Ostgrat der Dent du Crocodile
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Ostgrat der Dent du Crocodile

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

Mit 4 Bildern ( 79-82Von P. Schwarzenbach

( Oberrieden ) Die Dent du Crocodile ist mit 3640 m der zweithöchste Gipfel der Aiguilles de Chamonix. Eine Besteigung des sehr interessanten Ostgrates war schon lange unser Plan.

Bei ziemlich unsicherem Wetter verlasse ich am Samstag mittag Vevey, um in Bex mit meinem Bergkameraden Alois Hilber zusammenzutreffen. Über Martigny-Chatelard erreichen wir Chamonix, wo uns ein lachender Himmel empfängt. Wir atmen erleichtert auf, wie wir die noch schneefreien Aiguilles sehen. Es ist Ende September, deshalb verkehrt um 4 Uhr kein Zug mehr mit Montenvers.

Etwas missmutig über die unerwünschte Marschverlängerung, nehmen wir die sehr schweren Säcke auf den Buckel. Zu unserem Glück geht der Aufstieg durch einen prächtigen Bergwald, so dass wir wenigstens nicht der Sonne ausgesetzt sind. Auf halbem Weg bis Montenvers fährt der letzte Zug an uns vorbei - talwärts. Noch lange hören wir das laute Fauchen der altertümlichen Dampflokomotive. Der schwere Sack drückt uns fest. Um einer strengen Fels- und Eistour gewachsen zu sein, haben wir fast unsere gesamte Ausrüstung mit. Nach zwei Stunden Marschzeit sind wir in Montenvers, wo wir uns bei einer Flasche « Perrier » ausruhen.

Ausser einigen Schweizern, welche auf den Grépon gehen, ist niemand hier. So wenig Gäste haben wir hier oben noch nie gesehen, ist doch Montenvers für die Franzosen ebenso ein Begriff wie für uns das Jungfraujoch.

Die anbrechende Nacht lässt uns bald weitergehen, denn wir müssen noch das zerschrundete Mer de Glace überschreiten. Mit grossen Sprüngen setzen wir über manche grosse, dunkle Spalte und erklimmen beim Gletscherknie die Seitenmoräne. Einmal auf dem ausgetretenen Hüttenpfad, können wir nicht mehr fehlgehen. Der Vollmond erhebt sich langsam über der Aiguille de Triolet und beleuchtet die wilde Gegend taghell. Es ist nun angenehm zum Marschieren. Wir spüren die Lasten kaum mehr. Ein seltsames Gefühl befällt uns ob dieser landschaftlichen Schönheit.

Nach einem Marsche von insgesamt fünf Stunden stehen wir vor dem Refuge Envers-les-Aiguilles. Der Hüttenbau ist noch nicht beendet, der Aufenthaltsraum befindet sich noch im Keller. Freundschaftlich begrüssen uns die Bauarbeiter, sie kennen uns von einem früheren Besuche her.

« Birr » rattert der alte Wecker und reisst uns aus tiefem Schlafe. In kurzer Zeit sind wir angezogen und verzehren das bereitgestellte Frühstück. Um 3 Uhr verlassen wir die stille Hütte. Wenige Meter nur trennen uns vom steilen Gletscher, deshalb haben wir die Steigeisen schon in der Hütte angeschnallt. Nach einer kurzen, aber strengen Traverse erreichen wir den fast flachen Firnkessel Envers-de-Blaitiere, welcher auf drei Seiten von überaus steilen und wilden Granitwänden umschlossen wird. Die Nacht ist so klar, dass wir ohne Laterne die Routenskizze im Führer studieren können. Eingehend betrachten wir nochmals den scharfen Grat der Aiguille Blaitière, welchen wir vor fünf Wochen bestiegen haben. Als Neulinge in dieser Gegend hatten wir die Länge dieser Tour etwas leichtsinnig verkannt, mussten dafür im Abstieg ein Biwak in Kauf nehmen, nachdem wir im Nebel eine falsche Route eingeschlagen hatten. Diesmal greifen wir das Couloir Plan-Crocodile an und stehen bei Tagesanbruch vor dem Bergschrund. Ausser einigen riesigen Querspalten, welche wir umgehen konnten, haben wir bisher keine Schwierigkeiten angetroffen. Hier allerdings erhebt sich eine vier Meter hohe, leicht überhängende Eismauer, wie ein gewaltiges Bollwerk das ganze Couloir sperrend. Wisi, erst vor einer Woche aus einem Gebirgskurs entlassen, demonstriert mir hier hohe Eistechnik: den Schrund auf einem Band querend, hackt er einige Tritte für Hände und Steigeisen in die steile Wand und schafft sich, wie es scheint, fast mühelos hinauf. Ein Jauchzer verkündet mir, dass die Säcke nachfolgen können, anschliessend stemme ich mich selbst hinauf. Ich bin allerdings froh um das Sicherungsseil. Nach einigen weiteren Seillängen auf dem oberen, sehr steilen Firn steigen wir am Fusse des Ryan-Lochmatter-Grates der Aiguille du Plan in die Felsen ein. Diese Stelle haben wir uns als Sackdepot auserlesen und vertauschen deshalb die schweren, mit Steigeisen bewaffneten Schuhe mit Kletterfinken. Nach kräftiger Verpflegung packen wir die allernötigsten Ausrüstungsgegenstände in einen kleinen Skirucksack. Die Mitnahme von Wisis Feldflasche gibt Anlass zu einer heftigen Diskussion. Wie immer habe ich die meinige schon am Anfang der Tour leergetrunken, während mein Kamerad gespart hat. Ich willige schliesslich ein, insgeheim hoffend, auch Nutzniesser zu sein, um nicht immer an einem Stein saugen zu müssen. Um 7 Uhr brechen wir auf und queren rasch das ziemlich trockene Couloir Plan-Crocodile. Bis zum ersten Grataufschwung treffen wir keine Schwierigkeiten. Nach dem Führer sollten nun zwei schwere Kamine beginnen. Leider scheint es hier verschiedene Einstiege zu haben. Ich gehe zwei Seillängen voran, bis ein mächtiger Block jeden Weiterweg versperrt. Ein heikler Quergang führt uns in einen weiteren Kamin, welcher auf einer grossen Plattform mündet. Hier sehen wir endlich die gesuchten Risse, wir haben uns die Sache schon zu früh schwer gemacht. Wisi geht als erster den fast senkrechten und griffarmen Riss an. Nach zwanzig Metern kann ich ihm folgen. Der gute Fels und auch der Schwierigkeitsgrad entzücken uns. Die Fortsetzung besteht wieder in einem Kamin von 25 Metern Höhe, welcher aber so eng ist, dass wir nur mit äusserster Mühe unsere Körper hineinzwängen können, um uns wie Kaminfeger hinaufzuzwängen. Nach dieser ermüdenden Prozedur müssen wir beim Ausstieg den Kamin verlassen, um, nach einem gefährlichen Schritt, auf einen weit abstehenden Block zu gelangen. Die nächsten zwei Seillängen sind wieder leicht, und wir haben Gelegenheit, die Schlüsselstelle zu betrachten. Wir gedenken der ersten zwei Seilschaften, welche diesen dritten Aufschwung mit einem Quergang durch eine senkrechte, grifflose Platte bezwangen. Der bekannte Genfer Führer Lambert überwand diese Stelle erst nach stundelangen Versuchen, nachdem er am Sicherungsseil verschiedene Male an den Ausgangsort zurückpendelte, ein Unternehmen, das seinesgleichen sucht, zumal ein Abgrund von Hunderten von Metern unter uns ist. Zwei französische Bergführer fanden in der Folge eine einfachere Lösung dieses Problems; trotzdem ist es immer noch eine äusserst kühne Angelegenheit. In eine sich schräg aufwärtsziehende Ritze wurden einige leider nicht sehr solide Haken eingetrieben; dank des Doppelseiles und der Stehschlingen kann man sich daran hinaufschaffen. Alois übernimmt die Führung und überwindet die Stelle in ziemlich kurzer Zeit. Ich folge ihm sogleich nach und hänge die Hilfsmittel aus. Trotz verschiedener Anläufe gelingt es mir aber nicht, die vollkommen glatte, senkrechte Platte zu durchsteigen. Unter dem Gelächter meines Begleiters hänge ich wieder eine Stehschlinge ein, möge sie bis zu unserem Abstieg hier bleiben. In der Folge kommen wir auf einer geräumigen Terrasse an, wo wir uns endlich einmal die Aussicht richtig betrachten und auch photographieren können: auf beiden Seiten ragen die wilden Zacken der Aiguilles de Chamonix empor, während wir auf der anderen Talseite jede noch so kleine Spitze der Ketten der Aiguille Verte bis zu den Grandes Jorasses am leuchtend klaren Himmel erkennen.

Nach einem kräftigen Schluck aus Wisis « Gulanti », welcher mir trotz anfänglichem Gespött sehr gut bekommt, übernehme ich die Führung. Ein senkrechter Kamin mit anschliessend heiklem Quergang lässt mich den vierten schweren Aufschwung überwinden. Wir stellen fest, dass immer der Nachfolgende, diesmal Wisi, die Passagen viel schwerer findet. Die Fortsetzung wird bedeutend leichter. Senkrechte Stufen wechseln mit kleinen Grätlein und Kaminen. Der Gipfel ist nun in Sichtweite. Ohne nennenswerte Verzögerungen langen wir am letzten Turm und Gipfelaufschwung an. Dieser ist wie die früheren Türme ausserordentlich steil und glatt. Durch einen strengen Kamin erreiche ich einen Sicherungshaken, welchen ich jedoch nur als Sicherung zum Rückstieg benützen kann. Mein Mittelfinger der rechten Hand nimmt die unangenehme Eigenschaft an, sich immer zur Faust zu ballen; wahrscheinlich rührt dies von einem Stein her, welcher mir zuvor auf die Hand fiel. Dies behindert mich derart im Klettern, dass Alois trotz Müdigkeit nochmals die Führung übernimmt. Von einer Terrasse aus überwacht er mein Nachfolgen, welches unter diesen Umständen nicht sehr einfach ist. Ein Quergang bringt uns nach links, wo uns ein drei Meter hoher Absatz die letzten Schweisstropfen kostet, und dann betreten wir über einige Schuttbänder den Gipfel!

Sonst selten rauchend, geben wir hier gerne ein Rauchopfer, um die Müdigkeit zu vergessen. Zum Greifen nahe sehen wir den glänzenden Eisrücken des Mont Blanc vor uns. Vor einem halben Jahre musste ich während eines Sturmes in der Vallothütte Schutz suchen und lernte dort meinen jetzigen Seilgefährten kennen. Ich strecke mich für eine Stunde auf einer Steinplatte aus, bestrebt, den allzu rasch schwindenden Inhalt der Feldflasche mit Schnee nachzufüllen. Mein Kamerad ist mit Photographieren beschäftigt; er will möglichst viele Erinnerungen aus dieser herrlichen Gegend nach Hause mitnehmen.

Um 3 Uhr beginnen wir den Abstieg über die gleiche, nicht sehr einladende Route. Zum Glück haben wir zwei Vierzig-Meter-Seile zur Verfügung. Sorgfältig bereiten wir jede einzelne Abseillänge vor, ehe wir uns in die Tiefe gleiten lassen. Nach zwei Stunden stehen wir wieder am Fusse des ersten Turmes, nachdem wir achtmal abgeseilt hatten. Die Seile auf dem Rücken, queren wir das Couloir Plan-Crocodile und steigen weiter bis zu unserem Sackdepot ab, welches wir bei der ersten Dämmerung erreichen. Eilends werden die Kletterfinken mit Schuhen und Steigeisen vertauscht, während wir einige Bissen zu uns nehmen. Wir steigen diesmal auf der linken Seite des Couloirs auf einer Felsrippe ab, um nachher zweimal abzuseilen. Wisi bedauert, dass die Schneebrücke über den scheusslichen Bergschrund nicht donnernd zusammenbricht, er hätte dieses Schauspiel zu gerne mit angesehen! Die Nacht ist unterdessen vollständig hereingebrochen. Wieder leuchtet uns der Mond auf unserem Weg. Um 9 Uhr treffen wir « hundemüde » in Envers-les-Aiguilles ein.

Am andern Morgen treffen wir den Hüttenchef der Gemeinde Chamonix. Er ist erstaunt, uns zu sehen. Vor einigen Wochen wollte er uns diese Tour unbedingt ausschwatzen; er traute uns jungen Deutschschweizern nicht viel zu. Jetzt aber gratuliert er uns herzlich, was uns um so mehr freut, da er selbst ein strammer Bergführer ist und diese beachtliche Kletterfahrt zu würdigen weiss.

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