Gletscherhorn als Frühlingsskifahrt
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Gletscherhorn als Frühlingsskifahrt

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

Mit 1 Bild.Von Werner Hofer

( Bern ).

Etwas abseits der grossen Heerstrasse der Frühlingsskiabfahrten vom Jungfraujoch nach Goppenstein liegt das Gletscherhorn. Hier findet der Skihochtourist, welcher Freude an kombinierten Fahrten empfindet, ein lohnendes und dankbares Ziel. Zwei Wege führen auf den Gipfel: der als normaler Aufstieg vom Gletscherjoch bezeichnete Westgrat und der ziemlich zerklüftete Nordostgrat. Obschon im Skiführer des Jungfraugebietes eine Route bis auf den Gipfel eingezeichnet ist, wird es verhältnismässig wenig besucht. Es mag vielleicht dem Umstände zuzuschreiben sein, dass es nicht möglich ist, mit Ski seinen höchsten Punkt zu erreichen, weshalb seinem südwestlichen und viel leichtern Nachbar Ebnefluh der Vorzug gegeben wird.

Ein erster Versuch im März 1938 misslang. Ein heftiger Nordsturm zwang uns 300 m unter dem Gipfel zur Umkehr.

Einen Monat später, Samstag, den 9. April, schreiten Willy Uttendoppler, Hans Balmer und ich auf dem Strässchen von Goppenstein ins Lötschental. Unser Besuch gilt erneut dem Gletscherhorn. Vorerst müssen die Ski getragen werden. Das anhaltend schöne Wetter der letzten drei Wochen hat dem Schnee im Talboden und an den Südhängen arg zugesetzt.

Sommerlich warm scheint die Sonne. Herb duftet das Heu aus den Stadeln am Wege. Ein schöner Frühlingstag liegt über dem Tal. Blendend weiss sticht im Talhintergrund die Lötschenlücke vom tiefblauen Himmel ab. In Blatten können wir die Ski anschnallen. Höher und höher klettern die Schatten der Abenddämmerung den Langgletscher hinan. Mit einbrechender Dunkelheit erreichen wir unser heutiges Ziel, die Gletscheralp.

Morgens um 3 Uhr verlassen wir unsere gastliche Hütte. Der Vollmond wirft sein fahles Licht über die umliegenden Berge und den Langgletscher. Einzig das Geräusch unserer schlurfenden Bretter auf harter Piste und das Murmeln der jungen Lonza ist zu hören. Sonst ist alles still.

Eine Stunde später erreichen wir die Moräne, deren oberes Ende uns auf den Gletscher führt. Hier liegt fusstiefer Pulverschnee. Uns immer auf der Mitte des Gletschers haltend, steigen wir rasch höher.

Langsam verschwindet der Mond hinter dem Balmhorn, immer längere Schatten zeichnend, während im Osten die Sterne verblassen. Es dämmert bereits, als wir den grossen Steilhang beim Zusammenfluss des Ahnen mit dem Lötschenfirn erreichen. Ein zartes Rosarot am Bietsch- und Breithorn verkündet den kommenden Tag. Vier Wochen früher mussten wir uns den Weg von hier bis zur Lötschenlücke bei einer heftigen Bise schrittweise erkämpfen. Furchtbar haben wir damals unter Wind und Kälte gelitten. Heute herrscht aber vollkommene Windstille, und fast mühelos erreichen wir die Hollandiahütte.

Nach einer längern Rast in der traulichen Hütte fahren wir um 9 Uhr in einem schnurgeraden Schuss gegen den Konkordiaplatz ab. Bei Punkt 3107 am Südgrat der Ebnefluh links abbiegend, erblicken wir unser heutiges Ziel: das Gletscherhorn. Etwas mehr als 1100 m Höhendifferenz trennen uns noch von seinem Gipfel. Rasch haben wir unsern weitern Aufstieg festgelegt.

Deutlich erkennen wir den Bergschrund, der sich vom Gletscherjoch am Gipfelaufbau hinzieht. Mustergültig legt Willy in der weiten, zuerst massig geneigten Gletschermulde die Spur. Doch bald wird das Gelände steiler. Wir wechseln nun öfters in der Führung.

Es ist Mittag. Wir betreten die grosse obere Firnmulde. Weit nach rechts einen grossen Bogen ausholend, nähern wir uns zwischen Gipfel und Gletscherjoch dem Bergschrund. Wir finden eine Schneebrücke, welche den Zugang zum Westgrat vermittelt. Vor ihr machen wir das Skidepot; Seil und Pickel werden hervorgeholt. Hans fühlt sich seit einiger Zeit nicht mehr ganz wohl. Da sich sein Zustand nach einer längern Rast nicht bessert, müssen wir ihn leider zurücklassen.

Um 2 Uhr rüsten Willy und ich zum Weitergang. Steil schwingt sich der Hang über uns auf. 30 cm Pulverschnee liegen auf guter Firnunterlage. Um einem eventuellen Schneerutsch zu entgehen und auch selbst keine Lawine loszutreten, müssen wir den Hang senkrecht zum Grat ersteigen. Wie eine Leiter ist die Schneebrücke an den Firnhang angelehnt. Vorsichtig steigt Willy empor, es gelingt ihm, den Pickel am obern Spaltenrand einzurammen. Dann zieht er sich hoch. Gut gesichert folge ich. Die Tiefe unter uns wächst.

Nach vier Seillängen ist der Westgrat erreicht. Blankeis bedeckt ihn, das Gletscherhorn macht seinem Namen Ehre! Auf dem ersten Gratturm können wir plötzlich nicht mehr weiter. Abseilen bringt uns wieder auf den Grat zurück. Der Sicherheit wegen ziehen wir es vor, die Türme nach Möglichkeit im Firn zu umgehen. Die beträchtlich vorgeschrittene Zeit drängt zur Eile. Das letzte Hindernis kommt: ein markanter Turm. Wir umgehen ihn in der Rottalflanke. Noch einige Meter über aperes Geröll, und kurz vor 4 Uhr nachmittags reichen wir uns auf dem Gipfel, 3982 m, die Hände.

Eine grossartige Aussicht belohnt unsere Mühe. Die Jungfrau ist fast in Steinwurf nähe. Über das Lauitor grüsst verträumt das Jungfraujoch herüber. Mönch, Finsteraarhorn, das Aletschhorn und die Walliser Viertausender bis hinab zum Mont Blanc in seltener Klarheit. Nach Nordwesten liegt eine Hochnebeldecke über dem Lauterbrunnental. Schade, denn der Tiefblick ins Rottal hinunter müsste überwältigend sein!

Allzufrüh müssen wir den Gipfel verlassen. Um Y25 Uhr sind wir beim Skidepot zurück, freudig von Hans begrüsst. Er hat sich inzwischen gut erholt. Waren uns bis hier die Bretter Ausrüstung zum Bergsteigen, so kommt nun auch der Skifahrer auf seine Rechnung. Rasch sind wir startbereit.

In einem Schnee, wie man ihn selten findet, schwingen wir die unberührten Firnhänge hinab. Beim Übergang vom obern zum untern Firnbecken hemmt ein einziger Spalt für Sekunden unsere Fahrt. Viel zu schnell sind wir auf GLETSCHERHORN ALS FRÜHLINGSSKIFAHRT.

Konkordiaplatz unten. Noch ein dankbarer Blick auf den Gipfel, bevor er hinter dem Südgrat der Ebnefluh entschwindet, und wir treten die ständige Gegensteigung zur Lötschenlücke an.

Der grosse Strom der Touristen ist längst verebbt, als wir drei verspäteten Skifahrer den Langgletscher hinabdrehen. Mit den Strahlen der Abendsonne haben wir den Gletscher hinter uns. Die Anstrengungen der letzten Stunden machen nun einer Entspannung Platz. Die Devise « Nüt nah la, gesinnt » hat sich wieder einmal bewahrheitet. Bei Freund Kilian Rittler in Blatten feiern wir den schönen Erfolg bei einem Glase Fendant.

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