Katung-Kang. Bergfahrt in den Norden der Anaapurna
Unterstütze den SAC Jetzt spenden

Katung-Kang. Bergfahrt in den Norden der Anaapurna

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

BERGFAHRT IN DEN NORDEN DER ANNAPURNA 1

VON MARGRIT DÉRIAZ-GROB

BERGFAHRT IN DEN NORDEN DER ANNAPURNA 1 Mit 10 Bildern ( 102-111 ) Vorgeschichte Unsere kleine Expedition, zunächst bestehend aus meinem Mann und mir, hat - wie wohl alle solche Unternehmungen - mit unendlich viel aufregenden, begeisterten Plänen, dann mit Listen, Einkäufen und endlich mit dem Verpacken des Materials begonnen.

Auch haben wir auf dem Reisebüro einen sorgfältig durchdachten Reiseplan zusammengestellt. Alles sollte auf das beste klappen! Nur mit der tropischen Hitze und dem so faszinierenden asiatischen Zeitbegriff haben wir nicht gerechnet. Wohl lächeln die Inder ein wenig über die « ewig hetzende weisse Rasse », und mit liebenswürdiger Höflichkeit ist schon bei Ankunft unseres Schiffes in Bombay auf dem Zollamt unser Weiterkommen um Tage verschoben worden. Da ausserdem keine direkte Zugverbindung durch Indien bis an die nepalesische Grenze existiert, mussten unsere 30 Gepäckstücke unendlich oft umgeladen werden. Je länger wir in der grossen Hitze Tage und Nächte gereist sind, mit immer primitiveren Zügen, um so ferner und märchenhafter schien uns unser Ziel Nepal zu rücken.

Endlich, nach etwa einem Monat Reise, sind wir doch noch an der nepalesischen Grenze angekommen.

Hier ist nun das Ende aller Strassen und Bahnen. Glücklicherweise gibt es seit einigen Jahren ein paar Flugverbindungen nach Katmandu, und als sich unser Flugzeug aus dem Dunst der heissen indischen Ebene hebt und über die ersten Vorberge des Himalaya nach Katmandu fliegt, atmen wir voll dankbarer Freude die herrliche, frische Luft des Berglandes ein.

Katmandu, die Hauptstadt Nepals Sehr freuen wir uns, hier Werner Schulthess, Dairy Expert FAO, wiederzusehen, der mit so viel begeisterter Zähigkeit in Nepal Molkereibetriebe einrichtet. Voll Bewunderung besichtigen wir sein erstes Steinhaus mit Pasteurisier- und Kühlanlage für die Milch nepalesischer Büffel und versuchen von dem ausgezeichneten « Schweizer Käse », den seine Mitarbeiter, Familie Siegenthaler aus Zürich, in den Hochtälern des Himalaya gemacht haben. Leider ist unser Weisswein, der für eine Fondueprobe bestimmt war, längst irgendwo in Indien « verdunstet ».

Schulthess hilft nun Pierre, sich in dem wahren Labyrinth von Regierungsgebäuden zurechtzufinden, und während wir auf die verschiedenen Visas, die man in Nepal für jede Wanderung ausserhalb der Hauptstadt benötigt, warten, besuchen wir die wundervollen alten Tempel mit den prächtigen und ausserordentlichen kunstvollen Holzschnitzereien. Üppige, wilde Dämonen schauen unter den Dächern hervor, die man mit Opfergaben beschwichtigen muss, und wieder 1 Teilnehmer der Expedition: Arthur Baumgartner, Pierre und Margrit Dériaz; 3 Sherpas: Aila ( Nr. 61 ), der an der französischen Expedition auf Annapurna I teilgenommen hat, Ang Tensing VI ( Nr. 201 ) ( « Balu » ), hat bei der Expedition Hunt am Mt. Everest teilgenommen, Sonam, neu in diesem Beruf; 12 Träger.

Götterbildnisse von einer unaussprechlichen Ruhe und dem eigenartigen fernen Geheimnis des Ostens in sich.

In den kommenden Wochen wandern wir zum Teil mit Schulthess zusammen und zum Teil allein durch verschiedene Gebiete des wunderschönen Landes und lernen die fröhlichen, liebenswerten Menschen Nepals ein wenig kennen. Sie besitzen die grosse Kunst, sorglos von einem Tag zum anderen zu leben, ohne etwas zu besitzen. Wenn sie mehr verdienen, als sie gerade für einen Tag brauchen, so machen sie umgehend « Ferien », das heisst, sie schlafen in der herrlich warmen Sonne.

Bei unserer Rückkehr nach Katmandu haben wir die Freude, Dr. Toni Hagen, den Geologen der UNO, kennenzulernen, der gerade von einer seiner anstrengenden und entbehrungsreichen Fussreisen durch Nepal zurückgekehrt ist. Herzlich sind wir ihm und Schulthess für alle Hilfe und Gastfreundschaft dankbar.

Dr. Hagen stellt uns seine drei ausgezeichneten Sherpas zur Verfügung und Schulthess einige sehr zuverlässige Träger und ausserdem noch Zeltmaterial.

Einkauf Eines Tages also fahren wir mit einem Jeep und Aila, unserem neuen Sherpa, auf den Markt von Katmandu, um Grosseinkäufe zu machen. Aus der Schweiz haben wir ja nur eine nicht sehr grosse Kiste Proviant mitgebracht, lediglich mit den allernötigsten Verpflegungsmitteln für unsere Bergtouren, wie Biskuits, Ovomaltine, Suppen, Konserven usw. Alles übrige wollen wir in Katmandu einkaufen, ausser Reis, Kartoffeln und Eier, was man unterwegs überall bekommen kann.

Aila handelt mit routiniert gleichmütiger Miene um all die vielen nötigen Dinge, wie Träger-körbe mit Kopftragriemen, Kochtöpfe, leichte Schuhe für die Träger, Früchte usw. Wir Sahibs stehen eigentlich nur dabei, um die grosse Geschicklichkeit im Handeln zu bewundern und uns andererseits von der lustigen, bunten Menge gründlich besichtigen zu lassen. Besonders meine Nylonstrümpfe erregen grosses Interesse. Ein ganzes Rudel Kinder sammelt sich hinter mir, um die « komische Haut » der Memsahib zu sehen.

Anschliessend kaufen wir eine grosse Ladung Lebensmittel im China-Shop. Dort gibt es alles, was man sich für nepalesische Begriffe nur wünschen kann: Pudermilch, Haferflocken, Zucker, Salz, Nescafe, Tee, und Aila wählt als Gewürz ein ganzes Pfund Curry!

Schlussendlich handelt Pierre noch einen recht schweren Proviantsack voll Kleingeld ein, da man uns gesagt hat, die Bevölkerung in den entlegenen Dörfern unterwegs nehme nur 1-Rupi-Stücke an. Anderes Geld ist ihnen wahrscheinlich zu kompliziert und zu unsicher.

Und am 18. März 1956 schicken wir zwölf Träger mit unserem Material unter der Leitung von Sherpa Aila nach Pokhara voraus. Sie sollen die zehn Tage Marsch allein zurücklegen. Pierre und ich warten in Katmandu auf unseren Berggefährten Arthur Baumgartner, der erst am 22. März kommen kann, um mit ihm gemeinsam nach Pokhara zu fliegen.

Pokhara Swiss-hill Dr. Hagen hat diesen zauberhaft über dem See gelegenen Platz so getauft, wo Aila schon mit dem fertig aufgestellten Lager und Tee auf uns wartet. Wir geniessen in vollen Zügen unser verwöhntes Lagerleben. Pokhara liegt 800 m über Meereshöhe, und in etwa 30 km Entfernung erheben sich steil Annapurna I und Machhapuchare aus der tropischen Niederung. Wir baden in dem tiefblauen See und schauen durch Bananenhaine hinauf zu den weiss leuchtenden « 8000ern », und es ist schwer zu glauben, dass dies alles wirklich existiert und nicht ein Traum ist.

Doch die Materialkontrolle, die wir am Nachmittag vor unserem Start veranstalten, bringt uns zurück in die Wirklichkeit. Es ist nicht viel, was zwischen unseren 4 Zelten ausgebreitet liegt. 2 Seile, 5 Paar Steigeisen usw., eine Kiste Höhenproviant - nun alles in allem 12 nicht sehr schwere Trägerlasten. Unsere Zeit ist ausserdem recht knapp bemessen - in vier Wochen sollen wir wieder zurück sein. So sind also unsere « Aussichten auf grosse Taten » nicht gross. Aber mit um so grösserer Begeisterung und Zuversicht zieht unsere kleine Kolonne am Morgen des 29. März los, um in den Norden der Annapurna zu wandern und wenn möglich dort einen der herrlichen Berge zu besteigen.

Wanderzeit Seit vielen Tagen schon wandern wir durch das Kali-Gandaki-Tal hinauf, nordwärts.

Schon liegt die gewaltige Hauptkette des Himalaya mit Dhaulagiri und Annapurna hinter uns, und die allnachmittäglichen Gewitter- und Sturmwolken branden vom Süden her gegen die wuchtigen 7000 und 8000 m hohen Bergmassive.Vor uns, im Norden, spannt sich geheimnisvoll das unendliche Blau des tibetischen Himmels klar und eigenartig mild über dem eintönig weiten Land.

Das Bachbett des Kali besteht, je nördlicher wir kommen, nur noch aus unendlichen Kieswüsten. Ab und zu bildet sich eine Verengung oder eine Schlucht, durch die wir mit grosser Spannung steigen, um die « obere Landschaft » zu sehen. Doch jedesmal breitet sich eine neue weite Kiesfläche vor uns aus. Die wenigen Dörfer sind trutzig und flach an den Rand dieser Öde gebaut, und man kann sich tatsächlich nicht vorstellen, von was die vielen gutaussehenden Herden hier leben.

Jetzt, in der schönen trockenen Jahreszeit, ist ein allgemeiner Handelsbetrieb im Tal im Gang. Wilde, fröhliche Tibetaner treiben ihre Esel- und Jakherden, die mit prächtigen, selbstgewebten Säcken voll Salz beladen sind, nach Nepal, um Reis einzuhandeln.

Mit den merkwürdigsten Tönen und Lauten feuern sie ihre Tiere zum Gehen an, und Ang Tensing hat den grössten Spass daran, diese Töne nachzuahmen. Wenn dann trotz aller « musikalischen Begleitung » die Tiere nicht vorwärts wollen, so wird ihnen einfach ein Stein von hinten angeschmissen.

Unsere Träger teilen sich in Zwiegesängen die Begebenheiten aus den umliegenden Dörfern mit, und Sandrabir, der einzige, der immer vor Sauberkeit glänzt, zieht, wenn die Nachrichten günstig sind, ein neues Hemd an, bevor wir in die nächste Ortschaft einziehen. Das macht dann natürlich grossen Eindruck!

Oft fragen uns die Bewohner um Medikamente. Sie glauben zum Teil immer noch, dass jeder Weisse Wunder wirken kann. Einmal sitzt eine Frau am Strassenrand mit schwer entzündeten Augen. Wir streichen ihr Salbe hinein und binden ihr ein Tuch um den Kopf. Nun wird noch von ein paar Leuten ein seit langem lahmes Mädchen herbeigeschleppt. Betrübt müssen wir ihr durch Ang Tensing sagen lassen, dass wir hier nicht helfen können.

« Wohin geht ihr? », werden wir überall gefragt.

Oh, wir gehen nach Muktinath, dem heiligen Ort, dahin, wo alle die Pilger, die jetzt in der trockenen Zeit von weither kommen, auch hingehen. Nur haben sie nicht Zelte, Träger, Pickel und Steigeisen!

Und am 5. April verlassen wir das Kalital, um rechts hinauf nach Muktinath zu steigen. Dieser berühmte Pilgerort liegt wie eine Festung auf einem Hügel mitten in dem öden, breiten Nebental 19 Die Alpen - 1957 - Les Alpes281 des Kali. Weisse Gebetsfahnen flattern über den Dächern, und der grosse, fast bunkerähnliche, rot-bemalte Tempel überragt wuchtig die flachen Steinhäuser.

Wir errichten unser Lager etwa eine Stunde oberhalb Muktinath im Vorhof eines kleinen Klosters. Das Turmglöcklein läutet ab und zu. Unter einer Türe sitzt ein weiser, alter Mann vor seinem Buch. Ein sprudelnder frischer Bach umfliesst den Klosterhof. Dies alles wirkt in der wilden, kahlen Landschaft eigenartig fremd und doch so heimatlich. Wir trinken Tee und freuen uns an der herrlichen Aussicht. Rund um uns liegt ein Kranz von hohen Bergen, alles 6-7tausender, und vom Süden grüssen Dhaulagiri und Tukucha Peak.

Tagebuchblätter aus der Gegend von Muktinath Im Klosterhof 6. April 1956. Thuri ( Arthur Baumgartner ) und Pierre steigen mit Ang Tensing zusammen auf einen Hügel ( 4500 m !), von dem aus sie hoffen, die in der Nähe liegenden Berge besser studieren zu können.

Währenddessen veranstalte ich im Lager grosse Wäsche. Eine rauhe, fröhliche Gruppe von Tibetern hat sich um mich gelagert. Fast jeder von ihnen hat an einem Faden ein kreiselähnliches Holz hängen und irgendwo in den Kleidern die Wolle verstaut und dreht mit Schwung seinen Faden. Lachend und schwatzend schauen sie mir zu, und wenn ich auf ihre Fragen in Schweizerdeutsch antworte, macht ihnen das grosses Vergnügen. Ich habe ja nun auch gelernt, alles, was mich interessiert, mit restlos offener Neugierde zu betrachten. Wir verstehen uns ausgezeichnet, trotz den so verschiedenen Sprachen!

Aila handelt kunstgerecht mit einer sehr schlau aussehenden Frau um Mehl, Reis und Tschang ( Reisbier ). Ein besonders struppiger Tibeter, der in einen grossen zerzausten Pelzmantel gehüllt ist, fängt an, unter lautem Gelächter der übrigen, sich die Flöhe aus dem Pelz zu suchen und sie zwischen den Zähnen zu zerknacken. Ich bin recht dankbar für den « respektablen Abstand ».

Thuri und Pierre konnten heute morgen vom Hügel aus den « steilen weissen Berg » über uns -südlich des Thorungse-Passes - studieren. Nördlich des Passes befindet sich ebenfalls ein mächtiger Berg, der jedoch steil gegen unsere Seite abfällt. Für eine gründliche Rekognoszierung seiner anderen Seiten fehlt uns aber die Zeit. So beschliessen wir, morgen auf den Thorungse-Pass zu steigen. Von dort aus können wir vielleicht den weissen Berg « angreifen ».

Ausser den drei Sherpas wollen wir noch die beiden Träger von Schulthess, Lalbahadur und Sandrabir, mitnehmen. Die restlichen zehn Träger werden morgen die Lasten auf den Pass bringen und abends wieder absteigen, damit sie in dem Träger-Steinhaus beim Kloster übernachten können. Jeden Tag sollen dann zwei bis drei Träger zu unserem Berglager steigen, um uns Holz zu bringen, da wir mit Brennsprit etwas knapp sind.

So findet am Nachmittag also die letzte grosse Materialkontrolle und Verteilung statt, und wieder einmal mehr betrachten wir unsere nicht gerade üppige Ausrüstung. Ausserdem entdecke ich, dass Aila, « der Künstler », die Schachtel, in der unser Dampftopf für die Höhe sein sollte, zur Verpackung anderen Materials benützt hat und den schönen Topf in Katmandu gelassen hat. Zum Trost kocht er uns selbstgemachte Nudeln und einen delikaten Jakbraten, der trotz seiner ausserordentlichen Zähigkeit eine sehr angenehme Abwechslung in unser immer gleiches Menu bringt.

Pierre veranstaltet noch grossen Zahltag für die Träger, und voll Aufregung erwarten wir den kommenden Tag.

Abmarsch. 7. April 1956. Grosse Geschäftigkeit herrscht im Lager. Vollbepackt startet ein Träger nach dem anderen, und Sonam wandert schweigsam, wie immer, mit dem Eierkörbchen in der Hand und dem Laternchen aussen am Rucksack befestigt, in grösster Ruhe los. Er hat ein so köstliches, kindliches Gesicht.

Annapuma und Muktinath-Himal Der Morgen ist luftig-schön. Doch langsam nur kommt unsere kleine Karawane vorwärts. Wahrscheinlich hätten wir erst heute Zahltag machen sollen, da es in Muktinath einen überaus guten Tschang gibt! Schon schieben sich die mittäglichen Wolken zusammen, und der Himmel wird schwärzer als sonst. Ein Schneesturm beginnt. Vier Träger nur kommen bei unserem Zeltplatz auf 5150 m, etwas unterhalb der Thorungse-Passhöhe, an. Die übrigen haben ihre Lasten irgendwo abgelegt und sind fluchtartig nach unten gelaufen. Thuri, Pierre, Ang Tensing und Sonam steigen ab, um das Gepäck zu suchen, und es ist recht mühsam für die Sahibs, die nur mit Kopftragriemen versehenen Körbe bergaufzuschleppen. Aila baut inzwischen aus Steinen eine kleine, windgeschützte Küche, und ich trete von einem Fuss auf den anderen, um mich gegen die scharfe Kälte zu wehren.

Unerwartet rasch bricht am Abend die Sonne wieder durch die Wolken, und unser kleines Lager liegt inmitten einer leuchtenden, frischbeschneiten Bergwelt.

Basislager I am Thorungse-Pass auf 5150 m. B. April 1956. Die Nacht war kalt! Die Feuchtigkeit unseres Atems ist rund um unsere Köpfe weissgefroren. Auch die Innenwände der Zelte sind mit einer dünnen Eisschicht überzogen. Bei aufgehender Sonne versammeln wir uns zum Frühstück. Es gibt geröstete Haferflocken mit Tee. Der Tee schmeckt zwar meistens nach ranzigem Fett und Abwaschwasser, aber er erwärmt uns doch immerhin herrlich von innen.

Thuri will heute den Gletscher des « Weissen Berges » von nahe anschauen und steigt früh mit Sonam los.

Pierre und ich gehen mit Ang Tensing vollends auf die Passhöhe. Greifbar nahe liegen Manangbhot Himal und Annapurna IV vor uns. Die noch schräg einfallenden Strahlen der Morgensonne lassen die herrlichen, schrundigen Eiswände mächtig und plastisch erscheinen. Wir schnallen unsere Steigeisen an und steigen bis auf ca. 5450 m Höhe die Nordostflanke des « Weissen Berges » hinauf. Gegend Abend kehren wir zurück ins Lager, wo Aila wartend mit dem Feldstecher die Gegend absucht. Thuri-Sahib und Sonam sind noch nicht zurück. Bereits bricht die Dämmerung an. Pierre und Ang Tensing gehen mit heissem Tee auf Suche. Endlich, schon bei Dunkelheit, kommt Sonam schwankend zum Lager. Bald auch Thuri, Pierre und Ang Tensing. Thuri ist hell begeistert, doch sehr müde. Sie waren bereits oberhalb des steilen Hängegletschers auf etwa 5840 m Höhe, und Thuri meint, eine Besteigung auf dieser Route müsste möglich sein.

Basislager I. 9. April 1956. Wieder steigt die Sonne strahlend über unserem Lager auf. Pierre ist es sehr übel, seine « tropische Magen-Darm-Verstimmung » will nicht bessern. Trotzdem steigen wir alle zusammen die Nordost-Flanke des « Weissen Berges » hinauf. Von dieser Seite würde die Besteigungsroute über einen Vorgipfel und von dort aus über einen Eiswächtengrat zum Hauptgipfel hinüber führen.

Doch die Wächten konnten wir noch von nirgends genau sehen. Thuri und Sonam steigen schnell, und während wir auf der Schulter des Vorberges umkehren, erreicht er den etwa 6000 m hohen Vorgipfel. Beim Anblick der zum Hauptgipfel führenden Grate habe Sonam, « der Schweiger », voll Überzeugung ausgerufen: « No road, Sahib! » Abends halten wir im Lager « grossen Kriegsrat ». Ang Tensing bringt den üblichen « eigenartigen » Tee. Wir wickeln uns fest in unsere Daunenjacken ein ( Thuri und Pierre haben ausserdem schon recht ansehnliche Barte, die wärmen ) und sprechen die verschiedenen Ergebnisse der vergangenen Tage durch. Recht rasch sind wir uns einig, den « Weissen Berg » durch die erste Route, die Baumgartner wählte, zu versuchen und morgen unser Lager um etwa 150 m tiefer in den Einstieg des Berges zu verlegen.

Basislager II. 10. April 1956. Heute war grosse Lagerverlegung. Der 4. Abend auf 5000 m bricht an. Wir spüren die Höhe. Im Grund wäre es gut, jetzt wieder nach Muktinath abzusteigen, um nach etwa zwei Tagen zurück in die Höhe zu kommen. So würde man sich langsam akklimatisieren, und ein Aufenthalt auf 5000-6000 m Höhe wäre über längere Zeit ohne grosse Ermüdung möglich. Aber es fehlt uns die Zeit.

Das Wico-Zelt und der Höhenproviant sind schon gepackt. Morgen wollen wir in aller Frühe aufbrechen. Aila wird im Lager bleiben und auf uns warten.

Aufgeregt schlüpfen wir in unsere Zelte und durchwarten die Nacht. Und manchmal kracht eine Eislawine irgendwo über uns im Gletscher.

Aufstieg. 11. April 1956. Früh startet unsere kleine Bergsteigergruppe, bestehend aus Thuri, Pierre, mir, Ang Tensing und Sonam. Noch sind wir nicht angeseilt und steigen über Moränen und Schneefelder hinauf zum Einstieg in den Hängegletscher. Die Spuren von Thuri, die er vor drei Tagen gemacht hat, sind längst vom Sturm Verblasen.

Der Morgen ist kalt und die Schneehänge noch hart gefroren. Wir ziehen die Steigeisen an und erreichen bald den Anfang des Gletschers. Thuri führt und legt eine « elegante Spur » durch das luftige, riesenhafte Labyrinth von Spalten und Eistürmen. Staunend und voll Begeisterung betrachten wir die steilen schrundigen Eismassen und das wilde Felsmassiv, das sich rechts von uns auftürmt.

Nach Stunden erreichen wir das obere Schneefeld. Thuri spurt durch den schweren, von der Sonne aufgeweichten Schnee, und die Sherpas kommen mit ihren grossen Lasten nach.

Gegen 4 Uhr finden wir ein einigermassen flaches und windgeschütztes Plätzlein auf dem Schneefeld. Ang Tensing gräbt ein Loch und stellt unser Zelt darin auf. Gemeinsam schlürfen wir mit Hingabe einen grossen Topf voll dünner, aber warmer Ovomaltine. Dann steigen die Sherpas ab in das untere Lager, da wir nur zu dritt im « Wico » Platz haben. Sie werden morgen wieder kommen und uns abholen.

Ein leuchtend klarer Abend senkt sich über unser einsames, kleines Zelt. Unter uns liegt der steile zerklüftete Gletscher, über uns der « Weisse Berg ». Wir suchen die Aufstiegsmöglichkeiten eingehend mit den Feldstechern ab. Dann versuche ich während zweier Stunden das Abendessen warmzubekommen und serviere « blitzschnell », damit es nicht von der Hand in den Mund wieder einfriert.

Schon wird das Blau des Himmels dunkler, und lange gespensterhafte Schatten wachsen über die Täler. Im Norden öffnet sich unserem Blick weitweg die Hochebene von Tibet, « dem Dach der Welt », und die rötlichbraune, kahle Fläche verliert sich in der Endlosigkeit des geheimnisvollen silberklaren Himmels. Schaudernd und andächtig betrachten wir all diese Pracht und verkriechen uns bald in unser enges Zelt. Dies ist eine lange und anstrengende « Arbeit ». Zuerst Schuhe ausziehen, verschnaufen, dann muss man sich langsam mit den dicken Daunenjacken in die Schlafsäcke zwängen und immer wieder lange verschnaufen. Endlich sind wir sardinenähnlich auf engstem Raum eingepackt, können jedoch kaum schlafen, und eine lange klare und sehr kalte Nacht beginnt. Das Kondenswasser unseres Atems wird rund um uns zu Eis. Wir reiben uns die Füsse warm und warten auf den Morgen.

Hochlager 5700 m. 12. April 1956. Als erster steht Thuri auf. Nach langem Klopfen und Schnaufen bringt er die Schuhe an die Füsse. Dann kocht er Tee.

Der Morgen ist phantastisch klar, und Thuri meldet uns das Nahen der Sonne. Aus dem leichten, feinen morgendlichen Dunst ragen die weissen Berge zum Himmel, und die herrliche, alles durchwärmende aufsteigende Sonne bringt sogar über die eisigen Steilhänge einen rötlichen, freundlichen Glanz.

Wir trinken Tee. Pierre geht es schlimm, seine Disenterie will nicht gut werden, und er möchte hier im Zelt auf uns warten. Schweren Herzens entschliesse ich mich, mit Thuri die Besteigung zu versuchen.

Lange schaut uns Pierre nach. Wir steigen Schritt um Schritt höher. Ich muss arg schnaufen. Auf dem ersten Schneerücken nach unserem Biwakplatz halten wir Rat, welche Route wir nun wirklich wählen sollen. In der Mitte des Berges - von uns aus gesehen - ist es nicht so steil, doch weiss man nicht genau, was für ein Ausmass die Spalten dort haben. So wählt Thuri die steile Eiswand rechter Hand. Er schlägt schwitzend Stufen. Ich warte mit kalten Füssen und steige dann langsam nach. Ich kann rundum die Berge betrachten, und der Dhaulagiri « drüben » zieht schon seine Sturmhaube an. Er ist stets der erste Berg, der sich in Wolken hüllt. Wir fragen uns, was wohl die Argentinier machen, die zurzeit die Besteigung dieses gewaltigen Achttausenders versuchen. Sie müssen nicht nur gegen fast unbesteigbar aussehende Steilheiten ankämpfen, sondern auch gegen das ständig schlechte Wetter. Langsam bilden sich überall Wolken. Thuri schlägt wie wild Stufen.

Plötzlich sehen wir unter uns zwei Gestalten unserer Spur nach aufwärtskommen und erkennen Ang Tensing und Sonam. Die beiden sind so früh vom Basislager abmarschiert und ohne Gepäck schnell gestiegen. Doch ratlos halten sie inne am Einstieg unserer Steilwand. Hier wollen sie nicht nachkommen und fragen, was sie tun sollen. Thuri muss recht lachen, als ich hinunterrufe, sie sollen zum Lager gehen und Tee kochen, bis wir zurückkommen.

Die Eiswand wird immer steiler, und die überhängende Wächte oben beim Grat sieht gar nicht freundlich aus. Ich getraue mich schon lange nicht mehr, abwärtszuschauen zu der klaffenden Spalte unter uns und denke mit Schrecken an den Abstieg.

Endlich erreichen wir die Rampe nach der etwa 80-100 m hohen Wand, und ich atme erleichtert auf, als wir den « schönen Rücken » sehen, der zum Gipfel weiterführt.

Hoch ragt südlich von uns Annapurna I über die « Grande Barrière » und Nilgiri, und schnell photographieren wir, da immer mehr Wolken sich zusammenballen.

Und weiter steigen wir Schritt um Schritt. Fest pumpe ich Luft in meine Lunge, und doch muss ich oft stillstehen, um neu Atem zu schöpfen. Ab und zu frage ich Thuri, was wohl sein Höhenmesser anzeigt, aber er findet, dass wir besser erst auf den Gipfel gehen und dann nachschauen. Langsam wandern wir immer weiter zur Gipfelwächte hinauf, die vor uns noch niemand betreten hat. Plötzlich ertönt durch die grosse Stille ein Juchzer, und unsere beiden Sherpas tauchen unter uns auf. Sie haben sich selbst einen Weg durch das « mittlere Spaltengebiet » des Berges gesucht und lachen über das ganze Gesicht vor Freude. Auch wir freuen uns herzlich über ihr Erscheinen und besteigen nun zu viert den Gipfel des « Weissen Berges ». Unser Höhenmesser zeigt 6300 m.

Voll Glück und Dankbarkeit schütteln wir uns die Hände und trinken einen Schluck von Thuris sorgsam aufgespartem Rakschi ( Reisschnaps ). Rund um uns steigen brodelnd Wolken auf und nieder. Die Sherpas steigen bald wieder ab. Wir photographieren und schauen und staunen. Herrlich weiss und steil ragt unser Gipfel über den tiefen Tälern Nepals! Im Süden hüllt sich die Hauptkette des Himalaya immer mehr in Wolken, und wir betrachten fasziniert dieses gewaltige Schauspiel. Im Norden liegt der Gipfel unseres klotzigen Nachbarberges, der etwa auf gleicher Höhe ist wie wir, vor einer unübersehbaren Zahl von namenlosen Bergen, die bis weit nach Tibet hinein reichen. Thuri steckt ein kleines Gipfelkreuz in den Schnee, und andächtig verbringen wir eine stille, kurze Zeit auf dieser luftigen Höhe.

Wir steigen den Weg der Sherpas abwärts. Ich bin recht froh, nicht über die Steilwand hinunter zu müssen. Endlich sehen wir Pierre, der beim Zelt auf uns wartet. Wir trinken zusammen Tee, und er freut sich mit uns über den glücklichen Verlauf dieser Tour.

Ang Tensing und Sonam packen das Zelt ein. Da die Dämmerung schon nahe ist, steigen wir bald weiter ab. Ich bin sehr müde und falle bei einem Eisabbruch im Gletscher ins Seil. Später löst mir Pierre den hartgefrorenen Knoten, und wir gehen das letzte Stück noch unangeseilt abwärts. Bei einbrechender Nacht erreichen wir unser Basislager II. Aila wartet bereits mit dem fertigen Abendessen auf uns! Glücktrunken richten wir uns in unseren Zelten ein für die letzte Nacht auf dieser Höhe. Morgen werden alle Träger von Muktinath heraufkommen, um das Berglager abzuholen.

Abstieg. 13. April 1956. Sechs Tage waren wir oben in dieser kahlen, gewaltigen Berglandschaft. Jetzt beim Abstieg begrüssen wir jubelnd jeden dürren, struppigen Dornbusch, der uns am Weg begegnet. Wir trinken aus dem frischen sprudelnden Bach und schlendern hinunter ins bewohnte Land.

Unser kleiner Klosterhof kommt uns jetzt ausserordentlich romantisch vor mit seinen knorrigen, alten Weiden. Wir erzählen den Leuten, dass wir dort oben auf dem « Weissen Berg » waren, und erfahren nun auch seinen Namen. Die Bevölkerung nennt ihn Katung-Kang - das heisst « steiler Schnee ». Der klotzige Berg, nördlich des Thorungse-Passes, heisst Jaka-Kang - « weisse Kappe ».

Zur Feier der Besteigung und der glücklichen Rückkehr wollen wir ein Festessen veranstalten, doch der Kauf einer hierfür tauglichen Ziege oder eines Schafes ist gar nicht so einfach, da die Herde « irgendwo » ist. Erst spät in der Nacht werden wir durch den Lärm, den der aufgeregte Handel um eine Ziege verursacht, geweckt. Nach langen erregten Diskussionen wird sie endlich als Festessen für unsere kleine Gesellschaft von Sherpas, Trägern und Sahibs gekauft.

Abschied. 14. April 1956. Heute werden wir uns von Thuri trennen, da er noch den Tilichopass und die Grande Barrière von nahem anschauen will. Er wird mit Aila, Sonam und sieben Trägern schon heute starten, um die knappe Zeit zu nützen. Leider ist unsere Proviantkiste fast leer. Er wird nicht mehr viel unternehmen können. Wir teilen unser Gepäck, und er bekommt an Bergausrüstung, was nur irgendwie noch brauchbar ist.

Der Fest- und Abschiedsschmaus steht schon bereit. Zum letztenmal essen wir im Klosterhof mit der herrlichen Aussicht auf den Dhaulagiri. Dann winken wir lange der kleinen davonziehen-den Gruppe nach.

Pierre und ich wollen mit Ang Tensing und fünf Trägern direkt nach Pokhara zurückkehren.

Zum Abschied besuchen wir den Lama von Muktinath. Mit grosser Feierlichkeit druckt er uns eigenhändig eine Gebetsfahne auf seinem selbstgeschnitzten, prachtvollen Druckstock. Er sitzt auf dem Boden und mischt den Russ einer umgestülpten Pfanne mit Wasser, bürstet mit dieser Druckerschwärze das Holz ein, und mit langsamen, würdevollen Bewegungen legt er das Tuch über den so vorbereiteten Druckstock. Vorsichtig fährt er mit flachen Händen drüber hin.

Noch einmal wandern wir mit den fröhlichen Menschen, den Esel- und Jakherden und den vielen Pilgern durch das wilde, eigenartige Kali-Gandaki-Tal. Doch dieses Mal führt unser Weg heimwärts, und das tiefe, eindrückliche Erlebnis dieser Wanderzeit wird uns bis weit hinüber in unseren Alltag begleiten.

Feedback