westen. Den grössten Teil des abfliessenden Wassers sammelt der Blaue NilAbai ), indem er in weiter Schlinge, tiefe Schluchten grabend, sich durch das Land zieht und dann nach Nordwesten dem Weissen Nil zustrebt. In gleicher Weise tut dies weiter im Norden der Atbara, der auch wieder einen schlingenziehenden Helfer hat, den Takazzé-Fluss. Dieser,.im Verein mit seinen Nebenflüssen, umzieht das Semién-Gebirge im weitesten Sinne ( Fig. 2 ). Anders sind die Flussläufe, die von der Rampe nach Osten absteigen; sie sind alle kurz und versiegen im sandig-heissen östlichen Vorland.

In dem so herausmodellierten Relief, an dessen Gestaltung die Bruchgliederung einen wesentlichen Anteil hat, lässt sich in der Gebirgsanordnung aber nicht eine unbeschränkt vorherrschende Richtung der Bergketten erkennen. Die Vielfalt der Orientierung ist ab und zu durch mehr blockförmige Berggestalten ersetzt, die der Eingeborne auf amharisch « Amba » nennt. Diese Regellosigkeit, so möchte man sie nennen, ist gutenteils durch die flache oder horizontale Lagerung der aufbauenden Formationen bedingt, ein Umstand, der nicht wie in einem mehr oder weniger steil aufgefalteten Kettengebirge markante Felsrippen und Grate, die in übereinstimmender Richtung sich folgen, hervorbringt.

Eine einigermassen einheitliche Gesamtrichtung eines Gebirgssystems sehen wir in der Ost-berandung des Hochlandes, die von Debresina ( nordöstlich Addis Abeba ) bis über die eritreische Grenze im Norden sich erstreckt. Es ist dies, geologisch gesprochen, der östliche Randsaum der Hochscholle, der dazu noch hochgeschleppt ist und Neigung gegen Westen, längs des grossen Grabenbruches, angenommen hat. Man bekommt aber kaum auf weite Strecken in S-N-Richtung verlaufende Bergketten zu sehen. Eine Bergkulisse steht hinter der andern, und ihr endgültiges Auslaufen geht meist gegen Osten, wo sie steil gegen die Tiefe der Depressionszone abbricht, wo auf grosse Breite die Wüste liegt ( Dankali-Land und seine Annexe ). In dieser « Ostkette » ragen verschiedene Bergmassive über 3000 bis 4000 m auf; der Abuna Josef steigt sogar bis zu 4000 m an. Im Falle der Abuya Miyeda stehen etwa 40 km östlich einer 4000er Höhenquote schon die niedrigen ariden Vorlandhügel, so dass man sich eine Vorstellung dieses östlichen Steilabfalles machen kann. Dabei liegen diese Hochberge unter der Schneelinie und tragen noch Krüppelholz.

Im Süden schwenkt die breite Bergleiste, entsprechend dem Verlauf der Bruchzone bzw. ihres hohen Randes, nach Südwesten und Westen um. An ihrem Fusse liegt des Landes Hauptstadt, Addis Abeba, in einer Höhe von 2300 bis 2400 m.

Im Innern der hohen « Burg » verrät uns eine Isohypsenkarte keine so langanhaltende Höhenzone, wie sie in der östlichen Saumzone zu treffen ist. Hier verlaufen mit SO—NW-Richtung, beidseitig des oberen Blauen Nils, wieder kräftig sich heraushebende Bergzüge, in welchen in der nordöstlichen Reihe sich der hohe Buckel des Guna mit 4231 m ( italienische Karte ) heraushebt, während auf der SW-Seite der Choké immerhin noch etwas über 4000 m aufzusteigen scheint. Näher dem Tana-See, der zwischen diesen hohen Bergwällen sich wie eine riesige flache Wanne ausnimmt, wird das Relief merkbar milder, schwingt sich aber auf der NW-Seite des Sees von neuem auf und leitet nach Nordosten. Im breit ansteigenden nordöstlichen Endstück liegen die grösste Gesamterhebung des Landes und eine Reihe hoher Einzelgipfel. Unter diesen steigt der Ras Degién bis 4560 m. Über einen Streifzug in diesen Bergen handeln die Kapitel 6-8.

Ähnlich wie im Osten ist das abessinische Hochland auch im Westen, gegenüber dem an Wüsten reichen Sudan durch eine Randleiste markiert. Diese scheint orographisch viel weniger herausgehoben zu sein, geht aber in ihrer Primäranlage gewiss wieder auf ein System von Bruchlinien zurück. Weiter im Norden, in dem eintönig rotgelben Kolorit der Wüste, war zwischen Asmara und Chartum vom Flugzeug aus nichts von ihr zu erkennen.

Nach vorangehender flüchtiger Skizzierung des orographischen Reliefs soll auch ein Blick auf das aufbauende Material, die Folge der Gesteinsformationen, gegeben werden. Im Baugerüst des uns besonders interessierenden Abschnittes Äthiopiens können wir bei bescheidener Gliederung nur drei Zonen des aufbauenden Gesteinsmaterials finden.

Der erste und tiefste Komplex umfasst den Unterbau, auf dem alle übrigen Formationen diskordant aufruhen. Sie besteht als Grundgebirge mit kristallinen Schiefern und Graniten, Dioriten usw. ( Gr in Fig. 1 ). Dieses kommt im äthiopischen Stammland nur in den tiefsten Flusseinschnitten ( Blauer Nil ) zum Vorschein. Vom Takazzé-Flusse an nordwärts baut es aber ganz Eritrea auf, freilich da und dort wieder von grossen Enklaven des Deckgebirges bedeckt. Gleichfalls setzt es an den westlichen und südlichen Grenzen ein.

Dieses Grundgebirge trägt als zweiten Komplex auf seinem altausgeebneten Rücken das Auf berei-tungsprodukt seiner Abtragung oder auch Tuffe, deren sandige Schichten zufolge der aufgefundenen Tierknochen dem Unterjura ( Lias ) zuzuteilen sind. Manchmal aber fehlen sie. Diese und auch die von mariner Transgression herrührenden kalkigen Sedimente ( Mittel- und Oberjura ) und wieder sandig gewordene Kreideformation, die darüber in mehr oder weniger horizontaler Lage folgen, nehmen noch keinen grösseren Anteil am Gebirge des zentralen Abessinien; von den Sedimenten kommt einzig im NO-Saum des Semién-Gebirges die sandige Kreide unter dem jüngeren vulkanischen Dach als relativ schmale Lappen zum Vorschein.

Dagegen stellt der dritte Komplex in nicht endenwollender Ausdehnung das Baumaterial an der Oberfläche dar. Diese Formation ist vulkanischer Herkunft und beginnt wohl in der oberen Kreide, gehört aber in seiner Hauptmasse dem Eozän an. Es ist der sogenannte « Trapp », ein basaltisches Ergussgestein, das zwar manche Nuancierung aufweist, zur Hauptsache aber grosse Einheitlichkeit und eine enorme Mächtigkeit besitzt. Da alle diese Stufen über dem Grundgerüst keine nennenswerte Faltung erlitten haben, sondern horizontal oder nur untergeordnet verstellt über der alten Basis lagern, kommt im besonderen der oberen basaltischen Formation eine ungeheure Ausdehnung zu ( Kompl. I und II in Karte Fig. 1: weiss ). Unsere gesamte Wanderung über Gipfel und durch Täler bleibt in derselben gefangen, weshalb in unseren Itineraren von derselben noch einiges nachzutragen sein wird.

Noch jüngere, sedimentäre Formationen finden sich nur in den Randstrecken ( Ostküste usw. ) oder in Vertiefungen des älteren Plateaus.

Im Gebiet der « Trappformation », obwohl sie vulkanisch ist, sucht ein erster Überblick vergeblich nach vulkanischen Kegelbauten. Höchstens eingehendere vulkanologische Studien vermögen Reste solcher, aber schwer kenntlich, da und dort noch festzustellen. Flächenweise Ausbreitung weiträumiger Lavaergüsse sind die Regel, und frische Vulkanformen sind allein im Bereich der schon erwähnten grossen Grabendepression verbreitet, wo sie mit den Seen das Landschaftsbild bestimmen.

3. Klima, Stadt und Volk Der Flugdienst der « Ethiopian Air Line » bringt heute die entfernte Residenz des « Negus Ne-gesti » fast in « Weekend-Nähe » der Mittelmeerküste, denn die 2400 km Distanz « macht man über Nacht ». Eine Bergfahrt, ein kulturhistorisches oder naturwissenschaftliches Unternehmen ist kein Problem mehr. Dieses kann eher beim klippenreichen, politisch-administrativen Weg bestehenGünstig für den Besuch ist die mit dem europäischen Winter zusammenfallende Trockenzeit, die Dauerschönwetter bringt, dem Lande aber durch die austrocknende Dürre zum guten Teil seine grüne Frische nimmt. Sie dauert meist vom November bis März/April. Die Gesamthöhenlage des Landes und jene seiner Hauptstadt Addis Abeba lassen das schon äquatornahe Klima prächtig ertragen. Im Gebirge kann man aber oft recht empfindliche Abkühlung erleiden, besonders nachts.

Wenn man in der Hauptstadt eintrifft, so glaubt man sich zuerst fast mehr in einem betriebs-reichen, grossen Dorf als in einer Stadt. Addis Abeba, das erst 1893 gegründet wurde, heute aber schon gegen 400 000 Einwohner aufweist, ist eine ausgesprochene Lockersiedelung, die sich über ein runsendurchzogenes Gehänge von 2300 bis fast 2500 m hinanzieht und eigentlich nirgends die dichte Siedlungsart einer Großstadt zeigt. Es ist eine eher eintönige Gartenstadt, in welcher aber die Schaufel des Gärtners noch recht viel zu ordnen hätte! Ihr Name bedeutet die « Neue Blume », ihr Blumenteppich oder besser ihre grüne Decke wird durch einen fast ununterbrochenen Hain von eher jungen Eukalyptusbäumen gebildet, eines Baumes, der hier vor nicht zu langer Zeit noch fremd war ( er ist ein australischer Baum ). Unter diesem grünen Dach ducken sich die unscheinbaren einheimischen, meist eingeschossigen Wohnungsbauten, oft locker, oft eintönig aneinandergereiht, und die allein im Mercato-Quartier einen geschlossenen Haufen bilden. Um die profane Note dieser Bauten noch zu erhöhen, sitzt auf jeder ein Wellblechdach. Wie fremde Inseln ragen da und dort die neueren Konstruktionen heraus, unter denen natürlich die kalte moderne Sachlichkeit mit ihren Mauerwürfeln auch nicht fehlt!

Durch die auf und ab gehenden Strassen -jeden Charakters - eilt die einheimische Bevölkerung, deren Behendigkeit durch das fast allgemein noch übliche Tragen des weissen Baumwollüberwurfes, der « Schama », noch erhöht wird, eine Art Toga über schwarze Menschen geworfen. Dies sind die Amharen, der Volksstamm, der sich unter den vielen übrigen Stämmen - es mögen deren einige Dutzend sein, mit jeweils anderer Sprache - die Vorherrschaft gesichert hat und dessen Sprache, das Amharische, zur Hauptverkehrs- und Amtssprache geworden ist.

Der eigentliche Äthiopier ist nach Abstammung und physiologischer Erscheinung kein Afrikaner vom Typus der Neger, er besitzt nicht eine hamitische Unterschicht, sondern ist semitischer Herkunft wie der Araber, hat aber einen nicht zu verkennenden Einschlag von hamitischer Seite her bekommen, wie sein üppiges Kraushaar verrät. In seiner Hautfarbe wiegt bei einem überwiegenden Teil der Menschen ein dunkles Braun vor, wobei aber zu bemerken ist, dass besonders bei den höheren Volksschichten die Helligkeit mehr und mehr zunimmt Der Amhare und der Tigrene, der mehr gegen Eritrea zu vorherrscht, sind gelehrig, intelligent und trachten, alle die Berufe zu übernehmen, vor die ihn die Neuzeit stellt. Nach dem Glauben ist Äthiopien eines der christlichsten Länder - in seiner koptischen Richtung. Schon im dritten Jahrhundert bestand ein christliches Königreich; die sagenhaften Zusammenhänge der Königin von Saba mit Salomon sind ja bekannt. Aber: eine Etikette, die man dem Amharen zuerkennt, passt bald wieder nicht mehr, sobald man sich von einer Provinz in eine andere oder von einem Stamm zu einem andern begibt.

4. Trubel und Verzögerung Dieses entworfene, nur ganz oberflächlich gehaltene und eigentlich recht günstige Bild vom äthiopischen Milieu hat auch seine Kehrseite. Dieses Land ist eine demokratische Monarchie, aber bis ins Mark der Knochen ist der demokratische Bazillus kaum überall vorgedrungen, und auf seinem Wege der Entwicklung hat er sich gelegentlich in einen bureaukratischen verwandelt oder hat sich vor lauter Selbstbewusstsein sogar ganz aufgezehrt! Dies bekommt der abseitige Wege auf-suchende Berggänger leicht zu fühlen, denn ohne behördlichen Segen ist sein Weg versperrt, wenigstens der Ausgang aus der Stadt. Kaum war der Verfasser auf äthiopischem Boden gelandet und dank der so grossen Liebenswürdigkeit des schweizerischen Chargé d' Affaires, M. J. de Stoutz, das erste Gesuch für die Bergfahrten in die Wege geleitet, als am dritten Tage die Bombe der Revolte platzte ( 14. Dezember 1960 ) und die Stadt zum Strassenkampfplatz machte. Statt Rucksackpacken war es nun ratsamer, in die Ecke des Hotelzimmers sich hinter feste Mauern zu verziehen, damit nicht aus dem Kugelregen, der fast drei Tage intermittierend herumspratzte, ein verirrtes Geschoss den Unbeteiligten erreichen konnte. Da in der entstandenen Wirrnis keine schnelle Erledigung zu erwarten war, wurde zwischen Weihnachten und Neujahr mit einem tatkräftigen Schweizer Pionier, E. Baumgartner aus Biel, der weit unten in der Provinz Anussi, in Chinina, das edle Handwerk eines Kaffeeherrn ausgeübt hatte, ein Seitensprung nach dessen Estate ausgeführt. Quer über den hier seereichen Graben ging es in den Raum des somalischen Südflügels und dann hinauf auf weite Mesaflächen, auf denen man schon nahe den 3000 m ist ( Fig. 1 ). Ein unbelohnter Optimismus trieb mich aber bald wieder nach der Kapitale zurück, um am Platz zu sein bei allfälliger Auf bruchs-möglich keit. Aber trotz der diplomatischen Hilfe brauchte es wiederum weit über eine Woche, um das Triebwerk richtig einzuhaken. Doch der Trubel der missglückten Revolution war geglättet, und die « freie Bahn » hatte sich nach Norden geöffnet, woselbst immer noch das Semién-Gebirge erstrebenswertes Ziel geblieben war!

5. Über Gondar dem Bergziel entgegen Der Luftverkehr ist in Äthiopien schon so populär, als wäre er immer dagewesen. Geht es eben nicht per Rad über die Pässe und Berge, so geht es schüttelfreier und schneller mit dem motori- sierten Vogel, weshalb denn auch die vielen von Addis Abeba ausgehenden Fluglinien vom einfachen Mann gerne benutzt werden. Mich trug ein nach Südwestarabien ausgehender DC-6er mit drei Zwischenlandungen über den Tana-See nach der 720 km entfernten alten Königsstadt Gondar im Zentrum des Landes. Auf diesem Flug waren es besonders zwei Objekte, die erspäht sein wollten: einmal das Tal des Blauen Nils und dessen Wasserfall und sodann, daran anschliessend, die weite Wasserfläche des Tana-Sees. Der Tana-See, im Zentrum des abessinischen Hochlandes gelegen, stellt in der Regenzeit so eigentlich das Ursprungssammelbecken des wasserreichen, östlichen Hauptarmes des Nils dar. Ihm entfliesst der junge Blaue Nil oder Abai und zieht eine weite Schlinge durch die Provinz Godjam, um dann nach Nordwesten seiner Vereinigung in Chartum mit dem Weissen Nil zuzustreben.

Wie wir aus unserer Luftposition auf das canonartige Tal des Stromes hinunterblicken, sind wir über die bescheidene Wasserfülle eher enttäuscht. Es ist aber winterliche Trockenzeit, während welcher keine starken Regengüsse oder Schneeschmelze aus den hohen Bergen den Strom nähren Wir wir uns dem Tana-See nähern, erkennen wir das weisse Band der Nilfälle, die den Flusslauf queren, und der Pilot paradiert unsern Luftvogel in niedrigerer Höhe vor den schäumenden Wasser-strähnen. Der Sturz vollzieht sich über eine ca. 40 m hohe Basaltstufe, die, aufwärts versetzt, in Jahrtausenden den noch ungefähr 30 km Luftlinie entfernten See einmal amputieren wird. Es ist ein eindrucksvolles Schauspiel, wie der junge Strom, in Gischt aufgelöst, über die Stufe stürzt. Die Einheimischen nennen seine Wut das « Brüllende Feuer ».

Wir landen in Bahar Dar am Südzipfel der Wasserfläche, wo nach gewissen hochfliegenden Plänen an Stelle der wenigen niedrigen Wohnstätten eine moderne Stadt entstehen soll. Einen vorgesehenen Aufenthalt lassen wir, eine grössere Verzögerung befürchtend, fallen und überfliegen den wenige flache Inseln enthaltenden See in der Richtung auf Gondar, das 50 km weiter nördlich liegt. Dies soll uns aber nicht davon abhalten, mit einigen Worten von diesem grossen Wasserbecken zu sprechen.

Der Tana-See, der in 1830 m Höhe liegt, übertrifft an Ausdehnung den Bodensee siebenfach, nicht aber an Tiefe, denn er ist sehr seicht, in den Uferzonen kaum über 10 m und in zentraleren Teilen wahrscheinlich keine 80 oder 100 m tief. Wenn man sich vorstellt, dass die rund um die flachen Ufer und niedrigen Hügel vorkommenden Seeablagerungen ( Sande und wenig toniges Sediment ) zufolge ihrer Ausbreitung für ein vorhistorisches ( diluvialesSeebecken eine noch doppelt über die heutige Seefläche sich ausdehnende Grösse anzeigen - und dies war nicht der einzige See im Innern Äthiopiens -, so gesellt ein solcher vorhistorischer See sich im Rang schon neben die grossen ostafrikanischen Seen. Zu dieser Zeit, gestaut durch alte Lavabarrieren, lag sein Wasserniveau mindestens 100 m höher als heute.

Dieses grosse und hochgelegene Seebecken hat wasserwirtschaftlich eine grosse Bedeutung, sei es für das darunterliegende Land zur Bewässerung, sei es für hydroelektrische Nutzbarmachung. Weil es der Wasserspeicher für das sudanesische Unterland, ja auch für Ägypten darstellt, so zeigten die europäischen Kolonialmächte England und Italien stets grosses Interesse für das Wasserbecken, weshalb es Gegenstand eingehender technischer, geologischer und meteorologischer Forschungen gewesen ist; die mit dem früheren Abessinien getätigten Kontakte und Kontrakte waren vielfältig und kompliziert. Nun ist unter den veränderten politischen Bedingungen eine gewisse Ruhe gefolgt, zumal man auf abessinischer Seite es nie gerne sah, dass durch eine Stauung die koptischen Klöster auf den Inseln unter Wasser gekommen wären.

Der Bergkranz um den Tana-See kommt nicht stark zur Geltung. Über den um die 4000 m liegenden Choké waren wir wie über einen breiten Jurarücken hinweggeflogen, und der entferntere und noch höhere Guna schien nicht vielmehr als ein Schafrücken zu sein.

Das Ende der Luftreise war der Flugplatz von Gondar, eine heute wieder allmählich erstarkende Stadt, nachdem sie im letzten Jahrhundert eher zu einer sterbenden Stadt geworden war. Anders war ihre Bedeutung in früheren Jahrhunderten, als sie die Residenz starker Fürsten geworden war ( Könige ). Im späten Mittelalter residierte hier der König Fusiliades, der sich durch die Portugiesen die trotzigen Burgen bauen liess ( Abb. 2 ), die noch heute als gut erhaltene Ruinen die damalige Stärke widerspiegeln, im Gegensatz zu dem banalen Flickwerk der Durchschnittsbauten der amharischen Einwohner. Nichtsdestoweniger ist Gondar eine schmucke Stadt, in der das Gouverne-mentsquartier einer recht sauberen, kleinen Gartenstadt gleicht, allseitig von Eukalyptuswald eingeschlossen ( Abb. 1 ).

Für die Semiénexpedition wurde dieser Ort zur wichtigen Etappenstation, denn in ihrer Residenz mussten die endgültigen Geleitschreiben bei der Obrigkeit eingeholt werden, wobei man mir mit grösster Gefälligkeit entgegenkam. Aber auch die eigentliche Ausstattung für die Biwaks, da ich ja quasi als Rucksacktourist bis hieher gekommen war, musste erstanden werden. In dieser Hinsicht kann ich dem Chefarzt Dr. O. Jaeger, vom hier stationierten « Health Service and Training Center » der UNO, nicht genug Dank sagen, da er mir wertvolle Ergänzungen im Expeditionsmaterial gewährte. Dessen Institution zeigt, wie die Hilfe der UNO sich erfolgreich auswirkt, den Lebensstandard hebt, Kranke pflegt und eine Equipe einheimischer medizinischer Kräfte ausbildet. Aber auch in der « lebendigen Untermauerung » meines kleinen Unternehmens bekam ich wertvolle Hilfe, indem mir Dr. Jaeger mit Zustimmung des Gouverneurstellvertreters einen jungen Amharen vermitteln konnte, ein Veterinärgehilfe, Saoudi Bitew, der das Semién-Gebiet schon kannte und sich als sehr dienstfertiger, aufrichtiger und intelligenter Begleiter erwies, von dessen Mitwirkung das gute Gelingen der Expedition nicht unwesentlich abhing. Auch für Proviantbesorgung lieferte ein italienisches Geschäft guten Rat und gutes Material.

Um einen Überblick über die Königsstadt zu erhalten, stieg ich auf einen von italienischer Befestigungsruine gekrönten Hügel. Die Semién-Landschaft, die administrativ auch zur Provinz von Gondar ( Godjam ) gehört, war freilich von hier nicht sichtbar - über 100 km Entfernung. Das Berggelände zeigt aber schon gleichartige Züge ( Abb. 1 ): langgestreckte, milde Rücken reihen sich nach Osten und Norden hintereinander, fast durchwegs bis über 3000 m ansteigend und von Niederbuschwald bedeckt. Im Vordergrund laufen sie in die grünen Hügel der Stadt Gondar über, wo im Eukalyptusbusch sich die Königsburgen abheben ( Abb. 1 ). Allüberall ist der nahezu horizontal abgelagerte « Trapp » als Gebirgsaufbau zu erkennen, was zu einer geologischen Durchquerung wenig anreizte. Als dann Mann und Maus verpackt waren, konnte endlich am fünften Tage - das koptische Weihnachtsfest war noch verzögernd dazwischengefallen - mit einem amharischen Autocar über weite Hügelrücken und Hochflächen mit schwacher Besiedlung 1, unserem ersten Standort der eigentlichen Bergreise, dem Marktflecken Debarek, zugestrebt werden.

6. Längs des Semien-Südrandes nach dem Buahit ( 4440 m ) Orographisch betrachtet, wollen wir hier als Semién-Gebirge - eher erweitert bei örtlich un-scharfer Begrenzung - das Bergland zusammenfassen, das innerhalb der grossen Flußschlinge des Takazzé liegt, das im Norden und Osten durch diesen Fluss selbst, im Süden aber durch dessen Nebenfluss, den Bellegés, umsäumt wird ( s. Fig. 2 ). Letzterem folgen wir zur Abgrenzung, aber nicht bis zu seinem Oberlauf, sondern wählen eine künstliche Linie im Westen, die mehr 1 Es ist bemerkenswert, dass der Weg auf dieser Bergstrecke auch an einigen jüdischen Siedlungen vorbeiführt. Es leben da Relikte von Israeliten, die Fallaghas, die sich rassisch von den übrigen Amharen nicht unterscheiden.

oder weniger von Debarek aus mit der Überlandstrasse nach Norden führt und westwärts ein niedriger werdendes Stufenland abgrenzt. Dieses offene und weiträumige Semién-Bergland wächst ganz allmählich aus dem zentralen abessinischen Plateau gegen Norden zu heraus, wohin es in allgemein sanfter Profillinie ansteigt, um da und dort, durch tiefere Gräben bedingt, mesaähnliche Bergstöcke zu bilden, die « Amba's » der Eingebornen. Eine breite Zone maximaler Kammlinien - eigentlich oft eher Mesaränder - erstreckt sich aus der Gegend von Debarek nach Ostnordost bis zum Mai Schaha-Tal, jenseits dessen tiefen Einschnitt das Kulminationsmassiv des Ras Degién ( 4560 m ) mehr NNO-Richtung einnimmt ( Fig. 3 ). Teilkämme in östlicher und nördlicher Richtung schliessen sich an die genannte Hauptkammlinie und geraten alsbald unter die Viertausenderlinie. Ein Wesenszug dieser Berge ist die steile, oft ganz brüsk einsetzende nördliche oder nordwestliche Felsfront. Je weiter nach Norden gelegen, um so mehr gliedern sich die massigen Berge in wilde Einzelformen, Kegel und Türme von oft phantastischem Aussehen. Tiefe Täler haben sich zwischen die schwarzen, meist gestuften Felswände eingerissen.

1Bruchlinien ( schematisch ) 2Bruchsenken ( bs ): ostafrikanisch-vorderasiatisches Gra- bensystem 3Bruchsenken ( bs ), meererfüllt ( Rotes Meer, Golf von Aden ) 4Junge Vulkane innerhalb der Bruchsenken 5Seen 6Andeutung der Gestalt des alten Schildes durch Formlinien ( Punktreihe ) 7Überland-Autostrasse erster Ordnung 8Landesgrenzenj Gr = Grundgebirge, d. i. paläozoisch-kristalliner Unterbau Weiss gelassen. Oberbau, d. i. die Sedimentformationen ( untergeordnet ) und die Trappformation ( vorwiegend ) Im Eckkärtchen:

1Alpine Gebirgszüge ( alpines Orogen ) 2Ostafrikanisch-vorderasiatisches Grabensystem 3Afrikanisch-arabischer Rumpf Abkürzungen:

Ab. Jos. = Abuna Josef M.B.

= Mai Belleges Ab. Mieda = Abuna Mieda M.S.

= Mai Schaha Ad. Adua N.F.

= Nil-Fälle Amb. al. = Amba alagi ( Pass ) R.D.

= Ras Degién Se = Semién- Gebirge Der gegebene Ausgangspunkt für den Besucher dieser Gebirge, der sich von Süden her ihnen nähert, ist der Marktflecken Debarek, der zwischen Eukalyptusbaumgruppen in 2850 m an der grossen Überlandstrasse gelegen ist ( Abb. 3 ). Die Strasse übersteigt dann den Kamm in malerischer Umgebung im Wolkefit-Passe in über 3000 m Höhe und windet sich über Adi Arkai zum Takazzé hinab, wo ihre Brücke nur mehr in ca. 850 m liegt.

In Debarek lud uns der Überlandautobus am frühen Mittag des 12. Januars ab. Eine Rücksichtnahme auf die Wetterkonstellation war nicht nötig; denn die stabile, winterliche Trockenheit mit täglichem Sonnenschein führte Tag für Tag ihr Zepter. Rascher Aufbruch war vorgesehen; aber trotz telegraphischer Bestellung brauchte das Bereitmachen der Pack- und Reittiere volle fünf Stunden; so ergab diese Wartezeit die nötige Ruhe, um den toten Buchstaben unseres amharischen Geleitbriefes von der Provinzialobrigkeit in die lebendige Gestalt des uns zu begleitenden Gendarmen umzusetzen: ein solcher, flintenbewaffnet, hatte unsere kleine Expedition gegenüber den angeblich noch nicht ganz ausgestorbenen « Tschifkas », den Räubern, zu beschützen! Damit war unser kleiner Trupp, der vielleicht als die kleinste Expedition, die je nach Hochsemién auszog, zu gelten hatte, beisammen, bestehend aus dem « Ferendscha », dem weissen Fremdling, und aus lauter braunen Gestalten: dem Interpreten Saoudi, dem Gendarmen und dem amharischen Treiber, drei Maultieren und einem Reitpferd.

Vor der kleinen, ostwärts wandernden Expedition lag ein eher sanftes Berg- und Hügelland, vorerst noch wenig von Runsen durchzogen, an welche sich der karge Baumbestand hält. Sonst breitet sich ein offenes Gelände aus, einer Savanne vergleichbar. Auf der ganzen Strecke ostwärts war überall deutlich, dass der Ackerbau, und weit weniger die Viehwirtschaft, die natürliche Pflanzendecke bis in grosse Höhen zurückgedrängt haben, vor allem durch den Anbau von Getreide ( Gerste und eine spezielle Hirseart ), der in der Umgebung der verschiedenen kleinen Siedelungen bis über 3500 m hinaufreicht. Von diesem Feldanbau war freilich nicht viel zu erkennen. Überall waren nur gelbe Stoppelfelder vorhanden, denn Erntezeit und Dreschzeit waren schon längst vorbei, und keine Blütenpflanzen erinnerten mehr an die Üppigkeit der Regenzeit. So stiess man in eine kahle Landschaft vor, die durch die Spärlichkeit geschlossener Siedelungen noch deutlicher hervortrat. Der eingeborne amharische Bauer lebt in zerstreuten Rundhütten, die allein oder zu einzelnen Gruppen vereinigt von einer Naturhecke oder einer Steinmauer umschlossen sind. So eine Einzel-hütte, ein « Tukul », ist eine recht primitive Wohnstätte ( s. Abb. 9,17 ) und verrät nicht die geringste Wohnkultur, so wie auch das Wohnhaus im geschlossenen Dorf oder in der Stadt einen recht banalen Eindruck macht: ein meist langgestrecktes, einstöckiges, von Wellblech bedecktes Gebäude, ohne Schmuck, das mit seiner Längsfront an einer holperigen Dorfstrasse steht. Der « Tukul » des Landbauers ist stets ein Rundbau, bestehend aus einer rohen Steinmauer ohne Fenster oder oft auch nur aus unregelmässigen Holzsparren oder Ästen ( Abb. 16 ). Auf diesem niedrigen Unterbau liegt ein konisches Strohdach, wozu Getreidestroh oder Erikastauden verwendet werden. So ist begreiflich, dass kein Fremder und selbst seine Begleiter in einer solchen, innen ebenfalls primitiven und meist reichlich besetzten Hütte Nachtlager beziehen. Eine Biwakausrüstung ist deshalb für den Bergwanderer in Äthiopien Voraussetzung für sein Weiterkommen. Solche bescheidene « Dörfer », die meist weit auseinandergelegen sind, fügen sich auch nach der Farbe und Form sehr in die Landschaft ein, so dass sie aus Distanz geradezu unsichtbar werden und man bei einem ersten Flug über äthiopischen Boden glaubt, die Landschaft sei menschenleer, trotzdem sie streckenweise gut besiedelt und voll der unscheinbaren Tupfen der Wohnstätten ist. Nach der ersten Halbtagsetappe wurde recht spät bei der so rasch hereinbrechenden Dunkelheit beim Weiler Miligebsa genächtigt. Es war ein kaum 1 cm dicker Rasen, verdorrt, hart und zerrissen, auf dem in so später Stunde eine frische Nacht durchwacht wurde. Das Aneroid zeigte schon 3150 m Höhe.

Die früh begonnene Tagesreise querte bald tiefer eingeschnittene Rinnsale mit ausgedehnterem Buschbestand, also eine schon etwas grünere Landschaft. Buschförmige Hypericum-Arten ( Jo-hanniskraut ), baumförmige Juniperus-Vertreter, Akaziengestrüpp, rankende Clematis-Arten ( Waldrebe ), wilde Ölbäume, über mannshohe Kugeldisteln ( Abb. 18 ) und an die Heimat erinnernde blühende Heckenrosen ( Rosa abessinica ) konnten im Vorbeigehen erkannt werden. Einmal kam der gelegentlich auch Felsgelände flankierende Pfad sogar schon an die nördliche Wasserscheide, wo die von Norden her stärker eingreifende Erosion die südwärtigen, nach dem Bellegés-Tal gehörenden Gewässer angezapft hatte ( Sankhaber-Pass ). Dann ging es wieder, entlang dem Ambaras- Abkürzungen:

Amb. = Ambaras, 4100 m Ar = Arghen Av = Averghen BW = Berotsch Woha, 4555 m Lag = Lagata, 4480 mKiddis Arit ) Mil = Miligebsa Signaturerklärung:

H = Hauptkammlinien M = Andeutung der Stufungen d. i. Umrandung der Mesa'sAmba's ) R = Reiseweg P = Wichtiger Pass oder Brücke Rücken über die Waldgrenze hinauf, die hier tiefer lag als gewöhnlich ( 3700-3800 m ). Ausgedehnte Bestände von Heidekraut ( Erica arborea ), baumförmig hohes Gestrüpp bildend, erinnert an mediterrane Vegetationsbilder. In diesem Grenzbezirk erfreuten auch die niedrigen kugeligen Büsche einer Immortelle ( Helichrysum citrispinum ) das Auge ( doch wehe, wenn man unvorsichtig nach diesen weisslichen Strohblümchen greift, denn der Strauch besitzt versteckte Dornen ).

Am zweiten Abend, in der Nähe des Weilers Averghen, fanden wir endlich das so sehr vermisste Wasser, allerdings nur in wenig einladenden Rinnen und Pfützchen. Auf dichtgehäuftem Getreidestroh ward nun das Zelt aufgeschlagen. Von seinem Eingang aus schweifte der Blick über die daruntergelegenen « Tukuls » nach Süden und Osten zu den horizontalen Kammlinien, welche die tiefeingeschnittenen Ursprungstäler des Mai Bellegés begleiten. Allüberall sieht man die geraden Ausstrichlinien des vulkanischen « Trapps », dessen riesige Mächtigkeit wir eben kurz zuvor nächst der Wasserscheide ( Gitsche, Abb. 4 ) angestaunt hatten. Friedliche Bauern und neugierige Kinder umstanden bald den Zeltausgang und drängten einwärts, um zu sehen, was der « Ferendcha » auf der eigenartigen Kochmaschine sich zum Abendbrot herrichtete. Knorrsuppen und Büchsenfleisch waren für sie unbekannte, aber wohl auch unerwünschte Dinge.

Am dritten Tag des Anmarsches und Rittes blieb man an das rechtsseitige Gehänge des oberen Bellegés-Tales geheftet und kam auch zur Hauptkirche der zur Gemeinde Ambaras zusammengefassten Weiler. Solche, meist einsam stehende koptische Kirchen sind Rundbauten wie die Wohnstätten, so dass sie sich nicht stark von den letzteren unterscheiden, ausser dass sie etwas stattlicher und stets von einer Baumgruppe beschattet sind. Wir kamen zur San Michele-Kirche, die, in ca. 3600 m Höhe gelegen, wohl eines der höchsten Gotteshäuser ist. Vor der sie umgebenden niedrigen Mauer machten meine Leute ehrfürchtig Referenz; sie war aber, wie gewöhnlich die koptischen Kirchen ausserhalb des Gottesdienstes, geschlossen.

Ein ansehnlicher Höhenverlust leitete wieder ins Tal hinab, zwischen horizontalen Felsbändern dahinführend. Dies war der Ort für einen grossen Trupp von Pavianen, die auf den Felsköpfen herumturnten und anscheinend ohne Scheu waren. Diese langhaarige Affenart, mit einem hunde-schnauzenartigen Gesicht und gesellig zusammenlebend, ist so recht der Bergbewohner, denn wir fanden sie später am Ras Degién wieder in ca.4000 m Höhe und ihre « Touristen » zählen vielleicht sogar zu den Erstbesteigern des höchsten Berges des Landes!

In Arghén, der letzten Ansiedlung des Bellegés-Tales, waren wir wieder auf ungefähr 3300 m hinabgestiegen, hatten dann aber als östlichen Talabschluss den zweit- oder dritthöchsten Berg vor uns. Dieser, der Buahit, zeigt sich aber kaum als eine alpine Majestät, wie seine Höhe von 4410 m eigentlich wirken könnte, sondern er steht wie ein alpiner Vorlandsberg da, mit einem felsigen Stehkragen. Sein Gipfelgebiet trägt nur ausnahmsweise - in der Regenzeit - eine kleine Schneehaube, liegt also noch unter der Firnlinie Anders war es aber sicherlich während der Glazialzeit, die in diesen Breiten sich als Pluvialperiode ausnahm. Doch sind die Spuren einer Vergletscherung am Buahit nicht sehr in die Augen fallend. Einmal ist das Moränenmaterial gewöhnlicher Schuttdecke sehr ähnlich, und die Oberflächenbearbeitung durch eine Eisdecke konnte nur ganz gering sein, denn für eine grössere Eisdecke fehlte an diesem Berg auch das Einzugsgebiet. Das Tälchen, das vor uns zur Gipfelregion hinauf leitet, hat denn auch ziemlich reine Erosionsform. Wir werden beim Anstieg auf den Ras Degién nochmals auf die Glazialfrage zurückkommen.

Unser Lager von Arghén war unter einem hohen Kussobaum aufgeschlagen, inmitten grosser Getreidestrohhaufen und endlich einmal in der Nähe von fliessendem Wasser. Der Kusso ( Hagenia abessinica ), ein Gewächs aus der Familie der Rosaceen, hat in Äthiopien eine grosse Verbreitung und ist ein Baum des Hochlandes. Der Absud aus seinen Blüten, die übrigens einen ekligen Geruch besitzen, ist ein probates Mittel für Darmreinigung bzw. gegen den in Äthiopien so verbreiteten Bandwurm ( Rohfleischgenuss sehr gebräuchlich !). Ich sah die grossen hängenden Trauben voll rötlicher Beeren. Freundliche Bauern, Männlein und Weiblein, erschienen bald vor dem Zelt und boten uns kleine Eier und struppig-magere Hühner an. Das schöne Geschlecht hatte gar keine Scheu vor dem Fremden und präsentierte sich ungeniert in seinen nicht mehr gerade blendendweissen Schamas ( Hülltuch ) vor der Linse ( Abb. 19 ).

Am vierten Tag waren wir bereit für den Aufstieg auf den Buahit ( Abb. 5 ). Das oberste Bellegés-Tal bekam bald mehr alpinen Charakter, der freilich seine afrikanische Note aufweist. Diese wird ihm vornehmlich durch die Typuspflanze der Hochregion, die Lobelie ( Rhynchopetalum montanum ), gegeben, von den Einheimischen Gibarra genannt. In einzelnen Exemplaren hatten wir die Gibarra schon am ersten Tage bei Miligebsa in 3200 m angetroffen; ihre Hauptverbreitung liegt aber zwischen 3700 m bis über 4000 m. Die grösseren Bestände nehmen sich wie ein abgebrannter Wald aus, weil sie durchsetzt sind von den bis zu drei Meter hohen abgestorbenen Blütenschäften ( Abb. 6, 10 ), die wie Stämme oder Stangen aufragen. Die Lobelie ist eine Pflanze, die bei flüchtiger Betrachtung wegen ihrer Blattwedel einer Palme gleicht, mit ihr aber botanisch nichts zu tun hat, denn sie gehört in die Familie der Campanulaceen. Aus der Blattrosette wächst ein hoher Blütenschaft heraus - es gab zu unserer Zeit keine blühenden Exemplare -, der die kleinen bunten Blüten trägt. Nach der Blüte stirbt die Pflanze ab, und es bleiben nur die allmählich vertrocknenden Schäfte übrig. Am Tschennek-Pass, den wir gegen Mittag erreichten ( Abb. 6 ), standen erstmals geschlossene Bestände vor uns, und wenig darüber bot sich uns der imposante Tiefblick in die nördlichen Täler, in die « Trapp»-Wände in riesigen Abbruchen zur Tiefe stürzen. Die sonst flache Kammlinie des Ambaras löst sich in eine Folge von Einzelbastionen auf ( Abb. 7 ).

Noch befinden wir uns auf dem steinigen Verbindungspfad, der vom Mai Bellegés-Tal ins östlichere Mai Schaha-Tal hinüberführt. Er steigt bis ungefähr 4100 m hinauf und ist der meist- .'begangene Saumpfad, den die dies- und jenseitigen Bauern benützen, um zum Markte zu gehen. Ein kleines altes Bäuerlein kam eben mit seinem mit Getreide beladenen störrischen Eselchen über die Felstreppen der Passhöhe, hatte aber noch Zeit, vor uns sich ehrerbietig zu verbeugen, wie es bei den Amharen üblich ist, dem dann gewöhnlich ein Sichverküssen folgt.

Zum Gipfel des Buahit ging es ohne Schwierigkeit über « Trapp»-treppen ungefähr 300 m weit hinauf, und dann standen wir auf einem der höchsten Häupter Nordostafrikas ( Abb. 8 ). Im Fernblick verschmolz der weite Süden und Westen in ein Schachbrett eines wenig betonten Berglandes. Kräftiger hob sich im Norden das in bizarre Tafelberge aufgelöste Vorland ab, und in der Nähe im Nordosten und Osten die ungefähr gleichhohen Semién-Gipfel, unter ihnen der Ras Degién als langgezogener, vielgipfliger Gratrücken. Die dazwischenliegende weite und klaffende Tiefe des Mai Schaha-Tales mussten wir fast für einen kleinen Dämpfer für die Fortsetzung der Bergwanderung empfinden, ergab sich doch zuerst ein langer Abstieg und dann wieder ein Neuaufstieg auf einen unserm Standort gleichhohen Gipfel.

Zum Abstieg benutzten wir einen direkten Weg nach Osten, über unschwierige Felsköpfe ( Abb.9 ), ein Eldorado für die uns beobachtenden « Baboons », die schon erwähnten Paviane, die sich vielleicht über unser langsames Fortkommen lustig machten. Erst tief unten kamen wir in den Karawanenweg, den unser Tross von der Gratlücke ab benutzt hatte. In einer Meereshöhe von ca. 3400 m, bei den armseligen « Tukuls » von Girolavo, fanden wir die Zelte, wenn auch etwas schief, von unserem amharischen Treiber schon aufgestellt. Nach einer etwas unruhig verbrachten Nacht - zum Teil war daran auch die empfindliche Kälte Schuld - traten wir an einem schönen Morgen in den Degién-Abschnitt unserer Semién-Fahrt über, der zuerst ein kurzer Überblick über allgemeine orographisch-morphologische Fragen des Gebietes vorangestellt sei.

7. Der Talabschluss des Mai Schaha-Tales und seine Hochgipfelumrandung ( Ras Degién, 4560 m ) Wenn man ein Gebirgsland durchwandert, so ist der flinke Talbach, der zwischen Blöcken schäumend dahineilt, ein lebendiges Merkmal, das man nicht gerne misst. Diese Landschaftsbelebung fehlte bis anhin auf unserer Semiénfahrt, da sie in die ausgesprochenste Trockenzeit fiel. Dieser Zustand änderte nun mit Erreichen des Mai Schaha-Tales in bescheidener Weise. Ein Weiterabstieg vom Girolavo-Biwak um ca. 500 m führte zum tiefen Einschnitt des Mai Schaha. Mit seinen vielen, teils schluchtförmigen Verzweigungen sammelt dieses Flußsystem genügend Wasser, um einen ansehnlichen Abfluss nach Süden zu führen. Wir erreichten das willkommene Nass in ca. 2900 m und machten natürlich einen ausgiebigen Wasch- und Putzhalt, welch überflüssiger Beschäftigung unser Amharbauer verständnislos zusah.

Ein anderer Vegetationsbestand hatte sich eingestellt, der auf eine grössere Trockenheit hinweist, als sie oberhalb des Schluchttales besteht. Dort, in der Höhe einer im weiten Talhintergrund erhalten gebliebenen alten Einebnung, auf der sich beiseitig des Tales die wenigen Weiler ( Girolavo, Atgeba, Georgis, Abo u.a. ) befinden, besteht Getreidebau, hier unten aber, im menschenleeren jungen Einriss, haben xerophytische Pflanzen Fuss gefasst, wie die typische Kandelaber-Euphorbie ( Euphorbia candelabrum ), zu unserer Zeit dicht mit kleinen, roten Früchten besetzt. Wir steigen linksseitig wieder auf die alte Stufe hinauf und halten von Abo aus, wo unser Degién-Biwak ersteht, Umschau auf den weiten Talhintergrund, was uns dazu verhilft, eine flüchtige geographische Skizze dieses Kernteiles des Semién-Hochlandes zu entwerfen ( Fig. 3 ).

Topographisch ist durch die ausgeführte Triangulation und erweiternde photogrammetrische Aufnahme von ganz Hochsemién durch Prof. Jos. Werdecker ( Darmstadt ) in drei längeren Expeditionen ( 1953-1957 ) eine ausgezeichnete Grundlage geschaffen, wie sie für andere Teile Abessiniens noch nicht besteht. ( Das endgültige Werk und die kartographische Darstellung liegen noch nicht vor. ) Unsere Skizze, die sich an vorläufige Skizzen des genannten deutschen Autors hält, zeigt, dass das Quellgebiet des Mai Schaha von drei wesentlichen Hochbezirken eingerahmt wird, die alle bedeutend über 4000 m emporragen und insbesondere im Kamm des Ras Degién mit einer hohen Felsflucht gegen das obere Mai Schaha-Tal abbrechen. Diese Gesamterhebung trägt heute nirgends eine Dauerschneedecke; vorübergehende Einschneiung mag in Schlechtwetterperioden, also während der Regenperiode zwischen Mai und Oktober, wohl stattfinden. Auch rasch dahinziehende Unwetter der Trockenzeit überstreuen die hohen Grate mit etwas Schnee, Hagel und Graupeln. Als Ganzes ist das Semién-Gebirge aber unter der Firnlinie gelegen, die nach klimatischen Überlegungen und vergleichsweise wenig über den höchsten Gipfeln liegen mag, also in ca. 4800 m Höhe.

Es hat sich gezeigt, dass bei den grossen Vulkanen Ostafrikas ( Kilimandscharo, Kenya, Ruvenzori ) die diluviale Schneegrenze ca. 1200 m unter der heutigen lag. Wenn man analoge Bedingungen in der Klimaverschiedenheit für das äthiopische Hochgebirge annimmt - diese Parallele ist zulässig -, so lag im Semién-Gebirge über einer Schneelinie der niederschlagreichsten Diluvialzeit ( Riss ), in welcher dieselbe also um 3600 m gelegen haben dürfte, « Ewigschnee ». Dazu kommt noch, dass auf der zwar für die Eisbildung weniger geeigneten Süd- und Südostseite von Hochsemién auf weite Strecken ein plateauartiger Charakter der Berge bestand, weshalb bedeutende Schneemassen in grosser Höhe sich hier ablagerten. Dies alles beachtend, ergeben sich für das Semién-Gebirge also Transportreste ( Moränen ) und Oberflächenformen aus einer diluvialen Gla-zial- bzw. Fluvialperiode. Solche müssen somit ganz besonders in den weiten Verzweigungen des Mai Schaha-Tales vorhanden sein. Nun aber ist vorhandenes Moränenmaterial recht einheitlich und von gleicher vulkanischer Beschaffenheit wie gewöhnliches Schuttmaterial, was für die Erkennung besondere Aufmerksamkeit verlangt. Auf unserem Wege hat der Verfasser nur dürftiges Glazialmaterial angetroffen. Nach schönen Rundhöckerformen der Alpen sucht man vergeblich, was eben teils der postglazial tätig gewesenen starken Abwitterung zuzuschreiben sein wird. Die in neuerer Zeit um die Erforschung des Semién-Gebirges verdienten Gelehrten, wie E. Nilson, H. Scott und J. Werdecker, haben von zahlreichen Stellen verkittete alte Moräne, Wälle oder Schliff-reste gemeldet, so dass an der diluvialen Vergletscherung des Semién nicht zu zweifeln ist. Der Verfasser beobachtete besonders oberhalb Girolavo eine grössere Blockschuttanhäufung, die mit einem Mai Schaha-Gletscher in Zusammenhang gebracht werden kann. Ein solcher Eisstrom muss also das damals noch nicht so tief eingesägte Tal bis weit hinab erfüllt haben, denn J. Werdecker hielt im Bild in 2700 m Höhe eine deutliche Wallmoräne fest, und Nikon, als erster, hatte einen Aufschluss von verkitteter Moräne in 2600 m Höhe entdeckt. Aus diesen Vorkommen wird auf eine damalige Schneegrenze in einer Höhenlage von 3600 m geschlossen.

Neben diesen tiefliegenden Altmoränen gibt es aber auch Glazialreste in den Gipfelgebieten bzw. in kleinen absteigenden Tälchen. Auf sie hat zuerst besonders Nikon hingewiesen und sie der letzten Eiszeit der Alpen ( Wurm ) gleichgestellt, die in der Pluvialzone Afrikas ( Kenya ) als Gamblian bezeichnet wird, während die grosse Eiszeit ( Riss ) dort mit der Kanyeran Pluvialperiode verglichen wird. Werdecker denkt für diese hochgelegenen und kleinen Moränen eher an die Rückzugsstadien der Eiszeit. Neuerdings hat nun J. Hövermann geltend gemacht, dass diese jüngsten Gletscher-stadien im Semién überhaupt historischen Alters seien. Er unterzog alle älteren Reiseberichte in weitem Umkreis einer Überprüfung bezüglich der Angaben über Einschneiung und Aperkeit, also über Schneegehalt, und so glaubt dieser Forscher daraus mit Bestimmtheit entnehmen zu können, dass seit dem 16. Jahrhundert sich Perioden von stärkerer Einschneiung - und somit bescheidener Vergletscherung - folgten, welche sich im 19. Jahrhundert besonders gut abheben und mit analogen Perioden in Mitteleuropa sich decken lassen. Trotz der Sorgfältigkeit der Prüfung mag die Zuweisung der spärlichen jungen Moränenreste in die historische Zeit nicht recht zu überzeugen, da eben die Nachrichtenquellen etwas « gebrechlich » sein dürften.

Von der auflagernden losen Schuttdecke begeben wir uns nun zur Betrachtung ihrer Felsunterlage, die im Mai Schaha-Zirkus überall ansteht und in den Kammlinien in finsteren Felswänden über einem stark zerschnittenen Gelände hinwegstreicht. Von der engen Taltiefe bis hinauf zu den Graten ist mit wenig Nuancierung die schon genannte « Trapp-Formati on » gebirgsauf bauend. Ihre Bänke weisen eine ganz geringe Neigung auf oder sind meistens horizontal gelagert. Wo Neigung vorhanden ist, geht sie meist nach Süden oder Südwesten und wechselt nördlich der Hauptkammlinie in kaum wahrnehmbare Nordneigung ( auch südlich kommt sie lokal vor ). Erst im Nordrand des Semién-Gebietes, am Takazzé-Flusse, kommt dann das alte kristalline Grundgerüst zum Vorschein, und eine sandig-tonig-tuffogene Zwischenstufe trennt dasselbe von der überlagernden vulkanischen Trappstufe. Bei den angeführten Lagerungsverhältnissen ergibt sich für die Trappformation des Mai Schaha-Tales eine enorme Mächtigkeit, die um die 2000 m liegt. Solche Gleichartigkeit des Aufbaues und des Baumaterials bewirkt natürlich eine gewisse Gleichartigkeit und Eintönigkeit in morphologischer und tektonischer Hinsicht.

Nach dem Magmacharakter ist der « Trapp » eine basaltische Lava, die zu einem blauschwarzen, gutgebankten Gestein erstarrt ist und gewöhnlich eine quere, säulige Absonderung aufweist. Daneben kommen aber auch saurere Zwischenlagen ( trachytische ) vor, und gerade bei Girolavo durchstiegen wir ganz lichte Gesteinstypen ( Rhyolithe ?). Auch steilgestellte basaltische Gänge durchsetzen die horizontale Basaltfolge. Man mag sich fragen, wo und wie beschaffen der Austritts-punkt dieser als Ganzes basischen Lavamasse liegt? Einen deutlichen Vulkan enthält das ganze Gebiet nirgends, demzufolge man deren Entstehen längs Spaltenergüssen denken könnte. Auf alle Fälle lag eine äusserst flüssige Lava vor, die sich über enorme Flächen ausdehnen konnte, ohne zu erstarren. Dies trifft z.B. für die gleichfalls basaltischen Laven der Hawai-Inseln zu, wo sie einen ganz flachen Vulkanschild, den Kilauea, aufgebaut haben. Ein solcher recht plausibler Vergleich mit einem hawaiischen Vulkan hat für Semién E. Nilson gemacht, und im Gebiet von Ras Degién-Berotsch Woha einen grossen ehemaligen Kraterring vorausgesetzt, für dessen wirkliches Bestehen ( die Erosion hat ihn verstümmelt und abgetragen ) der Beweis noch zu liefern ist. Leider kamen wir nicht in das Gebiet nordöstlich des Mai Schaha-Tales, wo man eventuell eine peri-zentrische Anordnung der Lavadecken erwarten könnte; das Vorkommen von mehr massigen Vulkaniten ( nur Sichtbeobachtung ) in der Gegend des Selki-Passes könnte mit dem Bestehen eines dortigen Vulkanzentrums in Übereinstimmung gebracht werden. Das Bestehen solcher Schildvulkane wird noch für andere Teile Äthiopiens geltend gemacht, was ein Zusammenfliessen der enormen Trappdecken zu den weiten vulkanischen Flächen erklärlich machen würde.

In einem solchen weitgespannten Kraterring läge auch der Ras Degién, und zwar in der allernächsten Südumrandung. Seine Gesteinslagen zeigen noch eine ganz minimale Südneigung, liegen aber praktisch horizontal ( Abb. 15 ).

Über diese Stufen steigen wir folgendentags, verspätet von Abo aufbrechend, hinan; Ziel ist der Ras Degién l. Bis in eine Höhe von 3700 m haben die Abo-Bauern den Boden für den Getreide- 1 Die Bezeichnung Degién findet man, je nach Sprachzugehörigkeit und phonetischer Konzeption des Autors, verschieden niedergeschrieben. Der Italiener ( vorhandene Karten ) schreibt Ras Dascian, der Franzose Dachan,

Äthiopien

( Bilder 29-52 ) Photos 1-4, 6-12 und 16-24 von Dr. M. M. Blumenthal, Minusio Photos 5 und 13-15 von Prof. Dr. J. Werdecker Abb. 1 Überblick über das Gelände der Stadt Gondar. Aus dem Eukalyptuswald schauen die Häuser des moderneren Teiles ( Gouvernements-gebäude usw. ), in der Bildmitte ( weisses Gebäude ) das Hotel Ilteghe Menen ( Kaiserin von Äthiopien ) und rechts davon ( 2 cm ) die alten Königsburgen ( Abb. 2 ) Abb. 2 Im Burgbezirk von Gondar. Spätmittelalterliche von den Portugiesen erbaute Königsburgen liegen am heutigen Stadtrand. Vordergrund Heckenrosen ( Rosa abessinica ) Abb. 3 Der Markt von Debarek, Ausgangspunkt der Bergreise. Im Vordergrund amharische Bauern und ihre Kinder, dahinter die Frauen an der Wasserpumpe. Niedrige wellblechbedeckte « Geschäftshäuser » umrahmen den weiten Marktplatz, und Eukalyptus-Baumgruppen umgeben wie gewöhnlich den Ort Abb. 4 Erstes Erreichen der NW-Abstürze beim Gitsche ( etwa 3500 m ). Niederbusch ( Erika-Sträucher, linksseitig ) ersetzt das Ackerland. Gewaltig tiefe Bacheinrisse werden überragt von schwarzen, nahezu horizontal geschichteten Trappgesteinsfelsen ( alte Basaltlava ). Im Vordergrund unser amharischer Treiber. Beachte die einheimische Sattelform auf meinem Reittier Abb. 5 Der Buahit ( 4440 m ) von der Südflanke des Berotsch Woha gesehen. Über die Äcker und Weiden von Dibil ( Vordergrund ) geht der Blick nach den praktisch horizontalen Bänken des « Trapps » im Gipfelgebiet. Links der Gipfel des Mesarera ( 4360 m ), rechts oben die Anrisse des obersten Ansia-Tales; links unten die Anrisse des Mai Schaha-Systems Abb. 6 Lobelia-Vegetation in etwa 3700 m am Tschennek-Pass. Hohe abgestorbene Blütenschäfte und Blattrosetten dieser typischen Hochlandpflanze treten an den Rand ( Gratzacke !) des NW-Absturzes gegen das Ansia-Tal Abb. 7 Blick vom Tschennek-Pass auf die Abstürze des Ambaras ( etwa 4000 m ). Das nach SE flachgebösch-te Trappmassiv ( Abb. 5 ) bricht mit fast 1000 m hohen Abstürzen in das oberste Ansia-Tal ab ( Standpunkt Gratzacke der Abb. 6 ) .'fi'.Abb. 8 Auf dem Gipfel des Buahit, 4460 m. Zwischen den Lavablöcken ( « Trapp » ) der flachgewölbten Gipfelkuppe meine beiden Begleiter, der alte amharische Interpret Saoudi und der freundliche Gendarm mit seinem Vetterli-Gewehr. Unter der dicken Nachmittags-Wolkendecke in der Ferne der geradlinige Gratverlauf des Degién-Massivs Abb. 9 Rückblick auf die Buahit-Kette von Osten her ( Biwak Girolavo ). Der vorliegende Ostabfall des Berges repräsentiert bis zum Zeltlager - dahinter die Eingeborenen-Rundhütten - einen stufenförmigen Abhang von etwa 1000 m Höhenunterschied. Im unteren Teil bis etwa 3500 m Getreidestoppelfelder, dann Niederbusch und darüber die Trapp-Felsstufe der Gratregion Abb. 10 /m Anstieg zur Degién-Lücke. Gruppen von Rhynchopeta-lum montanum, die Lobelie, und kleine Wasserrinnsale geben der Landschaft ihr afrikanisch-alpines Gepräge ( Höhe etwa 3900 m ). Im Vordergrund die Lobelia-Blatt-büschel, dahinter Gruppe abgestorbener Blütenschäfte ( Grössenverhältnis zu den Personen !) Abb. 11 Die nordwestwärtigen Gipfelabstürze am Abba Degién ( 4450 m ). Kleine Schneebänder rühren von vorangehenden Gewittern her. Schneebedeckung in grösserem Ausmasse gibt es nur zur Regenzeit, und das Niveau ständiger Schneebedeckung ( Schneelinie ) läge bedeutend über dem Gipfelniveau, vielleicht in 4800-4900 m

Abb. 12 Der Übergang der mesa-förmigen Bergklötze ( Kammregion ) in die nördlichere Gruppe türm- und kegelförmiger Einzelberge. Diese Bergfassade repräsentiert die linke ( westliche ) Talseite des nordwärts absteigenden Ansia-Tales. Am rechten Bildrand die Kegelberge ( s. auch Abb. 23 ) Abb. 13 Die Kette des Ras Degién, gesehen aus Nordwesten. Es reihen sich aneinander von links nach rechts ( NE-SW ): Der Tafaou Leser ( 4460 m ), der Ras Degién-Mittel-gipfel ( 4560 m, mit Schneefleck ), der Westgipfel ( 4558 m = « Ankua » ) und der Abba Degién ( 4450 m ) mit anschliessendem Südwestgrat

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Abb. 14 Blick aus Nordwesten auf die Kulminationspartie des Ras Degién. Links der Mittelgipfel ( 4560 Meter ), rechts der Westgipfel; horizontale Trapplagen Abb. 15 Blick vom Mittelgipfel auf den Westgipfel und die gestuften nördlichen Trappabstürze. Am linken Bildrand der Abba Degién ( dunkel ), im Hintergrund über das Mai Scha-ha-Tal hinweg die Silhouette des Buahit und ( ganz rechts ) der Ar-kuasié-Pass ( schwach kenntlich die Geländesporne der alten Talbodensysteme ) Abb. 16 Blick vom Biwak in Lori auf die Kette des Emiét Gogo ( 3930 Meter ). Zwischen dem Rücken des Vordergrundes ( etwa 3400 m ) und dem Steilhang des Emiét Gogo liegt 1200 m tiefer das Ansia-Tal und dessen Fluss. Hinter den Biwakzelten liegt ein primitives Eingeborenen-Rundhaus, nur aus Holzsparren gezimmert und mit Strohdach Abb. 17 Der Tomamba-Felsklotz, Teil der in Einzelberge aufgelösten Nordzone. Im Mittelgrund ein etwas « komfortableres » Rundhaus ( Steinmauer !). Weiler Lamo ( Biwakort im Ansia-Tal ) Abb. 18 Kugeldistel imGehänge bei Lori. Diese Distelformen ( Echinops gigantea ) können noch bedeutend grössere Stauden formen, sie tragen blaugraue, schöne Blütenkugeln Abb. 19 Amharische Bauernfrauen machen ihre « Aufwartung » vor unserem Zelt in Arghin. Die sonst sehr dünnen Schamas ( baumwollene Hülltücher ) sind hier ersetzt durch dicke Woll-tücher von fragwürdigem Weiss Abb. 20 Amharische Bauern am Epi-phanie-Feste ( Dreikönigstag ). Die in saubere Schamas gehüllten Bauern sprechen eifrig dem ad hoc fabrizierten « Bier » zu; sie trinken es aus trockenen Kürbissen oder auch gar aus Kuhhörnern ( links !) mit ausgeprägter Ruhe Abb. 21 Das Timkat- ( Epiphanie- ) Fest vor der Kirche in Lori. Hinter den feiernden Bauern die in ihrem « modernisierenden » Umbau auf das Timkat-Fest nicht fertig gewordene Gemeindekirche ( Steinrundmauer !) Abb. 22 Tiefblick von Lori aus in das Tal des Ansia-Flusses. In mittlerer Höhe der Emiét Gogo-Kette erkennt man die breite mesaartige Stufe, die einen Rest eines alten Talbodens anzeigt. Im Vordergrund Heckenrosenstrauch Abb. 23 Die « Trapp»-Kegelberge bei Loma ( Tada-Kegel ). Ein Ausschnitt aus den Einzelbergen der nördlicheren Zone mit schon reichlicher Macchia-Vegetation Abb. 24 Das islamitische Dorf Aou-sa mit den Golagol-Felsklippen. Zwischen und unter den hohen Ficus-bäumen und Bambusstauden in mehr geschlossener Siedlung die kleinen Rundhäuser dieser mohammedanischen Enklave, darüber die isolierten « Trapp»-Zacken bau in Anspruch genommen. Darüber beginnt allmählich der « abgebrannte Wald », die Gibarra-Vegetation ( Abb. 10 ), und endlich gibt es darin wieder einmal ein kleines, fliessendes Wässerchen. Ohne touristische Schwierigkeiten, aber zufolge der respektablen Höhe mit einem lästig forcierten Schnauf wird die obere Steilstufe, die Degien-Lücke ( ca. 4200 m ), erreicht. Es stellte sich uns hier der Entscheid, welchen der verschiedenen Gipfelpunkte in der lang sich hinziehenden Gratzone man als zu erstrebendes Ziel zu wählen hatte. In meinen Händen lag allein die kleinmaßstäbliche italienische Karte ( 1:400 000 ), welche für die engere Topographie und Toponymie ganz unzureichend war. Im Vertrauen auf die Ortskenntnis meines Interpreten wurde über kleine Felsstufen hinweg einer westlichen, felsigen Anhöhe zugesteuert, die er als Gipfelpunkt bezeichnete, wozu ich freilich schon während des Anstieges mein grosses Fragezeichen setzte. Es war dann wirklich auch ein Satellit des Hauptherrschers, der Abba Degién ( 4450 m ), wie sich dies erst zu spät abends herausstellte ( und wie dies auch Prof. Werdecker fand ). Der eigentliche « Primus inter pares », die Kulminationen des Ras Degién-Westgipfels ( 4558 m ) und Mittelgipfels ( 4560 m ) lagen noch einige hundert Meter weiter nordöstlich ( s. Abb. 13 ).

Um Unklares zu bereinigen, ist es nun am Platze, einige Bemerkungen über die Gipfeltopographie und Gipfeltoponymie hier einzurichten, wie sie sich aus den neuesten Aufnahmen von Professor J. Werdecker ergeben haben, die mir aber erst später in der schweizerischen Studierstube vorlagen.

Das zentrale Degién-Gebiet ist schon recht frühzeitig ein topographisches Untersuchungsobjekt gewesen. Eine geodätische Aufnahme hat der französische Topograph A.d'Arbadie schon 1840 ( publiziert 1860 ) ausgeführt. Seine Höhenbestimmungen kamen dann bis in die heutige Zeit in alle Karten, und der Ras Degién figurierte darin mit 4620 m Höhe, ja später hob man ihn in einer italienischen Karte sogar über die 5000 m hinauf, was unzutreffend ist. Die neueste exakte Bestimmung ( Triangulation und photogrammetrische Zwischenaufnahme ) durch /. Werdecker erniedrigte ihn auf 4560 m. Der Kulminationsabschnitt des Ras Degién ist ein nordöstlich-südwestlich verlaufender, mancherorts breiter Kamm ( Abb. 13 ), der gegen Nordwesten in mächtigen gestuften Abbruchen abfällt ( Abb. 11,15 ). Die ausgesprochene Stufung bzw. Bänderung ist der Ausdruck der hier praktisch horizontalen Trappbänke mit dünnen Tuffzwischenlagen. Über der von uns betretenen Degien-Lücke liegt ein Gipfelkomplex, der aus Westgipfel, dem Mittelgipfel ( Kulmination von 4560 m, Abb. 14 ) und dem Südostgipfel besteht, alle innerhalb einiger Hundertmeter-Abstände. Weiter nach Nordosten stehen der Tafaul Leser und der Sazza, ebenfalls 4000 m hoch. Nach Südwesten, von der breiten Degien-Lücke aus, erhebt sich der Abba Degién ( 4450 m, Abb. 13 ) und daran anschliessend, gegen unsern Biwakort Abo zu, eine wuchtige Felsfront, die, je weiter westlich, in um so schärfere Gratzacken sich auflöst. Die Erstbesteigung des Ras Degién ( durch Europäer ) geht auf das Jahr 1849 zurück, als die französischen Topographen Galinier und Ferret hier Vermessungen durchführten.

Der Ausblick von der Grathöhe des Abba Degién ähnelt jenem vom Buahit aus, nur dass die nördlichen Hochgipfel, wie Berotsch Woha, Kiddis Arit usw., die um die 4500 m Höhe variieren, in ihrer etwas mehr gegliederten Topographie sich besser präsentierten. Der Verbleib war kurz, denn das gut vier Stunden entfernte Abo musste noch bei Tage erreicht werden, und die spät-nachmittäglichen Gewitterschauer waren uns unerwünscht.

der Engländer und Amerikaner Degién oder Dedjen. der Deutsche Dedschen oder Dedschien. In vorliegendem Aufsatze folge ich H. Scott, der die ersten ausführlichen wissenschaftlichen Nachrichten über diese Berge gegeben hat. Gegenüber andersartiger Schreibweise ist aber zu betonen, dass der Vokal der zweiten Silbe entschieden ein e und nicht ein a ist.

Der Bergname setzt sich aus dem Wort Ras und Degién zusammen, wobei Ras soviel als Fürst, Heerführer, heisst, während mit Degién der Vorkämpfer vor dem Monarchen in der Schlacht bezeichnet werden soll.

Die Alpen - 1962 - Les Alpes 8. Die nördliche Abstiegsroute durch das Ansia-Tal Um an die Nordfront der Semiénberge zu kommen, waren noch eine ansehnliche Taltiefe und die Hauptwasserscheide zu überschreiten. Der Mai Schaha wurde wieder durchwatet, und ein heisser Gegenanstieg brachte uns gegen Mittag nach den primitiven Tukuls von Amdir, wo bei einem verspäteten « Znüni » ein alter Amhare von seiner Teilnahme an der Schlacht von Adua ( 1892 ) zu erzählen wusste. Jene kriegerischen Ereignisse, wo erstmals ein technisch unentwickeltes Volk einer europäischen Militärmacht eine Schlappe beibrachte, wirkt stets nach im äthiopischen Selbstbewusstsein... Obwohl seither das Volk noch manchen schweren Faustschlag zu erdulden hatte -man denke an die faschistische Eroberung - nimmt man heute keine ausgesprochene Animosität oder gar Feindschaft mehr gegenüber den noch zahlreich im Lande anwesenden Italienern wahr. Vielmehr anerkennt man die gebrachten Errungenschaften ( Hygiene, Strassenbau, Gewerbe ), und auch der Reisende, der sich mit der amharischen Sprache verzweifelt herumschlägt, ist froh, dass des öfteren auf italienisch der Knoten gelöst werden kann. So sprach denn auch mein Begleiter Saoudi leidlich gut italienisch.

Auf der breitwelligen Wasserscheide des Arcuasié-Passes ( ca. 3800 m ) wurde der Blick nach Norden erstmals frei, auf Taltiefen, besäumt von klotzigen, schroffen Berggestalten, die, je weiter sie nach Norden rücken, in einzelne Burgen, Türme und gar Nadeln übergehen.

Diese Aussichtslage besass auch unser neues luftiges Biwak auf einem Bergsporn des Weilers Lori, wohin wir noch abends an die 400 m abgestiegen waren. Vor uns lag das tiefeingerissene Tal des Ansia-Flusses, überragt von den steilabbrechenden Felswänden des uns schon vom Tschennek-Pass her bekannten Ambaras-Emiet Gogo ( s. Abb. 16 ). Von hier an musste das gewohnte Vorwärts-hasten jeden Morgen etwas abgebremst werden, denn am 17. Januar sollte nach amharischem Kalender das Timkat-Fest gefeiert werden, das Fest der Epiphanie ( Dreikönigstag ) des römischen Kalenders. An diesem Tage ruft das Bum-bum der grossen Trommeln die Anwohner zur alleinstehenden Kirche zusammen, wo dann gefestet wird. Von allen Seiten sah man die in weisse Schamas gehüllten Bauern zusammenströmen. Sie kamen zu der gerade in Umbau begriffenen Gemeindekirche ( Abb. 21 ). Wahrscheinlich kam ich bei unserem verspäteten Aufbruch zu spät für den Gottesdienst, denn als ich in die Ummauerung der strohbedeckten Kirche trat, war man schon tief in die Festwogen verstrickt, die darin bestanden, dass der Becher kreiste und die Stimmung eine gehobene war ( Abb. 20 ). Man trank aus zylindrischen, getrockneten Kürbissen oder gar aus Kuhhörnern das nebenan fabrizierte einheimische Bier, den « Telia », eine hellgelbbraune Brühe, die nicht besonders einem Münchner-Bräu glich! Der Becher kam natürlich auch zu mir. Um nicht den Comment des Kommerses zu verderben, nippte ich ein wenig von der sauren Ambrosia, gelüstete aber nicht nach mehr. Dieses bei jeder Festlichkeit und auch sonst ad hoc hergestellte einheimische Bier wird in den Bergen aus Gerste oder Hirse zubereitet, in « gesitteteren » Orten ist Honig das Ausgangsprodukt und es heisst dann « Tedsch ». Auffällig war, dass im Kreise der Bier-trinker, die um die Rundkirche auf Ästen und Stämmen sassen, keine Frauen waren, wohl aber Kinder. Hervorzuheben ist auch, dass man an meinem Eindringen in diese interne Angelegenheit gar keinen Anstoss nahm, sondern mich im Gegenteil zum Mitmachen freundlich einlud.

Diesen Festfreuden in Lori folgte bald ein sehr mühsamer Abstieg durch die Felsstufen des « Trapp », zum Talboden, der ca. 1200 m tiefer lag und wo der Ansia-Fluss munter seine Wasser dem Takazzé zuführt. Eine ganz kleine Gruppe von « Tukuls », der Weiler Loma, ward zu unserem ersten tiefgelegenen Biwak. Er lag innerhalb der scharfgeschnittenen, von Felssäumen gezeichneten Einzelberge ( Abb. 23 ), die Nordsemién zu dieser bizarren Kulissenlandschaft machen.

Der folgende Tag, der neunte der Expedition, hielt uns ziemlich lange im Tale des Ansia gefangen, wo ich vergeblich nach irgendwelchen glazialen Anzeichen Umschau hielt. Dieses Erosionstal war in der Tiefe zu schuttbeladen, in den Hängen zu steil und allzusehr der Erosion ausgesetzt, um bei dem raschen Durchmarsch Reste der Glazialzeit erkennen zu können. Waren wir bei 2100 m Höhe in das Flusstal gelangt, so verliessen wir es weiter unten in 1700 m Höhe und hatten nochmals einen heissen Klimm auf einen neuen Rücken, vor der Abendrast, zu bewältigen. Diese lag dann bei einer eigenartigen Ortschaft, bei Aousa in 1600 m, wo grosse Ficusbäume die Rundhütten überschatteten und eine kleine Moschee sich vorfand. Wir waren in eine mohammedanische Siedelung gelangt; die mehr Prosperität verriet. Ringsherum ragen dunkle, gelb gebänderte Berggestalten als massige Mauern oder schlanke Obelisken über die nunmehr mehr grüne Landschaft. Ein « Schiern » oder ein « Vajoletturm » können hier den Kletterer herausfordern ( Abb.24 ).

Ein weiterer Aufenthalt in der fast den Dolomiten ähnlichen Landschaft Tselemti wäre recht reizvoll gewesen, aber unser Programm und unser Rucksack erlaubten es nicht mehr, und so überwanden wir tags darauf die letzte Halbtagsetappe. Diese führte nunmehr über begangenere Pfade, meist auf einem Gratrücken, hinab nach Adi Arkai und zurück zur « Kultur », d.h. dorthin, wo Autocamions rattern und eine Bar der nicht verwöhnten Kehle seine flüssigen Genüsse darbietet. Wir hatten die Überlandstrasse, die wir vor neun Tagen in fast 2900 m auf der Südseite verliessen, auf der Nordseite nun in ca. 1400 m wieder erreicht. Semién lag hinter uns, ging in die Erinnerung über, in welcher dann das Angenehme sich langsam vordrängt, herauskristallisiert, während das Gegenteilige als lösbarer Rückstand weggeschwemmt wird. So verhielt es sich auch mit allen Erlebnissen in den äthiopischen Bergen!

9. Ausklang der äthiopischen Fahrten.

Es galt nun einen Rückweg nach Äthiopiens Kapitale zu wählen. Er konnte auf der Westseite der Landesmitte ( unsere Herkommensrichtung ) oder auf der Ostseite des Hochlandes, mit Abschwenken über das nördlichere Eritrea, genommen werden. Die Mittellinie hätte eine lange Expedition erfordert. Zur weiteren Ergänzung des Einblickes in äthiopische Lande wurde für die Nord- und Ostroute entschieden, gab es ja hier auf moderner Strasse anscheinend einen gut funktionierenden Autobusdienst ( vgl. Fig. 1 ).

Gleichentags wurde noch Adi Arkai verlassen und in Nordostrichtung der tiefste Punkt des Landesinnern mit der Überquerung des Takazzé-Flusses erreicht ( ca. 850 m ). Damit waren wir auch in die paläozoisch-kristalline Unterlage aller abessinischen Formationen übergetreten, in welcher man sich gutenteils nordwärts, auf das eritreische Plateau aufsteigend, weiterbewegte ( Fig. 1 ). Mächtige Basaltdecken oder rote, tuffogene Gesteine in ihrem Liegenden, wie Höhenlinien verlaufend, unterstrichen den Plateaucharakter der nun wieder mehr steppig gewordenen Landschaft.

An der von Adi Arkai aus bis zu Eritreas Hauptstadt Asmara noch 350 km langen Wegstrecke lagen noch zwei historisch bekannte Stätten: Axum und Adua. Ersteres erweckt die Erinnerung an das alte frühchristliche Reich ( drittes Jahrhundert ) und zeigt die teils noch aufrechtstehenden Stelen ( hohe skulpturierte Säulen, bis 21 m ), die Zeugen einer noch älteren Kultur sind. Letzteres, Adua, innerhalb lieblicher Landschaft mit granitisch-trachytischen Kleinbergen, spricht von der Waffentat der Äthiopier vor 70 Jahren, als sie ihre Heimat verteidigten ( 1892 ).

Asmara war nach der « Verwilderung im Berge » eine willkommene Station der Restauration. Auf einem Hochplateau von ca. 2300 m gelegen, steht hier eine schmucke Großstadt, betriebsreich und durchsetzt von europäischem Fortschritt, gewiss ein deutliches Zeugnis für die gute Seite der italienischen Kolonisation ( Asmara war 70 Jahre Kolonie ). In den mehrtägigen Aufenthalt konnte noch eine Fahrt, von der Höhe nach der heissen Tiefe des Roten Meeres, nach Massaua, eingeschaltet werden. Ein Schienenstrang und eine moderne Autostrasse überwinden die Höhendifferenz nach diesem wichtigen Exporthafen. Was uns besonders interessierte, war die Steilzone zwischen Hochland und Küstenstrecke, in der natürlich, dem Klima angepasst, verschiedenste Vegetationszonen übereinanderlagern, zuunterst in sterile Wüste übergehend. In diesem Höhenunterschied erkennen wir den Effekt der Verstellung durch den gewaltigen, schon früher erläuterten Grabenbruch, dessen tiefste Partie das Rote Meer einnimmt.

Der aufragende hohe Westflügel der komplexen Grabenzone liegt im Ostrande des abessinischen Hochplateaus vor, das treppenförmig nach dem östlichen, teils wüstenhaften Tiefland absinkt. Diese « Treppe » ist jedoch zergliedert in Gebirge und zwischenliegende Scharten, die alle die östliche Tiefe überragen. In dieser bergigen Randzone liegen Dörfer und Städte und verläuft die grosse Uberlandstrasse, die Asmara mit Addis Abeba verbindet. Es ist dies die früher als « strada della vittoria » bekannte wunderbare Bauleistung der italienischen Strassenkolonisation, die innert eines Jahres vollendet wurde. Bis über 60 000 Arbeiter waren zeitweise eingesetzt. Sie bildete einen wesentlichen Faktor für die Eroberung Abessiniens.

Dieser Rückweg nach dem Süden musste schöne Einblicke in die Morphologie dieses Landesteils vermitteln. Ich vertraute mich deshalb der Autobuslinie an, deren Omnibusse täglich diese 1100 km lange Strecke in drei Tagen bewältigen. Ein erstes Mal wurde in Quiha bei Makalle Nachtstation gemacht, ein zweites Mal in Dessié, wo man schon auf 400 km an Addis Abeba genähert ist. Leider aber wurde diese Fahrt zu einer ungemütlichen « Knochenbrechertour », da ein unaussprechlich überfüllter und rüttelnder Omnibus wenig Gelegenheit zu Beobachtung und Ruhe übrigliess, um all die wechselnden Bilder in sich aufzunehmen. Im Norden, noch in Eritrea, glich das Landschaftsbild ( auch geologisch ) verblüffend stark einer mediterranen Umgebung, etwa andalusischen Küstenstrecken; weiter im Süden fesselte dann das vielgestaltige Relief, indem auf tiefen Abstieg wieder hohe Passanstiege folgten, die im Ambi alagi auf über 3000 m hinaufgingen, dem in 2400 m Höhe die Strasse längs des historisch bekannten kleinen Alangi-Sees folgt. Eindrucksvoll war dann die Bruchstufe bei Debresina, wo aus der Taltiefe die Strasse sich zur Oberkante hinaufwindet, um jenseits in das ganz andere Getreideland der inneren Plateaus hineinzuleiten. Ohne weitere Stufen erreicht man nun in westlicher Richtung das milde Gelände der Eukalyptushaine von Addis Abeba.

Damit war eigentlich der Vorhang vor dem äthiopischen Schauspiel gefallen. Was noch folgte, war eine lange Flugreise, nochmals über Asmara nach Chartum und dann nach dem Men-schen- und Häusergewühl am Wüstenrand, nach Kairo, das den Äthiopiengänger noch für einen guten Monat aufnahm. Als dann nach einer sonnenreichen Mittelmeerfahrt wieder alpine Berge einen willkommen hiessen, da musste man sich sagen: das sind doch andere Kameraden als die braunschwarzen Äthiopierberge, die wohl den Kopf hoch hinauf heben, aber nicht mit der Vielfalt heimatlicher Berge sich zu schmücken verstehen!

Bibliographie ( Auswahl ) Hövermann.J.: Über die Höhenlage der Schneegrenze in Äthiopien und ihre Schwankungen in historischer Zeit.

Nachr. d. Akademie d. Wissensch ., mathem.chem.phys. Abt., Nr. 6, Göttingen, 1954. Jenny, H.: Äthiopien, Land im Aufbruch. Deutsche Verlagsanstalt Stuttgart, 1957.

» Leuenberger, H.: Äthiopien, Kaiserreich seit Salomon. Globetrotter-Bücher, Stauffacher Verlag, Zürich 1955. Nilson, E.: Ancient change of climate in British East Afrika and Abyssinia. Geografiske Annales, Arg. XXII.H. 1-2, Stockholm, 1940.

Scott, H.: Oro- and geographical Research in High Simien. The Linnean Soc. of London, 1958. Werdecker, J.: Beobachtungen in den Hochländern Äthiopiens auf einer Forschungsreise 1953/54. Erdkunde, Bd. 9, H. 4, 1955. Werdecker, J.: Untersuchungen in Hochsemien. Mitteilg. d. Geograph. Ges. Wien, Bd. 100, H.l/2, 1958.

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