Göscheneralp
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Göscheneralp

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

Mit 2 Bildern ( 156,157Luzern ) Rotbraun und golden sind schon wieder die Bäurtie und Felder. Kurz war der Bergsommer und mancher Sonntag nicht so, wie wir ihn gerne gehabt hätten. Doch alles kommt und geht, die Berge aber werden auch nächstes Jahr noch stehen, und bis dahin bleibt uns die Hoffnung, dass der neue Sommer unsere Erwartungen erfüllen werde.

Wir fahren durchs Urnerland hinauf, Göschenen entgegen. Wie manchmal schon lag das Erlebnis vor uns? Und morgen werden wir wieder ins Tal zurückkehren, zufrieden, glücklich - und uns in Gedanken schon wieder auf die nächste Bergfahrt freuend. Die Oktoberkälte reisst mich aus meinen Träumen; auf dem Motorrad ist es nicht besonders warm.

Göschenen. Es ist später Abend, die Leute schauen uns nach. Salbitschijen, denken sie. Nein, diesmal grüssen wir ihn nur in Gedanken. Wir ziehen durchs Tal. Es ist Ruhe. Noch rauscht die Göschenerreuss in munteren Sprüngen an uns vorbei, talwärts. Wie lange noch? Leise Wehmut beschleicht mich, denn ewig glaubt man, werde sie durchs Tal rauschen, den Stäuber hinunter stürzen, durchs Gwüest hinab tollen und sich mit der Gotthardreuss vereinigen. Nicht mehr lange... In ein paar Jahren werden wir dies nur mehr vom Hörensagen kennen. Die stille Alp wird nicht mehr sein; die paar Häuser neben dem hübschen Bergkirchlein vor dem imposanten Hintergrund der Dammastöcke werden in einem Stausee versinken. Es kann sein, dass wieder ein schönes Bild entstehen wird. Doch wir Alpinisten werden die stille GÖscheneralp missen. Zu allen Jahreszeiten sahen wir hier den Sonnenaufgang, immer das gleiche, gewaltige Erleben: wir kriechen verschlafen aus dem würzigen Bergheu, Herdenglocken und Bachrauschen klingen leise durch die klare Luft, wir streifen die letzten Halme aus unseren Kleidern. Während der Himmel eben noch blassgrau, fast düster war, leuchtet der Dammastock jetzt schon heller auf. Die obersten Spitzen werden langsam rot und glühen auf im Licht der ersten Sonnenstrahlen. Schweigend, stumm verfolgten wir jedesmal dieses Schauspiel.

Auch heute verlassen wir am frühen Morgen die GÖscheneralp. Schnee liegt nordseitig auf den Hausdächern; die Sonnenstrahlen reichen Mitte Oktober erst spät ins Tal. Wir aber steigen der Sonne, der Wärme entgegen, aufwärts zum Bergstaffel. Nur wenige kennen dieses Gebiet, und doch sind es wunderbare Orte: Schynstock, Bergseeschijen, Hochschijen. Sie liegen im Schatten ihres grossen Gegenüber, des Salbitschijens. Und darum werden sie, obwohl zum Teil sogar höher, nie so bekannt werden. Droben am Bergsee setzen wir uns zur Rast. Im kristallklaren Wasser spiegelt sich das ganze Rund der Gipfel. In Musse betrachten wir das Dreigestirn der Schijen. Zur Linken steht der höchste und mächtigste, dei Schynstock. Wuchtig türmt sich sein Südgrat auf. In Gedanken wiederholen wir eine frühere Begehung: fast lautlos wechselten wir damals zum Grat hinüber. Herrlicher Granit, silbergrau und hart, da waren wir im Element. Turm um Turm überkletterten wir, dann standen wir an der Schlüsselstelle des Grates. Ein Karabiner klinkte in einen Haken, ein paar feine Griffe, ein paar schnelle Schritte, und schon waren wir darüber hinweg. Noch folgten ein paar hübsche Türme, dann reichten wir uns auf dem Gipfel mit leuchtenden Augen die Hände. Herrlich üess sich auf den warmen Gipfelfelsen träumen, zufrieden und glücklich stiegen wir über den Nordostgrat ab.

Schon einmal waren wir im Herbst hier oben. Heute ruhten wir uns an der Sonne aus, ehe wir den Südgrat angingen, den Grat des Bergseeschijens. Unerhört fein ist dieser Einstieg: ein gewaltiger Plattenschuss, fast haltlos, und doch kamen wir vorwärts. Gewaltig ist der Tiefblick über den Plattenschild.

Auch die Fortsetzung aufwärts, der direkte Grat, hat pikante Stellen. Aufschwünge und Platten wechseln miteinander ab, eine rassiger als die andere. Nur wenige Besucher haben sich im Gratbüchlein eingeschrieben. Der Grat ist fast unbekannt. Doch dem Gipfel tut dies keinen Abbruch. Die Aussicht vom Gipfel ins Voralptal und zur Fleckistockkette ist unerwartet schön.

Hochschijen. Er wird noch weniger begangen, nicht einmal der neue Urnerführer erwähnt ihn. Im Eiltempo stiegen wir den Ostgrat des Bergseeschijens hinunter und querten zum Südgrat des Hochschijen hinüber. Anseilen, Sack auf, und schon sind wir wieder am Fels. Der Einstieg ist plattig, aber gutgriffig. Aus kleinen Ritzen wachsen Sträucher mit einer gar nicht angenehmen Eigenschaft: sie haben Dornen. Sie zwingen uns zum säubern Klettern, schon nach dem ersten Missgriff kamen wir nicht mehr in Versuchung, zusätzliche « Griffe » anzufassen. Der Hochschijen ist dreigipf lig. Dülfernd nahmen wir die oberste Platte des ersten Gipfels. Doch der zweite sah abweisend aus. Der Fels ist an ihm nicht mehr so gut und erheischt erhöhte Vorsicht. Am Hauptgipfel aber gibt es wieder hübsche Stellen. Besonders der Gipfelblock ist luftig und fein und bietet nicht übermässig viel Platz. Es blieb uns aber ohnehin nicht viel Zeit zum Rasten. Bald warfen wir die Seile aus und seilten uns in die sonnige Westflanke ab. Über ein riesiges Trümmerfeld querten wir hinüber zum Bergkreuz und stiegen ins Tal. Wie ein Miniaturdörf lein sahen Kirche und Häuser im Abendlichte aus, und gleich silbernen Fäden schlängelt sich die Göschenerreuss durch die Alp. Dann erlosch langsam auch der letzte Sonnenstrahl, und wieder zog die Stille ein.

Später. Wir steigen vom Bergsee weiter hinauf zur Schneegrenze und errichten ein Sackdepot. Am Südgrat des Schynstockes beobachteten wir zwei Partien. Doch wir wollen heute an die Südwand des Schynstockes. Die Route ist durch die Beschreibung gegeben; schon von weit unten sieht man die drei markanten Überhänge, denen entlang der « Weg » hinaufführen soll. Die Zeit rückte schon gegen Mittag, als wir über das Schneefeld zum Einstieg hinauf stapften. Hie und da bricht einer schimpfend im Schnee ein; aber sonst kommen wir fast mühelos vorwärts. Über eine kleine Felsstufe erreichen wir ein Band, wo wir uns in Ruhe anseilen können. Schon die ersten Meter haben Rasse und versprechen allerhand: es hat wenig Griffe, aber sie sind gut. Vorsichtig überwinden wir die erste Stufe. Aber schon machen sich die Schmelzwasser unangenehm bemerkbar. In den südexponierten Plattenschüssen über uns beginnt es zu tauen, und die Wasser rinnen gerade hinab, wo unsere Route hinaufführt. Teils in Rissen, teils mit Adhäsion kommen wir ganz ordentlich vorwärts. Ein wasserüber-ronnenes Wändchen bietet uns einige Schwierigkeiten; doch mit einem gut placierten Sicherungshaken überwinden wir auch dieses und queren in den mittleren Wandteil. Fast plötzlich ändert hier der Fels, er wird lose und erfordert doppelte Vorsicht. Ein Couloir ( fast mehr Riss ) führt direkt zum Gipfel. Die letzten Seillängen sind besonders unangenehm wegen des losen Gesteins. Südseitig ist es herrlich warm. Sobald wir auf die Nordseite queren, stehen wir im tiefsten Winter. So legen wir uns auf die südlichen Gipfelplatten, verfolgen ein Rudel Gemsen, das in tollen Sprüngen über den Gletscher läuft, blicken einer vorbeifliegenden Swissairmaschine nach. Der nordseitige Abstieg ist ohne Pickel mühsam. Eiskalt sind die Felsen und der Pulverschnee. Trotzdem kommen wir verhältnismässig schnell in die Scharte, von wo wir teils rutschend, teils fahrend in den Kessel zwischen Schynstock und Bergseeschijen hinunter gleiten. Die Sonne verliert an Kraft, ein kalter Wind kommt auf, so dass wir die Schritte verlängern. Fast im Eiltempo geht 's ins Tal; noch leuchten die drei Schijen in der Abendsonne auf. Wie wir durchs Gwüest ziehen, erlöschen auch diese Lichter. Die Kälte kündet den nahenden stillen Bergwinter, der auch das Rauschen der Reuss unter einer Schneedecke verstummen lassen wird.

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