Pico de Teyde (Tenerife)
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Pico de Teyde (Tenerife)

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

Von Walter Sievers

Mit 3 Bildern ( 160-162Zürich ) Wir treten in die rabenschwarze Nacht hinaus. Das ununterbrochene Tosen der wilden Meeresbrandung dringt an unser Ohr. Ein lauer Wind weht durch die Palmen vor dem Taoro-Hotel, das wir jetzt, morgens um 3 Uhr verlassen, wohlvorbereitet für eine grosse Bergfahrt. Ein Privatwagen, voll bepackt mit Proviant, Trinkwasser und Ausrüstung, steht bereit. Der spanische Chauffeur pfercht uns in den Fond, dann huschen die Scheinwerfer durch den riesigen Palmenwald hinaus auf die Landstrasse. In grossem Bogen fahren wir um den Vulkankegel des Orgelberges herum, dann, sanft ansteigend, durchs nächtliche Orotavatal hinauf nach dem Kolonialstädtchen Orotava, das noch im tiefen Schlaf liegt. Der Chauffeur hält bei einem niederen Häuschen an; ein junger Isleno mit Rucksack und Bergstock tritt aus der Türe, es ist der von uns engagierte Bergführer. Ohne viele Worte steigt er ein. Es geht weiter. Die Strasse beginnt zu steigen. Fast endlos windet sie sich in vielen Kurven durch die Dunkelheit empor. Wir erkennen nichts von der Landschaft, nur im Licht der Scheinwerfer tauchen unzusammenhängende Einzelheiten auf. Lange Zeit fahren wir durch Laub- und Nadelwälder, weit ausladende Äste bilden einen förmlichen Tunnel über die Strasse. Nach zwei Stunden wird es lichter über uns, die Bäume spärlicher. Felsige Wälle huschen gespenstig vorüber, durch eine Art Engpass zwischen diesen, den Portillo, kommen wir in ein wildes Hochland. Jetzt nimmt die Steigung ab, es geht noch einige Kilometer weit fast eben vorwärts. Vor uns taucht eine Gruppe abenteuerlicher Gestalten mit Mauleseln aus dem Halbdunkel auf, es sind unsere Träger mit den Packtieren. Sie sind schon um Mitternacht in Orotava aufgebrochen, um uns am vereinbarten Treffpunkt im Hochland der Canadas zu erreichen.

Am Fusse eines mächtigen Lavawalles hält der Chauffeur an. Es ist der Ausgangspunkt für unsere Tour. Die in dicke Wolldecken gehüllten « Arriéras » holen uns ein. Wie wir aussteigen, empfängt uns eine grimmige Kälte, sind wir doch schon auf 2000 m ü. M. Schlotternd springen die Träger aus ihren Sätteln und betrachten die Fremden etwas misstrauisch. Wir machen uns ans Ausladen und Umpacken der Lasten, alles wird in den Satteltaschen der Mulos verstaut. Eine Gänsehaut läuft uns über den Rücken, wie wir die armselige, dürftige Kleidung der Arriéras betrachten, nur eine Wolldecke bietet ihnen Schutz vor der Kälte. Das Thermometer zeigt minus 5°.

Gleich marschieren wir los, um etwas Wärme zu erzeugen. Der Morgen dämmert, jetzt erst erkennen wir die phantastische Landschaft, die wir durchwandern. Eine ungeheure Lapüliwüste umgibt uns auf allen Seiten, unterbrochen durch Schutthügel und Trachyt-felsen. Im Süden und Westen begrenzt ein Kranz trotziger Berge den Horizont, es ist das Ringgebirge, das den alten Riesenkrater der Insel umschliesst. Innerhalb dieses Ringwalles erhebt sich die gewaltige Pyramide des sagenumwobenen Teyde, den wir jetzt im Begriffe sind zu besteigen. Auf einem gut ausgetretenen Pfad kommen wir rasch vorwärts und erreichen schon um 7 Uhr die Montana bianca ( 2700 m ). Der ganze Berg besteht aus gelblich-grauem Bimssteingeröll, das trocken unter unsern Tritten knirscht.

Der Himmel färbt sich im Osten über dem fernen Horizont rot und gelb, und ganz unvermittelt geht strahlend die Sonne auf, die erschreckend seltsame Landschaft mit einer fast unerträglichen Lichtfiut übergiessend! Ein faszinierendes Farbenspiel umgibt die Wanderer in dieser fremdartigen Bergeinsamkeit.

Überall auf der hellen Bimssteinfläche liegen hausgrosse, manchmal kugelrunde Ob- sidianblöcke herum, sie sind einst von den Lavaströmen des Teyde abgerollt. Glashart, blauschwarz glänzend, sehen sie in dieser Einöde merkwürdig genug aus. Die Eingeborenen nennen sie « Glastränen ». Unser Weg führt durchlas Labyrinth dieser Blöcke aufwärts. Nun gewahren wir überall, soweit das Auge reicht, eigenartige, ginsterartige Büsche mit dicken holzigen Stämmen und graugrünen sparrigen Zweigen, es ist die berühmte Rétama bianca ( Spartocytisus supranubius ). Die Büsche bilden keinen geschlossenen Bestand, einzeln stehen sie weit auseinander in ungeheurer Zahl und geben der Landschaft ihr auf der Welt wohl einmaliges Gepräge. Die jetzt ausgetrockneten Pflanzen tragen im Mai-Juni eine unvorstellbare Fülle weisser, gelber und rötlicher Schmetterlingsblüten, die das ganze Hochland in ein einziges duftendes Blumenmeer verwandeln. Die letzten dieser Büsche finden wir noch bei über 3000 m Höhe! Ein Heer wilder Kaninchen bevölkert diese Retama-Zone.

Längst haben sich unsere beiden Begleiterinnen den Maultieren anvertraut und reiten auf den unbequemen Sätteln bergan. Sie sind schon weit voraus, die Mulos kennen ihren Weg, der jetzt steil ansteigt. In einer breiten Schuttrunse zwischen zwei gewaltigen Lavaströmen geht es in endlosem Zickzack aufwärts. Auf dem scharfkantigen Geröll kommt man nur mühsam vorwärts. Die grosse Höhe macht sich in einer plötzlich auftretenden Schlappheit bemerkbar. Auf einem kleinen ebenen, mit grossen Steinblöcken übersäten Platz, der Estancia de los Ingleses, schalten wir einen kurzen Halt ein, um uns mit einer Handvoll Bananen zu restaurieren. Zwei spanische Bergsteiger gesellen sich zu uns, sie sind vom andern Ende der Canadasebene hergekommen, wo sie ein einsames Jagdhaus bewohnen. Mit munterem Erzählen verkürzen sie uns den weiten Weg. Wir erfahren von ihnen viel Wissenswertes über das herrliche Bergland der Insel. Sie berichten uns sogar von schönen Skiabfahrten, wenn das Hochgebirge im Winter zeitweilig von einer tiefen Schneeschicht bedeckt ist.

Das wilde Ringgebirge, das mit dem 2750 m hohen Quajaramassiv einst die höchste Erhebung der Insel darstellte, liegt längst tief unter uns. In seiner Formation erinnert es uns an die heimatlichen Churfirsten. Immer noch geht es steil aufwärts auf steinigem, aber gutem Pfad. Am Wegrand, zwischen dem fast sterilen Lavaschutt, entdecken wir plötzlich eine seltsame niedere Pflanze mit silbrig behaarten dicken Blättern und grossen amethystblauen Blüten, es ist das berühmte Pikveilchen ( Viola cheiranthifolia ), das hier oben bei 3100 m noch sein Leben fristet! Ein kleiner flinker Vogel, der Teydefink, huscht vorüber und jagt den etwa aus der Tiefenregion versprengten Insekten nach.

Die rötlich-schwarzen Lavarippen, die unsern Weg auf beiden Seiten flankieren, treten immer näher zusammen, ein zerklüfteter Trachytwall wird überschritten, da stehen wir unvermittelt vor einem massiven, neuerbauten Berghaus, das sich harmonisch in die Landschaft einfügt. Es liegt auf einer breiten sonnigen Terrasse, der Alta vista, auf 3200 m. Die Maultiere mit den Lasten und unsere Begleiterinnen sind schon da. Hier auf der behaglichen Terrasse halten wir ausgiebige Mittagsrast. Es ist bald 10 Uhr. Gierig fallen alle Teilnehmer, besonders die Arrieros, über die Proviantkörbe her, die eine übertriebene Fülle von Esswaren enthalten. Die Proviantbestellung im Taoro wurde wahrscheinlich zu ernst genommen, denn die Körbe enthalten, ausser Mineralwasser, noch eine Menge Wein und Cognak, was wir hauptsächlich den Trägern überlassen. Warm scheint die Herbstsonne im Windschutz des Berghauses. Bald sind wir gestärkt und bereit, den Aufstieg fortzusetzen. Die Träger mit den Mulos bleiben hier zurück. Nur mit dem nötigsten Gepäck versehen, marschieren wir los. Gleich hinter dem Haus türmen sich die Lavafelsen zu zerklüfteten wilden Wällen zusammen. Unzusammenhängende Schneefelder liegen zwischen ihnen, die sich weiter oben zu einer hartgefrorenen geschlossenen Schneedecke vereinigen. Der Weg durch dieses Gewirr von Felsen ist durch Steinmannli kenntlich gemacht. Wir gelangen zu einer schwarzen Lavahöhle, die ganz ausgefüllt ist mit grünem Eis, die Cueva del Hielo, wo auch die Wasserfassung für das Berghaus angelegt ist. Über hohe Felsrippen kletternd erreichen wir nach einer knappen Stunde die Rambletta, ein breites, mit grobem Geröll übersätes Plateau. Da erhebt sich plötzlich vor uns eine herrliche, gleissende, schneebedeckte Pyramide gegen den kobaltblauen Himmel, der « Piton » genannte Gipfelaufbau des Teyde! Unser Herz schlägt höher bei diesem majestätischen, erhabenen Anblick. Hier sind wir auf der Höhe unseres Tödigipfels, und immer noch ragt unser Berg um 150 m über die Rambletta in den blauen Äther!

Wie wir die steile Flanke auf dem harten Schnee in Angriff nehmen, empfängt uns ein eisiger Sturmwind. Nur sehr mühsam kommt man vorwärts, manchmal müssen wir auf allen Vieren kriechen, um nicht vom Wind umgefegt zu werden. Es ist nicht mehr auszuhalten, vorsichtig queren wir den Steilhang auf die Südostseite hinüber, wo wir massive Felsen erreichen, in deren Schutz wir in leichter Kletterei den Grat erreichen. Wir turnen über die messerscharfen Kanten der Trachyt- und Tuffblöcke hinauf und stehen um 1 Uhr mittags auf dem herrlichen Gipfel, 3740 m ü. M.

Der Ausblick ist überwältigend. Dreitausend Meter unter uns ein einziges schimmerndes Wolkenmeer, durch das überall der blaue Ozean herauf blickt. Der grösste Teil der Insel ist durch die Nebel dem Auge verborgen, doch ist deshalb der Anblick nicht minder schön. In weiter Ferne erkennt man die sanften Kammlinien von gebirgigen Inseln, es sind Palma und Gomera im Westen und die Cumbre von Gran Canaria im Osten. Eine ungeheure Fläche dehnt sich um uns. Man überblickt ein Gebiet von mehr als der doppelten Grösse der ganzen Schweiz!

Im eisigen Sturmwind klammern wir uns an die Felsen und lassen die grossartige Landschaft auf uns einwirken. Tief unter dem luftigen Gipfel liegt die 188 km2 grosse Canadasebene, eingefasst von den senkrechten Wänden des Ringgebirges. Gegen Osten verliert sich der bewaldete Bergrücken der Cumbre in wogendem Nebel. Noch in etwa 60 km Entfernung erkennt man die blauen Anagaberge, das älteste Vorgebirge der Insel. Im Westen aber fesselt eine grandiose Szenerie den Blick. In zwei bis drei Kilometer Entfernung gähnt ein mächtiger schauriger Vulkankrater herauf, der Pico Viejo, der im Vulkanismus von Tenerife einst eine weit grössere Rolle gespielt hat als der um 500 m höhere Teyde. Gewaltige schwarze Lavaströme senken sich vom Kraterrand nach allen Richtungen in die Tiefe. Am Pico Viejo und am Chahorra, der sich noch weiter westlich erhebt, haben einst verheerende Ausbrüche stattgefunden, so 1706, als sich die glühenden Lavamassen bis ins Meer hinab ergossen, das schöne Hafenstädtchen Garachico fast völlig zerstörend. Dann 1798 entstand an der gleichen Stelle ein Explosionskrater, und zuletzt fand ein gewaltiger Ausbruch im November 1909 statt auf der Hochfläche von Chinyero; die Lavamassen ergossen sich nach Westen hinab, die Ortschaften Santiago und Tamaimo aufs höchste gefährdend.

Unser Blick schweift über die Krater hinweg zum Hochland von Bilma, wo sich über 80 schwarze Schlackenkegel auftürmen. Hier ist das Zentrum der grössten vulkanischen Tätigkeit. Dahinter liegen die alten Basaltberge von Teno, von grauen Nebeln umbrandet.

Die eisige Kälte schneidet uns durch die Kleider bis auf die Haut. Wir suchen Schutz in dem kleinen, etwa 40 m tiefen Gipfelkrater des Teyde, der ganz ausgefüllt ist von farbigen Ablagerungen und hellgrauen Tuffblöcken. Aus allen Spalten und Löchern dringt schwefliger Dampf hervor, der Boden ist in der Umgebung der Fumarolen 80° heiss! Und dies in einer Höhe von fast 8000 Metern vom Meeresgrund ( der Ozean ist in unmittelbarer Nähe der Küste rund 4000 Meter tief ). Der Vulkanismus ist also keineswegs erloschen.

Auf einer Art Ofenbank aus Tuff lassen wir uns zu einer kurzen Gipfelrast nieder und wärmen unsere durchfrorenen Gestalten wieder auf. Überall glitzern schöne gelbe Schwefelkristalle.

Noch einmal steigen wir auf die höchste Zinne hinauf. All das Herrliche lässst uns die grenzenlose Einsamkeit hier oben fast vergessen. Wir sind ergriffen von der Feierlichkeit des Augenblickes, von den seltsamen Naturerscheinungen, von der gewaltigen Ausdehnung des Sehkreises! Man versucht Vergleiche zu ziehen zwischen unsern Alpen und den Gipfeln der ozeanischen Inselwelt, doch gelingen keine, alles ist ganz anders. Weder die Berge selbst noch das Bergsteigen hier finden eine Parallele zu den Alpen. Man steht auf einem völlig isolierten Gipfel nahe der Viertausendergrenze, und ringsum ist nichts als Wasser und Luft, die Begriffe Weit und Hoch haben keinen Maßstab mehr.

Doch das Wesen der Berge, ihr geheimnisvoller unwiderstehlicher Reiz, ihr wohltuender Einfluss auf Körper und Seele, ihre göttliche Erhabenheit und ihre unfassbare Schönheit sind auf der ganzen Erde gleich.

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