Intermezzo
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Intermezzo

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

Mit 3 Bildern.Von Jojef Wrzflk

Ein grosser Stein mitten im breiten Gletscherstrom, irgendwie abgeirrt von der Moränenstrasse, allein liegt er da. Seine obere, jetzt der Sonne zugewandte Seite ist leicht geneigt, glatt und warm. Hier raste ich. Müde werde ich schon sein, aber ich fühle die Ermüdung nicht mehr. Es tut ja gut, Muskeln und Nerven zu entspannen, doch nicht deswegen will ich rasten, nein, bloss ein wenig haltmachen, nicht so rasch hinunter in das Tal. Komme ich doch von den Gipfeln des Monte Rosa. Dankbar blicke ich hinauf zu meinem Berg. Deutlich sehe ich den Pfad, den ich in tiefer Sternennacht begonnen und im strahlenden Sonnenlicht beendet. Hoch trägt er seine vielzackige Gipfelkrone, der Monte Rosa, es gibt nicht seinesgleichen weit und breit. Der schöne Sommertag liess mich auch dort, wo es am höchsten ist, verweilen. Ich bin zufrieden. Warum jetzt eilen? Ruhig ist die Luft, feierlich erhaben die Berge ringsum, leise rauschen die Schmelzwasser, und hier der Stein — das ist die richtige Stelle, wo ich den Gang des heutigen Erlebens verlangsamen, das Glück des Tages abklingen lasse.

Es war viel Licht heute um mich, ungewohnt viel. Ich schliesse ein wenig die Augen. Aber auch so erscheinen im roten Raum der geschlossenen Lider immer wieder die geschauten Bilder der grossen Fahrt: die Eisflanken des Lyskamms — im zuckenden Gegenlicht der letzte Gipfelbau der Dufourspitze — der tiefe, tiefe Blick in das Anzascatal — der feine Firngrat der Zumsteinspitze — die Punta Gnifetti — die wilden Eisbrüche des Grenz- Die Alpen — 1937 — Les Alpes.26 gletschers. Die Bilder verwirren sich, müde öffne ich die Augen, lehne den Kopf zurück auf den harten Fels und schaue hinauf in die gottestiefe Himmelsbläue. Mein heutiger, langer und hoher Weg, wie er sich verliert, ganz verliert in dieser blauen Ewigkeit! Immer ferner und ferner höre ich die Schmelzwasser rauschen, und langsam senkt sich auf mich ein süsser, namenloser Frieden. Alles wird still, eine Weile ganz still.

Da empfinde ich einen sanften Luftzug, er streicht über meine Stirn und führt mich aus meinem Nirwana. Ich richte mich auf, wie nach einer langen Rast. Wieder habe ich die Welt um mich, und wie schön alles ist: diese Berggestalten, diese Gletscherströme — und dort drüben das schmale Weglein, kaum sichtbar, aber ich weiss, es führt in das Tal hinunter, wo es ganz grün ist« 0 du wunderbare Welt!

Ich springe auf, nehme den Rucksack und gehe weiter, hinüber zum andern Gletscherufer, zum Weglein. Aber etwas hemmt meinen kaum begonnenen Gang. Eine seltsame Wolke hat sich über dem Bergpaar Kastor und Pollux gebildet. Vor meiner Rast war sie noch gar nicht sichtbar, und jetzt reckt sie sich in einer unglaublichen Grosse über den Zwillingen und scheint, um sich herum den blauen Himmel lassend, immer noch höher zu wollen.

« Davon mache ich eine Aufnahme », entschliesse ich mich — und als ich sie fertig habe und ein Stückchen weiter gehe, da — schon wieder etwas zum Aufnehmen, und diesmal was ganz Eigenartiges: einmal des Matterhorns einzige Gestalt — aber was ist das hier vor mir? Bin ich in einem ZaubergartenAuf dem ebenen, flachen Gletscherboden stehen in kurzen Abständen zuckerhutgrosse Eisgebilde, allen bekannten Gesetzen widersprechend, scheinen sie nur so herauszuwachsen. Wohl eine Art Büsserschneebildung, erkläre ich mir, die in den tropischen Berggebieten oft vorkommen soll, wie ich einmal wo gelesen habe. Doch nein, sieht es nicht aus wie eine Huldigung dem Matterhorn? Und je mehr ich hinsehe, um so deutlicher formt sich vor mir ein seltsames Schauspiel: der Gletscher huldigt! Er, der gewaltige Verflacher und Diener der Ebene, setzt seiner glatten, starren Eisfläche kleine Spitzen auf, ganz kleine Ebenbilder des grossen Horns dort drüben. So ist der Gletscher also seiner Art müde geworden, dieses eisige, höhenverebnende Ungetüm will hinauf, berauscht sich einmal an den himmelweisenden Linien seines Gegners! Vergeblich wühlt, schabt und drängt er, schon Tausende von Jahren, an dem mächtigen Postament des Horns. Aber mitsamt den grossen Bundesgenossen: Wind, Wasser, Frost und sengender Sonnenstrahl, es gelingt nicht, den Berg niederzuringen. Immer erhabener wird die Geste des Titanen: dieses berauschende Hinauf.

Als ich dann drüben vom anderen Gletscherufer auf gebahntem Wege wieder rasch tiefer und tiefer zu Tale komme, da überlege ich: Es wird gerade finster sein, wenn ich in Zermatt bin, nach Mitternacht geht aber der Mond auf, um 3 kann ich auf der Triftalp sein — also noch Zeit genug. Das schlanke Zinalrothorn kann jetzt gute Verhältnisse haben.

Der Abend ist ruhig, und morgen gibt es sicher einen schönen Tag.

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