Humanisten als Pioniere am Pilatus
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Humanisten als Pioniere am Pilatus

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Hans Amann, St. Gallen

Der Pilatus trägt erst seit 1433 seinen heutigen Namen. Bis dahin nannte man ihn ( brochen birg>, lateinisch ( fractus mons ) ( Fräkmünt ). Diese Bezeichnung war treffender, denn von Luzern aus erweckt der gezähnte Gratverlauf tatsächlich den Eindruck eines abgebrochenen Berges.

Bis zu Beginn des 16. Jahrhunderts wagten es die Menschen kaum, in die Gebirge vorzudringen. Diese damals noch vom Aberglauben verdunkelten Regionen galten als Orte des Schreckens und Sitz der verschiedensten Unwesen und böser Mächte. Schon die bildliche Darstellung der Berge sollte auf deren Unbezwingbarkeit hinweisen und jeden warnen, der sich ihren Höhen zu nähern trachtete.

Es verwundert nicht, dass die ersten Vorstösse in die alpine Welt von Humanisten ausgingen. Vom Studium des klassischen Altertums, seiner Völker, Kulturen und Lebensweisen beeinflusst, schwebte ihnen als Ideal der Mensch mit einer harmonischen Ausbildung aller leiblichen und seelischen Anlagen vor. Daraus ergab sich auch bald die Forderung nach Begegnung mit der Natur. Es lag nun nahe, dass Schweizer Humanisten als erste in die sich vor ihren Augen majestätisch erhebenden Berge vordrangen.

Einer ihrer bedeutendsten Vertreter, der St. Galler Dr. Joachim von Watt ( 1484-1551 ), besser bekannt unter dem Namen Vadian, hatte trotz seiner nur etwas mehr als 30 Jahre bereits die Stellung des Rektors der Universität Wien inne. Aber 1517 kehrte er nach sechzehnjähriger Abwesenheit von seiner Vaterstadt wieder dorthin zurück. Da er sich neben dem Studium der Sprachwissenschaft, der Jurisprudenz, Theologie und Mathematik auch der Medizin gewidmet und hier den Doktortitel erworben hatte, übertrug man ihm das Amt eines Stadtarztes. Später erfolgte sogar seine Wahl zum Bürgermeister.

Vielleicht reifte bereits auf seiner Reise von Wien nach St. Gallen, die er in Begleitung des ebenfalls humanistisch gebildeten Konrad Grebel unternahm, der für die damalige Zeit sehr ausgefallene Entschluss, den Westgipfel des Pilatus zu ersteigen.

Anfangs August 1518 begab sich Vadian nach Zürich, wo er mit Grebel und einem weiteren Freund, Oswald Mykonius, Lehrer alter Sprachen, zusammentraf, worauf nun die drei Humanisten übereinkamen, den Weg zum Domherrn Xilotectus ( Johannes Zimmermann ) unter die Füsse zu nehmen, um von dort aus den Aufstieg zum sagenumwobenen Pilatussee, hoch oben am ( fractus mons> zu wagen.

Der eigentliche Zweck der Besteigung sollte weniger der Erweiterung geographischer Bis ins Mittelalter galten die Gebirge als unüberwindlich und Sitz von Dämonen. Joh. Ulrich Afsprung schrieb in seiner Bild: Glarus aus J. Simmler RES PUBLICA HELVETIORUM 1608 Kenntnisse, sondern vor allem dazu dienen, mehr über das gemäss einer alten Sage dort oben hausende Gespenst des Pontius Pilatus zu erfahren. In alten Luzerner Chroniken begründete man diese Mär damit, dass ( dies gebirg uff der höhe, da es ruch und wild ist, mit bösem tüflischen Gespenst und Geisterwerk wohl besetzt und erfüllet sei>.

Die innere Distanz, die die Menschen jener Zeit vom Hochgebirge trennte, erklärt auch ihr Glaube an Fabelwesen, die in der unheimlichen Alpenwelt ihr Unwesen trieben. Entsprechend äusserte sich der Einsiedler Abt Albert von Bonstetten in einer ( Beschreibung der Schweiz 1481 >, der ältesten überlieferten Schilderung des Landes, über den Gotthard: ( Hier ist das Reich des Aeolus, hier herrscht schwarze Nacht, der Berg erzittert von Stürmen und Ungewittern, die in seinen Höhlen brüllen. ) Unklar bleibt aber weiterhin, aus welchem Grunde die Höhen des ( brochen birg ) zu einem Sitz der Sage vom römischen Landpfleger wurde. Selbst die Obrigkeit von Luzern zeigte Respekt vor ihrem Hausberg, was man daraus ersehen kann, dass es einer ausdrücklichen Genehmigung des Rates bedurfte, um den Pilatus zu besteigen. Im Jahre 1387 erhielten in Luzern sechs Geistliche längere Gefängnisstrafen, weil sie den Plan gefasst hatten, sich auf den Pilatus zu begeben, ohne vorher die erforderliche Erlaubnis einzuholen. Nach einer anderen Version soll man diese sechs Priester allerdings ihrer österreichischen Gesinnung wegen ausgewiesen haben. Sei dem, wie es wolle, eines steht fest: eine Pilatusbesteigung galt 1387 als etwas Widersinniges und verstiess gegen die allgemein üblichen Anschauungen.

Die oben erwähnte ablehnende Haltung der Obrigkeit gegenüber dem Wunsch, Berge zu besteigen, bestand noch 1518. Deshalb musste auch Dr. Joachim von Watt eine Erlaubnis der fürsorglichen Stadtväter einholen, bevor er mit seinen zwei Freunden zum Pilatus aufsteigen durfte. Man gab ihnen sogar noch einen Begleiter ( den ersten Bergführer ?) mit. Vadian schilderte später ( Pomponius Mela, 1522, S.34 ), wie die vier bei Morgengrauen von der Stadt aufbrachen, sich zu Pferd emportragen liessen, soweit es der Weg gestattete, dann auf Stöcken gestützt höher klommen, bis sie das Ufer des berüchtigten Sees erreichten.

Hier lag er nun vor ihnen in einer grünen Mulde zwischen steilen Felswänden, von Schilf gesäumt und von struppigem Wald umschlossen, eine spiegelglatte, schwärzlich schimmernde Fläche, die von unterweltlichem. Feuer belebt schien. Vadian erinnerte sich an die Legende, die er in seinem nicht ohne Zweifel an ihrer Richtigkeit weitergegeben hatte: dass der See aufbrause und überwalle, wenn mutwillige Menschenhand seine Ruhe störe. Das Naturwunder zu erproben lockte ihn deshalb nicht wenig. Aber der Begleiter beschwor die Fremden, nichts zu unternehmen, was den Kopf kosten könnte. Der tiefverwurzelte Aberglaube des einheimischen Führers scheint ihn in der Tat von seinem Vorhaben abgehalten zu haben. So kam Vadian trotz der erbrachten körperlichen Anstrengungen, denn er war, wie es hiess, « gross und faist, schwer und laistig>, dem Volksglauben um den Geist des Pilatus nicht auf die Spur. Der See ruhte für längere Zeiten in ungestörtem Frieden, und Vadian befasste sich bloss noch in Gedanken mit dem seltsamen Rätsel der Sage.

Konrad Gessner ( 1500-1565 ) Ein anderer Humanist, dessen Bild wir von der 50-Franken-Banknote kennen, der Zürcher Arzt und Naturforscher Konrad Gessner, be- D. CONRADVS OESNERVS. ARCHIATRVS TKSVFUWvS. PROFESSOR PHY5ICVÓ.

Konrad Gessner, 16. Jahrhundert stieg 37 Jahre später ebenfalls den Pilatus. Dies um sich Kenntnis zu verschaffen ( nicht nur über diesen Berg, sondern auch über andere Gipfel, vor allem aber über die unserer ganz besonders gebirgigen Schweiz, so dass früher oder später ein ganzes Buch über die Berge und ihre Wunder verfasst werden kann>.

Für die Besteigung des Pilatus musste auch er eine Erlaubnis einholen, die ihm allerdings von Schultheissen Niklaus von Meggen ohne weiteres erteilt wurde. Man gab ihm ebenfalls einen Begleiter mit, ja man beschenkte ihn sogar mit Ehrenwein.

Am 20. August 1555 erreichten die beiden den Gipfel. Wenige Tage später schrieb Gessner eine Hymne auf die Berge und schilderte seine Pilatusfahrt mit folgenden Worten:

( Der Fuss des Frakmont, von welchem wir ausgingen, ist gegen anderthalb Stunden von Luzern entfernt. Von ihm steigt man durch Wälder, Täler, Weiden und Abhänge empor. Übernachtet haben wir in einem Heugaden im Eigental, bei einem sehr freundlichen und gastfreien Hirten, welcher uns mit verschiedenen Milchspeisen erquickte, immerhin fehlte auch der Wein nicht, den mein Führer, der Stadtdiener mitgetragen hatte. Ein Führer war nötig aus zwei Gründen: Erstens wegen des Glaubens der Einheimischen, welche niemand zum Pilatussee lassen ( sie sind sogar durch einen jährlichen Eid verpflichtet das nicht zu tun ), der nicht einen bewährten Mann aus der Bürgerschaft bei sich hat, von dem sie sich bestätigen lassen, dass die Behörden die Erlaubnis für den Aufstieg gegeben haben, zweitens, damit wir nicht vom gangbaren Aufstiegsweg abkämen. ) Anschliessend beschreibt Gessner im einzelnen seine Eindrücke und Beobachtungen. Die daraus sprechende tiefe Bergbegeisterung steigert sich dann zu einem umfassenden Lob auf die Schönheit und die einmalige Erlebniswelt unserer Alpen:

( Welcher unserer Sinne hat eigentlich in den Bergen nicht seine Lust? Denn was den Tastsinn betrifft, wird der ganze Körper, der von der Hitze ermattet ist, einzigartig erquickt durch den Hauch der kühlen Bergluft, die die Oberflächen des Körpers von allen Seiten berührt und die mit vollen Lungen eingesogen wird. Ebenso kann man, nachdem man Wind und Hitze ertragen, sich wiederum an der Sonne durch Bewegung wärmen, oder am Feuer in den Hütten der Hirten.Wenn du die Schärfe der Augen anstrengen, den Blick schweifen lassen und weit und breit hinaus und herumschauen willst, so fehlt es dir nicht an Warten und Felszinnen, auf deren Gipfeln du schon in den Wolken zu schweben scheinst. Eine so grosse Mannigfaltigkeit aber wie in den Bergen wird sonst nirgends in einem kleinen Raum beisammen gefunden, da kann man die vier Jahreszeiten Sommer, Herbst, Winter, Frühling an einem Tag sehen und erleben. Dazu steht auf den höchsten Bergjochen die ganze Halbkugel unseres Himmels frei dem Blick offen, und den Aufgang und Untergang der Gestirne kannst du leicht und ohne Hindernis beobachten. ) ( Das Gehör wird erfreut durch die angenehmen Reden, die Scherze und Spässe der Wandergenossen, durch den süssen Gesang der Vögel, ja selbst durch das Schweigen der Einsamkeit. Auch süsse Gerüche steigen auf aus den Kräutern, Blumen und Bäumen der Berge, die Luft ist hier viel freier, gesunder und nicht so sehr von schweren Dünsten verseucht wie im Tieflandist nicht nur für Ge- Der Pilatus vom Eigenthal aus. Lithographie von G. Hoffmann 1836 fässe, die zur Lunge führen und für das Herz unschädlich, sondern sie erquickt sie sogar.Der höchste Genuss für den Gaumen ist ein Trunk klaren und eisigen Wassers. Er befreit uns wunderbar von Mattigkeit, Durst, Hitze. Das ist ein solcher Genuss, dass ich nicht weiss, ob ein angenehmerer die menschlichen Sinne ergreifen kann. Daher müssen wir schliessen, dass wir aus Bergfahrten mit Freunden die höchste Lust und die angenehmste Ergötzung der Sinne ziehen. ) Dann fährt Gessner in seiner Reisebeschreibung fort, schildert den steilen Aufstieg in der Sommerhitze, die Aussicht vom Gipfel und erzählt von der Entdeckung einiger in den Felsen eingeritzter Buchstaben, Jahrzahlen, Stam-mes- und Familienwappen.

Der Pilatus ( 2129 m ) im Winter

1 MGH = Luzern.

Es scheint nun, dass man ab Mitte des 16. Jahrhunderts der Gebirgslandschaft allmählich ein grösseres Interesse entgegengebracht und damit der Wunsch, auf einen der vielen Gipfel zu gelangen, allgemein an Verbreitung gewonnen hat. Dies galt auch bezüglich des Pilatus. Der verwunschene See blieb ruhig, niemals geschah etwas Ungewöhnliches. Alle Bergsteiger kehrten wohlbehalten zurück, und die Volksmeinung beruhigte sich. Jedenfalls sah der Rat von Luzern ein, dass der Berg trotz Sage und Volksglaube nicht so gefährlich sein konnte, wie man das bisher angenommen hatte. Die Regierung erklärte deshalb im Jahre 1594, die Legende um den Berg beruhe nur auf Aberglaube, und ordnete an, der Pilatussee sei abzugraben. Im Ratsprotokoll steht dazu zu lesen:

Diewyl aber MGH'findent, dass sölliches allein Superstition und aberglauben syn, der-halen MGH angesächen, sy in künftigem sölliches eydts zu erladsen, und inen bevol-chen, disen sew oder güllen us zugraben. )

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