Eine kurze, vergleichende Kartenanalyse
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Eine kurze, vergleichende Kartenanalyse

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

Von W. Kreisel

Mit 1 Bild ( 121 ) ( Bern-Wabern ) Auf dem Tische liegen die Blätter Disentis E 513 und V. Leventina E 533 der neuen Landeskarte ( LK ) 1:50 000 einerseits und der Überdruck Lukmanier der Siegfriedkarte ( SK ) anderseits. Lasst uns sie lesen und Vergleiche ziehen.

Vom Rheinwaldhorn senkt sich ein Tal, die Lenta, nach Norden. « Lentatal » steht auf der LK. Aber es sagt kein Mensch so; es ist die Lenta, wie es auf der SK steht. « Lenta » sei die Biegsame, Geschmeidige, Sichwindende, Schlängelnde, sagt mein Zettelkatalog, den ich mir für Orts- und Flurnamen führe, und es sei das Wasser gemeint. Ausgezeichnet! Man sehe sich einmal das Bild der Lenta an, das meine Kleinkamera vom Scharbodenspitz aus festgehalten hat. Der Name des Wassers ist dann direkt auf das Tal übergegangen, niemand ist sich dessen bewusst. Das Wasser nennen sie heute den Rhein. Bleiben wir also bei der Lenta der SK, wenn auch Lentatal eine geographisch berechtigte Konstruktion wäre, denn die « Lenta » ist ja tatsächlich das Tal der Lenta; aber ein Bedürfnis nach einer solchen Konstruktion besteht nicht.

Ich sehe mir die Lenta auf der SK etwas näher an. In der Bocca di Fornei kann man die Bündner Grenze leicht überschreiten und, wie es scheint, auf breiten Rasenbändern direkt auf die Lentahütte zustreben. Um zu wissen, wie perfid sich diese generelle Darstellung in Wirklichkeit auswirkt, muss man diesen Gang einmal selber getan haben. Die Sache ist leider nicht so, dass hier die Tektonik die Oberflächenform bestimmt, wie Siegfried zeichnet, und Siegfried ist hier ja selber der Topograph gewesen. Es gibt zwar so etwas wie diese Siegfriedsche Tektonik in der Lenta, aber die ist derart stark von der glazialen Komponente überlagert, dass sie in den unteren Partien keine Rolle mehr spielt. Die Lenta hat vorwiegend glaziales Gepräge. Die Trogwände haben die typische steile Stufe unten. Zudem ist die Lenta förmlich ein Paradies für Schafe. Die Sache gestaltet sich so: Kommt man von der Bocca di Fornei herunter, so findet man die Schafwege, die leicht absteigend im Hang traversieren. Karte und Schafwege laden zu dieser Art Abstieg ein. Bald kommen die ersten Schwierigkeiten. Die ersten « Tritte » wagt man noch, das erste Felstobel vielleicht auch noch, aber es kommen noch andere, vereiste. Und die letzte Stufe hinunter zur Lentahütte ist ganz « giftig ». Man kann auch höherhalten und die Schafwege länger verfolgen, ohne eigentlich abzusteigen. Es geht, man kann dann zur Schäferhütte gelangen oder hinüber auf die Route des Passo di Sorreda. Und die Moral von der Geschieht? Lass die SK zu Hause. Kauf dir die LK. Auf dieser ist im Süden der Lentahütte der Tritt eingezeichnet, wo man die untere Felsstufe ungeschoren überwinden kann. Der Schäfer geht dort auch immer auf und ab. Im übrigen ist die Terraindarstellung in der LK in der Lenta von einer solchen Präzision und durch direkte Beobachtung kontrolliert, dass man sich ihr bis ins Letzte anvertrauen und mit ihr arbeiten darf. Wer mit dieser Darstellung nicht durchkommt, ist selber schuld.

Noch ein paar Bemerkungen zur Lenta: Aufs Güferhorn geht man leicht von Norden, am besten im Frühsommer, und schaut im Spätsommer schadenfroh von der andern Seite hinüber, wie die Touristen auf dem ekligen Eisgrat stundenlang Stufen schlagen, wo man selber leichten Herzens darüber spaziert ist. Die Lentalücke hat mit Recht keine Paßsignatur, da es nicht immer leicht ist, dort durchzukommen. Und auf der Westseite der Lenta ist sechsmal dasselbe Bergmotiv aneinandergereiht: Rheinwaldhorn, Grauhorn, Piz Jut, Piz Cassimoi, Piz Cassinello, Plattenberg; nur etwas individuell variiert; aber es ist auf allen schön. Sie wirken in ihrer Wiederholung gar nicht etwa langweilig; man denkt vielmehr an Hodler und seinen monumentalen Parallelismus. Und es ist auch sechsmal dasselbe Tun; man klettert über die Südwand hinauf und spaziert über den Nordgletscher wieder hinunter.

Zuunterst in der Lenta ist noch ein Seitental, die Val Nova ( B1. 513 ). Sieh dir das einmal auf der SK genau an! Siegfried zeichnet zuoberst ein Kar, dann einen langen, hängenden Schlitz.T.atsächlich ist es aber ein dreistufiges Kar, es sind drei Schüsseln übereinander gelagert. Wiederum ein Fall, wo sich die Neuaufnahme sehr gelohnt hat. Die LK gibt auch die Stellen an, wo man die Talstufen zwischen den Schüsseln am besten überwindet. Auch das Weglein aus der untersten Novaschüssel westwärts über die « Festung » ist ein wertvoller Pfad. Man kann direkt nach Vals gelangen, ohne Zervreila zu berühren. Hübsch in der untersten Schüssel die Kote 2234, man hätte sie nur gerne etwas weiter oben, am Schüsselrand. Auch in Schüssel II nähme ich dankbar eine Kote, während es an der Kote 2704 auf Boden III nichts zu rütteln gibt!

Das war die Lenta.

Gehen wir hinüber ins Land, « wo der Wein so rot wie Gitziblut » ist. Ich lese die Namen Val Carassina, Val Soja, Val Malvaglia, Val Pontirone, Biasca. So lieb diese mir auf der SK sind, so hasse ich sie auf der LK. Wie herrlich war es auf den luftigen Weglein in diesen Tälern. Aber sucht einmal in der Val Pontirone auf der LK den Weg von Sulgone 721/139 ostwärts durch alle Tobel über Eir, Cugnasco nach Fontana. Sucht einmal auf der geschummerten Ausgabe diese mächtigen Felstobel, die diesen Hang sonst unpassierbar machen!

Interessant sind vor allem auch die Wege in Val Malvaglia. Ich habe noch nie so etwas Klares, Natürliches gesehen, wie dieses sehr reichhaltige Wegnetz.B.is auf eine einzige Ausnahme aus allerneuester Zeit sind alles nur Lauf- und Saumwege. Die Sache ist so: Die Malvagliesen, denen das Tal gehört, haben ihr Dorf im « piano » in drei Teilen: Ronge, Orino und Chiesa. Das Tal selber ist ein typisches Hängetal, wie die meisten Seitentäler des .i .« - Brenne Unmittelbar hinter der Mündungsstufe liegen die Hütten von Pontei ( Ponterio ) und davor der wichtigste Knotenpunkt des ganzen Wegnetzes. Die zuführenden Saumwege von Ronge und Chiesa nehmen die Mündungsstufe schräg. Das ist logisch, da es Saumwege sind und Ronge und Chiesa abseits der Axe liegen. Die senkrechte Überwindung der Stufe von Orino aus war der Luftseilbahn vorbehalten. Von Pontei aus geht es nun systematisch an die Bedienung der Monti und Alpen. Von den Monti liegen viele auf Terrassen im Hang. Der Hauptweg bedient nun vorerst die Monti im Haupttal. Sie heissen Sciarcè ( Serciale ), Canale ( Canä ), Rasoira, Caslóu ( 998 ), Madra, Dandrio, Garina und Fontanei. Der Hauptweg sendet dann seine Ausläufer in die Nebentäler. Sie heissen Val Combra, Val Madra und Val Dandrio und sind alle auf der linken Seite des Haupttales. Vom Hauptweg zweigen auch die Auffahrtswege auf die rechte Talseite ab und durchkämmen, alle von demselben Trieb nach oben und hinten erfasst, den ganzen Hang. So geht es von Pontei über Arzeio ( etwas weiter oben Abzweigung nach Qual-guano ) nach Dagro; von Sciarcè nach Cran; von Ponte Cabbiera nach Carrei ( 1265 ) und Chiavasco; und ebenfalls von Ponte Cabbiera über Ascona, Pana-digo nach Anzano. Von all diesen Monti geht es dann erst recht los hinein ins Tal. So von Dagro nach Cassina, Pro ( Alpe di Prato ) und Cióu; von Dagro über Tros ( 1480 ) nach La Monda ( oberhalb Ticial ), wo der Weg von Chiavasco über Ticial ( Ticiallo ) einmündet. Von La Monda geht es oberhalb Toma und Vipera nach Conicchio ( unterhalb Scierù ), Alpe di Pozzo und Alpe di Quarnajo. Dies ist von Dagro ein viel begangener und viel befahrener, vier Stunden langer Saumweg über Wiesen, Weiden, durch Tros und herrliche Lärchenwälder auf die Alpen im Talhintergrund. Von Anzano fährt man mit dem Vieh über Narbiglio und Saves nach Foppa, Bolla, welches auch von Fontanei und Cassina ( 1413 ) auf dem Saumweg erreichbar ist, nach Pozzo resp. Prato Rotondo, Or Bello, Cardedo. Ebenfalls von Anzano fährt man über Narbiglio, Cusiè ( Cosiale ) nach Conicchio resp. Bolla. Von La Monda geht's nach Prato di Cüm ( Prodcüm ), Trosvald und Alpe di Scierù ( Cervio ). Das sind so die wichtigsten Auffahrtswege. Man verfolge auf der LK diese Wege und die Nomenklatur, um zu erkennen, was im Tessiner Gebirge eine 50 000stelkarte leisten kann und wo der 25 000stelmaßstab anfängt.

Mit der gleichen Logik ist dann in der Natur in dieses Saumwegnetz noch ein tief verzweigtes Fusswegnetz hineingeschachtelt.

Schliesslich haben sich dann die Malvagliesen noch entschlossen, von Dagro über Chiavasco und Anzano nach Dandrio einen Karrweg zu bauen und von Dandrio nach Pontei die « strada maestra » nach Pontei, wo der Kontakt mit der Luftseilbahn besteht. Den Karrweg findet man auf der LK von Dagro bis nach Chiavasco, dann ist Schluss, die strada maestra fehlt ganz. So kann man das Kartenlesen halten und Vergleiche ziehen. Und kann sich Fahrten vorbereiten, die, einmal zur Durchführung kommend, doppelte Freude bereiten, wenn man Kartenbild und Terrainwirklichkeit in Übereinstimmung bringen kann.

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