Im Licht des Mondes
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Im Licht des Mondes

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

Gustav Schnyder, Siebnen

Sonnenuntergang -schon bald werden wir im Licht des Mondes klettern.

Schon lange stand es fest und stand zugleich ganz zuoberst auf der persönlichen Tourenliste meiner besten Kletterkollegen und meiner eigenen, uns vom Licht des Vollmondes über steilen Fels begleiten zu lassen. Doch immer wieder wurde das Unternehmen Klettern bei Mondschein auf die lange Bank geschoben. Allerdings handelt es sich dabei auch um ein Erlebnis, das erfahrenen Bergsteigern vorbehalten bleibt. Denn es gilt, eine Route bei aussergewöhnlichen Verhältnissen zu finden und zugleich den Standort der wichtigsten, in meist nachtschwarzen Rissen steckenden Haken auswendig zu kennen. Unser vertrauter Hausberg, der Brüggler, schien sich als ideales Ziel anzubieten.

Mit Sack und Pack warte ich um 18.30 Uhr ungeduldig vor dem Haus auf den Abhol-dienst. Emil, Margrit, Erhard' und mir fällt es nicht schwer, dem alltäglichen lärmigen Stress zu entfliehen und ins Schwändital zu fahren. Die von der vergangenen Niederschlagsperiode zeugende Restbewölkung dämpft allerdings den erwarteten Optimismus. In der frischen Abendluft streben wir dem Einstieg zu. Keine Zurufe anderer Seil- 1 Emil Koller, Margrit Koller, Erhard Gresch Schäften, kein Geklimper von Ausrüstungsmaterial stören heute unser kleines Reich. Nur das Geläute der weidenden Kühe, das Rufen der Sennen und das Gebell eines Baris sind zu hören und geben diesem Abend einen besonderen Reiz. Wie für eine Höhlen-befahrung mit Heim und Stirnlampe ausgerüstet, die wir aber nur im äussersten Notfall gebrauchen wollen, geht es nach Einbruch der Dunkelheit dem Einstieg der Sylvester-route zu.

Rasch gewöhnen sich meine Sinne an die aussergewöhnliche Situation. Trotz des noch nicht aufgegangenen Mondes finden meine Augen flink Griffe und Tritte. Einzig bei den Füssen habe ich das Gefühl auszurutschen. Schwierige Anstiege lassen sich unter solchen Voraussetzungen deshalb sicher nicht bewältigen. Endlich, nach zwei Seillängen, der Lohn des Schweisses - welch ein Zauber: Endlich kriecht der schon im Abnehmen begriffene Mond über den Sattel der Lochegg empor. Mit welcher Kraft sein Licht die Nacht durchbricht und die 200 Meter hohe Wandflucht in einen hellen Schein taucht! Nein, es ist kein Traum, es ist Wirklichkeit, ein unbeschreibliches Genusserlebnis durchströmt uns beim Klettern. Unsere Herzen frohlocken, als gäbe es auf dieser Welt keine Sorgen und Nöte mehr. Nach zwei Stunden ist es geschafft. Händedruck über Gelunge- nes, auch immer wieder untrügliches Zeichen - besonders bei unüblichen Touren -von enger Bergkameradschaft und Verbundenheit. Vor uns liegt nun der leicht auszumachende Rest des Weges zum Gipfel.

Von dort geht der Blick nach unten zu den zahllosen Lichtern der Dörfer der Linthebene und, weiter gegen den Horizont hin, zu den dicht gedrängten Siedlungen am Zürichsee, wo Menschen auf engem Raum zusammenwohnen. Hier oben, umringt von den wilden, scherenschnittartigen Konturen der Glarnerberge, überkommt uns das Gefühl einer grossen Freiheit. Bei einem Gläschen Gipfelwein, etwas Wurst und Brot geniessen wir das Erlebnis, das in uns eine tiefe innere Befriedigung hervorruft. Eine Befriedigung, die nur Menschen verstehen, die in die Natur hinausgehen, um sie zu entdecken.

Ich werde den Menschen nie verstehen: warum er seinen wirklichen Reichtum verkennt, bald keine Moral gegenüber der Natur mehr aufbringt. Noch Stunden hätte ich hier oben staunen mögen, aber ein bald anbrechender neuer Tag zwingt uns, in die Realität der Gesellschaft zurückzukehren. Geblieben sind, wie schon viele Male, Erinnerungen. Lange bleibe ich noch wach und träume diesem Unternehmen nach.

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