Lebensgemeinschaften im Bergwald
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Lebensgemeinschaften im Bergwald

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

Peter Meile, Wassen UR

Lebensgemeinschaft im Gleichgewicht Die tiefere Wahrheit, die jener Wildhüter angesprochen hat, besteht darin, dass der Wald mehr als eine Ansammlung von Bäumen ist; dass er ein stark vernetztes, dynamisches Beziehungsgefüge darstellt, in dem jede Veränderung eines einzelnen Teiles sich früher oder später auf das Ganze auswirkt.

Um in diese Zusammenhänge einen besseren Einblick zu gewinnen, teilen wir die Lebewesen eines Ökosystems, hier also der weit-gefassten Lebensgemeinschaft

- Produzenten sind alle grünen Pflanzen, weil sie mit Hilfe der Sonnenenergie organisches Material wie Laub, Früchte, Holz aufbauen.

- Davon leben letztlich alle Konsumenten, ob sie nun Pflanzenfresser sind ( Auerhuhn, Hase, Borkenkäfer ) oder als Fleischfresser wieder Pflanzenfresser verzehren ( Tannenmeise, Waldspitzmaus ), oder ob sie gar in einer noch höheren Stufe als Fleischfresser oder Parasiten wieder von solchen leben ( Fuchs, Holz-zecke ).

Der lichtreiche Lärchenwald, durchsetzt mit Arvenbeständen, bietet einer Vielzahl von Bodenpflanzen Lebensmöglichkeiten.

Da habe er in der Arvenregion schon wiederholt beobachtet, berichtet ein Wildhüter, wie Rotwild die grossen Burgen der Waldameise mit Läufen und Geweih durcheinan-derwühle, um sich zuletzt auf dem so verbreiterten Streubett niederzutun. Damit schädige das Rotwild ja nicht bloss das nützliche Amei-senvolk, sondern auch das Auerwild, das in seiner Jugend so stark von den Ameisenpup-pen abhängig sei. Ob hier nicht ein Widersinn in der Natur aufscheine, wenn eine Wildart die andere - nämlich der Hirsch das Auerhuhn -so stark beeinträchtige?

Ein anderes Beispiel: der Edelmarder lebt unter anderem von Schwarzspecht und Auerhuhn, diese beiden wieder von der Roten Waldameise; wer ist nun wem Feind? Nützt nicht der Edelmarder dem Auerhuhn, indem er dessen Konkurrenten reisst? Allgemein werde doch immer behauptet, , Pflanzen und Tiere lebten in einem sinnvollen Zusammenspiel, bildeten eine logisch aufgebaute Lebensgemeinschaft. Ist dem wirklich so? Dürfen wir es so benennen? Ja, wovon sprechen wir eigentlich?

- Von beiden, den Produzenten und Konsumenten, leben die Reduzenten, weil sie deren Abfallprodukte und toten Körper umwandeln und als ursprüngliche Stoffe dem natürlichen Kreislauf wieder zuführen ( Bakterien, Pilze ).

Diese drei grundlegenden Bestandteile eines Ökosystems sind durch verschiedene Stoffkreisläufe und durch einen gerichteten Energiedurchfluss miteinander verbunden.

Die Energie zum Ablauf dieser Stoffkreisläufe stammt immer aus der Sonnenstrahlung und wird von Stufe zu Stufe in kleinen und immer kleiner werdenden Portionen weitergegeben, weil jedesmal ein grosser Teil in Form von Wärme verlorengeht. Die letzten Energie- Drei Kreuzottern portionen gehen bei der Tätigkeit der Reduzenten in Wärme auf ( Gärung im Dunghaufen ).

Nun wollen wir uns den eingangs gestellten Fragen wieder nähern. Einerseits ist die Entwicklungsgeschichte jeder Tier- und Pflanzenart darauf ( gerichtet ), ihr innerhalb des ganzen Beziehungsgefüges einen einmaligen Platz zu sichern; anderseits ist im Endstadium eines Ökosystems nach menschlichem Ermessen jeder wichtige Platz auch von einer Art besetzt. Deshalb laufen die Stoffkreisläufe scheinbar geregelt ab, die Artenzahl bleibt mehr oder weniger konstant, und die Anzahl der Lebewesen jeder Art schwankt nur in einem bestimmten Rahmen.

Nun handelt es sich beim Beispiel unseres Gebirgsnadelwaldes aber nicht um ein theore- tisches Gebäude, sondern um eine Lebensgemeinschaft verschiedener Tier- und Pflanzenarten oder vielmehr einzelner Populationen von verschiedenen Arten.

Vorab unterliegt jede Population über ihre einzelnen Mitglieder einer Reihe von Lebensbedingungen, die von der unbelebten Umwelt gesetzt werden. So wirkt die Temperatur auf viele Lebewesen über die Anzahl der Frosttage oder über Durchschnittswerte während der Aufzuchtzeiten; Niederschläge bestimmen u.a. die verfügbare Feuchtigkeit und die Höhe und Dauer der Schneedecke; Mineralstoffe des Bodens beeinflussen die Artenzusammensetzung der Pflanzen.

Wichtiger als einzelne Faktoren für sich genommen sind oft Faktorenkombinationen. Da- bei hängen Verteilung und Dichte einzelner Arten von ihren besonderen Empfindlichkeiten und Vorzugsbereichen ab.

Wir halten fest: Nur ein Teil des von der Lebensgemeinschaft belegten Areals ist auch Lebensraum für eine bestimmte Art, der Rest ist für sie. Ebenso unterliegen die Mitglieder unserer Lebensgemeinschaft Einflüssen und Gegebenheiten, deren Ursache bei der belebten Umwelt, also bei den anderen Mitgliedern der Gemeinschaft liegen.

Entsprechend der oben aufgezeichneten Reihenfolge von Produzenten und Konsumenten bilden alle in der Nahrungskette tiefer liegenden Glieder für die nächsthöher geordneten Konsumenten eine Nahrungsgrundlage und beeinflussen auf diesem Weg deren Verteilung und Häufigkeit ( Heidelbeeren - Birkhuhn, Koniferenzapfen - Fichtenkreuzschnabel ).

Halten wir fest: Nur ein Teil der Artenvielfalt in unserem Ökosystem kann einer bestimmten Art als Nahrung dienen, der Rest ist belanglos. Der Dachs gefährdet zwar Bodenbrüter, nicht jedoch Baumbrüter.

Betrachten wir die erwähnten Nahrungsketten von unten her, stellen die Feinde einen wichtigen weiteren Faktor. Diese doppelte Betrachtungsweise ist nicht unbegründet, da die einzelnen Arten nicht nur Anpassungen zur Nahrungsaufnahme, sondern auch zur Feind-vermeidung erworben haben. Hierzu gehören zum Beispiel: Flucht ( Rotwild ), Sich-Drücken ( Rehwild ), Sich-Bergen ( Gemse ), Tarnung ( Schneehase ), Verleiten ( Birkhuhn/Fuchs ).

Wir stellen wiederum fest: Nur ein Teil aller vertretenen Tierarten gehört zum ( Feindbild ) einer bestimmten Tier- oder Pflanzenart.

Neben den beiden aufgezeigten Faktoren Nahrung und Feindschaft übt als dritte Kraft die Konkurrenz einen starken Einfluss auf Verteilung und Dichte einer bestimmten Population aus.

Das Resultat einer Konkurrenz zwischen zwei Arten mit sehr ähnlichen Lebensansprü- Arnikablüten werden häufig vom Kleinen Fuchs besucht. Er ist einer der meistverbreite-ten Falter im Alpengebiet und kann vom Frühling bis Spätherbst in Höhen von über 3000 Meter gesehen werden.

chen besteht in der Regel darin, dass sich ein mehr oder weniger stabiles Gleichgewicht einstellt und beide Arten in einem ungleichen Zahlenverhältnis koexistieren ( Sommer- und Wintergoldhähnchen ), oder dass sie sich bis zu einer bestimmten räumlichen oder zeitlichen Grenze ausschliessen ( Amsel - Ringamsel, Waldkauz - Mäusebussard ). Stellt sich ein solches scheinbares Gleichgewicht ein, ist in aller Regel die eine Art imstande, der anderen in irgendeinem Bereich ( Nahrung, Deckung usw. ) auszuweichen, ohne den Lebensraum ganz aufzugeben; die Konkurrenz ist also begrenzt.

So ist also nur ein Teil - vielleicht der kleinere - aller Tier- und Pflanzenarten füreinander von Bedeutung. Ein grosser Teil aller Beziehungen zwischen den einzelnen Arten einer Lebensgemeinschaft ist eher zufälliger Natur, oder für den Gesamthaushalt der Gemeinschaft fast belanglos. Einige Beziehungen aber sind ausserordentlich wichtig, weil sie die grossen Stoffumsätze regeln ( Schnecken, Asseln und Bakterien zersetzen nacheinander die Nadelstreu ); andere Beziehungen scheinen kaum ins Gewicht zu fallen, wirken aber an einer heiklen Stelle im Ablauf als Verstär-ker ( Tannenhäher tragen durch die Anlage von Wintervorräten zur Ausbreitung der Arve bei; Rehe beeinflussen die Strauchvegetation durch selektiven Knospenverbiss ).

Das Zusammenspiel in der Natur ist noch wenig bekannt Untersuchungen über die Anpassung des einzelnen Lebewesens an seine Umwelt, wie auch Studien darüber, wie sich ganze Populationen in ihrer Umwelt zurechtfinden, können wertvolle Ergebnisse liefern zum erst beginnenden Verständnis ganzer Lebensgemeinschaften, ja ganzer Ökosysteme, wenn wir auch deren unbelebte Umwelt in Betracht ziehen.

Im naturbelassenen Ökosystem waren die heute dominanten Pflanzenfresser weit weniger wichtig. Die Struktur der Nahrungsketten - also: wer frisst wenscheint vielerorts durch die ckultivierende ) Hand des Menschen schon so stark verändert worden zu sein ( Waldweide, Wildhege, verschiedene - nicht alle - forstwirtschaftliche Eingriffe ), dass der

Auch wenn wir - wie gesagt - ein solches System grob erfassen können, so ist hier sicher der Platz zuzugeben, dass wir von dem vielfältigen Zusammenspiel in unserer Natur, selbst in einer relativ einfachen Gemeinschaft wie in unserem Bergwald, erst eine geringe Ahnung haben. Immerhin haben wir aber gesehen, dass bei weitem nicht alle Mitglieder einer Lebensgemeinschaft einander direkt etwas angehen; dass es Arten gibt, die den Charakter der Gemeinschaft stärker bestimmen, und andere, die eher zufällig aufeinandertreffen.

Wir dürfen logische Zusammenhänge nicht von vornherein erwarten, zumindest nicht, solange wir nicht sehr genau Bescheid wissen über Entwicklungsgeschichte und Verbrei-tungsgeschichte der einzelnen Arten. Zudem müssten wir immer erst prüfen, ob das betrachtete Ökosystem tatsächlich die durch das Klima bestimmte Endform seiner Entwicklung erreicht hat und jetzt im Gleichgewicht steht.

Aber auch dann, wenn all dies erfüllt wäre, würden sich logische Zusammenhänge nur insoweit ergeben, als unser Denkmodell von den Vorgängen in der Natur ( Entwicklung, Haushalt, Gleichgewicht, Nahrungskette, Konkurrenz usw. ) auch tatsächlich natürliche Zusammenhänge abdeckt. Dass unser Modell dies tun wird, dürfen wir nur bedingt erwarten. Unser Bild von der

Was bringt uns weiterNeben vielen anderem, was Menschen in wissenschaftlichem Eifer unternehmen, um der Natur näher auf den Leib zu rücken, sind es gerade die Beobachtungen und Fragen von Leuten mit engem alltäglichem Kontakt mit der Natur, von Naturfreunden, Bauern, Förstern und Jägern, die uns hier weiterhelfen können - gesetzt den Fall, sie sähen mehr als das fette Gras, mehr als den Holzertrag, mehr als das Geweih.

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