Fergenkegel-Südwand
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Fergenkegel-Südwand

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

JVon Toni E. Müller

Mit 1 Skizze.St. Gallen, Sektion St. Gallen ).

Viele Bergsteiger ziehen Sommer für Sommer von Klosters das Tal der Landquart aufwärts, der schimmernden Silvretta zu. Die wenigsten von ihnen aber werden der Gruppe der Fergenhörner ihre Aufmerksamkeit geschenkt, ja sie vielleicht nicht einmal entdeckt haben. Sei es, dass der Anblick der schönen, bezaubernden Kurgäste in Klosters den klaren Bergsteigerblick verschleiert oder aber, dass sie nur für die im Talhintergrunde lockende und leuchtende Silvrettagruppe Interesse zeigen. Dabei steht linker Hand — im Verborgenen — eine Berggestalt, die jeden Kletterer begeistern wird, ein Kletterberg, von dem Gustav Walty im Jahrbuch 1909 schrieb: « dass es wohl der schwierigste Kletterberg der ganzen Silvretta-Litzner-Gruppe sei ». Diese Beschreibung war es denn auch, die meine Neugierde weckte.

Durch triefenden Bergwald steigen zwei Bergsteiger, tief in ihre Wetter-schutzkleider gehüllt, bergan, auf dem schön angelegten Weglein aus dem Tal der Landquart zur Fergenhütte. Zu unserer Begrüssung in Mombiel hinter Klosters hatte gleich ein ausgiebiger Landregen eingesetzt, so feuchteten wir denn auch noch gleich unser Inneres an mit einem herrlich mundenden « Pfiff » Veltliner, bevor der Hüttenaufstieg begonnen wurde. Nun steigen wir in gemütlichem Tempo durch die nasse Landschaft. Unser Gespräch dreht sich um die morgige Fahrt, um das Wetter, um den Wert des Bergsteigens bei Regen und andere aktuelle Fragen. Die Waldzone liegt schon hinter uns, hohes nasses Gras der Alpweiden schlägt uns nun um die Beine. Grau verhangen liegt die feuchtigkeitsschwangere Landschaft vor uns.

Froh aufatmend treten wir endlich aus dieser niederdrückenden Atmosphäre über die Schwelle der hell erleuchteten Unterkunft, der Fergenhütte der Sektion Prätigau, auf 2200 m. Der allein anwesende Hüttenwart Schopp heisst uns herzlich willkommen; bald sitzen wir drei — gemütlich plaudernd — um den abgenutzten, derben Holztisch. Die Petrollampe wird frühzeitig ausgeblasen. Dunkel — von der Umgebung nicht zu unterscheiden — liegt nun das bescheidene C. Hüttlein in der trostlosen Einöde, die Schatten der Nacht und des Nebels verwischen die Konturen, so dass alles ineinander überfliesst und sich auflöst.

Wie mein Wecker um 5 Uhr losrasselt, liegt immer noch Grau vor den Fenstern, so dass wir uns einen gemütlichen Sonntagmorgen leisten können oder müssen! Schwerfällig kriecht endlich der Nebel talwärts, sein nasser Mantel schleift über die Weiden und Felstrümmer, alles triefendnass zurücklassend. Von den besten Wünschen Schopps begleitet, verlassen wir die Hütte um 7 Uhr 20. Der Anstieg führt über trümmerübersäte Alpweiden in der Richtung auf das grosse Couloir zu zwischen Fergenkegel und Fergenhörner. Beim Einstieg — in einer kleinen Felsnische — ziehen wir die Kletterfinken an und stecken einige Süssigkeiten in die Hosensäcke; die Rucksäcke bleiben zurück, damit wir die Kletterei richtig geniessen zu können. Bedächtig und sorgfältig verbinden wir uns mit dem Seil. Wie liebkosend streicht die Hand über den Hanf, der durch die Finger läuft und sich in Schlingen zu meinen Füssen rollt. Gar oft haben wir uns schon die Schlinge um die Hüften geknotet, und doch schlägt bei dieser Arbeit das Herz unwillkürlich etwas rascher. Eine innere Aufregung und Unruhe überkommt mich, die erst verschwindet, wenn die ersten Felsen angepackt werden.

Turi Sturzenegger macht sich an die Arbeit. Auf schmaler Felsleiste quert er steil in die Wand hinaus, wo er bald meinen Blicken entschwindet. Das Seil, das zu Beginn schön gleichmässig durch die sichernden Hände glitt, verlangsamt seinen Lauf, das Laufen wird zum Kriechen, und bald geht 's nur noch ruckweise. Dies alles deutet auf zunehmende Schwierigkeiten, kein Wunder, dass ich kaum warten kann, bis die Reihe an mich kommt. Endlich tönt ganz schwach vernehmbar der Ruf zum Nachkommen. Bald stehe auch ich draussen in der Wand, wo sich die Felsleiste verliert. Weit muss sich der Kopf zurückbeugen — bis das Genick schmerzt —, um den Weiterweg zu überblicken, denn senkrecht bäumt sich diese Wandstelle über mir auf. Die Tritte und Griffe, die vorerst noch eine anständige Grosse hatten, verschmelzen immer mehr in der Wandflucht, doch gut komme ich unter den Überhang. Suchend fahren meine vor Kälte schon gstabeligen Finger über die glatten Platten, die vor Nässe triefen. Von Griffen keine Spur mehr, nur winzige Vertiefungen in dieser glatten, glitschigen Fläche; und doch muss es gehen, denn Turi ist ja schon durch. Vorsichtig schiebe ich meinen Körper höher, verlasse den guten Stand, nun heisst es hinauf.

Wie ein Bauch legt sich die Wand zurück, keine Kante ist zu erfassen, alles glatt, alles schön abgerundet. In allen möglichen und unmöglichen Unebenheiten verkrallen sich die steifen Finger, schon sehe ich meinen Kameraden, der lachend meinen Anstrengungen zuschaut und sich an meinem Pusten und Ächzen amüsiert. Bald stehe ich keuchend auf dem Grasband oben neben ihm, er hat wieder einmal gezeigt, was er im Fels leisten kann. Lachend schauen wir einander an, die Ouvertüre gefällt uns, die Besteigung scheint wirklich Rasse zu haben. Schon bei trockenen Felsen wird diese Stelle immer etwas heikel sein, wenn aber das Wasser darüber hinabläuft, ist sie tatsächlich schwierig. Neugierig schauen wir den Weiterweg an, was mag noch alles kommen? Gleichzeitig kletternd, gewinnen wir rasch an Höhe. Der Klubführer enthält ja eine so ausführliche Routenbeschreibung, dass man sich wirklich nicht verirren kann, dabei ist die Wegführung zwangsläufig gegeben und von der Natur vorgezeichnet. Die Beschreibung enthält nur zu viel Details. Nicht nur das Überwinden der technischen Schwierigkeiten hat seinen Reiz, im Gegenteil: das Suchen der Route mit all dem Bangen und Hoffen bedeutet für den Kletterer grösste Befriedigung, schärft gleichzeitig Auge und Gefühl, es gibt die Bergerfahrung. Sucht vielleicht aus diesem Grunde die junge Generation immer neue Anstiege den Bergen abzugewinnen, um die Spannung, die um die Lösung des Rätsels einer unbekannten Besteigung liegt, zu erleben, dabei notgedrungen — die grossem Schwierigkeiten verlangen dies — zu den von vielen verpönten Hilfsmitteln greifend? Das Wissen um die Ersteigbarkeit eines Berges, das Kennen der Routenführung aus der Literatur vermindert die Aufgabe, die uns der Berg stellt, ganz gewaltig.

Die folgenden Seillängen sind reizvoll, bieten aber keine nennenswerten Schwierigkeiten, es ist eine anregende, unterhaltsame Kletterei. Immer aber fesselt der Blick über die unheimlichen glatten Plattenschüsse der direkten Südwand, die über unsern Köpfen gegen den Himmel wuchtet, denen aber auf den Südostgrat hin ausgewichen wird. Bald ist der gemütliche Rastplatz der sich neben dem Grat in der Ostflanke befindet, erreicht. Da schüchtern einige Sonnenstrahlen durch die Wolkendecke dringen und unsere nähere Umgebung aufhellen, lassen wir uns auf den hier trockenen Felsen zu gemütlichem Hock nieder. Immer noch stecken die Häupter der Berge in den Wolken. An den Talhängen von Vereina — das uns gegenüberliegt — schleichen Nebelschwaden herum. Trotzdem sind wir mit dem Wetter mehr als zufrieden.

Die Spannung, die in uns herrscht, lässt die Ruhepause nicht allzu lange werden. Das Neue lockt! Der nun folgende Teil des Aufstieges ist meiner Ansicht nach der schönste. In wunderbar festem Fels mit prächtigen Griffen geht die Kletterei ziemlich luftig dem Gipfel zu. Nie mehr wird sie schwierig, und doch nimmt sie einem ganz in Anspruch, eine Kletterei, wie man sie sich nicht schöner wünschen kann. So dürfte es noch stundenlang gehen; doch rasch, allzu rasch kommen wir höher, denn wir zwei sind gut aufeinander eingespielt. Der Grat legt sich zurück, und, kaum können wir 's glauben, der Gipfelsteinmann taucht auf. Nur eine Stunde und 25 Minuten dauerte Die Alpen — 1942 — Les Alpes.28 FERGENKEGEL-SÜDWAND.

die ganze Kletterei ( Rast inbegriffen ), der Klubführer gibt bedeutend mehr an. Ich sage es ehrlich, ein wenig enttäuscht betreten wir den Gipfel, denn wir haben uns die Besteigung tatsächlich schwieriger vorgestellt nach der Beschreibung. Und wenn Gustav Walty im schon zitierten Jahrbuch schrieb: « Wohl mag ein erstklassiger Alpinist unsern Spuren folgen, allein, sei er, wer er wolle, die Besteigung des Fergenkegels auf unserer Route wird ihm immer unerwartete Schwierigkeiten be- reiten, und wenn es ihm auch vergönnt sein sollte, gleich uns sich des Erfolges zu freuen, so bin ich doch überzeugt, dass er diese Tour in guten Treuen niemand empfehlen kann », so sieht man hier typisch, wie sich die Kletterei, ja überhaupt das Bergsteigen entwickelt hat, denn heute kann diese Route jedem guten Kletterer sehr empfohlen werden. Nur einen Nachteil hat diese Besteigung: Schade, dass sie nicht doppelt so lang ist!

Die Aussicht nimmt von uns keine Zeit in Anspruch, denn die ganze Silvretta liegt hinter Nebeln und Wolken. So nehmen wir bald Abschied vom einsamen Gipfel und wenden uns dem Nordwestgrat zu, dem Normalweg auf den Fergenkegel. Auch diese Route bietet schöne Kletterei. Eigenartig sind die zwei mächtigen Plattenstufen, über die man hinabspazieren kann wie über Fergenkegel-Südwand ein Hausdach, sofern man das Zutrauen zu seinen Kletterfinken hat! Da wir meistens gleichzeitig klettern, sind wir rasch am Vorberg unten, wo über das sogenannte Rasenband weiter abgestiegen und unter der ganzen Südwand durchgequert wird zum Einstieg. Der Kreislauf ist geschlossen, eine schöne Fahrt schon wieder nur Erinnerung, so rasch vorbei wie eben alles Schöne im Leben. Da die Nebelwogen an den Hängen wieder höher steigen, vollzieht sich unser Aufbruch mit ziemlicher Hast. Im Höllentempo geht 's die Geröllhalden hinab, und schon tauchen wir unter im Grau der eckligen « Kappeier Milchsuppe ». Das Auffinden der Hütte kann uns nun allerhand Zeit kosten. Doch auch hier haben wir Glück, schon nach kurzem Suchen schälen sich die Umrisse der gemauerten Hütte aus dem gleichmässigen Grau.

Nicht einmal ein Bild kann ich von unserm Berg heimbringen, denn wie zum Trotz, dass wir ihn so überrannten, versteckt er sich beharrlich hinter seinem undurchdringlichen Mantel. Einzig das reizende Hüttlein kann ich mit der Leica einfangen, wie die Sonne auf kurzen Moment das brodelnde Gewölk durchbricht. Und schon wieder ist es Zeit zum Absteigen. Hütten-abstiege — wie überhaupt alle Abstiege — benütze ich grundsätzlich als Training für Skifahren. Springend werden diese Abstiege erledigt, in scharfem Tempo geht 's entweder den Pfad oder noch lieber über Geröllhalden hinab.

Der Regen, den wir den ganzen Tag befürchtet hatten, erwischte uns doch noch, allerdings erst auf der Fahrt durchs Appenzellerländli. Er konnte aber den guten Eindruck, den diese herrliche Kletterfahrt in uns hervorgerufen, nicht mehr abschwächen.

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