Le Môle
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Le Môle

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

VON GEORGES DÄUBER, ROMANSHORN TG

Zweimal schon hatte ich diesen Berg vor Genfs Toren bestiegen. Beide Male war ich unterwegs vom Weg abgekommen und hatte den Gipfel auf zeit- und kräfteraubenden Umwegen erreicht.

Als ich an einem Samstagnachmittag im März zur dritten Môle-Fahrt aufbrach, schüttelten meine Freunde in Genf den Kopf: Er hat den Narren gefressen an diesem Matterhorn für Gartenzwerge, dem Taschen-Fudschijama von Hochsavoyen.

Nun, ich liess sie stehen und fuhr auf dem Velo die Arve hinauf, über Bonneville nach Ayse, wo am Südfusse meines Berges ein weisser Schaumwein wächst. Die Vorfrühlingssonne wärmte ganz nett, als ich mein Gefährt zu einem Walde hinaufschob, in dem ich ein Gebüsch als Garage benützte.

Gemächlich stieg ich die grünenden Wiesen hinan. Ich hatte keine Eile, zu den Alphütten auf der Südschulter zu gelangen, wo ich übernachten wollte. Noch ehe die Sonne unterging, erreichte ich ein grosses hölzernes Kreuz an einem Waldrand. In einer Stunde würde ich bestimmt an einem knisternden Herdfeuer sitzen. Somit konnte ich es mir leisten, die Feldflasche leerzutrinken.

Mit dem sichern Gefühl, diesmal auf dem rechten Weg zu sein, ging ich durch den Wald weiter. Gerade hell war es nicht, aber ich verliess mich auf meinen Spürsinn. Dass sich mir mehr und mehr morsche Bäume in den Weg legten, fand ich nicht absonderlich. Erst als ich durch hohes, dürres Gras und Farren eine Waldlichtung betrat, von der es nach allen Seiten abwärts ging, stellte ich unter kräftigem Fluchen fest, dass ich mich auch auf diesem dritten Anstieg zum Môle verlaufen hatte.Vor mir ging es über die Nordseite des Hügels, auf dem ich stand, hinab zu einem Weiler. Dahinter stiegen die Hänge zum richtigen Môle an.

Wollte ich in einem der Heuschober dort unten übernachten? Am besten schaute ich mir die Schlafgelegenheiten aus der Nähe an, ehe ich mich entschied. Noch ehe ich unten war, kam die Nacht. Hunde bellten, schwache Lichter brannten in den Fenstern. Ich beschloss, den Weiler zu meiden und, wie geplant, die Alphütten aufzusuchen.

Um die Wälder, Sümpfe und Gräben unterwegs zu umgehen, musste ich zum Nordgrat aufsteigen. Es war eine sternklare kalte Nacht. Die Genfer Lichtreklamen und die ganze Zivilisation flimmerten aus Nordwesten herauf. Aber um kein Geld hätte ich tauschen mögen!

Bald überquerte ich Schneefelder, bald stolperte ich durch Gras. Noch waren die letzten Tannen über mir, als mich eine grosse Müdigkeit und ein brennender Durst befielen. Ich hätte mich in die erstbeste Vertiefung legen mögen, um etwas zu schlafen, und wäre wohl mit verfrorenen Gliedern hier oder im Jenseits wieder aufgewacht. Also: auf keinen Fall abliegen, nicht einmal absitzen! Aber der Durst? Zwar hatte ich zwei grosse Rüben bei mir, wagte aber nicht, einen Halt einzuschalten.

Der Môle schien mir schon am Tage eine respektable Graspyramide, etwa 70 m höher als der Rigi. Bei Nacht und in meinem Zustand war aber der Aufstieg so unendlich lang, dass ich ein ganz neues Zeitmass einführen musste: Ich fragte mich auf jedem kleinen Absätzchen oder Boden: « Wieviel würdest du jetzt zahlen für ein warmes Bett und einen Krug Wasser? » Anfänglich wies ich den Gedanken eines Tausches, als eines Bergsteigers unwürdig, glatt von der Hand. Nach einer Weile wäre ich bereit gewesen, wenigstens für den Krug Wasser einen Franken zu opfern. Der Wert des Wassers stieg stetig und hatte einen Fünfliber bereits überschritten, als ich mich so schwach fühlte, dass ich auch für ein warmes Bett einen solchen Taler hingelegt hätte. Nach weitern drei oder vier langen Weilen war ich bereit, den Pensionspreis irgendeines Ritzhotels zu zahlen für ein Mansardenzimmer mit einem Waschkrug voll Flüssigem.

Mit andern Worten, ich war im Begriffe, mich doch noch hinzulegen, als ich feststellte, dass ich mich knapp unterhalb des Gipfels über allen Gräben, Sümpfen und Wäldern befand. Es war etwa neun Uhr.

Ich verzichtete darauf, auf der zusammenhängenden Schneedecke im Dunkeln den Gipfel zu « stürmen », und querte zum Südhang hinüber. Doch still! Von dort unten, wo meine Alphütten lagen, hörte ich in Abständen ein Geräusch, wie wenn Skifahrer auf Hartschnee Schwünge machen. Wer mochte das sein, der in der Dunkelheit übte? Mühelos stieg ich zur Schulter hinab. Dort stellte ich fest, dass das merkwürdige Geräusch von einem Brunnen kam, dessen Wasserstrahl vom Nachtwind immer wieder auf den Rand des Troges geblasen wurde, so dass es laut zischte...

Da waren auch die Alphütten! Sie schienen verlassen zu sein. Bei der grössten stieg ich von aussen leise in den obern Stock. War ich wohl allein? Als ich ein Streichholz anzündete, erschrak ich fast. Standen dort an der Wand nicht Leute? Nein, es waren alte Savoyarden-Sennenkittel und -hosen.

Ich kroch ins Heu und schlief gleich ein. Um Mitternacht erwachte ich. Ein Fuchs bellte draussen. Aber es war wohl die Kälte, die mich geweckt hatte.

Eine Leiter führte zu den untern Räumen. Dort hinab tastete ich mich im Finstern. Bei jedem Schritt war ich darauf gefasst, dass mich jemand an den Beinen packen würde. Nichts dergleichen geschah. Im Gegenteil, als meine Kerzenlaterne endlich brannte, fand ich ein Kirchenblatt auf dem Tische.

Nun: Holz her und Feuer gemacht! Beim Knistern und in der wohligen Wärme schlief ich auf dem Küchenboden rasch ein. Später erwachte ich wieder frierend. Das Feuer hatte sich auch Schlafen gelegt. Also, Scheiter auflegen und weiterschlafen!

Etwa um 3 Uhr morgens war ich wieder wach und fror. Überdies hatte ich Hunger. So setzte ich mich denn hin und begann zu essen. Alles kam an die Reihe. Sogar ein Reisgericht wurde gekocht. Und als es Zeit wurde, aufzubrechen, um den Sonnenaufgang auf dem Gipfel zu erleben, blieben mir nur noch die zwei Rüben.

Die Morgenkühle wusch mir das Gesicht. An beiden Gipfeln des Môle klebten grosse Wächten. Richtig gefährlich sah mein alter Freund aus. Ich durfte stolz sein. Und dann die Aussicht. Im Süden das Genevois, im Westen der Salève, Genf, der Jura hinter dem Léman, Dents du Midi, Wallis, wo gerade die Sonne auftauchte. Rechts daneben, gerade in angemessener Entfernung, die Hohen Herren um den Mont Blanc, denen nun das rötliche Licht um die silbernen Barte strich. Wo anders als bei Sonnenaufgang einsam auf dem Môle könnte man sich gleichzeitig hoch über dem täglichen Kram und winzig klein vor der Schöpfung fühlen?

Immerhin, kalte Füsse kann man auch auf diesem herrlichen Aussichtspunkt im März um 6 Uhr morgens bekommen Aber ein schöner Tag brach an, und um ein Erlebnis reicher stieg ich glücklich wieder zu meinen beiden Rüben hinab. Diese ass ich zum Frühstück, worauf sich ein mehrstündiges Bauchgrimmen einstellte, das mir wohl für lange Zeit die Lust an diesen Wurzeln, nicht aber die Freude am Bergsteigen genommen hat!

Und sollte ich mich je zu einer vierten Môle-Fahrt entschliessen, so würde ich es nicht ohne Bergführer machen. Ich möchte die normale Aufstiegsroute auch einmal kennenlernen!

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