Otto Wyler
Unterstütze den SAC Jetzt spenden

Otto Wyler

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

Nach Erwin Poeschel.

Der Maler des Bildes « Lärchenwald im Schnee » ist der Aarauer Otto Wyler. Viele kennen ihn wohl mehr als Porträtisten, als heiteren Freund blumiger Wiesen, blühender Kirschbäume, eines hellfarbigen Kinderfestzuges oder tanzender Mädchen unter Bäumen, als Maler der aargauischen Aareland-schaft und des Jura; in den letzten Jahren führte er den Pinsel auch in Südfrankreich und Marokko. Allein Wylers vielseitige Kunst hat ebensosehr der Alpenwelt gehuldigt, und Bergbilder von ihm waren in der Münchener Se-zession, in Karlsruhe, Berlin, Rom und New York zu sehen.

Bei jedem Künstler wird auch die äussere Lebensgestaltung irgendwie von inneren Notwendigkeiten bestimmt sein, wenn sie auch nicht immer ihr reiner Ausdruck ist. In besonderem Masse darf man dies bei einem Menschen annehmen, der so viel Sinn für die eigne organische Entwicklung hat wie Wyler, dem es ganz ferne liegt, irgendetwas gewaltsam herbeiführen zu wollen, das er nicht auf seinem Wege sieht, der einfach das eigne Wachsen gewähren lassen will. Darin drückt sich bei ihm jene « gute Dosis Phlegma » aus, die Ricarda Huch in ihrem schönen Essay über Gottfried Keller als einen fruchtbaren Bestandteil schweizerischen Wesens erkannt hat, der « gegen den Einfluss fremder und eigner Reize festmacht » und die eigne Eigenart « unbefangen geniessen lässt ». Dieses « Phlegma » als einen Sinn zu deuten, der des eignen Weges sich immer wohl bewusst ist, mag besonders erlaubt sein bei einem Künstler, dessen Entwicklung in einer Richtung verläuft, die der herrschenden Strömung entgegengesetzt ist. Denn während die Kunst viele Jahre sich in der Proklamierung der Alleinherrschaft des Ausdruckes zu einem uneingeschränkten Subjektivismus bekannte, ging Wyler im Gegensatz dazu auf dem Wege zu immer strengerer Objektivität.

Mag man diese Entwicklung zu fortschreitender Objektivität als eine Folge seines Aufenthalts in Fetan bezeichnen oder vielmehr meinen, dass er sich — natürlich ihm selbst nicht bewusst — hierher gedrängt fühlte, um eine Übereinstimmung zwischen dem Äusseren und einer vorgezeichneten inneren Entwicklung herzustellen: in beiden Fällen ist die Beziehung gleich sinnvoll. Jedenfalls: eine innige Verbindung mit dem Bauerntum wäre neue Bindung gewesen; Wylers Entwicklung aber drängte nicht zur Bindung, sondern zum Abstand, durch den allein Objektivität erreicht werden kann. Der fand sich hier. Die Welt mit betriebsamen Strömungen blieb draussen, aber auch hier gewann man innerlich nicht neuen Boden. Diese Dörfer im unteren Engadin sind heute noch Bauernaristokratien. Die Häuser mit gewaltigen Mauern, riesigen Einfahrten und Räumen von einem Stolz des Ausmasses, wie sie anderwärts nur Herrensitze haben, bergen ein Geschlecht, in dem der Glanz früherer Zeiten, da Handel und Reichtum den Inn entlang rollte, das Gefühl der Besonderheit und eine bleibende Abgeschlossenheit zurückgelassen hat. Jedes Dorf, auch äusserlich eng in sich geschlossen, ist Die Alpen — 1936 — Les Alpes.17 von dem nächsten schon innerlich geschieden; der Städter vollends, auch wenn er Landsgenosse ist, bleibt immer ein Fremder.

Und Abstand versinnbildlicht auch die Lage Fetans. Hoch auf steilem Wiesenhang, fast ein Halbtausend Meter über dem jungen Inn, der grünweiss durch die Tarasper Felsen bricht, ist es wie ganz aus Türmergeist geboren und zum Schauen bestellt. Die Berge, die Wyler gemalt hat, sehen sich hier anders an als unten im Tal, und anders auch, als sie dem Tiefländer blauen. Sie sind nicht enzianfarbene Sehnsucht, sie sind aber auch keine Bedrückung, nicht die unbedingt unterwerfende Übermacht. Hier ist mehr eine Beziehung von gleich und gleich, ein objektives und männliches Sich-gegenseitig-messen.

Und dann dieses fast unbegreifliche Licht Engadins. In der Ebene löst die Vieldeutigkeit der Atmosphäre die Dinge auf, die Umrisse haben nichts objektiv Gültiges mehr, sondern sind einbezogen in das allgemeine Fliessen. Hier aber ist die Form hart, unabänderlich, ewig gültig und für sich bestehend. Hier gilt es auch, sich mit den absoluten Werten der Farben irgendwie zu verständigen, sie ohne Hilfe einer tonig machenden Luft zur Harmonie zu bringen. Dazu kommt die Übersichtlichkeit der Struktur, wie sie den Reiz besonders des oberen Engadins, wo auch viele Werke Wylers entstanden sind, ausmacht. Diese ganze Landschaft ist der Ausdruck eines in grossen Gedanken schaffenden Formwillens; in klaren, einfachen Umrissen sind die Berge hingestellt, und es herrscht der einfache Gegensatz von horizontal und vertikal. Kein vielfach gegliedertes Vorland, sondern flach gebreitetes Tal oder See und steil ge-stiegener Fels.

In dieser gar nicht intimen, vielmehr kühlen Welt stellt sich ein Grossteil der Kunst Wylers dar. Im strengen Dienst, riesige Bergkolosse zu malen, die auch im leuchtenden Wintermantel noch ohne Vertraulichkeit sind, hat er Jahre seines Schaffens verbracht, den Pisoc, auf den der Blick Fetans trifft, wiederholt gemalt und vor allem den Forno bei Maloja getürmt. Der Forno ist vielleicht der Höhepunkt dieser Periode des Künstlers. Einsam steht dieser Dom von einem Berg mitten im Bild, unnahbar, von selbstverständlicher Grosse. Es fehlen Vergleichspunkte in Staffage, Häusern, überschneidenden Bäumen, die oft ein bequemes Mittel sind, die Mächtigkeit solcher Riesen anschaulich zu machen. Es ist auch nicht der Geist Hodlers, der in diesem Bild wirkt. Für Hodler sind die Berge gewissermassen eine plastische Masse, in der er denkt, in der er seine herrschsüchtige Persönlichkeit ausdrückt. Er macht den Schöpfungsprozess zum zweitenmal, türmt noch einmal die Felsen- hin, wirft sie noch einmal aus der Glutmasse seiner inneren Dynamik heraus. Wyler erzielt die Wirkung durch Treue des Auges, durch wählendes Nachgehen der Form, durch Vorbehaltlosigkeit in der Beobachtung.

Wyler ist eine von den Malernaturen, die malen, weil es sie freut, die ganz Auge sind und die alles zu Bild machen, weil es ihnen gleichmässig wert ist und weil sie eine gesunde männliche Freude am Dasein erfüllt.

Feedback