Im südostanatolischen Hochland zwischen dem Van-See und den Cilo-Ketten
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Im südostanatolischen Hochland zwischen dem Van-See und den Cilo-Ketten

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Mit 5 Bildern ( 97—101 ) und 3 KartenskizzenVon Mor. M. Blumenthal

( Locarno ) Allgemeine geographische Lage Ein verborgenes und wildes Gebirgsland liegt im Nahen Osten im Räume des Länder-dreiecks zwischen der südöstlichen Türkei, Iran und Irak. Es macht teil aus des taurischen Gebirgssystems - im weitesten Sinne dieses Begriffs -, welches den südlichen Teil der Türkei durchzieht1, dann mit seinen inneren Kettenzügen nach Norden ausholt, um weiterhin umzuschwenken und südostwärts in Iran und Irak dem Persischen Golf zuzustreben ( s. Karte A ).

1 Siehe auch die Kartenskizze in den « Alpen » 1950, Seite 139.

Unsere Bergfahrt soll uns in den inneren Abschnitt dieses Bogenstücks führen, wo die Gebirgsketten aus der West-Ost-Richtung in die Südost-Richtung abbiegen und das ganze taurische System eine gewaltige Breite gewinnt, die jene der Alpen ganz bedeutend übertrifft. Dieser Bogenabschnitt als Ganzes, insbesondere in seinem südlichen Teil, wird auch etwa als kurdischer Sektor des Taurus angeführt, eine Bezeichnung, die, geographisch besehen, recht passend und kurz ist, in den Ländern, die sich in dieses Gebirgsland teilen, aber nicht genehm ist, weil es ja kein politisch oder ethnisch umgrenztes Kurdenland ( « Kurdistan » ) mehr gibt, sondern der seinerzeit noch über zwei Millionen Menschen umfassende Volksstamm der Kurden in die drei Nationalstaaten, die einheitlich sein wollen, eingegliedert ist.

Diesen kurdischen Bergen, insbesondere dem türkischen Anteil, der den südöstlichen Zipfel der weiträumigen Türkei einnimmt, wandte sich der Verfasser nach Erledigung eingehender geologischer Studien im südanatolischen Taurus im Spätsommer 1952 zu. Damit ging ein langgehegtes Vorhaben in Erfüllung, einen Einblick in ostanatolisches Land zu bekommen und ein nicht gerade am grossen Wege gelegenes, wildes Bergland touristisch und auch vergleichend geologisch kennenzulernen. Um dessen allgemeine Beziehungen zum Umland, die gefolgte Art der Hinreise und die alpin-touristische Qualifikation besser einschätzen zu können, fügen wir dasselbe in einen weiteren Rahmen und gehen vom Südrand des ganzen Gebirgssystems aus.

Müde schieben dort die beiden grossen Ströme des Euphrat und des Tigris über unzählige Schlingen ihre gelbgrauen Wasser durch meist wüstenhaftes Tiefland dem Persischen Golfe zu. Haben wir die Ausdauer, Hunderte von Kilometern den Strömen nach oben zu folgen - der kürzere Tigris ist ca. 1950 km lang -, so finden wir in dem irako-türkischen Grenzgebiet wilde, schäumende Bergströme, deren tiefe Schluchten alpinen Szenerien nicht nachstehen. Wählen wir den unterhalb Mosul in den Tigris mündenden Büyük ZapGrosser Zap)2, so gelangen wir nordwärts nach ca. 250 km auf türkisches Gebiet; erst sind es in den Randgebieten Berge um die 2000 m, dann aber hebt sich eine Kulisse hinter der anderen höher heraus, und in den Cilo- und Sat-Bergen ( Daglar ) stehen schroffe Felsmassive an, die in NW-SE ausgerichteten Kammlinien Höhen von 3500 bis fast 4200 m erreichen. Auf der Nordseite ist die kettenförmige Anordnung weniger deutlich und fügt sich dort im Gegensatz zu dem viel steileren südlichen Gebirgsabfall ein ausgedehntes Hochland an, in welchem sich als ein gewisser Ruhepunkt die weite Fläche des Van-Sees ausbreitet ( siehe Karte B ).

Zum Van-See und darüber hinaus In der östlichen Türkei zieht eine Depressionslinie, welcher für eine Erstreckung der Murad-Fluss, der wichtigste Seitenarm zum Euphrat folgt, von Westen nach Osten. Diese teils von vulkanischen Ergüssen angefüllte Tiefenlinie wäre von Elaziz ab der geeignetste Zugang nach dem Hochland um den Van-See, und es soll ihr auch die noch im Projektstadium befindliche Eisenbahnlinie folgen. Wir liessen aber diese Zugangslinie zur Seite liegen und haben uns dem sogenannten Kurtulan-Express anvertraut, der uns auf der Schiene in das südliche Vorland taurischer Gebirge bringt. Wo es mit dem « Express » nicht mehr weiter geht, sind wir am Endpunkt eines stehengebliebenen Bahnstranges an- 2 Es wird im folgenden Texte die türkische Schreibweise für geographische Namen beibehalten, dies wenn es sich um wesentliche Schriftzeichen handelt. Man lese also: ci = dschi; s = seh; z = s; v = w. Dagegen wird das dumpfe i ( ohne Punkt !) und das fast unhörbare g vernachlässigt ( Beispiel: Dag [Berg] und Daglar statt Dagi und Daglan [Plural] ).

gelangt, der in seiner Fortsetzung das letzte noch zu erstellende Zwischenglied in der grossen Orientbahn, der Bagdadbahn, hätte werden sollen; dann aber hat ein schneller erstandenes, südlicheres Teilstück durch Syriens NE-Zipfel die Verbindung geschlossen, und das türkische Teilstück wurde zu einer nicht weiter geführten Sackbahn. Immerhin reicht dieses Bahnstück heute bis in die unmittelbare Nähe des allmählich an Wichtigkeit anwachsenden türkischen Petroleumgebietes am mittleren Tigris.

Spätsommerliche Hundstagshitze liess das Thermometer in der letzten Bahnetappe bis auf 43° C ansteigen. Eilige Weiterreise nach den Bergen zu, die im N in anmutigem Kranze entgegengrüssten, war deshalb gegeben. Es bedurfte aber aller Künste des Mark-tens und Überredens, um mit einem Taxi zu einem annehmbaren Preise die ca. 82 km entfernte Stadt Bitlis gleichentags, wenn auch in später Nachtstunde, zu erreichen.

Malerisch, im Grunde genommen aber doch finster und trutzig, zeigte sich tags darauf diese Provinzhauptstadt in felsiger Talrinne zusammengedrängt, in ihren Bauwerken alte Geschichte verratend. Waren wir nun also doch in den Ostgebieten eingetroffen, so durfte im Vertrauen auf gute Verwirklichung der nähere Reiseplan zusammengeschmiedet werden. Unsere Expedition war nicht vielköpfig. Zu dem Schreibenden hatte sich sein junger Kollege von der Istanbuler Universität mit dem wohlklingenden, aber nicht sehr kurzen Namen Çakir Abdüsselamoglu gesellt; beide waren wir des Zeichens « Steinklopfer » und beide beladen mit Energie und Triebkraft, hoffend, in Bälde die noch weit hinten im kurdischen Osten gelegenen hohen Berge mit unseren Hämmern bearbeiten zu können. Doch « westliches » Ungestüm bekam bald seinen « östlichen » Dämpfer, was um so bitterer war, da mein Begleiter mit Zeitvorrat nicht verschwenderisch bedacht war.

Nach Bitlis hinauf waren wir durch ein langes Quertal gelangt, das die ältere kristalline Gesteinszone des südlichen Stammes des hiesigen Taurus in ihrer ganzen Breite durchsetzt. Eine wenig lange Fortsetzung desselben von Bitlis aus nordwärts brachte uns in die offene, ost-westliche Längszone und somit ins innere Hochland. Indessen hatte sich das Landschaftsbild nicht unwesentlich verändert. Eigentlicher geschlossener Baumwuchs war zurückgeblieben, und weite ungehinderte Sicht verlor sich über kahle Berge in weite Fernen. Bald kam im Osten die glitzernde Wasserfläche des Van-Sees ins Blickfeld. Dessen besondere geographische Position und geologische Entstehungsweise lässt sich von der eben erreichten Schwelle oberhalb des Bitlis-Tales schön überblicken und genetisch erklären, weshalb im Angesicht dieses grossen, im Gebirgsinnern gelegenen Sees darüber eine kurze Umschau gehalten sei.

Leicht ist zu erkennen, dass der grosse See im östlichen Abschnitt der voran erwähnten Tiefenzone einsetzt und der Ort, den wir in seinem Westende erreicht haben, dem breiten Querrücken entspricht, welcher die grosse Wassermasse aufgestaut hat. Doch da liegt nicht etwa ein gigantisches Stauwehr, von Menschenhand errichtet, vor, sondern vulkanische Ergüsse haben sich von Norden her, vom Nemrut Dag, in die zuvor bestehende Tiefenzone hinein ergossen und als natürlicher Staudamm Dienst getan. So entstand ein riesiges Wasserbecken, von der Natur geradezu zurechtgezimmert, um dem Menschen seine innewohnende Energie anzubieten. Doch das Problem der Verwendung ist nicht so einfach, wie der erste und flüchtige Überblick vortäuscht.

Der Van-See oder Van Gölü ( Göl = See ) zaubert meergleiche Seesichten ins taurische Gebirgsland. Er stellt eine in 1720 m Meereshöhe liegende Wasserfläche dar, die, auf schweizerische Maßstäbe übertragen, einer Oberfläche gleichkommt, die den Bodensee mit dem Zürichsee zu einem « Binnenmeer » miteinander vereinigen würde, also ungefähr die Oberfläche der Kantone Zürich und Thurgau zusammenfasst.

Da die in dieses vulkanisch gestaute Becken einmündenden, im allgemeinen nicht wasserreichen Flüsse und Bäche zum guten Teil aus einem an leichtlöslichen Salzen reichen Boden abfliessen und das Wasserbecken keinen sichtbaren Abfluss hat, ist das Van-See-Wasser zu einer Art Mittelding zwischen Meer- und Seewasser geworden. Es ist ein laugenartig schmeckendes, an Alkalien relativ reiches Wasser, das nicht trinkbar ist und auch zu Badezwecken nicht geeignet ist. Von den wichtigeren Salzen ist zu erwähnen ein Gehalt von ungefähr 1xh% Na2CO3, von 3 Vi % Na2SO4 und von 9 Vi % NaCl ( Meerwasser enthält bei einem Gehalt an Salzen von 3,5 % das vorwiegende Kochsalz [NaCl] mit 78.

Der heutige See ist eigentlich schon eine Wiederholung eines früheren, aber andersartig bedingten Sees, wie dies Süsswasserabsätze, die über den heutigen Uferrändern liegen, anzeigen, und die wohl auf ein noch viel grösseres Wasserbecken zurückzuführen sind, das die ganze schon erwähnte ost-westliche Längszone einnahm.

Als in einem durch moderne Strassen noch nicht erschlossenen Landesteil liegend, wird der Van-See begreiflicherweise zum natürlichen Verkehrsträger, dies zum mindesten für den Personenverkehr; vier Schiffskurse von Westen nach Osten und umgekehrt verbinden das am westlichen, stauenden Riegel gelegene Tat van und die Vilayets-Hauptstadt Van, die landeinwärts des Ostufers gelegen ist. Die sich um das Nordufer herumschlängelnde Strasse ist meist nur ein Pistenweg, auf dem nur an keine genaue Zeit gebundene Frachtautos verkehren. Da wir in Tatvan resp. in dem an dessen Stelle neuangelegten Distriktshauptorte Tu g, wo der Schiffsverkehr einsetzt, zur Unzeit eintrafen und zwei Tage auf Weiterbeförderung zu warten hatten, stellte sich das Problem der nützlichen Zeitverwendung. Dieses war nicht schwierig zu lösen. Ein kleines, wenn auch kärglich eingerichtetes Gasthaus, von der Sehiffsgesellschaft errichtet, bot die nötige Unterkunft und dürftiges, türkisches Garküchen-Menu.

Liebliches Baumgrün ist hier in das kahle Gelände verpflanzt, und wendet man den Blick unter demselben hinaus auf die Berge des Nordufers, so bleibt er an einem sanftgeschwungenen, breit ausladenden Bergrücken in der Nordwestecke des See-Endes haften. Dies ist der äussere Südmantel eines grossen Vulkanberges, des Nemrut Dag, dessen Ersteigung gerade als einführendes Training günstig in die Wartezeit passte.

Von Nord und Süd nimmt sich dieser mehrere hundert Quadratkilometer Grundfläche überdeckende « Feuerberg » - der aber in historischer Zeit kein « Feuer » mehr gesehen hat -wie ein gewaltig breiter Bergschild aus, dessen baumlose Gehänge ziemlich flach nach aussen abfallen. Doch des Schildes zentraler Buckel besteht nicht, statt dessen findet sich eine riesige alte Kratersenke, eine sogenannte Caldera eingesenkt; ihr elliptischer Grundriss hat eine Längsachse von ca. 9 km, während in der Quere die Ränder auch noch ca. 2Vi km voneinander abstehen.

Eine Unsicherheit in der Wahl der Anstiegsroute über die erst sanften Böschungen gab es kaum; der Berg war von jeder Seite in zahmem Anstieg zu « nehmen », und es war vornehmlich nur die Zeitfrage zu regeln, um zeitig für die Wasserfahrt zurück zu sein.

In Auf- und Abstieg kamen wir hier erstmals mit den im Grunde genommen so dürftigen floristischen Verhältnissen dieser Ostbezirke in Berührung. Da seit Monaten der Sonnenbrand, kaum einmal von einem Gewitterregen unterbrochen, auf die seit Abfluss des Schnee-schmelzwassers ausgetrockneten Gehänge angehalten hatte, war alles, was im Frühjahr noch als ein bescheidener Blütenteppich angetroffen werden konnte, zu einer trostlos verbrannten und fast durchwegs ausgedorrten Vegetationsschicht eingeschrumpft. Als bescheidene Belebung kamen in höheren Hangteilen Polsterpflanzen auf, innerhalb welcher man hätte versucht sein können, nach den netten roten Blüten einer Astragalus-Art zu greifen, was der voreilige Pflücker aber wohl alsbald mit eigenem Blute zu zahlen gehabt hätte. Eine besondere Note geben dieser Pflanzendecke auch die vielen Arten von Distel-gewächsen, darunter schöne stahlblaue Blütensterne oder solche mit gleichgefärbten, grösseren Hochblattständen. Als hochaufschiessendes, aber ganz verdorrtes Gewächs war reichlich eine dem Bärenklau ähnliche Staude vertreten, deren Früchtendolde in Übermannshöhe aufragte und deren Kapseln einem an die Stirne prallten.

Nimmt man die einstündige Strandwanderung bis zum Bergfuss dazu, so war nach vierstündiger Wanderung in ca. 2500 m der Krater- bzw. der Caldera-Rand in einer seiner niedrigeren Einkerbungen erreicht. Eine Randwanderung nach W zu brachte uns dann über einzelne Zacken nach dem höchsten Teil des Caldera-Randes, für den wir in der Südumrandung die Höhe von 2840 m fanden. In mächtigen Abbruchen bricht der äussere Vulkanmantel hier nach der inneren Depression, dem durch Explosion oder Rücksenkung eingetieften, alten Kraterraum ab. In ungefähr 350 m Tiefe unter dem « randständigen » Beschauer dehnt sich die ruhige blaue Fläche eines buchtenreichen Kratersees, dessen Längsachse wohl auf ca. 7 km sich erstreckt; ein anderer nordöstlicher, ebenso grosser Raum der Caldera ist aber durch junge Lavaströme, die gegen den See zu, nach dem Caldera-Zentrum sich wälzten, eingenommen; andere Teile sind wieder durch weissgraue Tuff lagen bedeckt. Solche zentralen Caldera-Ergüsse stellen wohl die jüngste Tätigkeitsperiode des Riesenberges dar, denn heute ist nur ganz schwache Fumarolentätigkeit ( heisse Quellen ) einem ausgehenden Endstadium des vulkanischen Lebens - ob dauerndzuzuschreiben. Inzwischen hat der Mensch für seine Schafe schon den tieferen Caldera-Kessel, wo etwas kümmerliches Grün während des Frühjahrs spriesst, in Beschlag genommen, und sogar Badegäste stellen sich zur Seltenheit am Seerand ein.

Unser Abstieg vom Nemrut Dag vollzog sich mehr über den südwestlichen, äusseren Kratermantel, allwo über glänzend schwarze, glasige, mehrere Meter dicke Obsidianlagen, die zu den jüngsten Lavaergüssen gehören, hinweggestiegen wurde. Im übrigen ist dies die Bergseite, längs welcher wohl noch im jüngeren Diluvium Lavamassen abflössen und so weit nach aussen reichten, dass sie die hydrographischen Verhältnisse des Bergfusses so sehr umzugestalten vermochten, indem sie die normale Entwässerung unterbanden und, wie zuvor angeführt, den über 3600 km'grossen Van-See aufstauten... Nach dem ausgiebig ausgenutzten, etwas warmen Einlaufetag für unsere stadtgewohnten Glieder - wir waren fünfzehn Stunden unterwegs gewesen - war der laue Abend im Grün des Hotelgartens eine wohltuende Ausspannung.

Tags darauf glitten wir über die ruhige Fläche des grossen Sees an dessen Nordufer entlang, still befriedigt, die Distanz, die uns von dem immerhin noch fernen Ziel im Südosten trennte, mit der « Windeseile », die dieser Dampfer einschlug, sukzessive etwas abbröckeln zu sehen. Mit diesem Kleinerwerden ging es aber recht bedächtig langsam vorwärts; die Seefahrt bis nach dem am See-Ostrand liegenden Vilayets-Hauptort Van nahm zwei Tage in Anspruch, denn im Nachmittag des ersten Reisetages wurde schon kurs-mässig der Nachtaufenthalt in Ercis eingeschaltet. Vom breiten Vulkanfuss des Nemrut Dag kommen wir alsbald in das Fussgelände seines noch bedeutend höheren östlichen Nachbarn, des Suphan Da g. Mit etwas von Besorgnis verbrämtem Interesse wurden dessen weite Flanken mit dem Feldstecher durchmustert, denn es war noch einigermassen unsicher, ob bei Rückkehr vom Süden dieser beherrschende Vulkanberg auch noch in unser Bergprogramm aufgenommen werden konnte.

Indessen mit Kurs nach Süden näherten wir uns der Bucht von Van, zuvor nicht wenig beeindruckt, dass bis in diese Gegend es dem weitentfernten Vulkanriesen des Ararat gelang, über die lang sich hinziehende nähere Bergumrahmung sein vergletschertes Haupt neckisch sichtbar werden zu lassen. Warte! Auch du wirst uns herhalten müssen! Doch damit wurde es anders!

Die heutige Stadt Van ist eine ca. 7 km vom Ostufer landeinwärts gelegene Neugründung ( 1917 ), welche die zerstörte, mehr seewärts gelegene, damals viel grössere Siedelung ersetzt. Sie diente uns zu ganz kurzem Aufenthalt für ergänzende Proviantierung und den nötigen Kontakt mit Behörden, dann aber auch zu einem Besuch des alten Van mit seinen imposanten Ruinen auf dem lang in der Küstenebene sich hinziehenden schroffen Burgfelsen ( Kaie = Burg ) ( Photo 1 ). Auf einige hundert Meter Länge ist dieser massige Kreidekalkfelsen von Zinnen und Ecktürmen besetzt, und als Erinnerung an die verschiedenen Völker und Kulturen, die sich hier anklammerten, beobachtet man die verschiedensten Bautypen, wie sie im Mauerbau ineinandergeschachtelt sind; dabei ist freilich der jüngste und wesentlichste Teil, der nur steindurchspickte Lehmbau osmanischer Zeit, der dürftigste, und die massigen mörtellosen Quadern der jahrtausendealten Grundanlage, die auf den innerasiatischen Stamm der Urartu zurückgeht, der solideste Bauteil; ein Rückschritt im Fortschritt der Zeitläufte hebt sich somit ab. Und wer die krenelierte Randmauer selcukischer Zeit sich durch eine Kletterpartie durch die südlichen Abbruche verdienen will, der startet in der türkischen Ruinenstadt im Südfusse; er findet enge Couloirs und Treppenrudimente und vielleicht gar Mauerhaken, die von alter Felsakrobatik erzählen.

Trotz seiner Höhe bleibt das Gebirgsland der Cilo-Ketten von Van aus noch unsichtbar, es sei denn, man ersteige einen der die Ebene bzw. das Seegelände umrandenden Berge, deren höchste auch schon einige hundert Meter über die Dreitausenderlinie aufragen; dies gilt besonders von der östlichen Fortsetzung der Bitlis-Berge, die im Arkot Dag ( Marmore und Schiefer ) Bifertenhöhe erreichen. In unsere Zeitdisposition konnte ein Seitensprung in diese anlockenden Berge nicht mehr eingefügt werden.

Für den einzuschlagenden Kurs nach Süden stand von Van aus eine Ost- und eine Westroute zur Verfügung, um in die nördliche Randzone der Cilo-Ketten zu gelangen. Es wurde die östlichere über Baskale gewählt, die westlichere, die den Provinzhauptort Hakkari berührt, sollte auf der Rückreise gewählt werden.

Erst lagen noch einige kurdische Haufendörfer am Weg, dann umfasste uns die leere Einöde. Und doch auch hier mitten drin zeigt auf hoher Felsklippe die imposante Burg von Hoçap, dass alte Völkerwege durch diese Landschaft leiteten, und deren beherrschende Baureste erzählen von Tyrannei und Überfällen. Die zu einer solchen Autoreise gehörigen kleineren und grösseren Pannen hielten uns viele Stunden an den Fuss dieser Burg, und so war es denn erst bei Nacht, dass über den letzten über 2700 m ansteigenden Passweg hinweg jenseits die weite Niederung von Baçkale erreicht wurde und in diesem schon schlafen gegangenen Garnisonsörtchen nurmehr auf harter Bank in einem dürftigen Kaffee etwas Nachtruhe gefunden wurde.

Eine jener weiträumigen « Ova » war erreicht worden. Unter einer « Ova » versteht man in Anatolien Depressionen innerhalb einer höheren Bergumrahmung, wobei die Entstehungsart für diesen morphologischen Begriff nicht bestimmend ist; für gewöhnlich ist es aber eine morphologisch bedingte Bruchsenke innerhalb des gefalteten Gebirges, weshalb sich denn auch an den Rändern und darüber hinaus die Manifestationen ausklingenden Vulkanismus ( heisse Quellen, Schwefelabsätze ) zeigen. Wir fanden sie an unserem Wege längs der Ova von Baçkale auch da und dort vertreten. Doch vorläufig blieben wir noch als Gefangene in dieser um 2300 m hoch gelegenen « Ova » kleben. Die Unmöglichkeit, Transporttiere oder Autoverfuhr zu ergattern, war die Ursache dieses ungewollten Stopps.

Und als am dritten Tage zur weiteren Annäherung an das südlichere Bergziel übergegangen werden konnte, sah man zwei kleine Touristen und einen Treiber mit einem hochbepackten Pferd durch die wellige Hochebene tippeln. Für Pferderaub, wie er hier von der iranischen Grenze her nicht allzu selten vorkommt, waren wir also keine sehr verlockende Karawane. Dermassen ging die Fussreise über das Örtchen Caldiran ( Militärstation ) zwei Tage weiter, freilich bald in grat- und schluchtenreiches Gelände übergehend, bis die nächst südlichere « Ova », jene von Gevar, oder kurzum die YüksekovaHohe « Ova » ), erreicht worden war. Von Hitze und Eintönigkeit etwas hergenommen, strebte man nicht dem dortigen Hauptorte Gevar zu, sondern dem kleinen Dorfe Hirvata im Westzipfel der « Ova », denn dort war man den Cilo Daglar unmittelbar auf den Leib gerückt, und zugleich war dort die « Residenz » eines der kurdischen Granden der Gegend, dessen gastliches Haus Aufnahme versprach. Somit war wenigstens der Bergfuss jener versteckten Berge erreicht, um derentwillen die ungewollt gedehnte Zureise unternommen worden war; es war schon der zwölfte Tag seit Verlassen von Ankara, was jenen, die sich vielleicht einmal ein gleiches Ziel vornehmen, ein Warnsignal sei, nämlich mit eigenem « Jeep » sich einen « glatteren » Weg in diese Strecken zu bahnen. Bevor wir nun in das Gebirge eintreten, mögen einige allgemeine Leitlinien über dessen Orographie und Erschliessung vorangestellt sein.

Zur Orographie und Erschliessung der Cilo-Ketten Die Cilo Daglar sind nur ein ganz kleiner Ausschnitt aus dem ausgedehnten inneren, d. i. südlichen Teil des gewaltigen Gebirgsbogens, welchen man die ostanatolische oder armenisch-kurdische Beugung im Taurussystem nennen könnte. Demzufolge streichen die Gebirgsketten auf kurze Erstreckung fast West-Ost und beginnen dann in den Cilo-Ketten längs der auffälligen Hochebene der Yüksekova prägnanter nach Südosten abzubiegen ( s. Karte B ). Südlich dieser topfebenen Depression ( ca. 2000 m ü. M. ) liegen die über 3900 m kulminierenden Sat Daglar, die eigentlich nur die Fortsetzung der Cilo-Berge gegen das angrenzende Irak zu darstellen. Zwischen beiden Gebirgssektoren greift ein munterer Gebirgsfluss, als dem Büyük Zap tributar, fast bis zur Ova hinan. Wir folgen ihm - er nennt sich Rudare *in ( d. i. Grüner Flussspäter eine Strecke südwärts. Niedrigere sekundäre Passlinien, die vom Westende der Yüksekova nach den Schluchten des oberen Büyük Zap bei Hakkari leiten, dienen dazu, die Cilo Daglar nach N abzugrenzen, während dies nach W zu eben genannter Flusslauf besorgt. Nach S zu besteht keine scharfe Abgrenzung, indem die höchsten Gebirgskämme von mehr oder weniger parallelen, von der südwärts stärker aktiven Erosion stark zerschnittenen und allmählich niedriger werdenden Bergzügen begleitet werden.

Innerhalb der gegebenen Umgrenzung sind es wesentlich zwei Hochketten, die unsere Aufmerksamkeit beanspruchen: einmal die nordöstliche des Kelianu und dann besonders jene des Reko ( s. Karte C ). Erstere ist gewissermassen eine äussere Randleiste, indem sie im wesentlichen nur die jüngeren kalkig-schiefrigen Nummulitenschichten als Baumaterial aufweist, während die innere Kette sich zur Kulmination des Resko aufschwingt und das tiefere Schichtsystem - Kammlinien in massigen Oberkreidekaiken, auf tieferer mesozoisch-jungpaläozoischer Basis aufliegend - umfasst.

Aus dem Räume zwischen diesen zwei Ketten, den eigentlichen Cilo-Ketten, strömen nach NW und SE zwei kleine Flußsysteme ab: der Dezi DeresiAvizpi D. im obersten Teil ) gegen den Büyük Zap in seinem Hakkari-Abschnitte und in entgegengesetzter Richtung der Erbüc Deresi, der in ungestümem Lauf den Querfluss des Rudare in gewinnt. Da wir durch die ganze Einteilung der Herreise uns für einen östlichen Angriff auf das Gebirge einstellten, war unser Ziel der Erbüc Deresi. Bevor wir nun von Hirvata in der Yüksekova aus dazu übergehen, seien erst noch einige Bemerkungen über die Erschliessung der Cilo Daglar eingeschaltet.

Mit der Erschliessung für Wissenschaft und Touristik ging es mit diesen prominentesten Bergen des Kurdenlandes ähnlich wie mit jenen Ländern, die in ihrer Entwicklung ganze Perioden der allmählichen technischen Vervollkommnung in Sprüngen übergangen haben und vom Ziegenpfad zur Asphaltstrasse und interkontinentalem Flugdienst hinübersprangen. So waren diese kurdischen Berge vorgestern noch vergessene und unbemerkte Gebirgseinöden, in welche nur die Kurden ihre Schafe zur Sommerweide trieben, wenn auch hervorzuheben ist, dass vor 40 Jahren die anbaufähigen Talstücke heute nur mehr durch Ruinen angedeutete Dorfsiedelungen von christlichen Chaldäern oder Armeniern enthielten, deren Bewohner aber unter der Ungunst der Erwerbsmöglichkeiten und der politischen Zustände das Gebiet verliessen.

Mit einem Ruck erhielt dann die touristische und geographische Gemeinde des Auslandes von diesen Bergen Kenntnis durch die Forschungen des Innsbrucker Geographen Hans Bobek 3. Seine in diese Berge geführte Expedition ( 1937 ) brachte eine in ausgezeichneter Weise aufklärende topographische Kartenskizze ( 1:50 000 ) heraus, und die Mitglieder bestiegen wohl erstmals die hauptsächlichsten Gipfel 4. Seit diesen Pionieren hat in der Türkei das Bergsteigen in jüngeren, besonders studentischen Kreisen grossen Anklang gefunden, und ein Bergklub ( die « Dagcilik Federasyonu » ) richtet sein Augenmerk auf die touristische und geographische Erschliessung der anziehendsten Bergmassive. So wurde nach den Cilo-Ketten in den Jahren 1945 und 1948 eine Expedition geleitet, als deren Ergebnis, teils erweiternd auf einen grösseren Umkreis, verschiedene geographisch-touristische Publikationen erschienen sind 5. Auch ist die geologische Erforschung seit geraumer Zeit in die Wege geleitet6.

Natürlich war jeweilen der Resko ein touristisches Hauptziel. Aber trotz des vermehrten Besuches, den nunmehr diese Berge erhalten haben, ist deren höchstes Haupt wohl kaum mehr als von einem halben Dutzend touristischer oder fachwissenschaftlicher Expeditionen besucht worden, und unter den den Resko umgebenden Trabanten wartet sicher eine Anzahl noch der Erstersteigung und... der Namengebung.

3 Hans Bobeck: Forschungen im zentralkurdischen Hochgebirge zwischen Van- und Urmia-See. Petermanns geograph. Mitteilungen, Ergänzungsheft. Gotha, 1938.

4 Siehe auch: Herbert Kuntscher: Bergfahrten in Zentralkurdistan. « Alpen », Heft Nr. 7, 1939.

5 Für den Interessenten seien hier einige der neuesten Veröffentlichungen angeführt:

I. Von rein touristischem Inhalt ( auch französ. Text ) ist eine ganz kurze, reich illustrierte Broschüre, « Cilo Daglari », erwähnenswert; sie ist herausgegeben vom « Milli Egitim Bakanligi » und erschien 1949 in Istanbul.

II. Eine allgemeine geographische Beschreibung des ganzen Van-See-Gebietes mit den Cilo-Ketten ( illustriert, aber nur türkischer Text ) gibt R. Izbirak: Cilo Dagi ve Hakkari ile Vangölü cevresinde Cografya Arastirmalari. Ankara Dil ve Tarih-Gografya Yayimlari, N° 67, Istanbul 1951.

6 Eine vorläufige geologische Übersicht vermittelt: S. Tiirkänal: Note sur la géologie des montagnes de Hakkari. Bulletin of the geological Society of Turkey; Vol. III, N° 1, Ankara 1951. Die Cilo Daglar sind auch Gegenstand einer eingehenden Bearbeitung in einer an der Faculté des Sciences der Universität Genf vom gleichen Autor zu erscheinenden Dissertation.

( Fortsetzung folgt. ) Im südostanatolischen Hochland 1001101 - Aufnahmen von Dr. Mor. M. Blumenthal, Locarno Am Weg nach Oramar Über dem Reiter der Belkiz Dag, in der Tiefe der Einschnitt der Sudbar Sin-Schlucht Der Gipfel des Suphan Dag vom Kirklar Dag aus gesehen ( Der Trachytpropfen mit dem wellig-hügeligen Gipfelstück nimmt die ganze Bildbreite ein, dem Calderarand gehört der Vordergrund und der gestufte Bergrand am hinteren, rechten Bildrand an, während der schmale Calderaboden in der Tiefe - im Schatten - erkennbar ist. Höhe Standplatz etwa 4200 m )

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