Gereimtes und Ungereimtes
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Gereimtes und Ungereimtes

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

VON CHRISTIAN CAFLISCH, ZÜRICH

Da mein gelegentlicher « Alpinismus » sich seit Jahrzehnten weit mehr in der Horizontalen denn in der eigentlichen Vertikalen bewegt hat, kam ich doch endlich dazu, den alten Strumpf ein bisschen zu kehren.

Aus dem herrgottslieben Haslital, wo er einst die Heinzelmännchen geschaffen hat - die zu Köln im Dom zu Hause waren, die sollen ja nur ausgewanderte Haslitaler gewesen sein, zog es mich hinauf nach Grindelwald, zen Grind e Wald, allwo Freund Martin « im Grund » haushablich ist.

Aber Vater Martin war auf der Alp droben bei seinen Loben, sein Weib bei Sohn und « Gschwie » ( Schwiegertochter ) am Bärget und das Berti hat Dach und Feuer in Interlaken gefunden.

Dazu kam, dass in ungezählten Scharen ein Stadtvolk hier sich selbst promenierte, sich selbst -wohl wie zum modernen Narrentanz - vorführte und letztendlich gar nicht einmal merkte, dass dieser Auszug aus der Stadt weniger eine Heimkehr zu Ruhe und sich selbst als eine Flucht vor sich selbst war.

Also war mir da keine Bleibe.

Den Weg zurück ins Wallis konnte ich doch nicht wohl gehen, wie ihn die Siedler im Lauterbrunnental, dem Tal der beiden Lü(ö)tschinen, herwärts gegangen waren.

Aber auch den Weg über das untere und das obere Eismeer, über Walliser Fiescher Gletscher nach Fiesch im Goms traute ich mir allein nicht zu. Und dabei schämte ich mich vor meinem Unglauben an mich selbst, weil ich darum wusste, dass einstmals Grindelwaldner Leute, die beim alten Glauben geblieben waren, ihre Kindlein gerade diesen Weg zur Taufe getragen haben. Doch wer weiss heute noch davon und denkt schon daran: An diese Kraft des Glaubens?

So war mein Weg denn anders bestimmt: Über Kandersteg und Lötschenpass ging 's. Auch hier war ein uralter Pfad kleiner geschichtlicher Völkerwanderung. Ob dabei die Siedler von Wattenwil und Burgistein, diese « Lötscherra », wie die eingewanderten Walliser urkundlich heissen, über Gemmi oder Lötschenpass gekommen sein mögen, das tut wohl nichts zur Sache. Hier wie dort waren es der Mühen genug.

Als Wegkameraden fand ich beim Übersteigen dieser 2690 m hohen Furgge ein paar liebe schweigsame Pilgerfahrer, die alte Wege zu alter Heimat mitgingen.:

Die Kummenalp hat hier ihren Namen noch recht behalten können und ist nicht wie die im Landwassertal drüben in meinem Bünden zu einer « Kummer »-alp geworden. Wohl am liebsten wäre ich plangemäss die Lötschenschlucht hinunter, hinaus gen Steg-Gampel und hinüber ins Turtmann. Da zog sich in mir irgendwo im Herzen eine Bremse an, und wieder einmal ging 's zu Besuch nach Kippel und Blatten. So ist der Ruf nach Wiedersehen.

Aber es war nicht gut, dass ich dorthin musste. Wohl habe ich die Trina wiedergesehen, mit ihr viele Worte und liebe Worte getauscht. Aber mein Herz und meine Freude wollten nicht zur Blüte kommen, so arg musste ich einen Niedergang guten alten Volkstums feststellen.

Zwar tragen die Kornäckerlein droben am Hang und drinnen im Boden wie früher noch ihr pralles Roggenkorn und winken mir, wie ein Tuch einer Geliebten, im Winde hell aufflatternd zu.

Aber auch hier ist ein automobiltouristisches Kommen und Gehen, ein Gesurr und Gesause der bekannten Benzinfresser. Denn drunten an der Lonza hat die Gemeinde einen Campingplatz eingerichtet, und das fremdländische Volk saust daher und dorthin und tut, was man an solchen Gemeinplätzen eben tut.

Aber nicht genug damit: Drinnen, zwischen Wiler und Blatten, dort wo die Wilemer und Blatter ihre Weidwiesen haben und im Frühjahr und im Herbst ihr Chueli marchensauber auf gutem Grund weiden und hüten, dort, auf diesem Privatland, ist ein anderer Campingplatz erstanden. Hier aber ohne Wissen und gegen den Willen der Bergbäuerlein, und kein Mensch kräht darnach, ob da ein Unrecht geschehe oder nicht.

Das Wissen um gut Brauch und Recht und der Anstand sind abhanden gekommen.

Und kein Hahn kräht darnach, weil solche Hähne wohl auch hierzulande aussterben mussten.

Die alten lieben Ställe und Stadel gehen auch aus den Fugen, die Schindeldächer werden nicht geflickt oder gar erneuert, weil man auch hier vom Teufel des Zeitgeistes, des Nur-Bargeld-Ver-dienens, angesteckt ist. Die lieben, alten Butzenscheiben an den Hochhäusern Kippeis sind nicht 9Die Alpen - 1960 - Les Alpes129 etwa nur blind geworden. Diese Augenhöhlen gähnen ins Leere und so gäbe es noch gar manches zu berichten.

Von den Lötschentaler Heimarbeiten in Kippel konnte ich mir keine erstehen. Denn die dort feilgehaltenen Halbstarkenhemden passen nicht auf meinen Balg, und die Pullover sind mir zu maschinengestrickt, als dass ich da noch an die Werktätigkeit einer Menschenhand glauben könnte.

Als Nachbar zu diesem Laden steht wirklich passend das modernste Depot der Grands Magasins « A l' Innovation S.A. in Brig ».

Für mich war das nicht nur zum Heulen. Es war und ist zum Davonlaufen, und so verliess ich schleunigst dieses Gefilde der Unseligen. Kann und darf so etwas sein, darf es soweit kommen? Weiss denn da niemand mehr, was gut und recht ist? Es gibt doch gewisse Dinge, die man letztendlich einfach nicht tut. War es denn nicht genug mit den « soo herrlichen Warenhauskatalogen », die seit Jahrzehnten unser Bergvolk in seiner gesunden Haltung bedrohen.

Wahrlich: Ausverkauf der Heimat! Selbst die alte Lötschentaler Maskenschnitzerei ist zu einer mechanisierten Drechslerei geworden und der Originalteufel mag darob lachen, wie er damit die Käufer zum Narren hält.

Durch die Lonzaschlucht hinaus begleitet mich das Bild des kleinen Eisenbahnarbeiterfriedhofes, der in zerfallendem Gemäuer liegt, gute 200 Meter unterhalb der Bahnstation Goppenstein.

« Wenn denn schon die Eisenbahnen mit aller Gewalt nicht rentieren dürfen, so hätte man letztes Jahr vielleicht auch hier diese Friedhofmauern renovieren dürfen und den Friedhof als kleine Gedenkstätte und Ausdruck der Dankbarkeit für die dargebrachten Lebensopfer instandstellen können » - meint eine Stimme in mir. Aber sie reicht wohl nicht dorthin, wo solche Gedanken Gehör und Echo und offene Türen finden.

Oberhalb des Dörfchens Steg zweige ich in den alten Passweg, der eben vom Susten her über den Steg hinein zum Lötschenpass führte, ehe der Lötschberg durchstochen war.

Der Dorfplatz in Steg trug zur Zeit des alten Paßsaum- und Tragverkehrs den Namen « zen Benken », ist also viel älter als der Steg allein. Dieses « zen Benken » hat aber mit Sandbänken des Rotten nichts zu tun. ( Nebenbei bemerkt: Der Talfluss heisst nicht etwa Rhone, wie man nach kartographischer Orientierung landläufig meinen möchte. Es ist der walliserdeutsche Rotten. Man höre hin, was in diesem Namen nicht alles an Naturelement mit- und nachklingtZen Benken. Ja, das war die Ruhebank vor dem Ein- und Anstieg in die Lonzaschlucht und hinauf mit den Lasten nach dem Lötschenpass. Also ein gleiches Namensgebilde, wie es weit drüben in Bünden, im italienischsprechenden Bergell, beim Septimer erstand. Denn dort ist Septimer nicht etwa aus einer lateinischen Septem ( Sieben ) geboren worden, sondern kam aus dem Set, dem Begriff der Ruhebank, des Abstellplatzes, her.

Doch da lockt mich Turtmann. Schon sein Name ist verlockend. Und wie ich da nach dem Sinn und Herkommen desselben grabe und grüble, da kommt es einfach und klar über mich, was dies zu sagen hat:

Ein Tura ist in der Sprache dieses Volkes nicht etwa ein Turm, ein von menschlicher Hand erstelltes, gemauertes Steingebilde. Tura heisst ein Steinhaufen. Auf einer alten Karte des Mittelwallis, also aus dem Räume des Illgrabens und des Pfynwaldes, finde ich die Lokalbezeichnung « Turtjini » und das ist gerade dort eingezeichnet, wo in der Natur als Folge der Illgraben-Rüfen Dutzende kleiner Steintürme liegen. Was ein Mann ist, das weiss man wohl allgemein. Ein Männli gibt es hier im Volkssprachgebrauch äusserst selten und wenn doch, so nur als Hüslimännli, also für den kleinen Kegel am Boden des ländlichen Abtrittes. Ein Männchen aber nennt man hier ein Mannji. Und so ist aus dem Tura und dem Mannji im Verhochdeutschen ein Turmann geworden, sprachlich nach Herkommen und Gehalt ein Pleonasmus, eine Überfülle gleichsinnigen Ausdruckes.

Das verwelschte Tourtemagne ist eine Verballhornung und ich sehe nicht ein, warum denn hier im deutschsprachigen Mittelwallis immer wieder alles auch welsch benannt werden muss. Schliesslich ist das Wallis ein zweisprachiger Kanton und es tut meines Erachtens keiner Gurgel etwas, wenn sie in deutschsprachigenGauen deutsche Namen deutsch und welscheNamen welsch auszusprechen hat. Das trifft hier nicht nur für Turtmann zu. Ein gleiches ist auch für Visp und andere Orte zu sagen. Die SBB dürften hier mit einem besseren Beispiel vorangehen und ihren Untermietern ( Kioskinha-bern an den Bahnhöfen ) die Weisung erteilen, dass sie sich in ihren Reklamen und Anschriften den Gepflogenheiten der Gegend anzupassen haben. Ein gleiches gilt auch von den Bahnhofrestaurants.

In Turtmann komme ich gerade recht zu einer kleinen Dorfversammlung und glaube schon, es gehe um wichtigste Gemeindeangelegenheiten, bis ich plötzlich merke, dass da aus einer Haushalt-liquidation eine Gant geworden ist.

Natürlich strecke auch ich meine Nase da hinein und lerne so allerhand Wort und Brauch.

Ein kohlrabenschwarzes, russ- und grünspangeschmücktes Kupferkessi aus Meiden bleibt mir, und ich sehe mich schon als angehenden Kesselflicker durch die Lande ziehen.

Auch ein Holzbinner, der einstmals herrlichen Alpenrahm geschöpft haben mag, ist gar noch in dem Käsekessi drinnen.

Da haben mein Nachbar und sein Weib aus dem Nachlass des verstorbenen Junggesellen, der hier « liquidiert » wird, als dessen weitläufig Verwandte gar zwei Cruzifrxi an sich genommen und bieten sie mir zum Kaufe an.

Ich schaue ihn an und frage nach der Zahl der Silberlinge. Seine noch junge, aber, wie sich zeigen sollte, seelisch reife Frau schaut mich an, errötet und blickt von ihrem Manne weg zu Boden wie ein Kind, das sich schämt. Sie hat mich verstanden. Und wie ihr Mann einen Preis zu fordern sich anschickt, da schneidet sie ihm rasch das Wort ab, drückt jedes der geliebten Objekte an ihre jungen Brüste wie ihr eigen Kind.

« Nei, nei, das tue wer nit, das wej e Sind. » Wir führen sonst ein Gespräch weiter, über Gras- und Weidwuchs in den Alpen, über Mulchen und Vieh, bis ich mich zum Abschied bereitstelle und mein « Bhüet di Gott » sage.

« Piettugott » tönt es zurück, und mit einer Hand nimmt die Frau einen ihrer beiden Cruzifixi, streckt ihn mir entgegen und sagt zu ihm: « So gang i Gottsnamu, gang midmu u Piettugott. » So ist der Heiland aus Turtmann zusammen mit dem Bärgchessi mit mir aus dem Turtmanntal gewandert und auch das Piettugott ist mit uns geblieben.

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