Kulturgeschichte und Gästebücher
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Kulturgeschichte und Gästebücher

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

Félicitas von Reznicek, Engelberg

Wenn man sie richtig lesen kann, sind Gästebücher ein Stück Kulturgeschichte - und sogar Geschichte. So kann man zum Beispiel darin deutlich erkennen, dass sich seit dem Ende des Ersten Weltkrieges in Russland eingreifende Dinge zugetragen haben müssen. Während vorher des öfteren Petersburg, Moskau und andere sowjetische ( damals russische ) Städte als Herkunftsort eingetragen sind, entdeckt man nach den gewaltigen Umwälzungen von 1917 kaum eine einzige sowjetische Stadt in den Gästebüchern der Hotels.

Auch die Handschriften lassen Schlüsse zu. Zur Zeit der spitzen Stahlfedern zeigen sich ganz andere Schriftzüge als später.

Leider haben viele Hoteliers zu spät erkannt, welche Schätze sich in solchen Gästebüchern finden, denn so mancher Name, seinerzeit noch wenig bekannt, wurde später weltberühmt. So ist keine Eintragung von Mendelssohn-Bartholdy oder Conrad Ferdinand Meyer in Engelberg erhalten - falls sich nicht irgendwo im Kloster verborgen etwas finden sollte. Mendelssohns Briefe an die Wirtin eines Hotels wurden verbrannt.

Man muss nach Pontresina gehen, um die Spuren von Conrad Ferdinand Meyers Aufenthalt in Engelberg zu entdecken. Im ältesten Hotel Pontresinas, dem « Steinbock », ist ein Originalbrief von C. F. Meyer an seinen Freund Friedrich von Wyss ausgestellt. Meyer schreibt unter dem i 3. August 1872: « Es ist mir ein wahres Geschenk, dass dich Engelberg angesprochen hat. Die Charaktere durften bei dem Vorwiegen der Landschaft, nur angedeutet werden. » Einige Orte haben jedoch die alten Schriften aufbewahrt, wie etwa die Hotels « Monte Rosa » und « Riffelberg » in Zermatt. Auch die Gästebücher der Pfarrhäuser in Zermatt und Saas Fee sind erhalten. Die Walliser Pfarrherren, von jeher dem Alpinismus zugetan, regten Erkundungen und Erstbesteigungen an und nahmen auch oft selbst daran teil. Sie beherbergten Alpinisten, noch ehe es Pensionen und Gasthäuser gab. Beim Zermatter Pfarrer übernachteten Josef Cottet und Alexander Devouassoud am 18. August 1851. 1813 standen sie mit den Ersten auf dem Gipfel des Breithorns. Bevor sie am 22. August 1851 den höchsten Kamm des Monte Rosa angingen, wohnten auch die Brüder Schlagintweit dort. Leider mussten sie kurz vor dem Gipfel umkehren. Sie scheiterten an einer Felswand, die ihnen unersteiglich erschien und vermutlich oberhalb des Silbersattels lag. Heutzutage, da die Bergschlosserei eine alte Sache und künstliches Klettern selbstverständlich ist, wäre ihnen das nicht passiert.

Wo sind die Zeiten, als im Jahrbuch des Akademischen Alpenvereins München eine Felswand karikiert war, aus der die Mauerhaken heraus-schauten? Dohlen, die darauf Platz genommen hatten, krächzten: « Wie nett von den Menschen, dass sie hier etwas zum Aufbäumen hingenagelt haben. » Heute gibt es keine unersteigliche Wand mehr. Geht es gar nicht anders, dann hilft der Pressluftbohrer en miniature.

Doch zurück zu den Gästebüchern. Die grosse Zeit des Alpinismus kündigt sich im Gästebuch des Hotels Riffelberg an. Da melden 1855 die Brüder Smyth, dass sie, nach einigen Versuchen, glücklich die Dufourspitze erstiegen haben. Ein Jahr zuvor hatte dort E. N. Buxton für seine späteren Besteigungen des Liskamm und Nordend eingehende Rekognoszierungen vorgenommen.

Auch die Erstbesteigung des Strahlhorns durch Smyth ist dort eingetragen.

Die Wandelbarkeit des Schwierigkeitsbegriffs geht aus einer Eintragung hervor, die ein Engländer nach einer Begehung des Monte Rosa hinterlassen hat. Er schrieb ins Gästebuch, dass er von dieser Tour abrate. Die letzte halbe Stunde des Aufstiegs sei zu schwierig, und andere Touristen sollten sich diese Strapaze ersparen. Trotzdem wurden noch im gleichen Jahr sieben gelungene und vier abgebrochene Partien vermerkt, und am 29.Juli finden wir zum erstenmal den Namen eines Mannes, der später alpine Geschichte machte. Er war bei der ersten Besteigung des Matterhorns dabei, dieser weltbewegenden Tat, die das Ende der Erschliessung der Alpen und der Anfang des Massen-Hochtourismus war. Es ist Reverend Charles Hudson, der schon 1851 bei der ersten Besteigung der Dufourspitze zur Mannschaft gehört hatte, der sich an der Aiguille Verte, am Liskamm und am Mont Blanc hervortat und der, kurz nach seinem Triumph auf dem Gipfel des Matterhorns, dort den Bergsteigertod fand, zusammen mit Lord Douglas, Michel Croz und Hadow.

1858 sind John Tyndall und W. Matthews da. Sie werden später am Castor und Liskamm, am Weisshorn und Matterhorn Pioniertaten vollbringen.

Die erste Frau, die auf dem Gipfel des Matterhorns gestanden hat, Lucy Walker ( 1871 ), sah diesen Gipfel schon 1860, als sie mit ihrem Bruder den ersten Besuch auf Riffelberg machte. T. W. Hinchliff, der gleichfalls hervorragende Besteigungen und Erstbegehungen in den Alpen machte, kehrte auf dem Riffelberg ein, nachdem er den Alphubel erstmals begangen hatte. Er verfehlte nicht, eine diesbezügliche Eintragung in das Gästebuch zu machen.

Blättert man darin, so findet man fast jeden Namen, der in den Bergen Klang hat, mochte er Tourist oder Führer sein. Auch die Pollingers sind hier vertreten. A. Pollinger war es, der dem Viereselsgrat seinen Namen gab. Als ihn einer der Touristen fragte ( er war mit dem Führer U. Almer und den Engländern Anderson und Baker unterwegs ), ob schon jemand diesen Weg gegangen sei, meinte er: « Nur vier solche Esel wie wir steigen über eine solche Route zu Berg. » 1861 trat Morshead auf den Plan, der später am Liskamm, Nordend und Jägerhorn Ersttouren durchführte. Eine historische Eintragung vollzog er 1863. Da schrieb er am to. Juli, dass er auf seinem Weg über den Theodulpass das Matterhorn eingehend betrachtet habe und dabei die Ersteigung über den Hörnligrat bis 250 Meter unterhalb des Gipfels für absolut möglich halte. Wie es allerdings von dort aus weitergehen solle, wisse er nicht.

Drei Wochen nach Morshead reisten Edward Whymper, J.A. Carrel und Luc Meynet durch und trugen sich ein. Whymper sollte die Antwort für die letzten 250 Meter zwei Jahre später finden.

Auch die Bezwinger der Parrotspitze, S. MacDonald, F. C. Grove und M. Woodmass versäumten nicht, ihre gelungene Tour im Riffel-bergbuch einzutragen.

Das Jahr 1864 ist besonders interessant. Immer mehr Männer der starken Garde treffen ein. Da ist wieder E. Whymper, der mit A. Moore, Michel Croz und Christian Almer ( Vater ) in Erstbegehung den Pass zwischen Schalli- und Mominghorn überschreitet.

A. Hudson und F. W. Jacomb berichten über die Wiederholung der das erstemal 1863 von Grove, Hall und Woodmass erstiegenen Dent d' Hérens.

Auch das bedeutsame Jahr 1865 findet seinen Niederschlag. Walker und Moore tragen ein, dass die das Ober Gabelhorn bezwungen haben, und beschreiben Route und Verlauf der Tour.

Ein weiteres kostbares Zeitdokument ist das Gästebuch des Hotels « Monte Rosa ». Dort nächtigte schon 1859 John Tyndall. Am 16. August und 7.September tragen sich L. Stephen und R. Liveing ein. Sie berichten über den Routenverlauf der Erstbesteigung des Rimpfischhorns.

Mit W. Short eröffnet Stephen eine neue Route am Allalinhorn, nachdem sie zuvor im « Monte Rosa » genächtigt haben.

A.C. Ramsay wohnte am 22. August 1861 dort. Er war der Erstbesteiger des Liskamms. Im gleichen Jahr trugen Matthews und Jacomb ihren Erfolg am Castor ein.

i860 nächtigte Stephen im « Monte Rosa », ehe er sich — erfolglos — am Weisshorn versuchte; doch errang er einen Erfolg, als er sich mit Hinchliffauf dem Gipfel des Alphubels einfand.

Nach der Erstersteigung der Parrotspitze stiegen W. George und W. Moore im Hotel « Monte Rosa » ab. Lord Francis Douglas, an der Wellenkuppe 1863 erfolgreich, war ebenfalls dort zu Gast. Vor der gelungenen, aber für ihn zuletzt tragischen Matterhorn-Erstbesteigung nächtigte er gleichfalls in diesem berühmten Bergsteigerho-tel, aus dessen Chronik man die alpine Erschliessung der Zermatter Berge herauslesen kann.

Schon am 7. August 1843 trug sich ein Vertreter des berühmten Namens Lunn hier ein. Sein Vorname: Edward.

1845 war Pestalozzi zu Gast, und 1848 beschrieb Professor Ulrich die Tour auf den Grenzgipfel des Monte Rosa, den er zwar selbst nicht betrat, der aber von seinen beiden Bergführern Madutz und Zumtaugwald erreicht wurde.

Der bergbegeisterte Pfarrer Imseng aus Saas Fee ist am io. August des gleichen Jahres dort abgestiegen. 1849 beging Gottfried Studer von dort aus mehrere Höhen und Hochpässe.

Hinchliff schmiedete hier seine Pläne, die Brüder Smyth ruhten von ihren Taten aus, Lucy und Frank Walker begingen, nach einer Übernachtung im « Monte Rosa », das Matterhorn, auf dem Lucy 1871 als erste Frau stand.

Im gleichen Jahr tauchte ein grosser Name im Gästebuch auf: A. F. Mummery.

Einen anderen Charakter trägt das Gästebuch auf Trübsee bei Engelberg. Das ist nur natürlich, denn im Titlisgebiet gibt es keine glamourösen Viertausender, und die sehr interessanten Klettereien des sechsten Grades wurden erst später aktuell.

Trübsee gehört jedoch zu den sehr früh erbauten Berghotels und wurde lange vor Errichtung der Gerschnialpbahn, geschweige denn der Luftseilbahn nach Trübsee, eingeweiht. Dieses Gästebuch ist wahrhaftig ein Stück Geschichte des Fremdenverkehrs. Die ersten Eintragungen zeigen die kritzeligen, feinstrichigen Handschriften, die man in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhun-derts so häufig findet. Sicher spielte die harte Stahlfeder da eine grosse Rolle. Auch die Ausdrucksweise stammt noch aus dieser Zeit.

Später kommen dann breitere Federn in Mode, und die weichen Füllfederhalter verführen zu grösseren, ausgeprägteren Buchstaben, bis dann im 20.Jahrhundert, besonders nach dem Ersten Weltkrieg, die eigentlich grossspurigen Buchstaben in Mode kommen.

Deutlich erkennt man, wann die Namenszug-stempel aufgekommen sind. Einige Reisende scheinen Stempel plus Stempelkissen mit sich geführt zu haben und setzen ihren Namenszug in zahlreicher Auflage auf die verschiedenen Seiten des Gästebuches.

Der Erste Weltkrieg bringt einen merklichen Rückgang des Fremdenverkehrs und später die Eintragungen der Internierten. Auch hier kann man Studien betreiben. Während die französischen Kriegsgefangenen ihre Namen angeben und dahinter schlicht die Worte « interné français » setzen, liest man bei den Deutschen ( wohl überwiegend mit Belustigung ) Vermerke folgender Art: « Heinz Helmut von W., Hauptmann im xten Garderegiment Seiner Majestät des Kaisers, Träger des Ordens Eisernes Kreuz Erster Klasse usw. » Wie es überhaupt bei den Eintragungen deutschsprachiger Besucher ( Schweiz, Deutschland, Österreich ) an Epitheta und Titeln nicht mangelt. Die Frau Professor, Frau Doktor und Frau Geheimrat u.a. sind reichlich vertreten.

Angelsächsische Reisende bevorzugen witzige und ironische Berichte, während die Deutschen eher romantisch und manchmal kitschig gestimmt sind.

Natürlich fehlen die Berühmtheiten nicht, wie Caruso, Brüning, der sich nicht als Reichskanzler, sondern als Dr. Brüning einschrieb. Lloyd George, Edmond Rostand, die Gräfin Zeppelin, die Brüder Ullstein und Siemens sind zu finden. Die meisten gingen zu Fuss, ehe die Gerschnibahn ( 1913 ) und die Trübseebahn ( 1927 ) erbaut wurden. Manche ritten auf Maultieren.

Es fehlt nicht an - zum Teil sehr witzigen -Zeichnungen, Gedichten und Ergüssen. Auch Beschreibungen von Bergbegehungen fehlen nicht, die gelegentlich heute komisch anmuten. Da wird von « perpendikulären Wänden » gesprochen ( anlässlich einer Besteigung des Titlis auf dem gewöhnlichen Weg ). Heute gehen dort Familien mit Kindern, die leider manchmal keineswegs den Anforderungen entsprechend gekleidet sind. Ein Berg, ist er noch so leicht, wird gefährlich, wenn das Wetter umschlägt oder man schlecht ausgerüstet ist. Viele Eintragungen sprechen vom Nebel, der ja überall im Gebirge freigebig verteilt ist. Hie und da herrscht ein besonderer Nebel, wie nach einer winterlichen « Erstbegehung » der Pfaffenwand um die Jahrhundertwende. Der Nebel herrschte nicht nur beim Aufstieg, sondern auch später, während der Siegesfeier im Hotel Trübsee, die zwar schneefrei, aber trotzdem feuchtfröhlich gewesen sein soll.

Zum Schluss sei eine heitere Dichterepisode erwähnt, die im Trübsee-Gästebuch nachgelesen werden kann:

Zwischen den beiden Weltkriegen fand sich ein Besucher aus dem « Grossen Kanton » ein, wie man in der Schweiz das nördliche Nachbarland gern nennt. Er stammte aus dem Rheinland und dichtete mittelmässige Verse mit lokalpatrioti-schem Timbre. Der Schlussreim lautete: « Doch immer wird es schöner sein Bei uns, am grossen, deutschen Rhein. » Ein Eidgenosse dichtete weiter: « Preis du nur deinen deutschen Rhein, Den schönen Fluss, so oft besungen. Doch nur nicht übermütig sein: Dein Rhein, der ist bei uns entsprungen. »

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