Im Gebiet der Albert Heim-Hütte
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Im Gebiet der Albert Heim-Hütte

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

Von Arnold Vogt.

Wieder einmal weilen wir droben bei der schmucken Albert Heim-Hütte und freuen uns der nächsten Ferientage.

Wir sitzen auf den noch warmen Felsen, ob denen wie eine Burg unser Obdach thront, und schauen in den sinkenden Abend. Es sind keine Berge mit klingenden Namen, die uns locken, und auch wegen ihrer Höhe machen sie keine grossen Ansprüche, aber ihre Formen, ihre Grate und Zacken versprechen viel, halten aber noch mehr, wie uns die kommenden Tage bewiesen. Als ersten Gipfel wollen wir morgen das Gletschhorn angehen, das uns mit seinem steilen Südgrat schon lange in seinen Bann gezogen hat. Frühzeitig legen wir uns auf die weichen Pritschen und schlummern dem kommenden Tag entgegen.

Gletschhorn 3307 m.

Um 3 Uhr rasselt der Wecker, bald sitzen wir um den dampfenden Morgenkaffee. Eine Stunde später drücken wir die Tür ins Schloss, und beim Dämmern des anbrechenden Tages stolpern wir über das Geröll der Moränen dem Tiefengletscher zu. Bald gelangen wir über diesen an den Fuss des Gletschhornsüdgrates, umgehen den ersten steilen Aufschwung auf der Westseite, und gegen 6 Uhr sind wir am Einstieg in die Felsen. Schon längst ist die Sonne aufgestiegen, leider spüren wir ihre Strahlen kaum, denn der kalte Morgenwind pfeift ganz artig um die Ohren. Wir vertauschen die Nagelschuhe mit den Kletterfinken, verbinden uns mit dem Seil und rücken dem Fels zu Leibe. Wundervoll steigt 's sich in dem rauhen körnigen Granit. Wenn nur, und das gehört auch dazu, die kalten Finger nicht wären! Teils über den scharfen, tadellos festen Grat, teils links davon turnen wir hinauf. Rittlings nehmen wir schärfere Stellen, mit Reibung die glättern. Nicht gerade königlich, aber sicher.

Langsam lässt der Wind nach, und je höher wir kommen, desto wärmer wird es. Schon sehen wir über die obersten Zacken den Gipfel, und gegen 9 Uhr reichen wir uns dort froh die Hände.

Über Gipfel und Grate hinaus schweift das Auge. An schon begangenen Wegen bleibt der Blick haften, und « Weisst du noch dort drüben? » kommt 's uns von den Lippen. Stunden schönsten Bergerlebens tauchen wieder auf. Langsam gleitet der Blick vom Berg ins Tal. Aus grünen Wiesen grüssen die Häuschen von Göscheneralp.

Wir gedenken wehmütig jener zwei Basler, die als gute Berggänger den Abstieg vom Gipfel über Gletschjoch-Wintergletscher nach der Göscheneralp unternehmen wollten und dabei verunglückten. Nach vorgefundenen Spuren müssen sie ausgeglitten sein, der darauffolgende Sturz über die Felswand auf den Wintergletscher setzte ihrem Leben ein Ende.

129 - Photo A. Vogt, ZürichGletschhorn Südseite 130 - Photo a. Vogt, ZürichWinterstock Brunner & Cie. A.G. ZürichSüdseite Nur zu bald ist eine Stunde verflossen, und wir rüsten zum Abstieg. Über grosse Blöcke hinab durch die Westwand. Auf Schnee und durch eine Rinne gelangen wir bald an ihren Fuss.

Auch diese als leicht bekannte Route forderte im gleichen Jahr ihre Opfer. Im Frühsommer benützten drei Aargauer diese Rinne für den Abstieg. Grosse Schneemassen lagen noch in der Wand. Sorglos fuhren die drei den steilen Schnee hinunter, konnten vor dem Felsabbruch nicht mehr stoppen, und schon war die Katastrophe geschehen. Drei junge Leben — ein harter Preis für die Missachtung der alten Bergweisheit: « In unübersichtlichem Gelände nie abfahren. » Nun streben wir unsern zurückgelassenen Pickeln und Säcken zu und ziehen wieder die Genagelten an. Bald sind wir unten auf dem Plateau des Tiefengletschers und unsern Aufstiegspuren folgend auch bald in der Hütte.

Nach dem schlichten Mahle liegen wir wieder auf den Platten vor der Hütte und blinzeln in die Höhe. Langsam hat sich des Himmels Bläue in ein Grau verwandelt, die Berge ziehen Nebelmützen auf, und ein kühler Windstoss treibt uns in die heimelige Stube. Schon klatschen die ersten Tropfen ans Fenster. Doch gegen Abend klärt das Wetter wieder auf und frohgemut richten wir die Säcke für die nächste Fahrt.

Winterstock 3206 m.

Die Strahlen der aufgehenden Sonne treffen uns oben auf dem Südostgrat des Winterstockes, den wir leicht vom Tiefengletscherplateau erreicht haben. Gut gangbar ist vorderhand der Fels, erst weiter oben, kurz unterhalb des Südgipfels, kommen einige interessante Stellen. Schon um 8 Uhr befinden wir uns auf dem ersten Gipfel und rasten. Steil senkt sich von hier der Fels hinunter zur Scharte und plattig strebt drüben der Hauptgipfel zur Höhe. Sorgfältig steigen wir hinab. Über Bänder und Rinnen gelangen wir zu einem kleinen Felskopf, etwa 10 m ob der Scharte. Das doppelt darum genommene Seil bringt uns gut hinunter. Den direkten Wiederaufstieg zum Hauptgipfel sperrt eine hohe, grifflose Platte. Durch eine schottrige Rinne gehen wir auf der Ostseite hinab, bis nach etwa fünfzig Metern ein Band in gangbareres Gestein hinüberleitet. Über Platten und Risse stemmen wir uns wieder hinauf, und über sichern Fels kommen wir zum höchsten Punkte. Zwei Stunden hat uns der Übergang vom Südgipfel hierher gekostet, und wir glauben, eine längere Rast verdient zu haben. Wohlig strecken wir unsere Glieder und kosten auf harter Unterlage ein kurzes Schläfchen. Besser ruht 's sich in keinem Hotelbett als hier oben auf dem Winterstock.

Schon ist es 1 Uhr, als wir zum Aufbruch rüsten. Noch ein Blick hinüber zu den Blaubergen mit ihren Zacken und Nadeln, und dann steigen wir den Ostgrat hinunter. Links gleisst der Wintergletscher, rechts schiessen glatte Platten zur Tiefe. Sorgfältig turnen wir hinab, und schon zwei Stunden später stehen wir in der Winterlücke. Durch eine Geröllhalde, einen rechten Knieschinder, stolpern wir hinab, umgehen die Ausläufer des Südostgrates, und durch das sogenannte « Loch » steigen wir auf gutem Pfad wieder zur Hütte empor.

Galenstock 3581 m. Nordostgrat.

Weit ausladend leuchtet seine Gwächte zu uns herunter, und statt der Finken, glaube ich, brauchen wir morgen Pickel und Steigeisen. Schon um 2 Uhr Tagwache, und eine Stunde später verlassen wir das gastliche Heim. Wieder führt unser Weg nach dem Tiefengletscher und diesen hinauf. Mit den Händen in den Taschen schlendern wir über das körnige Eis dahin. Plötzlich fliegt meine Laterne hoch im Bogen davon und ich mit beiden Beinen in eine mit Altschnee bedeckte Spalte. Ich kann mich noch am Rande festhalten und schwinge mich wieder hinaus. Einige Schürfungen belohnen den Leichtsinn. Wir finden nunmehr, es sei gescheiter, das Seil umzulegen, statt dasselbe im Rucksack zu tragen.

Im Schimmer des anbrechenden Tages steigen wir — das Gletschhorn zur Rechten — Richtung Tiefensattel. Droben an der Gwächte des Galenstocks glüht ein erstes rotes Fünkchen auf, und langsam wie ein Feuerball erscheint die Sonne am Horizont. Wie wir unter den Felszacken queren, um den Einstieg zum Nordostgrat zu gewinnen, kommen wir ins Licht und an die Wärme. Ssss... pfeift es oben über die Gratzacken, der Morgenwind. Über leichte Felsen klettern wir zum Anfang des Schneegrates hinauf. Kaum sind wir oben, haben wir auch schon steife Finger und Ohren. Gerne schlüpfen wir in Fäustlinge und Zipfelmützen.

Steil bäumt sich der nun folgende Grat auf, aber in dem hartgeblasenen Schnee kommen wir mit den Zehnzackigen gut voran. Erst im obersten Teil bin ich gezwungen, die Eisaxt zu brauchen. 745 Uhr ist es, als ich den Pickel ob der Gwächte tief in den Schnee stosse und mich daran hinaufziehe.

Eine breite Firnkuppe mit nach Osten weit ausladender Gwächte bildet den Gipfel. Wir reichen uns die Hände und freuen uns, dank der guten Verhältnisse so rasch und ohne grosse Mühe die Spitze gewonnen zu haben.

Dass der Berg mit seinen steilen Flanken und Graten ernst zu nehmen ist, zeigte sich am 9. September 1934 mit erschreckender Deutlichkeit. An diesem Sonntag begingen bei leuchtendem Himmel und strahlender Sonne vier Basler den Nordostgrat, wie wir soeben getan. Für den Abstieg gesellte sich zu ihnen noch ein fünfter Kamerad, dessen Seilgefährten am Anfang des Schneegrates zurückgeblieben waren. In dem von der brütenden Sonne aufgeweichten Schnee glitt der zweite Mann beim Abstieg kurz unter dem Gipfel aus, und trotz allem Sichern und Halten der andern stürzten alle fünf hinunter bis auf den Rhonegletscher. Noch durch das Seil verbunden, wurden sie kurze Zeit später von zu Hilfe eilenden Turisten gefunden. Zwei der Abgestürzten waren tot, ein dritter erlag nach einer Stunde seinen Verletzungen, die andern zwei kamen, wenn auch verletzt, mit dem Leben davon. Eine allzu traurige Botschaft für die Hinterbliebenen.

Ha, diese Schau auf die Oberländer und Walliser! Wie bewundern wir die herrliche Form des gewaltigen Weisshorns! Kein Gedanke kommt uns, dass wir kurze Wochen später auch einen unserer Kameraden, Eugen Reichle aus Horgen, dort am Fusse der schimmernden Wand verlieren müssten. Von fallenden Steinen wurde er getroffen, das Seil, das ihn mit seinem Freund verband, zerquetscht, und vor unsern entsetzten Augen stürzte er ab, um zirka 700 m tiefer auf dem Gletscher liegen zu bleiben. Nicht einmal seine sterblichen Überreste konnten wir bergen. Neuschnee und fallende Lawinen in den folgenden Tagen deckten ihr Leichentuch über ihn... Nun ruht er für ewig dort oben, umgeben von den Bergen, die seine grosse Liebe waren, und sein gewaltiges Grabmal ist das leuchtende Weisshorn...

Der kalte Wind duldet keine lange Rast, und bald stapfen wir über steile Firnhänge hinab zum Galensattel und auf den Rhonegletscher. Wir halten uns gegen sein linkes Ufer, überspringen mit Wasser gefüllte Gräben, schauen in grünschimmernde Spalten hinab. Noch vor Mittag kommen wir zum Hotel Belvedere an der Furkastrasse.Vor dem lärmigen Betrieb flüchten wir in eine stille Ecke des Gastzimmers. Köstlich mundet der kühle Walliser, und froh und dankbar klopft das Herz.

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