Hans Laupert
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Hans Laupert

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

« Mut ins Tal tragen. » H.L.

Vor der Berner Hochschule steht das Erzbild Albrecht Hallers; ein Mantel aus Weidenlaub umschlingt den Sockel; aber der Blick schweift frei über das Giebelgewirr hinauf zu den Bergen. Auf dieser Stätte wird einem klar, wohin ein junger Berner getragen wird, der dem Geist und der Tat einen Horizont sucht.

Die Erinnerung gräbt tief. In der mächtig ziehenden Aare treibt der Prögeler « Heus »: kupferbraun von Sonne, Wasser und Wind — den Schilf-blattkranz übers schwarze Wuschelhaar gezogen — eine Wasserratte bester Art, wie sie der Burk und die Elfenau zu allen Zeiten hervorbringen. Diesem Sonnenkinde schlägt der Winter ein neues Blatt im Lebensbuch auf: die « Gantrischbande » — jene lockere Gesellschaft skibegeisterter Bernerbuben, vor der zwischen Seelibühl und Morgetengrat bald kein Port mehr sicher bleibt. Der wetterbeständige Sommer 1911 lässt den frischgebackenen Gy-meler den ersten Höhenstrauss pflücken: als Familienausflüge werden von Isenfluh aus Sulegg, Schilthorn, Oberhornsee und Eigergletscher erlaufen. Im folgenden Sommer kommt schon das luftige Vreneli an die Reihe. Die Pässe zwischen Lauterbrunnen- und Simmental werden überrannt. Auf dem Petersgrat lagert der glücklichste Ferienbub der Welt. Der Tertianer ist in der Handhabung des Bergseiles bald so gewandt wie im Gebrauch der Lo-garithmentafeln. Doch wer nun glaubt, dass der 18jährige Sekundaner mit hochfliegenden Gedanken den Teufel und die Welt erobern will, der irrt. Ein weiterer Sommer wird ganz in den Rahmen der eigenen Kräfte gestellt: das Vreneli wird jetzt auf der vollen Längskante überklettert, Spitzhorn, Nünenen und Chumlispitze gehen mit. Ausdauerndes Laufen, sauberes Klettern und peinlich genaue Seilhandhabung sind die gültigen Grundlagen, ohne die unser « Heus » keine schwindligen Sturmläufe ertrotzen möchte. Erst nach drei fleissig benutzten Sommern in den Vorbergen bringt das Jahr 1914 dem Primaner den ersten Gipfelrausch! Ein unerhörter Skifrühling hat ihn hart und drahtig gemacht; in grosser leichtathletischer Form vertauscht er den Turnplatz im Schwellenmätteli mit seinem Lauterbrunner Ferienrevier. Sicher und schnell wird das Lobhorn überklettert, um das Handwerk aufzufrischen. Dann tagt endlich « der Morgen am Berg »: hoch über dem Krinnefirn löscht er die Laterne, nimmt Seilschlaufen auf, um die Felsrippe vollends in den Wettersattel zu ersteigen. Die nächste Stunde zeigt klassischen Zuschnitt: neben dem beglückten Jüngling steht mit knatterndem Halstuch der Zermatterführer Peter Kronig im Gipfelwind, während Reverend Bradford am Boden kauert, um mit eisigen Fingern Beobachtungen in sein « diary » zu kritzeln. Es ist die Stunde des Eintritts in die Brüderschaft der Bergsteiger — hier auf dem scharfen Wächtenkamm des Wetterhorns, an der Stelle, wo vor genau sechzig Jahren Christian Almer sein Tännlein aufgesteckt und mit Mr. Justice Wills die klassische Zeit des Alpinimus eröffnet hat.

Es geht in einen grossen Bergsommer, es geht in die Vierzigerjahre. Geschärft ist der Blick für das Wesentliche; Zufälligkeiten finden keinen Raum in solchem Leben der weitgesteckten Ziele. Auch dieser Sonntagsgang mit Hug und Simmen ist wichtig: es ist der erste Auszug mit Pickel und Bergsack; der Skischnee ist krank geworden, schon häuten die Felsen sich aus weissen Rauften — bald werden die Berge unterm höher kletternden Sonnenbogen erwachen. Am Morgen des 21. Juni 1936 rasten die drei auf dem Faulhorn. Der Wirt, Peter Almer, hat eben die Fensterläden aufgetan. Almermit dessen Vater Rudolf, dem Erstbesteiger des Simelistocks, stand der junge Berner Student vor neunzehn Jahren zum drittenmal auf dem Wetterhorn; drüben erglänzt sein Firndach. Man müsste die liegende Schleife der Finzi-Route strecken — an der Westkante Hesse sich durch Abseilen ein Fluhband gewinnen, das unter den Gutzgletscher hinüberführt. Aber o wetsch!

— Eisbrocken auf die Hutkrempe tun nicht gut! Hat wohl Georges le skieur mit der FitzGibbon und später mit Standring einfach Josef Knubels Nord-band-Weg verfolgtUnd weshalb hat Hermann Steuri diese Westkante nicht berührtHügli, old scout, wäre das vielleicht etwas für uns?

Spekulanten! Die Stunde mahnt zum Aufbruch — zum Abschied?

— wer weiss, es gibt keinen Zufall.

Am 24. Juni 1936 hat der Tod Hans Laupers Turenbuch abgeschlossen. Der Sommer wäre wie immer für ein paar gute Züge durch die Alpen hingegeben worden: die Nordkante des Badile und eine jungfräuliche Berninawand hätten die Ferien eingeleitet; dann wäre zwei Wochen lang mit Alexander Graven im Mont Blanc operiert worden, wobei ganz besonders auf Wunsch von Graham Brown die dritte direkte Brenva-Route, die Route Major, hätte wiederholt werden sollen; und endlich wäre mit André Roch ein guter Ferienabschluss gesucht worden, um den Herbst ganz für die Lieblingsberge im Berner Oberland frei zu machen. In schmaler, fester Schrift steht für die dritte Septemberwoche das Wetterhorn vorgemerkt.

Es ist bezeichnend für den Ernst, mit dem Hans Lauper sein Leben lebte, dass er nie der Versuchung erlag, seiner Bergleidenschaft ungehemmt zu folgen. Darum darf man dieses Bergsteigerleben nicht allein in dem Niederschlag einer ungeheuren Tatenfülle messen. « Heus » hat seinen Alpensinn als köstliches Gewebe in den Rahmen der Berufsbildung und der Berufsarbeit hineingeflochten und später, als ein eigener Hausstand ihn als Vater anzusprechen begann, für sich selber die völlig klare Regel aufgestellt: Zuerst Beruf und Familie — dann die Berge 1 So werden die verbrieften Marken seiner Bildung zu wuchtigen Pfeilern, um die sich wie wildes Rankenwerk das blühende Leben der Eisaxt schlingt. Vor der Maturität ( Herbst 1915 ) besteigt Hans Lauper als Messgehilfe der Landestopographie mehrmals das Finsteraarhorn, das Fiescherhorn und die Dufourspitze; seine Lauterbrunner Fahrten werden gewagter: als Alleingänger überschreitet er Vreneli und Lobhorn, setzt seinen Fuss auf die Gipfelkämme der Blümlisalp, des Gspaltenhorns. In die erste Studienzeit — bis zur Latein-Matura ( Winter 1916/17 ), die er als Realschüler nachzuholen hat — fallen die ersten Bergfahrten als Mitglied des A.A.C.B.ern, darunter Balmhorn-Altels, Wildstrubel, Jungfrau, Grüneckhorn, Simelistock; als Korporal benutzt er den grossen Urlaub der Rekrutenschule für eine Besteigung des Bietschhorns. In rascher Folge klettert « Heus » im Tessin als Soldat, reiht seinem Turenbuche wieder eine Serie Oberländer ein: Wetterhorn, Renfenhorn, Jungfrau, Grünhorn, Finsteraarhorn ( zum 9. Male !) und lernt wieder als Messgehilfe bei Paul Simon die schönsten Berghäupter des Waadtlandes kennen. Das Jahr 1918 zeichnet die ersten planvollen Bergkampagnen ab. Zuerst die Winternacht mit Fritz Egger auf dem Bietschhorn, dann die Skihochfahrten mit Egger und Rey: Wannehorn, Mönch, Fiescherhörner, Aletschhorn. Vom Biwak in der Martigschüpfe sucht er mit Paul Montandon Gallets Spuren am Stockhorn, durchsteigt mit Weydmann die öschinenflanke des Doldenhorns, überquert Fründenhorn und öschinenhorn und steigt über das Morgenhorn zum Kanderfirn ab. Nach einem Sprung auf das Breithorn setzt er wieder am Fründenhorn ein, versucht den Abstieg über den Westgrat und endet einen grossen Sommer in den Gastlosen. Nach Abschluss der medizinischen Vorexamen ( Frühling 1919 ) siedelt Hans Lauper nach Zürich über, um seine zahnärztlichen Studien zu beenden. Es folgen nun die eifrigen Sonntagsgänge in die Urnerberge, viele köstliche Tage mit Hermann Rüfenacht. Es folgen weite Züge durch das Triftgebiet, über das Guggi auf die Jungfrau und drei verschiedene Bietschhorn-Routen; vom Gauli bis ins Baltschieder ist kein Berg ausser Reichweite.

Es fehlt der Raum, um all die Beute dieser Sommertage aufzuzeichnen. Doch steht wohl zur Genüge fest, dass der 26jährige Hans Lauper nach bestandenem Staatsexamen ( Frühling 1921 ) mit Fug und Recht als ein überaus erfahrener Bergsteiger mit beiden Füssen in der Stufenleiter zu Grossem steht. Schon bevor er zur beruflichen Weiterbildung nach San Francisco reist ( Herbst 1923 ), setzt die Reihe der grossen neuen Besteigungen ein, die Hans Laupers Namen unvergänglich machen. In schönem Zuge begeht er hintereinander mit Max Liniger den Fründenhorn-Westgrat, die Nordwand des Mönch, den Grosshorn-Nordgrat; er durchklettert mit Willy Richard et die Bietschhorn-Südwand und mit Oskar Hug den Nordwestsporn der Ebnefluh und die Nordwand des Kamm. Den Abschied von der Heimat feiert er auf den Walliserriesen, wo er Dent Blanche und Matterhorn betritt und in einem Zuge sämtliche Monte Rosa-Spitzen vom Nordend an überquert, um gleich noch Lyskamm, Kastor und Pollux daran zu hängen. Aus Kalifornien kehrt Hans Lauper mit dem Doktordiplom ( Winter 1924 ) und Erlebnissen am Mount Rainer und Mount Shasta zurück, um sozusagen vom ersten Schweizer Bahnhof weg mit Willy Richardet auf das Bietschhorn zu stürmen. Im selben Herbst gelingt die glänzend ausgedachte Nordwand-Route auf die Jungfrau mit Pierre v. Schumacher. Die Jahre beginnen zu rinnen. Hans Laupers Name hat guten Klang im Oberland, im Wallis, im Mont Blanc. Längst ist er Mitglied des A.A.C.Z.rich geworden. Als S.A.C.-Mitglied hat er seine Stammsektion von Lauterbrunnen nach Zürich verlegt. Endlich wird er als Mitglied in den Alpine Club aufgenommen, zu dem er durch regen Briefwechsel mit Captain Farrar längst Beziehungen unterhielt. Er ist der Ehre würdig, und die ehrenwerte Tafelrunde in dem feinen alten Clubhaus am Savile Row merkt auf, wie Hans Lauper in fliessendem Englisch vor den Hütern der wahren Bergsteigertradition über seine Neufahrten auf den Eiger von Norden und vom Schneehorn über den Ostgrat der Jungfrau Rechenschaft ablegt.

Es bliebe des Guten so viel zu sagen. Wie könnte man auf diesen engen Seiten niederlegen, was unser « Heus » in vierundzwanzig reichen Bergjahren auf vollen 200 Seiten seines Turenbuches eingetragen hatl Doch eines darf nicht vergessen sein: der Bergsteiger-Philosoph Lauper! Er, dessen berufliche Hand so oft mit Stiften und Häkchen sich zu schaffen machte, er verfolgte die Verwilderung der Sitten, den Einbruch nationaler Geltungstriebe und künstlicher Hilfsmittel mit steigendem Unmut. Ihn beschäftigte in den letzten Jahren immer wieder die Frage nach dem Sinn allen Mühens. Und es ist erstaunlich, mit welcher zähen Folgerichtigkeit er in stillen Stunden den Weg zu einer grundehrlichen und schönen Lebensauffassung sich errungen hat. Seine Hefte sind angefüllt mit Aphorismen, sein Auge lag auf manchem guten Wort der Weltliteratur, das er sorgsam wie einen kostbaren Baustein in das Gewölbe einfügte, auf dem seine Ausgeglichenheit Halt und Ruhe fand.

Jetzt hat sich Hans Lauper aus Leid und Schmerzen aufgeschwungen in den Bergsteigerhimmel. Er hat dort gut wohnen! Melchior Anderegg, dessen Bildnis bis zuletzt über seinem Schreibtisch hing, und John Percy Farrar, dem er in tiefer Verehrung zu folgen suchte, sie werden zusammenrücken und unseren « Heus » aufnehmen in die Reihe der Besten. Da thronen sie auf den Gipfeln der Seligen und schmauchen ihre Wolkenpfeifen. Und um sie schwebt der Geist jenes unbekannten Bergmannes, der vor vierhundert Jahren auf dem Niesen in griechischer Schrift das Wort auf einen Stein ritzte: « Die Liebe zu den Bergen ist die beste! » O.G.

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