Neuenburg
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Neuenburg

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

Von M. Oe.

« Am Ufer eines Sees, vor einem unermesslichen Horizont, der sich über die schweizerische Hochebene bis zu den Ketten der Alpen ausweitet, an der Mündung zweier grosser Täler gelegen, von langen Jurahöhen beherrscht, deren oft etwas eintönige Linie so glücklich durch den Eingang ins Val de Travers unterbrochen ist, durch das Burgunderloch, Le Trou de Bourgogne der Neuenburger, wird die Stadt durch die grossen Verkehrswege und selbst durch die Formen ihres Geländes der natürliche Mittelpunkt einer unserer schönsten Landschaften. » - So schreibt Alfred Lombard von dieser Stadt, in welcher in den Jahren 1953 bis 1955 unser SAC-CC weilte und in deren Gemarken am B. und 9. Oktober die Delegierten der SAC-Sektionen sich zur 94. Abgeordnetenversammlung und mit den SAC-Kameraden zum Zentralfest treffen werden. Der Herbst wird eben seinen Anfang genommen haben, um die ganze Schönheit dieser Stadt uns zu zeigen, deren Beginnen bis in die vorhistorische Zeit zurückgreift: die Stadt mit den Häusern aus dem gelbweissen Jurastein und dem türmereichen Stadtschloss auf dem Felshügel, den traubenschweren Rebbergen, die ihr Blätterwerk und die Früchte mit feinem, goldenem Duft überziehen, die weiten Wiesen und Felder und die Wälder, in die hinein der Frühherbst das erste Buntfarbige des Märchenzaubers der Natur legt.

« Diese Natur hat aus Neuenburg nicht eine grosse Industriestadt gemacht », sagt Lombard. « Neuenburg ist eine kleine Stadt, aber sehr städtisch durch die Bedeutung seiner Baudenkmäler - man sagte schon am Anfang des letzten Jahrhunderts ,eine grosse Stadt in einer kleinen'-, durch die aristokratische Haltung seiner alten Patrizierhäuser, städtisch auch durch seine intellektuelle Arbeit, seine künstlerische und wissenschaftliche Tradition, durch seine höheren Schulen, in denen so viele auswärtige Schüler sich in der Sprache des Landes unterrichten lassen, dieser französischen Sprache, mit der die Neuenburger um so mehr verbunden sind, weil ihr Land an der Sprachgrenze sich auf dem Vorposten lateinischer Kultur befindet. » Die Bergsteiger haben ein besonderes Recht, sich in Neuenburg zu treffen, denn in dieser Stadt wirkte Louis Agassiz, der mit Gleichgesinnten ins Hochgebirge zog und auf dem Unteraargletscher unter einem grossen, auf dem Eise liegenden Felsblock das « Hotel des Neuchâtelois » einrichtete, die Klubhütte, die während eines Jahrfünfts diesen Bergsteigern und Gelehrten Sommer für Sommer während Tagen und Wochen als Obdach diente. Louis Agassiz zählt zu denjenigen Bergsteigern, die als Naturforscher ins Hochgebirge zogen und zu den Begründern der Glaziologie und der Kunde über die Alpengletscher zählen. Zu ihm gesellten sich Arnold Guyot, Lesquereux und Desor, welche mithalfen, in Neuenburg die Naturhistorische Gesellschaft Anno 1832 zu gründen, die als die Vorläuferin der Neuenburger Akademie der Wissenschaften bezeichnet werden kann und im besondern der Erforschung der heimatlichen Gefilde und der Alpenwelt sich widmete.

Wenn wir in Neuenburg weilen werden, wo die Uhren uns das präzise Zeitmass diktieren und in der Nachbarschaft die Suchard-Schokolade schon über ein Jahrhundert lang fabriziert wird, um uns das Dasein versüssen zu helfen, so wollen wir uns auch dessen erinnern, dass die Bürgerschaft dieser Stadt durch alle Jahrhunderte hindurch es behutsam verstand, trotz weltlichen und kirchlichen Fürsten, ihre Freiheit und Selbständigkeit zu bewahren und Anno 1848, als unser Bundesstaat zur umfassenden Eidgenossenschaft gefügt wurde, die Republik zu proklamieren, sich von der preussischen Fürstenhoheit endgültig Die Alpen - 1955 - Le< Alpes17 zu lösen und als Kanton der Schweiz sich anzuschliessen. Der « Royalisten-Aufstand » von 1856 vermochte diesen Bund mit den Eidgenossen nur noch mehr zu besiegeln.

Als die Neuenburger in der ersten Hälfte des verflossenen Jahrhunderts den oft zum verheerenden Wildwasser anschwellenden Seyon durch einen gesprengten Felsstollen direkt in den See leiteten, verlor allerdings die Seyon-Gasse ihr « venedigartiges » Aussehen, standen zuvor die Fassaden der Häuser doch direkt im Flussbett, das von zahlreichen Brücken, zum Teil von Läden und Werkstätten gesäumt, überquert war. Aber die Stadt vermochte sich nun ungefährdet zu entwickeln, erfasste nicht nur die benachbarten Hänge, sondern auch das flache Seeufer, nachdem der Spiegel des Neuenburger Sees durch die erste Juragewässerkorrektion anno 1877 um nahezu zweieinhalb Meter abgesenkt worden war. Zur Altstadt mit den patriarchalischen Häusern und den zahlreichen und reizvollen Fassaden-verzierungen, Toren, Brunnen und Statuen gesellte sich im Verlauf eines Jahrhunderts die ausserhalb der frühern Stadtmauern sich breitende Neustadt, in die sich gerade in den letzten zwei Jahrzehnten Bauten jüngsten Architekturstils eingesetzt haben. Wer sich Zeit nimmt, kreuz und quer durch die Stadt zu steigen, auf und ab und durch die Quartiere zu schlendern, der wird viel Schönes zu sehen bekommen, besonders dann, wenn er die Kol-legiatskirche Notre-Dame ( 1. Bauperiode zu Ende des 12. Jahrhunderts und 2. frühgotische Bauperiode ) besucht, das Schloss, das mit der Stiftskirche auf der von Häusern überstellten Felsbastion zu einem geschlossenen, eindrucksvollen Baukomplex sich zusammenfügt und heute dem Kanton als Regierungsgebäude dient und umsichtig renoviert und erhalten ist, oder wenn er die besondern Palastbauten besichtigt, es sei das Maison des Halles, Haus de Marval, Haus Montmollin, Grande Rochette ( beim Bahnhof ), Hôtel Du Peyrou, das Stadthaus und andere Gebäude. Und wer sich die Zeit nimmt, die Sâle des Musée des Beaux-Arts zu durchgehen, der wird, wie Hans Jenny in seinem « Kunstführer der Schweiz » sagt, einen « vortrefflichen Querschnitt durch die westschweizerische Malerei » finden.

In seiner « Staats- und Erd-Beschreibung der ganzen Helvetischen Eidgenosschaft » hat Johann Conrad Fäsi anno 1768 vom Fürstentum Neuenburg und Vallengin geschrieben, dass « die Oberfläche dieser Landschaft fast durchgehends uneben ist. An den weit mehreren Orten stellet sie Berge und Thäler, an den wenigen Ebenen und flaches Land vor. Man kann gar leicht 3 verschiedene Himmels- oder Luft-Striche unterscheiden: Der unterste dähnet sich, gleich einem Amphitheater, längst dem mitternächtigen Ufer des Sees aus; der mittlere ist durch eine Kette von Bergen von dem ersten abgesondert; der höchste und oberste, den beyden vorhergehenden gegen Mitternacht, unterscheidet sich durch höhere Gebirge, über welche noch die hohen Joche des Jurassus hervorragen. Die erstere Gegend besteht in einem fast ununterbrochenen Reb- und Weinberge; die dortigen weissen, füraus die rothen Weine sind vortref lieh.... Die mittlere Gegend, welche die Thäler Ruth und Travers in sich schliesst, ist so wie die oberste, an Getreide von verschiedenen Arten, und an vortrefflichen Weiden fruchtbar... » War vor Jahrhunderten der Kanton Neuenburg fast ausschliesslich ein Gebiet der Weinbauern, Viehwirtschafter und Holzer, so ist er heute stark industrialisiert, ist aber dennoch ein Jura-Alpengebiet voll prächtiger Wandergebiete mit gehäbigen Bauernhöfen und herrlichen Wäldern geblieben. Sei es im Frühjahr, wenn die Narzissen und Primeln und Enziane blühen, im Sommer, wenn die Stille über den Wäldern liegt und von den Weiden her das Bimmeln der Herdenglocken läutet, oder im Herbst, wenn das Spiel der Farben über Höhen und Tiefen gleichfalls einen bunten Teppich breitet, und im Winter, wenn Rauhreif und Schnee das Zauberhafte einer ungestörten Märchenwelt in diese Landschaft legen, immer ladet es zum Wandern ein und gibt vom Schönsten, dieses Neuenburgerland, ungemessen und unerschöpflich.

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