Horizontales Abseilen
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Horizontales Abseilen

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

VON RICHARD HOPF, THUN

( IN DER KANDER-SCHLÜCKHALSSCHLUCHT ) Mit I Bild ( 198 ) Von zahlreichen Bubenstreifereien her kannte ich das Gebiet der Kander zwischen deren Vereinigung mit der Simme und Einmündung in den Thuner See recht gut. Wie oft sind wir doch bald auf dem rechten, bald auf dem linken Ufer umhergestrolcht, haben Äpfel und Erdäpfel gebraten, Hütten gebaut, Steine geworfen und zuweilen sogar unter Seilsicherung das kalte Wasser kleinerer Seitenarme durchquert. Kurz, es ist hier für uns ein Bubenparadies und überhaupt ein Paradies entstanden, wie man es sich nicht schöner wünschen kann. Es war nämlich nicht immer so: Vor 1713 floss die Kander nicht in den Thuner See, sondern das Glütschbachtal hinunter und mündete etwas unterhalb Thun in die Aare. Bei Hochwasser gab es dann leicht Rückstauungen der Aare, um so mehr, als gegenüber dieser ehemaligen Kandermündung ein anderer Fluss, die Zulg, in die Aare fliesst, welcher ebenfalls gefährlich viel Wasser führen kann. So war oft ein grosses Gebiet um Thun von Überschwemmungen bedroht. Um dem abzuhelfen, wurde von 1712 bis 1714 die Kander in den Thuner See abgeleitet, zuerst durch einen Stollen. Dieser stürzte aber bald ein, und die wilde Kander frass sich eine tiefe, romantische Schlucht durch den Strättligerhügel, die sogenannte Schlückhalsschlucht.

Von der Simmentalstrasse führt, etwa auf der Höhe des Strättligturmes, einem alten Pulver-turm, ein Pfad zwischen hohen Sandsteinfelsen steil ans linke Ufer der Kander hinab.

Es war nun von jeher unser Vergnügen und unser Ziel, diese Ufer zu begehen, möglichst dem Wasser nach und ohne Umwege. Je nach Wasserstand gelingt dies mehr oder weniger leicht, wenigstens links flussaufwärts bis zu einer Felsnase auf der Höhe des Weilers Hani. Auf einem kleinen Umweg kann diese Felsnase überstiegen werden, aber weiter oben ist das Ufer nicht mehr so interessant.

Ganz anders steht es mit der Wegsamkeit flussabwärts von der Stelle, wo besagter Pfad an die Kander kommt Auf einige hundert Meter zwängt sich der Fluss zwischen hohen Felsen seewärts. An ein Durchkommen ohne Hilfsmittel ist nicht zu denken, und um so mehr hatten wir den Ehrgeiz, diesen Teil der Schlucht zu bezwingen und kennenzulernen. Aber wie? Ich wusste schon, dass bei geeignetem Wasserstand ein Durchkommen mit Einer-Faltbooten möglich ist Auf der Gewässerkarte ist diese Stelle allerdings mit Schwierigkeitsgrad V-VI charakterisiert, und zudem erst noch mit einem roten Kreis markiert, welcher besagt: Vor Durchfahren der Schlucht unbedingt landen und rekognoszieren! Nun, das Befahren der Schlucht mit Faltbooten lag damals nicht in unserer « Linie », ganz abgesehen davon, dass wir nicht die geeigneten Faltboote besassen.

Zum Durchschwimmen ist das Wasser auch im Sommer zu kalt und zu reissend und zudem der vielen im Flussbett vorhandenen Felsblöcke wegen zu gefährlich. Im Winter wären Wasserstand und Strömung zum Schwimmen günstig. Doch der Kälte wegen kam ein so langes Schwimmen gar nicht in Frage.

Wie wäre es nun, sagten wir uns, mit einer etwas abgeänderten Methode? So ein Zwischending von Abseilen und Faltboot? Anstatt der Sitzschlinge ein kleines, wendiges Gummiboot? Nach einigen günstig verlaufenen Versuchen an ungefährlicher Stelle wagten wir es. Im Dezember und bei niederem Wasserstand. Auch mit Luftkissen am Rücken für « alle Fälle ».

Zu dritt zogen wir los, ich und meine zwei Buben, mit 80 m Seil, kleinem Gummiboot und den erwähnten Schwimmkissen Es war an einem milden Dezembertag. Alle 50 m mindestens ragte aus dem Wasser eine Kiesbank oder ein Felsbrocken, wo wir landen konnten und mussten. Zum Ansteuern dieser Landungsplätze hatten wir Paddel. Die Aktion konnte beginnen:

Mit vereinten Kräften wurden zuerst die Luftkammern aufgeblasen, die Stöpsel dazu besonders sorgfältig eingesetzt und das Seil am Bootsring angeknotet. Von einer bequemen Sandbank aus startete als erster mein jüngerer Begleiter. Von der Strömung wurde er sofort davongetragen, die Geschwindigkeit durch das Seil gebremst, welches durch meine Hände lief. Mit einigen Paddel-schlägen konnte er die nächste Flussinsel, eine Kiesbank, anpeilen und schliesslich dort gut landen. Er verliess das Boot, und ich konnte es ohne Schwierigkeiten zurückziehen und meinen zweiten Begleiter in derselben Weise abseilen. Durch leichtes Anspannen des Seiles suchte ich ein Fest-klemmen auf dem Flussgrunde zu verhindern und hatte glücklicherweise während der ganzen Fahrt keine Störung. Die Vorstellung, durch einen unglücklichen Zufall oder ein falsches Manöver die Abseilvorrichtung ausser Funktion zu bringen, lastete während der ganzen Expedition schwer auf meinem Gewissen. Wie leicht hätten wir auf einer Flussinsel zu einem Robinsondasein verurteilt werden können! Und eine Rettung wäre gar nicht so schnell möglich gewesen.

Nun kam ich selbst an die Reihe. Das Seil schön aufgerollt vor mir paddelte ich frei hinunter, sehr darauf bedacht, die Kiesbank, auf der meine Buben interessiert warteten, nicht zu verfehlen. Vor der Landung warf ich ihnen ein kurzes Stück Seil zu, und sie konnten mich leicht an Land ziehen. Es war schon eine phantastische Situation: Mitten in der unzugänglichen Schlucht auf einer Kiesbank, ringsum Wasser und als Fortbewegungsmittel nur ein gebrechliches Gummi-schifflein und Seil. Ein Rückzug flussaufwärts war natürlich unmöglich!

Wie wir schon vor Beginn der Fahrt rekognosziert hatten, waren flussabwärts, soweit man sehen konnte, immer wieder Fels- oder Kiesinseln vorhanden, auf denen man landen konnte. Nur ganz unten schien etwas gar viel Wasser zu sein, und ein Landeplatz war vorerst nicht sichtbar. Nun, einmal angefangen, gab es kein Zurück. Also weiter!

Mit der gleichen Technik seilten wir uns nun von einer Kiesbank zur andern. Von Etappe zu Etappe. Die unterste Stelle schien uns immer zweifelhafter, und wir schielten fleissig seitwärts auf die meist senkrechten Begrenzungsfelsen der Schlucht. Gäbe es wohl irgendwo eine Möglichkeit, seitlich « auszusteigen » und das Steilufer zu überwinden? Zum Glück gab es eine, wahrscheinlich eine der sehr wenigen, denn flussabwärts gab es nun für uns kein Weiterkommen mehr: Auf 200 m keine Flussinsel, keine Landungsmöglichkeit und nur 80 m Seil! Glücklich, einen voraussichtlich guten Ausweg gefunden zu haben, landeten wir am Fusse eines schmalen Felsenrisses. Das Boot wurde von Luft und eingedrungenem Wasser entleert und das Seil zusammengerollt. Es war aber auch sonst Zeit, die Fahrt abzubrechen! Durch die unsanften Landungen hatten zwei Luftkammern Löcher erhalten, und das Schiffchen sank immer tiefer ein; es kam immer mehr Wasser über Bord, und unsere Hosenböden waren schon empfindlich kalt und nass!

Auf schmalem Felsensims arbeiteten wir uns mit unserer Ausrüstung aufwärts, kamen in die Büsche und hatten damit gewonnenes Spiel. Eine interessante Wasserfahrt hatte damit ihr Ende gefunden.

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