Neuschnee
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Neuschnee

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ER, der Herr, GIBT SCHNEE WIE WOLLE Den Anlass zu dieser Predigt bildete der in der vorhergehenden Donners-tagnacht « tief-gefallene Schnee », und im ersten Teil seiner Predigt führt Merjan aus:

« Woher der Schnee komme: So gibt 's David heiter zu verstehen, wann er sagt: Er / nemlich der HErr / den er in vorhergehenden Worten wegen einer und der andern leiblich und geistlichen Gutthat gepriesen, gibt Schnee. Es ist zwar der Schnee auch ein Werck der Natur, wie ihn dann die Physici und Naturkündiger also beschreiben, dass die warmen und feuchten Dämpff und Dünste vermittelst der Sonnen Hitz aus der Erden und den Wassern werden auffgezogen und erhaben biss in die mittlere Lufft, und durch derselben Kälte, gleich wie auch durch die Wind in Wolcken verwandlet und zusammen getrieben, und wann die Wolcken sich wiederum zerlassen und zerrinnen, so werden aus ihren Tropffen bey warmer Zeit der Regen, bey kalter Zeit aber der Schnee gezeuget, welcher bissweilen mit grossiechten, bissweilen mit kleinern Stücken oder Fetzen, wie weisse Flaum-Federen oder wie weisse Wolle, ja wie weisse Sternlein, dass bald keines das ander im Herabfallen berühre, herab fliege und das Erdreich hin und her bedecke, daher ihn auch Plinius der gelehrte Heyd nennet: Aquarum Coelestium Spuman, einen Himm-lichen WTasserschaum. Obgleich nun also der Schnee in den Wolcken gezeuget wird, und darauss herab fällt, so kommt er doch ursprünglich von GOtt her, dann wie ER Regen gibt auff Erden, also gibt ER auch Schnee, wie unser David bezeugt in den vorhergehenden und abgelesenen Worten unsers Texts. ER der HErr ist, der die Schnee-Flocken als erkältete Wasser-Tröpfflein vom Himmel aus den Wolcken herunder fallen lässt, wann, wo und wie viel er will. » Merjan hat seine Kirchengenossen schon sehr gut über die Entstehung der Schneekristalle unterrichtet. Seither hat sich unser Wissen darüber noch erweitert, wobei die allgemeinen Erkenntnisse über die Bildungsbedingungen der Kristalle von wesentlicher Bedeutung waren.

In der Atmosphäre ist immer Wasserdampf vorhanden. Die Luft kann bei einer bestimmten Temperatur und einem bestimmten Luftdruck nur eine bestimmte maximale Menge Wasserdampf aufnehmen. Hat sie diese Menge erreicht, so ist sie an Wasserdampf gesättigt. Führt man gesättigter Luft noch weiterhin Wasserdampf zu, so kann er nicht mehr aufgenommen werden und fällt aus, sei es in Form von Nebel und Regen oder bei Temperaturen unter 0° C als Reif und Schnee.

Die Alpen - 1944 - Les Alpes2 Eine bestimmte Menge warmer Luft vermag mehr Wasserdampf aufzunehmen als die gleiche Menge kalter Luft. Dies hat zur Folge, dass, sobald sich warme, an Wasserdampf noch ungesättigte Luft abkühlt, ihre Sättigung immer mehr zunimmt, bis sie schliesslich bei einer bestimmten Temperatur die Sättigungsgrenze erreicht hat. Liegt diese Sättigungstemperatur unter 0° C, so bilden sich in der Luft, sofern sie noch mehr abgekühlt wird ( Übersättigung ), Schnee- oder Eiskristalle, deren erste Keime sich oft an in der Luft schwebende Fremdkörper ( Staubteilchen etc. ) anlagern. Durch Wachstum werden die Kriställchen immer grösser und fallen bei ruhiger Luft je nach Grosse und Form mit verschiedener Geschwindigkeit zu Boden.

Wohl jedermann kennt die Quarzkristalle, die in unseren Alpen stellenweise in grosser Zahl vorkommen, oft feilgeboten werden und vielerorts als Andenken an eine Wanderung Stube und Garten schmücken.

Nicht minder schön sind die Eiskristalle, wie sie sich bei jedem Schneefall in unendlicher Zahl bilden. Es ist wohl nur ihrer Vergänglichkeitzuzuschreiben, dass diese Kristalle mit ihrer Schönheit und ihrem Formenreichtum nicht allgemeiner bekannt sind.

Ihre sechsseitig symmetrische oder hexagonale Grundform findet sich zwar in zahlreichen Ornamenten verwirklicht, dabei ist es jedoch sehr fraglich, ob diese von der Form der Neuschneekristalle beeinflusst worden oder ob sie einfach aus den rein geometrischen Möglichkeiten der hexagonalen Symmetrie heraus entstanden sind.

Für die Orientierung und Beschreibung hexagonaler Kristalle wird das hexagonale Achsenkreuz benutzt, bei welchem drei Achsen ( a-Achsen ), die in Winkeln von 60° voneinander abstehen, in einer Ebene liegen. Senkrecht zu dieser Ebene steht die sechszählige Symmetrieachse ( c-Achse ).

In der Atmosphäre wachsen die Eiskristalle in Richtung der a-Achsen rascher als in Richtung der senkrecht dazu stehenden c-Achse.

Meistens ausgehend von einem einzigen Kristallisationszentrum erfolgt die Anlagerung der Molekülketten in den Hauptbindungsrichtungen, z.B. den a-Achsen. Es entstehen so Spitzen, die durch das Abfangen der zuwandernden Moleküle rasch weiterwachsen, damit aber auch die Moleküle in den Zwickeln zwischen den Spitzen aufbrauchen, so dass diese infolge Materialmangels nicht ausgefüllt werden können. Erst wenn der sechs-strahlige Stern einige Grosse erreicht hat und die Materialzufuhr günstig ist, setzen sich seitwärts an die Hauptäste, mit diesen Winkel von 60° einschliessend, Nebenäste an, die in Zentrumsnälie klein sind, nach aussen hin aber immer grösser werden.

Wegen der verschiedenartigen Stoffzufuhr und der damit zusammenhängenden unterschiedlichen Wachstumsgeschwindigkeit etc. zeigen die Eiskristalle einen grossen Formenreichtum.

Wenn auch alle Schneekristalle nach der hexagonalen Symmetrie gebaut sind, so sind ihre individuellen Formen doch ausserordentlich mannigfaltig und es ist kaum je möglich, zwei vollkommen gleich gestaltete zu finden. Die Bildtafeln 1 und 2 vermögen den Formenreichtum nur sehr spärlich zu vermitteln. Auf Grund ausgedehnter Studien in Nordjapan hat Nakaya die

Klassifikation der Schneekristalle ( Nach

I. Nadelige Kristalle ( langgestreckt nach der c-Achse ) 1. Einfache Nadeln e ) Tafeln mit Astfortsätzen Astfortsätze einfach oder mit Nebenästen f ) Sterne mit Breitenwachstum der Astenden sogenannte « Entenfussformen » 2. Kristalle mit Doppelkern scheinbar aus Doppelkeim ( meist parallelverwachsen ) entstanden'-3. Unregelmässig entwickelte Kristalle 4. Räumliche Aggregate von verzweigten Ästen auf Sternen aufsitzend 5. Räumliche Aggregate von verzweigten Ästen von einem Zentrum ausstrahlend Kombination von prismatischen mit basalen Kristallen 1. Säulen mit parallelverwachsenen basalen Kristallen an einem Ende oder an beiden Enden der Säule Iff 2. Zwölfseitige Kristalle tTgL gegeneinander verdrehte Sterne durch kurze Säule im Zentrum verbunden 3. Kombination von mehreren hemimorphen Säulen mit basalen Kristallen V. Prismatische Kristalle mit seitlichen Platten die Platten sind Fortsetzungen der Prismenflächen VI. Vergraupelte Kristalle und Graupeln1. Leicht vergraupelte Kristalle 2. Dicke Tafeln meist einseitig stark vergraupelte tafelige Kristalle 3. Graupelschnee stark vergraupelte, räumlich aggregierte Kristalle 4. Graupel rundliche oder konische Aggregate von gefrorenen Wolkenelementen oder bis zur Unkenntlichkeit vergraupelte Kristalle VII. « Amorpher Schnee » Kristalle ohne bestimmte äussere Gestalt meist Parallelbündel mehrerer Nadeln 2. Kombination von Nadeln meist schiefgekreuzte NadelbUndel II. Prismatische Kristalle ( Säulen ) zu dieser Gruppe gehören die Kristalle mit der e-Achse als Hauptwachstumsrichtung 1. Einfache Säulen 3a ) Pyramiden mit Basisb ) Hemimorphe Säulen ( Prismen mit Basis bzw. Pyramiden als Endflächen ) c ) Säulen ( Prismen mit 2 Basisflächen ) stets deutliche Zwillinge nach der Basis 2. Kombination von Säulen a ) Aggregate von hemimorphen Säulen vorwiegend an den durch Pyramiden abgestumpften Enden verwachsen. Gewöhnlich 3 bis 6 Kristalle in räumlicher Anordnung b ) Aggregate von kurzen Säulenl IM. Basale Kristalle Zu dieser Gruppe gehören die Kristalle mit den Nebenachsen als Hauptwachstumsrichtung. Extrem tafelig nach der Basis 1. Regelmässig entwickelte zweidimensionale Kristalle a ) Einfache Sterne sechs einfache Äste von einem Zentrum ausstrahlend b ) Dentritische Sterne sechs verzweigte Äste. Farnartige Formen c ) Breitästige Sterne Breitenwachstum der Äste bis zu fast geschlossenen Tafeln d ) Tafeln meist hexagonal oder trigonal óeckig in Fig. 1 wiedergegebene Klassifikation der Schneekristalle aufgestellt, nach welcher es möglich ist, die zahlreichen Einzelformen zu typischen Gruppen zusammenzufassen.

Während des Fallens durchfahren die Schneekristalle Luftschichten verschiedener Wasserdampfkonzentration. Zum Teil werden die Kristalle wieder aufgelöst, zum Teil aber durchfahren sie auch Luftschichten, in denen die Bedingungen für ein rasches Wachstum günstig sind. Es sollte also möglich sein, aus der Form der am Boden anlangenden Schneekristalle ihre Bildungsgeschichte zu erkennen und daraus den Zustand der durchflogenen Luftschichten abzuleiten. Dies wurde von Flugmeteorologen versucht, soviel sich aber heute erkennen lässt, sind die Verhältnisse so kompliziert, dass zur Zeit praktisch kaum rasch verwertbare Daten erhalten werden können. Dies um so weniger, als im einzelnen die Umstände, die zur Entwicklung der verschiedenen Eiskristallformen führen, noch nicht in allen Teilen erfasst werden können. Hier müssen durch experimentelle Untersuchungen vorerst die Grundlagen geschaffen resp. die bereits gefundenen Ergebnisse vertieft werden.

Zahlreiche Beobachtungen an Neuschnee haben gezeigt, dass Kristalle der Klassifikationsgruppe III Iα, b, e, e häufig gleichzeitig fallen. Dazu mischen sich oft noch Kristalle der Gruppen III 2, III3, IV 2 und VI 1. Nadelige Kristalle ( I 1 und I 2 ) treten relativ selten auf, und dann fast immer zu Beginn eines Schneefalls. Häufiger sind tafelige Kristalle ( III 1d ). Oft fallen fast ausschliesslich solche Formen. Diese Kristalle ergeben einen « stumpfen » Schnee, während die skelettartigen, dendritischen Formen eine gute Gleitfläche für den Ski bieten.

Vergraupelter Schnee ( VI 1, VI 2, VI 3 ) fällt bei hoher Luftfeuchtigkeit und bei Temperaturen nahe dem Nullpunkt. Besonders die Formen VI 3, die eigentlichen « Schneeflocken », sind häufig. Sie entstehen durch Zusammen-prallen und Zusammenkleben einzeln fallender Schneekristalle, die z.T. aber auch noch während des Fallens weiterwachsen und als Ansatzstellen für neue Kristallbildungen dienen.

Beobachtungen von Neuschneekristallformen im Zusammenhang mit den Wetterverhältnissen ( Druck, Temperatur, Feuchtigkeit, Wind, Wetterlage etc. ) sind bis jetzt noch sehr wenige durchgeführt worden, obschon gerade dadurch neben den experimentellen Untersuchungen das Verständnis der Zusammenhänge zwischen Kristallform und Wetter gefördert werden könnte. Es ist zu hoffen, dass die Klassifikation der Schneekristalle zu solchen Beobachtungen anregt und dass dadurch ein statistisches Material gesammelt werden kann, das unsere Erkenntnis der Naturvorgänge bereichert.

Die durch solche Beobachtungen und deren genaue Protokollierung entstehende Mühe wird durch den ästhetischen Genuss, den die Schneekristalle zu bieten vermögen, reichlich entschädigt.

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