Jean de Charpentier (1786-1855)
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Jean de Charpentier (1786-1855)

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Paul Hertig, Biel

Herkunft und Leben Jean de Charpentiers Die de Charpentiers stammten aus der Normandie. Nach der Aufhebung des Edik-tes von Nantes ( 1685, Louis XIV ) floh die adelige Hugenottenfamilie nach Deutschland. Der Vater, Johann Friedrich Wilhelm ( 1728-1805 ), ein angesehener Ingenieur, lebte in Dresden und wirkte von 1767 an als Professor für Mathematik an der Bergakademie in Freiberg ( Sachsen ); einer seiner Schüler war Alexander von Humboldt. An dieser Hochschule erteilte er nicht nur Unterricht, sondern studierte auch noch Bergbaufächer. 1778 erschien sein Werk Mineralogische Geographie der kursächsischen Länder. Von 1802 an amtete er als Leiter des sächsischen Berg- und Hüttenwesens.

Jean wurde am 7. Dezember 1786, als jüngstes der sieben Kinder, in Freiberg geboren. Schon als Knabe fuhr er mit seinem Vater in die Gruben ein und interessierte sich für die dort eingesetzten Maschinen. Anschliessend besuchte er das klassische Gymnasium in Pforta und trat 1804 in die Bergakademie in Freiberg ein. Nach Abschluss von Schule und Studium wurde er von seinem ältesten Bruder Toussaint ( Oberbergrat der preussischen Bergwerke ) Einleitung Das 19. Jahrhundert war die grosse Pionierzeit der Schweizer Gletscherforschung. Einige Namen von Beteiligten tauchen in der Literatur immer wieder auf, allen voran Jean Louis Rodolphe Agassiz ( 1807-1873 ), der Neuenburger Professor und berühmte Fischforscher, und Edouard Pierre Jean Desor ( 1811-1882 ), der Jurist, spätere Neuenburger Stände- und Nationalrat und einstige Sekretär Agassiz '. Die Verdienste anderer Gelehrter, wie des Solothurners Abbé Franz Joseph Hugi ( 1793-1855 ) oder des Walliser Kantonsingenieurs Ignaz Venetz ( 1788-1859 ), werden eher zu wenig gewürdigt. Zu den ( Vernachlässigten ) gehört auch Jean de Charpentier, seine Arbeiten standen immer etwas im Schatten der Veröffentlichungen Agassiz'und Desors. Die folgenden Zeilen sind ein Beitrag, den Forscher Jean de Charpentier und seine originellen Eiszeitthesen, die in einigen Teilen den Theorien Agassiz'überlegen sind, vorzustellen.

angestellt und mit technischen Aufgaben in den schlesischen Bergwerken betraut. 1808 finden wir ihn als Leiter in den wiedereröff-neten Kupferbergwerken von Baigorry ( Pyrenäen ). Das Unternehmen hatte aber nur kurzen Bestand. Jean blieb bis 1812 in Südfrankreich und durchstreifte die Pyrenäen. Die Frucht dieser Jahre ist das 1823 veröffentlichte und von der Pariser Akademie preisgekrönte Buch Essai sur la constitution géognostique des Pyrénées; daneben studierte er in der französischen Hauptstadt Chemie und Naturwissenschaften. 1813 wurde Jean de Charpentier auf Empfehlung seines ehemaligen Studienfreundes, des Waadtländer Forstdirektors Charles Lardy ( 1780-1858 ), zum Direktor der Salinen nach Bex ( VD ) berufen. Er heiratete 1828 Fräulein Therese-Louise von Gablenz aus Dresden. Die junge Frau verstarb schon drei Jahre KRRAT191 DE LA VALI. KV. 1>V KIIÔ MS später bei der Geburt des zweiten Kindes. Die ledige Schwester Jeans, Caroline, führte darauf den Haushalt und erzog die Tochter Ernestine. Die letzten neun Jahre betreute diese den alternden, immer noch geistig tätigen Vater. Jean de Charpentier starb am 12.September 1855 nach schwerer Krankheit in seinem Heim in Les Dévens.

Der Ingenieur und Naturforscher Jean de Charpentier war als Salinendirektor nach Bex geholt worden, um dem Unternehmen einen neuen Aufschwung zu geben. Seit urdenklichen Zeiten wurden Carte du terrain erratique de la vallée du Rhône, aus [1]; gezeichnet von A. Dürr, gestochen bei Bressanini 1823 liess der dankbare Kanton Waadt seinem erfolgreichen Salinendirektor Jean de Charpentier in Les Devens die

Photo: Atelier Sflint-Dismas, Lausanne hier salzhaltige Quellen, die aus dem Berg traten, genutzt. Die früheren Besitzer hatten die Quellen 1684 dem Staat Bern verkauft. Trotz des Baus zahlreicher Stollen, mit dem Ziel neue Quellen anzustechen, blieb die Ausbeute enttäuschend bescheiden, und Bern musste auch weiterhin grosse Salz-mengen, vor allem aus Frankreich, einführen. Dank seiner geologischen Kenntnisse fand Charpentier 1824 die Salzlager im Berg und verbesserte die Gewinnungstechnik. Der Salzertrag wurde vervielfacht, so dass der Kanton Waadt seither seinen gesamten Salzbedarf aus den Salinen in Bex decken kann! Der dankbare Staat baute seinem Salinendirektor in Les Dévens die « Villa Solitaire ). Charpentier wies auch den Jodgehalt des Salzes aus Bex nach.

1831 entdeckten zwei Fischer in der Rhone vor Lavey warme Strömungen. Charpentier ging der Sache nach, liess die Quellen fassen und zeichnete die Pläne für das Thermalbad Lavey, das heute einen neuen Aufschwung erlebt. Ebenso war der vielseitige Ingenieur bei den Flussverbauungen der Gryonne und der Rhone, zwischen Bex und dem Genfersee, beteiligt und präsidierte bis zu seinem Tod die Dammkommis-sion. 1854 wirkte er für den Staat Bern als Experte bei der wirtschaftlichen Beurteilung der Eisengruben im Jura ( die in der Folge geschlossen wurden ).

Im Rahmen seiner Expertentätigkeit lernte der Salinendirektor dann auch den Walliser Kantonsingenieur Ignaz Venetz kennen. Diese Begegnung gab den Anstoss für die späteren Arbeiten Charpentiers über die Gletscher. Die beiden Freunde arbeiteten bei Gletscherbeurteilungen - u.a. nach dem katastrophalen Abbruch des Giétrogletschers ( 1818und bei Flussverbauungen oft zusammen. Dank der Empfehlung Charpentiers wurde Venetz 1837 als Strassenmeister vom Kanton Waadt angestellt ( er kehrte erst 1854 wieder ins Wallis zurück ). Jean de Charpentier war nicht nur Geologe und Ingenieur, sondern auch ein bedeutender Botani- Porträt von Jean de Charpentier ( Gemälde, Naturhistorisches Museum Bern ) ker ( in seinem Garten zog er exotische Pflanzen ) und Zoologe! Er lehrte viele Jahre als Honorarprofessor an der Universität in Lausanne. Sein Herbarium mit 32000 Pflanzenarten, seine Schnecken- und Muschelsamm-lung - 3707 Arten, 37 570 Exemplare - gingen nach seinem Tod an das Naturhistorische Museum von Lausanne. Der kleine Weiler Les Devens, etwa zwei Kilometer nördlich von Bex am Ufer der Gryonne, war zu jener Zeit ein wahres wissenschaftlich-kultu-relles Zentrum. Nachbarn der Charpentiers war die Familie Thomas, die mehrere bekannte Botaniker hervorgebracht hat. Der älteste Bruder von Jean, Toussaint, war ein eifriger Sammler von Libellen, Schmetterlingen und Heuschrecken. Viele befreundete Gelehrte besuchten Devens, wo über Gott, die Schöpfung und die neuesten naturwissenschaftlichen Theorien diskutiert wurde.

Einer dieser Besucher war, 1836, Louis Agassiz. Er verbrachte die Sommerferien bei Charpentier mit der festen Absicht, seinem Freund die unmöglichen Gletschertheorien, die er im Kreise der Schweizerischen Naturforschenden Gesellschaft ( SNG ) verbreitete, auszureden. Nachdem aber Agas- siz mit Charpentier die Waadtländer Alpen und die Walliser Täler besichtigt hatte, wurde er seinerseits zum glühenden Verfechter der Eiszeittheorie.

Jean de Charpentiers Beitrag zur Gletscherforschung Es sei vorweg festgehalten, dass sich Jean de Charpentier nie mit fremden Federn geschmückt hat. Immer hat er die Freunde erwähnt, die ihn zu seinen Forschungen angeregt und die zu seinen Erkenntnissen beigetragen haben. Bestimmend für seine Arbeiten über die Gletscher und ihre frühere Ausdehnung war die Freundschaft mit Ignaz Venetz. Venetz hatte bereite 1821 der SNG eine Arbeit zur Preisfrage über die Klimaänderungen und deren Einfluss auf die Alpengletscher eingereicht; Charpentier war Mitglied der Kommission, die die Arbeit beurteilte. 1829 trug Venetz der SNG auf dem Grossen Sankt Bernhard die Überzeugung vor, die Walliser Gletscher hätten einst das ganze Mittelland bedeckt und bis zum Jura gereicht. Charpentier gehörte zur Mehrheit der Zuhörer, die ungläubig ihr gelehrtes Haupt schüttelten; er gestand sogar, dass er sich für seinen Freund geschämt habe. Immerhin, er liess sich von Venetz das in den Walliser Tälern zeigen, und wie später Agassiz, wurde er von nun an zum überzeugten Verfechter der neuen Idee. Er erinnerte sich auch, dass ihm schon 1815 der Bergbauer, Gemsjäger und spätere Kantonsrat Jean-Pierre Perraudin ( 1767-1858 ) aus Lourtier versichert hatte, die erratischen Blöcke im Val de Bagnes seien nicht vom Wasser, sondern von den Gletschern an ihre Fundorte getragen worden; Perraudin glaubte, die Gletscher hätten einst bis nach Martigny gereicht. Als Charpentier 1834 über den Brünig wanderte, um an der Sitzung der SNG in Luzern die Eiszeittheorie von Venetz zu verteidigen, traf er einen Holzfäller, der ihm erklärte, die dortigen Findlinge stammten aus dem Grimselgebiet und seien vom Gletscher, der früher bis nach Bern gereicht habe, hierhergebracht worden. Aber trotz der Achtung, die Charpentier im Kreise der Gelehrten genoss, schenkte man seiner Theorie keinen Glauben. Charpentier veröffentlichte seine Thesen 1835 in den Annales des Mines in Paris, ein Jahr später in Deutschland. Auch ( der bekehrte ) Agassiz erntete 1836 mit seiner revolutionären Rede über die Eiszeittheorie von der in Neuenburg versammelten SNG noch ungläubiges Kopfschütteln. Dass sich aber jetzt auch junge Gelehrte mit den Eiszeitgedanken auseinandersetzten, spornte Charpentier an, und 1839 begann er, sein wegweisendes Buch Essai sur les glaciers et sur le terrain erratique du bassin du Rhône ( Lausanne 1841 ) zu schreiben, das gleichzeitig mit dem Werk Agassiz'Essai sur les glaciers ( das übrigens den beiden Herren Venetz und de Charpentier gewidmet ist ) veröffentlicht wurde.

Das Werk Charpentiers ist in zwei Teile gegliedert. Klar beschreibt der Verfasser die bekannten Theorien, widerlegt die Aussagen, mit denen er nicht einverstanden ist, und begründet seine eigenen Thesen. Im ersten Teil werden die Gletscher behandelt. Dieser Abschnitt enthält zahlreiche Fehler und Ungenauigkeiten. Charpentier drückt sich z.B. unklar über den Firn aus; seiner Ansicht nach entsteht Gletschereis hauptsächlich aus Regenwasser, das den Schnee tränkt und dann gefriert; den Gletschervorstoss erklärt er mit der Ausdehnung des gefrierenden Wassers, eine Theorie, die bereits Scheuchzer im 18. Jh. vertreten hatte; er glaubte auch, die Gletscher seien auf dem Untergrund festgefroren. Wegwei-send ist hingegen der zweite Teil des Buches, der sich mit dem Transport und der Verteilung der erratischen Blöcke und mit den Moränen befasst.

Das Rätsel der erratischen Blöcke und der Eiszeiten Dass die Moränen aus den Gletscherbewegungen entstanden sind, darüber waren sich die Naturforscher im 19. Jh. mehrheitlich einig. Auch kannte man die Herkunftsge-biete der erratischen Blöcke bereits recht gut. Aber wie waren diese Felsbrocken an ihre Fundorte gelangt? Darüber stritten sich die Gelehrten, und die Frage regte ihre Phantasie an. Die abenteuerlichsten Theorien wurden aufgestellt ( z.B. auch, die erratischen Blöcke seien vom Mond heruntergefallen ), verbreitet und hartnäckig verfochten. Die Zunft war hauptsächlich in zwei Lager gespalten, in Anhänger eines mit Hilfe von Wasserkraft erfolgten Transportes und in Verfechter eines direkt aus dem Erd- innern entstammenden Ursprungs. Letztere vertraten die Meinung, dass die erratischen Blöcke durch vulkanähnliche Ausbrüche aus dem Erdinnern herausgeschleudert worden seien. J.H. Deluc schrieb von Einsenkungen der Täler, die gewaltige Gasexplosionen ausgelöst hätten.

Die Für deren Anhänger waren die erratischen Blöcke durch gewaltige Wasserströme - vielfach als Sintflut gedeutet - an ihre Fundorte gespült worden. Es galt nun, vor allem die ausserordentliche Wucht dieser Wasserströme zu erklären. H.B. de Saussure nahm an, dass bei der Entstehung der Alpen der Ozean angehoben worden sei und die ganze Schweiz bedeckt habe; das Wasser sei in die Klüfte der Gebirge eingedrungen ( Theorie von Leibniz, 1693 ), später ausgebrochen und habe sich durch das Becken des Genfersees Richtung Fort de l' Ecluse gewälzt. Conrad Escher von der Linth postulierte einen riesigen Wall zwischen den Dents du Midi und den Dents de Morcles, hinter dem sich bei der Eisschmelze ein Stausee gebildet habe, der dann ausgebrochen sei. Der Franzose Elie de Beaumont und der Engländer James Hall nahmen an, dass die Eismassen durch ausströmende Gase in kurzer Zeit abgeschmolzen seien - man stritt sich ernsthaft um die Frage, ob die Katastrophe im Sommer oder Winter eingetreten sei -, ihr deutscher Kollege Storr erklärte das Abschmelzen mit Vulkanausbrüchen.

Der tonangebende Deutsche Leopold von Buch vertrat Meeresströmungen als Folge der Alpenbildung; die Verteilung der Blöcke erklärte er mit verschieden gerichteten Strömen unterschiedlicher Dichte, und er berechnete sogar die notwendige Fliessgeschwindigkeit des Wassers, um die gewaltigen Brocken bis auf die Jurahöhen zu schwemmen: etwa 19470 Fuss pro Sekunde, d.h.c.a. 6 km/sec; der Berner Geologe Bernhard Studer beschreibt denn 1825 mit wuchtigen Worten die Gewalt, mit der die Fluten auf die Jurahänge geprallt seien. Von Buch hat die Eiszeittheorien Agassiz ', de Charpentiers und Venetz'immer für eine sonderbare Verirrung des menschlichen Geistes> gehalten.

Weitere Theorien Charles Lyell, der grosse englische Geologe, vertrat demgegenüber eine etwas abweichende Variante: die sog. Flosstheo-rie. Lange glaubte man, die inneren Alpentä- 1er seien von einem Eismeer bedeckt gewesen, die Alpengletscher wurden als Buchten und Ausflüsse dieses Eismeeres gedeutet ( Wolfgang Christen, Johann Georg Altmann, 1751 ). Lyell nahm an, dass die Findlinge auf Eisschollen schwimmend an ihre Fundorte getragen wurden, wo sie, nach dem Abschmelzen des Eises, liegen geblieben seien ( was für einige tatsächlich zutrifft ). Der Franzose Dolomieu und der Deutsche Ebel traten mit einer noch andern Idee vor die Fachwelt: Sie postulierten heute verschwundene schiefe Ebenen, auf denen die Blöcke an die Fundorte gerollt und gerutscht seien. Auch Louis Agassiz vertrat diese Theorie! Agassiz schreibt in seinem Werk, dass die nördliche Halbkugel, vielleicht sogar die ganze Erde unter einem dicken Eispanzer begraben gewesen sei; unter dieser Eisschicht hätten sich die Alpen erhoben und das Eis durchbrochen; auf den derart entstandenen schiefen Eisrutschen seien die erratischen Blöcke bis auf die Jurahöhen gerollt. Agassiz unterstreicht ausdrücklich.

dass das Schweizer Mittelland nicht von den Alpengletschern bedeckt worden sei, die Alpengletscher nur die Überbleibsel der einst weltweiten Vergletscherung darstellten.

Die kritischen Einwände von Venetz und de Charpentier Da kamen nun Venetz und de Charpentier und versuchten, die gelehrten Gedankenge-bäude zu widerlegen! Der Ingenieur Charpentier wies Agassiz mit einer einfachen Rechnung nach, dass die schiefen Ebenen, falls es sie zwischen den Alpenspitzen und dem Jura gegeben hätte, nicht einmal um 2 Grad geneigt gewesen wären, das Abrutschen der Findlinge somit unmöglich ist. Dagegen vertrat Charpentier die Ansicht, dass sich die Alpen vor der Vergletscherung gebildet hatten - was 1858 von Oswald Heer endgültig nachgewiesen worden ist -und die Alpengletscher bis zum Jura vorgestossen waren; dabei hatten sie die errati- Denkmal Charpentiers bei der Kirche in Bex. Als man 1920 das Grab aufhob, wurde der Grabstein, ein Findling aus der Gegend von Solalex, als Gedenkmal an die heutige Stelle versetzt.

sehen Blöcke mitgeführt. ( Venetz schrieb sogar andeutungsweise, dass es aufgrund der Verteilung der Moränen mehrere Gletschervorstösse gegeben haben müsse! Leider konnte er infolge seiner beruflichen Belastung diese Idee nicht näher ausführen. ) Ungeklärte Frage der Entstehung der Eiszeiten Keiner der Forscher hatte eigentlich die Absicht, die Entstehung der Eiszeiten zu erklären. Aber natürlich konnten sie der Frage nicht ausweichen, wie denn die enormen Eismassen entstanden seien. Alle Gelehrten gingen von der zeitgemässen Annahme aus, dass sich die Eispanzer in sehr kurzer Zeit gebildet haben mussten. Nach heutiger Erkenntnis ist unser Planet etwa 4,5 Milliarden Jahre alt; zu Beginn des 19. Jh. glaubte man aber noch, das Erdalter betrage um die 100000 Jahre. Erst 1862 berechnete Lord Kelvin das Erdalter mit 20 bis 400 Millionen Jahren: Für Eiszeiten blieb also herzlich wenig Zeit! Agassiz war von Cuviers Katastrophentheorie - mehrmalige Sintfluten, die alles Leben auslöschten, und nachfolgende Neuschöpfungen der Lebewesen - stark geprägt. Er ersetzte die Sintflut, sozusagen, durch eine plötzliche weltweite Vereisung, ohne naturwissenschaftliche Begründung. Arnold Escher von der Linth und Desor glaubten an erhöhte Luftfeuchtigkeit als Auslöser der Eiszeit. Auf einer Saha-rareise hatten sie den Nachweis gebracht, dass die Wüste früher von einem Meer bedeckt gewesen war. Escher postulierte nun, dass der Schirokko oder Föhn, beladen mit Feuchtigkeit, zu enormen Schneefällen und schliesslich zur ausserordentlichen Eisbildung in den Alpen geführt habe.

Jean de Charpentier nahm vorerst an, die Alpen und das Mittelland hätten vor der Entstehung der Eismassen viel höher gelegen. Später verwarf er diese Idee, und in seinem Buch beschreibt er, wie sich unter Getöse die Alpentäler aufgerissen haben ( vor Schrecken seien Nashörner und Elefanten bis nach Sibirien geflohen, wo sie dann elendiglich erfroren sind... ); aus den Schlünden, die später mit Geröll wieder eingedeckt wurden, seien gewaltige Mengen Dampf aufgestiegen, die auf den Gipfeln zu Schneefällen geführt hätten, die schliesslich die Gletscher anwachsen liessen. Er erkannte richtig, dass milde Winter und kühle Sommer Eiszeiten auslösen, verwirft aber interessanterweise ausdrücklich die Idee, die Erdumlaufbahnen könnten mit der Abkühlung des Klimas etwas zu tun haben ( heute ernsthaft diskutierte Theorie von Milan Milankovic, um 1920 ).

Aus heutiger Sicht Es steht uns nicht zu, über die Eiszeittheorien der Naturgelehrten des 19. Jh ., die auf dem Boden der damaligen Kenntnisse gewachsen sind, zu lächeln -wieviel wird in einigen Generationen von unseren gefestigten naturwissenschaftlichen Erkenntnissen noch übrig sein? Einige der damaligen Behauptungen wurden aufgrund von Einzelbeobachtungen verallgemeinert, fremde Berichte, ausserhalb des natürlichen Zusammenhanges, als Beweis für die eigenen Theorien beigezogen ( z.B. Charpentiers fliehende Elefanten: kurz zuvor waren Funde von Mammutkadavern in Sibirien bekannt geworden ). Diese Pioniere hatten alle ein umfassendes Allgemeinwissen - das wir heute nur ( neidisch ) bewundern können! -, verfassten ihre Schriften mit dem Ziel, die grossen Zusammenhänge aufzuzeigen. Dabei liessen sie ihre Phantasie walten -und mischten hie und da auch poetische Farben dazu!

Bibliographie [1] De Charpentier, Jean: Essai sur les glaciers et sur le terrain erratique du bassin du Rhône, Lausanne 1841 [2] Agassiz, Louis: Untersuchungen über die Gletscher, Solothurn 1841 [3] Agassiz, Elizabeth C: Louis Agassiz, sa vie et sa correspondance, Neuchâtel 1887 [4] Desor, Edouard: ( Aperçu du phénomène erratique des Alpes>,in: Jahrbuch des SAC, 1.Jg., 1864, S. 426-463 [5] Lardy, M: Jean de Charpentier ( notice nécrologique ), Paris 1855 [6] Lugeon, Maurice: Jean de Charpentier ( Vortrag in Bex 1920 ), Lausanne 1921 [7] Balmer, Heinz:

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