Erstbegehung des Ararat-Nordostpfeilers
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Erstbegehung des Ararat-Nordostpfeilers

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

Arnost Cernik, Prag

Ein Berg geht gewöhnlich erst dann in die Geschichte ein, wenn der Mensch sich den Weg zu seinem Gipfel erzwungen, wenn er sein Schicksal mit dessen Namen verbunden hat. Je dramatischer sich das vollzieht, desto besser. So wurden beispielsweise nicht nur Matterhorn und Eiger, sondern auch der Mount Everest, Nanga Parbat, Aconcagua oder auch der Mont McKinley berühmt. Solange die Bergsteiger sich nicht durch ihre Wände, Pfeiler und Grate rangen, solange sie die rauhe Bergnatur nicht zum ungleichen Zweikampf herausforderten, bereit, ihr Leben einzusetzen, solange wusste kaum jemand etwas von dem toten aufgehäuften Gestein, auch wenn es noch so schön war.

Doch es gibt Ausnahmen.

Manche Gipfel mussten nicht Schauplatz von Tragödien werden, und trotzdem sind sie untrennbar mit der Geschichte der Menschheit verbunden. Ganz vorne unter diesen Grossen thront der Ararat, der biblische Berg der Berge, der sagenhafte Retter des Menschengeschlechtes, ein Heiligtum der Christenheit.

Gerade dieser Berg wurde das Ziel einer sechs-gliedrigen tschechoslowakischen Expedition in der Zusammensetzung Zdenëk Brabec, Dr.Ar-nost Cernik, Milan Meier, Vladimir Meier, Ol-drich Kopal und Jaroslav Krecbach. Ein günstiges Zusammentreffen von Umständen ermöglichte es uns, bis in den äussersten Zipfel Anato-liens zu gelangen, der von den Ortschaften Igdir, Dogubayasit und Aralik begrenzt wird, in deren Mitte der höchste Gipfel der Türkei und des ganzen armenischen Hochlandes emporragt: der Büyük Agri Dag - der Grosse Ararat, 5156 Meter. Der schwierige Zutritt zu diesem entlegenen Land rührt insbesondere daher, dass es sich hier um ein für Fremde durch hundert Schranken versperrtes Grenzgebiet handelt. Ein weiterer Grund dafür, dass nur so wenige Besucher hierherkommen, ist der trostlose Zustand der Verkehrswege und sind die nicht allzu verlässlichen Gebirgsstämme der Kurden, bei denen ein scharfgeladenes Gewehr so alltäglich ist wie bei uns ein Taschenmesser.

Dass unser Aufstieg auf den Ararat einen besseren Verlauf nahm, als wir erwarteten, haben wir insbesondere dem Präsidenten der türkischen alpinen Föderation, Dipl.Ing. Latif Osman Cikigil, zu verdanken, der es uns ermöglichte, uns einer Gruppe türkischer Bergsteiger anzuschliessen, die von militärischen Würdenträgern begleitet war. Dadurch hatten wir ganz unerwartet Zutritt zu den Nordhängen und damit die Möglichkeit einer Erstbegehung, denn von dieser Seite, wo mächtige, zerklüftete Gletscher vom Gipfel ab-wärtsströmen, hat noch niemand einen Aufstieg versucht. Robert Lendenfeld beschreibt in seiner ersten Monographie der Hochgebirge der Erde ( « Die Hochgebirge der Erde », Freiburg 1899 ) diese Hänge so: « Nach Nordosten und nach Norden stürzt er ( der Ararat ) mit schwarzen Felswänden ab, über welchen mächtige Eismassen thronen. Von dieser Seite dürfte der Gipfel wohl kaum zu besteigen sein. » Das war eine sehr verlockende Charakteristik. Gleichzeitig bot sich uns die seltene Gelegenheit, einige von der Welt abgeschiedene Kurdendörfer kennenzulernen.

Wir fuhren am 16. August von Prag ab. Die Reise über Ungarn, Jugoslawien, Bulgarien bis nach Ankara, wo wir am 2 I. August 1968 — dem für unser Land so historischen Tag — eintrafen, verlief glatt.

Einen richtigen Expeditionscharakter erhielt unsere Reise erst von Erzerum an, wohin wir, nach einem Aufenthalt bei den chetitischen Ausgrabungen, entlang der Küste des Schwarzen Meeres wanderten. Erzerum ist der wirtschaftliche und kulturelle Mittelpunkt von Ostanatolien und weit und breit die grösste Stadt. Es liegt am Fuss des Palandökengebirges ( 3124 m ) auf einer Höhe von 1950 Meter, unweit der Quellen des Euphrat. Die Stadt zählt ungefähr 92 000 Einwohner; in ihren Strassen herrscht lebhaftes orientalisches Treiben; sie ist Sitz einer Universität mit einem alpinen Klub. Den eigentümlichen Namen verliehen ihr vor Jahrtausenden die Seldschuken, indem sie sie Arz-ar-Rum benannten - Land der Römer ( die die Stadt lange beherrschten ).

Aus Erzerum führt der Weg durch eine herrliche Gegend bis an den Fuss des Ararat. An den Fenstern unseres Autos zog ein ganzes Lehrbuch der Geomorphologie, zogen alle Formen der Verwitterung, der Erosion, der Verkarstung vorüber, seichte und tiefe Täler, scharfe Grate und flache Gipfel, Steppen, Wüsten und grüne Oasen mit Pappeln entlang spärlichen Bächen und Flüssen. Unser erster Aufenthalt galt den auspräpa-rierten Trümmergesteins-Formationen mit Erdpyramiden, die von Steppenvegetation umgeben sind, unmittelbar vor dem Ort Karakurt.

Auch die weiteren hundert Kilometer von hier nach Kagisman werden wir nicht so bald vergessen. Anfänglich sah die Strasse ganz passabel aus, aber bei zunehmender Kilometerzahl wurde sie enger und enger, bis sie sich schliesslich in einen besseren Feldweg verwandelte. Die Reisegeschwindigkeit sank auf fünfzehn bis zwanzig Kilometer in der Stunde. Der in den Fels gebrochene Fahrweg schmiegt sich an den Arasfluss. Von den Felsen lösen sich ununterbrochen Steine. Das Wildwasser untergräbt die Fundamente der Strasse, und so türmen sich an manchen Stellen Felssperren auf, andernorts fehlt wieder ein Stück Weg. Wir trösteten uns mit dem Gedanken, dass wir uns ja auf einer uralten Karawanenstrasse fortbewegten, die einst Europa mit Asien verband. Die Landschaft wird immer wilder, der Fluss windet sich durch ein steiniges Bett, die Luft ist heiss und schwül. Der Staub, ein unzertrennlicher Begleiter auf türkischen Wegen, dringt unaufhaltsam in alle Fugen, knirscht zwischen den Zähnen, setzt sich auf Weg und Steine, um durch die Fahrt gleich wieder hochgewirbelt zu werden. Von undurchdringlichen Wolken umwallt, weichen wir im Slalom Felsbrocken, Strassenlöchern und Höckern aus. Wir stöhnen mit der Federung um die Wette, durchqueren Furten, wälzen Felsblöcke beiseite, warten, bis uns der Bulldozer den weiteren Weg ebnet, halten ratlos vor einer Holzrinne, die ein tüchtiges Bäuerlein über die Strasse gelegt hat, um ein kleines, tiefergelegenes Feld zu bewässern. Die gelben, roten und grauen bizarren Felsen strahlen eine unbarmherzige Glut aus; den einzigen Schatten spendet das heisse Blech unserer Autos. Dieses Gebiet Anato-liens hat das kontinentalste subtropische Klima in der ganzen Türkei.

In Igdir endete unsere Odyssee. Erstmals zeigten sich unserm Blick in der Ferne die Konturen des Ararat. Er sah ganz unwirklich aus, wie ein schleierhaftes Trugbild. Es schien uns unglaublich, dass ein Berg so mächtig wirken kann. Hier gewährten wir unseren Autos die wohlverdiente Rast; bis an den Berg wollten wir mit Terrainwagen heranfahren.

Auch Igdir unterscheidet sich nicht allzusehr von anderen türkischen Ortschaften und Städtchen. Eine, zwei, vielleicht noch mehr Moscheen, niedrige Häuser, offene Kanalisation, Lehmwän-de... aber wir stiessen auch hier auf Anzeichen einer unaufhaltsam fortschreitenden Zivilisation. Unter freiem Himmel, in Gärten, finden Kino-vorstellungen statt, denn die Türkei gehört zu den eifrigsten Filmproduzenten der Welt. Morgens und abends fährt durch die drei kotigen Strassen ein Sprengwagen und unternimmt alles, damit der dünnflüssige graue Brei nicht austrocknet. Unsere türkischen Freunde brachten uns im Motel Trabson unter. Das Wörtchen « Motel » haben wir selbst hinzugefügt, denn wir durften mit unserem Wagen in den Hof einfahren, zwischen Abfälle, Autobusse und leere Blechfässer. Das Hotel hat Gemeinschaftsunterkünfte für je sechs Gäste. Auf dem Lehmboden des Ganges befindet sich ein Aquarium und - die Toilette, die darin besteht, dass aus dem Fussboden eines baufälligen Schuppens ein Stück Brett herausgerissen wurde.

Erzerum, Kagizman und Igdir sind Orte, deren Einwohner überwiegend kurdischen Ursprungs sind. Von den dreissig Millionen Einwohnern der Türkei sind ungefähr zwei Millionen Kurden. Ihr Lebensniveau ist äusserst verschieden, durchschnittlich aber sehr niedrig. Obwohl sie eine eigene Sprache sprechen, ähnlich dem Persischen, verständigen sich viele von ihnen schon nur mehr auf türkisch. Das kurdische Problem ist zwar hier nicht so heikel wie beispielsweise im Irak, aber Sorgen verursacht es der türkischen Regierung doch genug. Bis zum Jahre 1962 war Fremden der Zutritt in einige rein kurdische Gebiete, zu denen gerade die Nordhänge des Ararat gehören, verboten.

Unsere sechsgliedrige Expedition, die sich mit einer grossen Gruppe türkischer Alpinisten vereinigt hatte, erreichte innerhalb eines einzigen Tages von Igdir über Aralik auf einem über-belasteten Terrainwagen das Plateau Aralik Yurda am Fusse des Berges, in einer Höhe von 2300 Meter. Hier richteten wir das erste Lager ein.

Der Ararat ist ein typischer, verhältnismässig junger ( Pliozän ) Stratovulkan, der die beachtliche Höhe von 5156 Meter erreicht. Er erhebt sich unmittelbar aus einem Hochplateau, so dass der mächtige Kegel im Norden um 3415 Meter und im Süden sogar um 4365 Meter seine Umgebung überragt. Nach Osten sind die Hänge des Grossen Ararat über den Sattel ( 2750 m ) mit der gleichmässigen Pyramide des Kleinen Ararat ( 3925 m ) verbunden, der die Schneegrenze nicht überragt. Der Scheitel des Hauptgipfels wird von einem Gletscher bedeckt; von der flachen Kuppel strömen kurze Gletscherzungen nach allen Seiten. Es gibt deren elf, aber nur zwei davon sind länger als zwei Kilometer. Eine davon heisst Parrotgletscher, zu Ehren von F. Parrot, der im Jahre 1829 als erster den Gipfel erreichte, eine andere trägt den Namen des österreichischen Geologen H. Abich. Diese beiden Gletscher strömen gegen Norden. Die gesamte vereiste Fläche beträgt ungefähr 12 bis 13 Quadratkilometer. Der seichte elliptische Krater, der mit Eis gefüllt ist, neigt gegen Nordwesten. An den Hängen befinden sich einige parasitäre Krater.

Der Ararat war noch im Diluvium tätig; aus der historischen Zeitgeschichte sind keine Eruptionen bekannt. Die türkische Bezeichnung des Berges « Agri Dag » bedeutet « zerklüfteter Berg ». Die Armenen nennen ihn « Masis », was man mit « Erhabener » übersetzen könnte, die Perser « Koh-i-Nu », was soviel wie « Noems Berg » bedeutet.

Wer würde nicht das Zitat aus der Genesis, dem Buche Moses, kennen: « Am siebzehnten Tage des siebenten Monats setzte die Arche auf dem Berge Ararat auf... » Als das Wasser der Sintflut fiel, verliessen Noah und mit ihm seine Familie, die Söhne Sem, Cham und Japhet, und alle Tiere das Schiff und bevölkerten von neuem die Erde. Die Arche, dreihundert Ellen lang, fünfzig breit und dreissig hoch, mit drei Stockwerken, blieb auf dem Ararat stecken, der an der Grenze dreier 2 :>, Reiche, des russischen, persischen und türkischen, bis in den Himmel ragt.

Schon lange vor unserer Zeitrechnung haben sich die heimischen Hirten vor der Majestät des vereisten Berges demütig verneigt. Später entstanden an den Hängen Klöster, und Pilger aus der weiten Umgebung strömten hierher. Aber das Betreten der Hänge des Berges war lange Zeit verboten. In der Zeit, als der Ararat zu Armenien gehörte, wurde der Zutritt zu ihm sogar von militärischen Posten bewacht. Die alten Geographen hielten den Ararat für den höchsten Berg der Welt. Noch im Jahre 1715 behauptet Johann Gottfried Gregorius in seinem erdkundlichen Werk « Die curieuse Orographie », dass der Ararat der höchste unter allen sei und sogar den Kaukasus und alle übrigen asiatischen Gebirge übertreffe.

Im Zeitalter einer intensiven naturwissenschaftlichen Forschung kann auch der Ararat begreiflicherweise der Aufmerksamkeit nicht entgehen. Viele Versuche um eine Besteigung hatten aber nicht, im Unterschied zu andern Bergen, die Erreichung des Gipfels zum Ziel, sondern die Suche nach der Arche.Von Zeit zu Zeit fand man an den öden Hängen des Massivs, wo weit und breit kein Baum wächst, mysteriös bearbeitete Balken. J. Bryce fand im Jahre 1876 in einer Höhe von 4000 Meter ein Stück behauenes Holz; im Jahre 1893 sah der Archidiakon von Jerusalem, Dr. Nousi, angeblich den ganzen Bug eines Schiffes... Selbst Frederic Parrot betonte, dass es oben eine genügend grosse Gletscherfläche gebe, auf der eine Arche gut landen könnte. Eine Arche erblickten von Zeit zu Zeit auch Flieger. Im Jahre 1953 machte sich der Franzose F. Navarra auf, um die Arche Noahs zu suchen. Er schreibt in seinem Buche über die Ergebnisse seiner Forschung:

« Wir sind nahe dem Westhang in einer Höhe von 4110 Meter. Wir machen einen Augenblick Halt; plötzlich entringt sich uns der Ausruf: ,Die Arche! ' Wir weisen mit dem Finger nach ihr. In Dreiviertel der Höhe des Berges ragt sie empor, sie hebt sich schwarz von den helleren Felsen des 1 2 Türkisch-tschechoslowakische Expedition ( ig68 ) am Fuss des Ararat. Über den Pfeiler in der Mitte zwischen zwei Eiswänden führte unser Weg Hintergrundes ab... Als wir uns aber näherten, verwandelte sich die Arche in einen Felsvorsprung. » Wir selbst sind nicht der Arche wegen gekommen. Uns interessiert der Nord- und der Nordosthang. Die zweitausend Meter hohe und einige Kilometer breite Wand wurde bisher nicht bezwungen. Am interessantesten wäre die Nordwand. Ein gewaltiger Steilabfall, der sich über der Kurdengemeinde Ahora hochtürmt, wird unterhalb des Gipfels von einem Brand riesiger Hängegletscher abgeschlossen. Die Wand würde eine mehrtägige Erkundung benötigen; in einem Tag könnte der Aufstieg unter keinen Umständen gelingen. Aber wir haben nur wenig Zeit und wissen nicht, was zu Hause vorgeht, deshalb entschliessen wir uns für den nordöstlichen Pfeiler. Zwischen zwei von Spalten zerfurchte Gletscherzungen, die vom Gipfel strömen, zieht sich eine Felsrippe - eine iaeale Aufstiegsmöglichkeit, die klassiche Richtung, deren es auf einem so bedeutsamen Berg, wie es der Ararat ist, nur noch sehr wenige unbegangene gibt.

Am folgenden Morgen verlegen wir mit Hilfe von Tragtieren unser Lager in eine Höhe von 2900 Meter, an eine der Quellen des Ararat, genannt Haydar dagi Yalylasi.

Unsere türkischen Freunde beabsichtigen, den Hauptkamm vom Osthang über den Sattel des Kleinen Ararat zu besteigen. Die zweite Gruppe will über Parrots Weg von Westen her angreifen und gleichzeitig die Nordwand durchforschen. Wir machen uns noch am gleichen Tag zu einer gründlichen Rekognoszierung unserer Route auf den Weg. Die Türken bieten uns allseitige Unterstützung an. Sie sagen: « Euer Erfolg wird auch unser Erfolg. » Das ist ein ganz aussergewöhnliches Angebot, wenn man die wettkämpferische Eifersucht der alpinen Bergsteiger in Betracht zieht.

Am 30. August 1968 stehen wir um halb eins in der Nacht auf. Es ist verwunderlich, wie bereitwillig jeder aus seinem durchwärmten Schlafsack krabbelt. Nur Olda Kopal, einer unserer erfah- Ahorn, laut Bibel das erste Dorf nach der Sintflut rensten Alpinisten, der auf seinem Konto bereits einen Siebentausender des Pamirs hat, fühlt sich nicht wohl. Er wird im Lager bleiben müssen. In einer halben Stunde sind wir zum Aufstieg gerüstet. Wir nehmen nur leichte Biwakausrüstung und Proviant für zwei Tage mit. Wir brechen auf. Das nervöse Licht der Spitzenlampen tastet das unebene Terrain ab. Wir schreiten knapp hintereinander, schwingen uns über den ersten Gipfel und steigen in eine tiefe Rinne ab, die wir uns gestern während der Rekognoszierung erwählt haben, da sie von alten Moränen gesäumt ist, die uns in der Finsternis verlässlich in der vorgesehenen Richtung führen. Wir stolpern über freiliegende Brocken, immer wieder gleitet jemand aus. Milan schreitet an der Spitze; er hat ein lebhaftes Tempo angeschlagen. Ich muss mir alle Mühe geben, um ihm an den Fersen bleiben zu können. Der Unterschied von zwanzig Jahren, der zwischen uns liegt, ist doch fühlbar...

Vor uns steht abweisend der schwarze Wall des Berges, über unseren Häuptern schimmern matt die erlöschenden Sterne. Es bläst ein scharfer Wind. Die Rinne wird immer steiler. Wir gelangen an die mit Geröll bedeckte Gletscherstirne, weichen nach rechts zu einer Felsrippe aus. Es beginnt zu dämmern. Die Lampen werden gelöscht. Es herrscht schon gute Sicht, so dass wir den gangsbarsten Weg an den letzten Grasinseln vorbei ausmachen können. Windgeschützt krümmen sich niedrige Steinbrechstauden. Der Weg führt weiter über ein Schneefeld, das wir natürlich dem unbequemen Tuffgeröll vorziehen. Dann folgt eine Rippe der anderen. In unserem Rücken ist die Sonne aufgegangen; ihre Wärme tut angenehm wohl und wirkt aufmunternd. Unser Atem geht schwer, da wir uns der Viertausendergrenze nähern. Vor dem steilen Abschnitt eines Firnfeldes werden die Steigeisen angeschnallt. Die Spitzen krallen sich so verlässlich in den körnigen Firn, dass wir uns nur leicht mit dem Eispickel festhalten müssen.

Das Tempo hat sich zwar verlangsamt, doch haben wir trotzdem eine gute Zeit. Zdenek und 3 Kurdische Eseltreiber aus Ahora Photos Arnost Cernik, Prag ich bleiben zurück. Die ersten drei ruhen bereits am Gipfel eines Felspfeilers in einem kleinen Sattel aus. Jarda bestimmt die Höhe mit seinem Höhenmesser: 4200 Meter. Hier endet der leichte Felspfeiler, und über uns ragt die Gletscherwand empor. Sie glänzt in der Sonne wie ein Spiegel.

Wir blicken in die Steilabfälle der Nordwand, an deren Rand wir aufsteigen. Es ist ein furchterregender Abgrund, in den ununterbrochen kleine Lawinen niedersausen. Die Gletscherbarriere des Gipfels bildet ein fast zwanzig Meter breites Dach. Trotzdem scheint im rechten Teil eine Durchstiegsmöglichkeit zu bestehen. Ein Quereinschnitt spaltet hier die zusammenhängende Eissperre. Es wird ohne Zweifel eine harte Nuss sein. Die Schlüsselstelle liegt ungefähr in einer Höhe von 4500 Meter.

Inzwischen hat Milan bereits mit dem weiteren Aufstieg begonnen; stellenweise hackt er mit dem Eispickel Stufen und balanciert wie ein Akrobat auf den Vorderzacken der Eisen. Die Spitze des Eispickels einrammend, zieht er sich dezimeter-weise aufwärts. Wir folgen in seinen Spuren. Es geht immer schlechter. Die ungenügende Akklimatisation macht sich bemerkbar. Stellenweise erreicht die Neigung bis zu 60 Grad. Und nun zeigt auch noch das Wetter seine Launen. Mit jedem Meter, den wir an Höhe gewinnen, wird es wolkiger. Ein eiskalter Wind jagt in wildem Reigen um den Berg; von Zeit zu Zeit stecken wir ratlos in einer dickflüssigen weissen Milch. Endlich beginnt sich das Terrain zu ebnen. Eine schwache Schneebrücke führt uns über eine klaffende, bodenlose Spalte. Auf einmal sehe ich Jarda, winkend und rufend. Wenige Augenblicke später drücken wir uns die Hände. Wir stehen am Ostgipfel des Ararat. Die Erstbegehung ist gelungen.

Dann folgt der Aufstieg zum Hauptgipfel. In Nebel und bei Schneesturm erreichen wir nach zehnstündigem Aufstieg den höchsten Punkt der Türkei und des ganzen armenischen Hochlandes. Ein wütender Orkan rüttelt an den Blechfahnen, die hier befestigt sind; dazwischen flattert jetzt 3 eine kleine tschechoslowakische Trikolore.

Der Abstieg über die Südhänge zwischen zerklüfteten Felsen und den steilen Büsserschneefel-dern in Richtung zum Sattel unterhalb des Kleinen Ararat dauerte nicht ganz sechs Stunden. Vor Einbruch der Dunkelheit trafen wir, zwar sehr müde, aber höchstbefriedigt, wieder im Lager ein.

Am folgenden Tag machten wir uns vom Lager 2 aus zu einem Besuch der Ararat-Kurden auf den Weg. Wir hatten geplant, bis Ahora abzusteigen und unterwegs in einem Nomadendorf haltzumachen. Das bedeutete einen dreistündigen Marsch und tausend Meter Ab- und Aufstieg. Wir überquerten langgezogene Kämme und spärlich bewachsene Talgründe, Schluchten und Schneewasserrinnen, bis sich vor uns ein grüner Kessel öffnete, der vom Bett eines ausgetrockneten Baches durchschnitten war. Hier standen ungefähr an die dreissig grosse, schwarze Nomadenzelte. Kaum hatten wir uns ihnen genähert, da stürzte sich ein Rudel grosser, halbwilder Kläffer auf uns, eifrige Wächter der Siedlung und der Herden. Unwillkürlich rückten wir näher zusammen und gingen zögernd « en bloc » vor. Da kamen uns auch schon einige Männer entgegen; wir begrüssten uns förmlich. Einige davon waren uns bereits bekannt, da sie uns beim Materialtransport zwischen den beiden Lagern als Eseltreiber geholfen hatten.

Das Dorf ist unregelmässig angelegt; die Zelte haben einen typisch elliptischen Grundriss und sind von verschiedener Grosse. Das Dach bilden zusammengenähte Ziegenhäute, die im Zentrum durch eine Reihe von Stangen gestützt sind; am Rande ist die Haut durch Schnüre an hohen Pfählen befestigt, die in die Erde gerammt sind. Die Zelte sind gegen Osten geöffnet, während auf den andern drei Seiten diese luftige Wohnung durch Rohrmatten oder kleine Steinmauern geschützt ist.

Die Ararat-Kurden sind von stattlicher Gestalt, kräftig und stolz. Sie bewohnen die Weiden in den Höhen um 2000 Meter an den Hängen des ganzen Ararat und leben hauptsächlich von der Weidewirtschaft. Über den Sommer treiben sie die Herden der fettschwänzigen Schafe, kleinen Kühe und feurigen Pferde in Höhen bis zu 3500 Meter. Die kurdischen Frauen sind schlank und hochgewachsen, und im Unterschied zu den anatolischen Dorfbewohnerinnen verschleiern sie sich nicht. Sie tragen auch bunte Kleider, die oft aus etwa vier verschiedenen Stoffen mit schreienden Mustern genäht sind. Um die Hüften binden sie eine Schärpe oder einen Lederriemen mit breiter Metallschnalle, um den Kopf tragen sie gewöhnlich einen kunstvoll zu einem Turban geschlungenen Schal, während den Hals mehrere Korallenketten zieren. Die Kurdenfrauen sind scheu, und es ist ratsam, sie nicht ohne Einwilligung der Männer zu photographieren.

Wir setzen unseren Weg nach Ahora fort. Es ist die einzige feste Orschaft an den Hängen des Grossen Ararat. Sie wurde angeblich von Urvater Noah gegründet, indem er an dieser Stelle Reben pflanzte, als er nach der Sintflut seine Arche verliess. Es ist, wie behauptet wird, die älteste Gemeinde der Welt.

Das Dörfchen hat eine herrliche Lage. Es liegt auf einem Plateau in einer Höhe von ungefähr i goo Meter an einer ergiebigen Quelle. Das ganze Jahr hindurch wird es von einem Gletscherbach durchflössen, dessen trübes, weissgraues Wasser die Dörfler an einige bescheidene Gerstenfelder heranführen. Die Ortschaft setzt sich aus ungefähr 30-40 Würfelchen, die aus ungebrannten Ziegeln oder Steinen erbaut sind, zusammen. Vor jeder Hütte liegt ein Haufen dunkelbrauner Fladen aus getrocknetem Mist, der Tesek genannt wird; es sind Brennstoffvorräte. Die charakteristischen « Schober » in Pyramidenform sind manchmal auch auf dem flachen Dach aufgebaut. Zwischen den Hütten, die durch niedrige Steinmauern voneinander getrennt sind, grünen hie und da dünne Baumstämmchen und Sträucher.

Auch hier kommt uns ein Haufen Männer entgegen, die sich freundschaftlich gebärden, an ihrer Spitze Adern Ühal, Imami-hodscha, der welt- liehe und geistliche Vorsteher der Gemeinde in einer Person. Er ist jung, hat einen durchdringenden Blick, scharf geschnittene Gesichtszüge; seinen Kopf ziert ein geschmackvoller orangefarbener Turban. Er lädt uns zu sich ein, in den einzigen Gesellschaftsraum, der gleichzeitig als Verkaufsladen und Teehaus dient. Beim Eintritt müssen wir den Kopf einziehen. Innen herrscht Dämmerung. Der Tür gegenüber steht ein Pult; dahinter reihen sich Regale mit den verschiedenartigsten Waren. Auf den ersten Blick zieht ein altertümlicher Wecker unsere Aufmerksamkeit auf sich. Der Imam heisst uns an einem rohgezimmerten Tisch auf Bänken Platz zu nehmen. Ich kann den Blick von einem Hammelschinken, der an einem Haken von der Decke hängt, nicht abwenden. Bald können wir uns in dem Raum nicht mehr rühren, denn fast alle Männer aus Ahora haben sich darin versammelt, und der Imam lässt uns zu Ehren Melonen auftragen. Mit einem Jagdmesser schneidet er oben eine kleine Scheibe ab, betrachtet fachmännisch den Anschnitt, und wenn ihm die Frucht nicht gut genug für uns scheint, lässt er andere bringen. Das wiederholt er dreimal. Wieder schneidet er eine kleine Scheibe ab, nickt mit dem Kopf und vollführt energisch einige Längsschnitte; die abgeschnittene Kappe legt er wieder auf die Frucht, führt gegen die Unterseite zeremoniell einen Schlag aus - und die Frucht öffnet sich wie eine Rosette.

Wir unterhalten uns lange in einer komplizierten internationalen Sprache über viele Dinge, am meisten über Politik.

Ahora hat ungefähr 400 Einwohner, gegenwärtig ( 1968 ) ausschliesslich kurdische. Im Jahre 1840 wurde der Ort von einem Erdbeben vernichtet. Ein Schlamm- und Geröllstrom von den Hängen des Ararat hatte das Dorf unter einer Schlammschicht begraben. Erstaunlicherweise erholte es sich aber bald von diesem Schicksalsschlag.

Wir besuchen ein Haus nach dem anderen, und die Kläffer setzen uns wieder zu, während uns die Menschen freundschaftlich empfangen. Unsere Blicke aber richten sich immer wieder aufwärts, dorthin, wo, gleich hinter dem Dorf, die zweitausend Meter hohe, bisher unberührte Nordwand des biblischen Berges drohend emporragt...

Aus dem Tschechischen übersetzt von Erich Mach

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