Piz d'Aela
Unterstütze den SAC Jetzt spenden

Piz d'Aela

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

Nordostgrat — Westvariante VonVon Franz Mit 4 Bildern ( 22—25St. Gallen ) Unter Sturmgebraus, Blitz, Donner und Hagel halten wir unsern Einzug in der Aelahütte. Das hat wenigstens den einen Vorteil, dass wir Platz genug haben und uns recht häuslich und gemütlich einrichten können. Das dürre Arvenholz knistert lustig im Herd, und im Topf brodelt das Kaffeewasser. Hin und wieder fährt die Windsbraut in den Kamin oder rüttelt am Hüttendach und an den Fensterladen. Was ficht uns das an! Vorerst haben wir noch ein Dach über dem Kopf, und wenn auch die Wetteraussichten auf morgen nicht gerade rosig ausschauen, so lassen wir uns doch nicht abhalten, unsern Routenplan festzulegen. Um 22.30 Uhr kriechen wir auf die Matratzen, wünschen einander recht gute Nacht und sonniges Erwachen.

Montag, 29. Juli 1946, Tagwache 5 Uhr. Das Wetter ist zwar noch weit entfernt von dem, was man « schön » nennen könnte, aber immerhin, es « schont » wenigstens von oben herab. Nebelfetzen streichen um die Hütte und verdecken jegliche Aussicht ins Tal und auf die umliegenden Höhen. Doch « frisch gewagt ist halb gewonnen ». Nach kräftigem Morgenimbiss werfen wir unsere Säcke über und marschieren hinaus in den sehr kühlen Morgen. 7 Uhr Aufbruch zur Tour auf den Piz d' Aela, und zwar über den ganzen Nordostgrat über Piz Spadlatscha und Piz Uglix, eine sehr schöne und abwechslungsreiche, aber auch ziemlich lange Sache. Otto, Gust und ich marschieren das Weglein, das wir gestern bei Sturmwind passiert haben, wieder ein Stück zurück und beginnen ca. bei Punkt 2403 des Chavagl grond den Anstieg. Die Sonne schenkt uns hin und wieder einen Lichtblick. Erst steigen wir ziemlich steil über Rasen hinauf in die Höhe, und um 7.45 Uhr befinden wir uns auf dem ersten, mit einem Steinmannli bezeichneten Grathöcker, dem Punkt 2606. Der Nebel hat sich etwas gelichtet und lässt uns einen Blick hinunter werfen über die westlichen Rinnen und Runsen. Von unten, umwallt von zarten Nebelfedern, grüsst die Hütte herauf. Weiter traversieren wir über den nun felsigen Grat, der steil und zerhackt wird, und erreichen um 8.45 Uhr den ersten Gipfel unserer Tour, den Piz Spadlatscha ( 2872 m ). Weiter klettern wir über den vorerst leichten und harmlosen Grat. « Nei lueg au! » Schafe blöken uns entgegen, die vermutlich ebenso verwundert sind wie wir. « Wo chömed au die her? » werden sie sich fragen, genau wie wir. Also, noch mehr Kletterer im RevierDer Grat wird schärfer. Über Zacken und Blöcke, Risse, Brüche und über Geröll klettern wir weiter, hinauf über sehr brüchigen Fels zum Piz Uglix ( 2970 m ), dessen Gipfel wir um 10.30 Uhr erreichen. Das Wetter hat sich mittlerweile ganz mächtig gemacht, und unsere liebe Frau Sonne bricht immer wieder durch den dunstigen Schleier. Die Nebelfetzen wogen hin und her, gleich windgeblasenen Vorhängen, und blauer Himmel, der überall durchschimmert, lässt uns glauben, dass es nicht mehr zum Regnen kommen werde. Das beruhigt uns wesentlich. Vom Piz Uglix geht 's in luftiger Kletterei in zwei, drei Querrissen die Wand hinunter in die Scharte zu Punkt 2930. Unsere Uhren zeigen genau 12 Uhr. Wir sitzen im Schartengrund und machen unsere Säcklein auf und verspeisen, was es da gibt: ein wenig Speck, zwei Schnitten Knäckebrot, eine Handvoll Dörrobst und Nüsse, drei Stück Zucker und als Dessert einen recht aromatischen Stumpen. Unser « Speisezimmer » ist recht eigenartig. Im Rücken Felszacken, bizarr anzusehen in flatternden Nebelfahnen, vor uns eine scheinbar sehr glatte und steile Wand, nass und glitschig, unwahrscheinlich hoch, verschwindet sie doch im Grau! Und zur Rechten und Linken wallendes, steigendes und fallendes Nebelmeer. Aber warm ist es, recht « brütig » warm. Ein Prickeln und Stechen liegt auf der Gesichtshaut. Die Sonne sticht durch den Nebel.

12.20 Uhr. Der « Sturm auf die Festung » beginnt. Es geht sehr gut. Die scheinbar glatte und grifflose Wandstelle wird in sehr anregender und interessanter Kletterei genommen, und schon stehen wir auf dem ersten Gipfelaufschwung des Piz d' Aela. Der nun folgende Grat ist sehr leicht, aber endlos lang. Immer glauben wir, auf dem höchsten Gipfel zu stehen, aber immer wieder trennt uns ein neuer Grataufschwung von ihm. Es ist kaum glaublich, was da alles dazwischen liegtDie Säcke lassen wir in einem Schärtchen vor dem Westgipfel liegen und turnen, doch etwas erleichtert, endlich auf den Hauptgipfel hinüber. Piz d' Aela ( 3340 m ), genau 15.05 Uhr. Acht Stunden und fünf Minuten! Eine ganz ordentliche Leistung für den ersten Tag! Vergnüglich und in froher Laune reichen wir uns die Hände. Leider ist die Aussicht recht schlecht. Von der weitern Umgebung sehen wir gar nichts.

Nasse, kalte Nebelschwaden ziehen uns um die Ohren und zwingen uns, raschmöglichst wieder aufzubrechen und den Abstieg zu beginnen, ehe des Himmels Schleusen doch noch geöffnet werden. 15.15 Uhr. Wir steigen zu unsern Säcken zurück und zu einem kleinen Schärtchen nördlich des Westgipfels und folgen einer Route, die im Bündner Führer nicht verzeichnet ist und eine Variante zu den üblichen Westrouten darstellen mag. Erst steigen wir ca. 60 Meter eine Geröllrunse abwärts und dann hinüber auf den Grat und auf die nördliche Gratrippe, um so wieder ein paar Meter abwärts zu kommen bis zu einem Plätzchen. Der Grat fällt hier plötzlich ab und wird zur sehr steilen und äusserst exponierten Wand. Wer will, kann hier abseilen, es geht einfacher. Wir versuchen den Abstieg im Klettern, steigen vorsichtig abwärts und erreichen über das sehr steile Wandstück wohlbehalten die nordöstliche Scharte oberhalb des sog. « Roten Turms ». Ein verrosteter Mauerhaken sitzt da ganz einsam und verlassen in einem winzigen Felsspältchen und verrät früheren Durchstieg. Von der Scharte geht es wieder ein paar Meter in einer Schuttrinne hinunter, bis ein « Absturz » jedes Weitergehen sperrt. Wir traversieren in die Flanke des « Roten Turms », bis sich wieder eine Möglichkeit zeigt, in die Rinne abzusteigen. Bald stehen wir auf hartem Schnee und befinden uns nun in der Scharte unter dem « Roten Turm » und vermutlich beim Beginn der Normalroute 121a 1 des Bündner Führers. Wir folgen einem schwierigen Quergang ( der allerdings nicht zur Normalroute gehören dürfte ) in die Geröllhänge, und um 19.30 Uhr, nach vierein viertelstündiger, überaus interessanter und zum Teil auch ziemlich schwieriger Kletterei stehen wir bei Punkt 2561. Wir schnaufen nun doch ein bisschen auf und drücken uns nochmals die Hände. Wir haben einen nicht alltäglichen Auf- und Abstieg über den herrlichen Piz d' Aela ausgeführt, freuen uns rechtschaffen darüber und bringen die folgenden Geröll- und Schutthalden mit Humor hinter uns. Um 21 Uhr treten wir über die Hüttenschwelle.

Und El Tepe ( Fortsetzung ) Eine Fahrt zu den höchsten Gipfeln des Balkans Von S. Walcher Mit 4 Bildern ( 26—29Wien ) Nun ging es geruhsam aufwärts. Allmählich wurde die Landschaft wieder alpin; über den waldigen Vorbergen tauchten braune Felsgipfel auf, und die Luft wurde frisch und würzig. Um 19.20 Uhr, fast genau zwölf Stunden nach meinem Aufbruch von der Musallahhütte, war der Weg des Tages zu Ende. Zwölf Stunden zu gehen ist an sich keine besondere Leistung; die Hitze des Tages aber hatte sie tief in das Gedächtnis « eingebrannt ». Hase, der Hüttenwart, hatte mich gastfreundlichst aufgenommen. Staunend, aber unermüdlich kochte er Tee, denn mein Durst war nicht zu löschen.

Am nächsten Tag musste der Hüttenwart wegen einer Besorgung hinunter in das Tal. Auch mein Träger, freundlich grüssend, verliess mich zur gleichen Zeit. So ergab sich von selbst ein Rasttag, ein köstlicher, den ich reichlich ausnützte. Als abends der « Hase » gesprungen kam, den Sack voll grosser saftiger Wasser- und Zuckermelonen, war ich ausgerastet und zu neuen Taten bereit.

Maljovitza, 2731 m, und Elenin Wrch \ 2652 m Mächtig zog es mich nun zu den Türmen am Strasno Esero 2. Ich wollte aber meinem Grundsatze treu bleiben und auch hier zuerst den höchsten Gipfel der Gruppe besuchen. Also vérliess ich gegen 6 Uhr morgens die Hütte. Das Wetter war gut. Weglos ging es über steile Grashänge empor zur breiten Rinne, die von der Scharte zwischen den beiden Gipfeln herabzieht. An den Trümmern eines abgestürzten Flugzeuges vorbei stieg ich über grobes Geröll aufwärts. Schon nach zwei Stunden stand ich in der Scharte; über einen steilen, felsdurchsetzten Rasenhang erreichte ich dreissig Minuten später den Gipfel.

Ist es sonst die Weite, die beim Betreten eines Gipfels den Blick gefangen nimmt, so war es hier die Tiefe. Nicht dass der Blick in das Bodenlose fiel, im Gegenteil, gerade der Boden war das Wundersame, das den Blick sofort anzog und lange nicht mehr losliess. Da unten, zu meinen Fussen, lag ein breites, restlos mit Laubwald bestandenes Tal, über dessen Baumkronen in stiller Einsamkeit die grosse, goldene Kuppel des Rila-Klosters märchenhaft glänzte.

Aus der Gipfelscharte, zu der ich wieder hinabstieg, überschritt ich den zweiten Gipfel des Berges, folgte dann dem Grat nach Osten bis zum Steinmann des Elenin Wrch und weiter bis zu dem grossen Abbruch vor dem Gipfel Slipotiza. Hier verliess ich den Grat und stieg über steile Felshänge hinab zum kleinen Elenin-See. Eine köstliche Stille und Einsamkeit umfing mich hier. Aller Kleider ledig tummelte ich mich in dem kalten, kristallklaren Wasser, auf dessen Grunde das rotbraune Gestein im Lichte der Sonne glänzte wie pures Gold.

Am frühen Nachmittag erreichte ich wieder die Hütte. Der weglose Abstieg war schön, aber ein drohendes Gewitter hetzte mich, und so floss viel Schweiss. Kaum unter dem Hüttendach, eröffnete der Wettergott sein Konzert, und im Nu gab es nichts mehr als Nebel, Sturm, Regen, Blitz und Donner. Wie freut man sich da, sitzt man im Trockenen, doppelt seines Erfolges.

Der Gratzug der Kupenite Die Drei Türme, ca. 2400 m, 2500 m, 2540 m, Gr. Kupenite, 2550 m, Lovniza, 2570 m, Orlovez, 2650 m, und Zlja sub, 2520 m.

Ich will nicht sagen, dass die Romantik unbedingt dort aufhören muss, wo die Wege beginnen, sicher aber ist, dass sie meist dort beginnt, wo sie enden — oder überhaupt nicht vorhanden sind. In solchen Gebieten erreicht 1 Hirschenspitze.

2 Esero = See.

die Entdeckerfreude ihren Höhepunkt, besonders dann, wenn nicht unbedingt ein bestimmtes Ziel erreicht werden muss. Erreicht man es trotzdem, dann mag man sich zusätzlich über seinen sechsten Sinn freuen. Diese doppelte Freude wurde mir heute reichlich zuteil.

Gegen 7 Uhr morgens verliess ich die Hütte. Der Himmel war klar und die Luft frisch. Wenige Meter von der Hütte entfernt begann die Romantik. Dichte Latschenfelder waren zu durchschreiten. Immer aber wieder fand ich einen Durchschlupf, immer wieder betrat ich kleine, mit Blumen übersäte Wieseninseln, bis die Latschen allmählich zurückblieben und einem weiten Karengebiet Platz machten. Mulde reihte sich nun an Mulde; hinauf ging es, hinab und so fort, bis ich vom letzten Riegel hinuntersah zum kleinen, tiefgrünen Strasno-See. Und da waren auch sie, die drei Türme. Ich stand und schaute. Es ist schwer, einen Vergleich zu finden. In den Niederen Tauern, mit welchen die Berge des Rilagebirges die meiste Ähnlichkeit haben, gibt es einen Gamskogelgrat; so ähnlich wie dieser, nur mächtiger, waren diese drei Urgebirgsklötze. Der kleine See aber mit seinem Blumenkranz, der ihn umgab, und seinem klaren Wasser, war eines jener Erdenfleckchen, bei deren Anblick das Herz sofort ruft: Hier baue deine Hütte! Dazu kam es nun allerdings nicht, aber ich habe lange, lange gerastet und in tiefster Einsamkeit reichlich aus dem Schatze seltener Schönheit geschöpft.

Der Aufstieg zur Scharte östlich des ersten Turmes durch eine steile, enge Rinne war etwas beschwerlich; eigenartig der Tief blick von ihrer Höhe hinab zum See. Und dann begann mein Lauf über alle Gipfel des Gratzuges bis zur Lovniza. Ich sage absichtlich « Lauf », denn es gehört zu meinen Eigenheiten als Alleingeher mit wenig geruhsamem Blut in den Adern, nie lange zu verweilen, dafür so lange zu eilen, bis die Aufgabe des Tages gelöst ist, denn: nach der Arbeit ist gut ruhen. Glaube jetzt aber niemand, dass ich ein wüster Renner bin. Die Stimme, die allezeit und allerorts ruft: Verweile und schaue! ich habe sie recht selten überhört, und die Stunden, die zähle ich nicht, um feststellen zu können, dass ich um so und so viel weniger gebraucht habe als andere, ich werte nur das, was sie mir bringen.

Das Terrain legte mir nicht viel Hindernisse in den Weg. Auf und ab ging es wie überall in den Bergen. Fast immer blieb ich auf der Höhe: einzelne Kletterstellen brachten angenehme Abwechslung. Den vorletzten Gipfel des Tages, den Bösen Zahn ( Zlja sub ), umging ich nördlich und stieg über Geröll zur Scharte zwischen ihm und dem Orlowez hinauf, dessen Gipfel ich aus der Scharte in leichter Kletterei erreichte. Nun fehlte mir noch der Böse Zahn selbst. Von der Scharte, zu der ich wieder zurückkehrte, querte ich auf Rasenbändern in die Südseite hinaus, stieg über steile Fels- und Rasenstufen aufwärts und erreichte so ein kleines, sehr ausgesetztes Geröllplätzchen, von dem ein dunkler, schwieriger Kamin zur Grathöhe knapp östlich des Gipfels hinaufzog. Hier zog ich vorsichtshalber die Nagelschuhe aus und kletterte, nur die Socken an den Fussen, die wenigen Meter zum kleinen, blumengeschmückten Gipfel hinauf.

Nun war mein Weg eigentlich zu Ende. Kaum mehr als^drei Stunden hatte ich für die Überschreitung gebraucht und hätte nun wieder lange rasten können, aber schwere Wolken bedeckten den Himmel und scheuchten mich davon. Aus der grossen Karmulde nördlich des Bösen Zahnes wechselte ich hinüber zu dem freundlichen Talboden des Elenin Esero und folgte meinen Spuren von gestern hinab zur Hütte. Heute kam kein Gewitter, kein Nebel verhüllte die Landschaft, kein Blitz flammte, kein Donner rollte und kein Regen rauschte hernieder auf Berg und Tal. Abends war der Himmel wieder blank und übersät mit ruhig leuchtenden Sternen.

II. El Tepe Zum Rilakloster Das menschliche Vorstellungsvermögen und seine höchste Steigerung, die Phantasie, haben beim Bergsteiger reichlich Gelegenheit, in Erscheinung zu treten. Landschaften oder einzelne Berge, von welchen man reden hörte, etwas las oder Bilder sah, erscheinen in der Vorstellung immer im Lichte dieses Wissens. Die Vorstellung schöpft immer, mehr oder weniger, aus diesen Quellen. Je dürftiger aber diese Quellen fliessen, je geringer dieses Wissen ist, um so mehr wandelt sich die Vorstellung zur Phantasie, die ihre buntesten Blüten und tollsten Gebilde dann aus dem scheinbaren Nichts schöpferisch hervorzaubert. Mit diesen Gedankengängen beschäftigte ich mich lebhaft, als ich am Abend, nach der Überschreitung des Gratzuges Kupenite-Orlovez, in der Maljovitzahütte auf der Pritsche lag, in jenem Zustand seliger Ruhe, die den Übergang von einem ereignisreichen Tag zur stillen Nacht, von der Wirklichkeit zum Traum kennzeichnet. Im halbwachen Zustande zogen die buntesten Bilder an meinen Augen vorbei. Was sie aber auch immer flüchtig zeigen mochten, immer leuchtete zwischen ihnen eine golde Kuppel in grüner Tiefe, immer wieder schob sich zwischen sie ein rotglühender Firngipfel. Bunte und lebhafte Träume waren das Endergebnis der Betrachtungen über die psychischen Phänomene Vorstellung und Phantasie, in deren Mitte zwei Dinge standen: das Rilakloster und der ferne El Tepe.

Am nächsten Morgen, das Wetter war schön, nahm ich rasch Abschied von Freund Hase und stieg eilends hinauf zum Gipfel der Maljovitza. Nun lag sie wieder unter mir, die lockende, weite grüne Tiefe mit der strahlenden, goldenen Kuppel. Soweit ich zu blicken vermochte, nichts als Wälder und darüber, in grossen, ruhigen Linien aufgebaut, braune Berge. Nun musste ich hinab in die Tiefe, untertauchen in das grüne Meer.

Eine sehr breite, unten schmäler werdende, an ihrem Beginn ziemlich felsige und steile Rinne zieht westlich des Maljovitzagipfels hinab in das Tal. Soweit ich sie überblicken konnte, schien sie mir begehbar. Was dort sein mochte, wohin der Blick nicht mehr reichte, von dem musste ich mich überraschen lassen.

Der Einstieg in die Rinne war nicht schwierig, aber gefährlich. Zahlreiche Nebenrinnen durchfurchten das Gelände, das Gestein war äusserst brüchig, und ein Sturz, auch ein sonst vielleicht recht harmloser, hätte hier, in dieser Einsamkeit, für mich verhängnisvoll werden können. Langsam und vorsichtig stieg ich tiefer. Nach 150 bis 200 Meter nahm die Neigung rasch Die Alpen - 1951 - Les Alpes6 ab, und ich konnte gehen, wo ich wollte. Bald aber stellten sich andere, höchst bemerkenswerte Hindernisse ein. Je tiefer ich kam, um so üppiger wurde die Vegetation, um so mehr fesselten Form und Farben der Blüten den Blick. Nicht lange dauerte es, und ich steckte mitten in einem Blumen- und Blütenmeer, wie es die künste Phantasie nicht schöner hätte schaffen können. Besonders dort, wo aus dem Grunde der vielen kleinen Nebenrinnen ein Wässerchen sprang, waren die Farben und Dimensionen der Blüten von einer unübertrefflichen Leuchtkraft und Grösse. Bald aber merkte ich, dass es notwendiger war, auf den Boden zu schauen, als die Blütenpracht und die grossen bunten Falter, die durch die warme Luft gaukelten, zu bewundern. Immer öfter wiederholte sich das Rascheln und Huschen zu meinen Fussen. Waren es anfangs nur grosse, smaragdgrüne Eidechsen, die rasch davonhuschten, so mehrten sich rasch die Fälle, wo braune und schwarze Vipern zusammengerollt auf flachen Steinen lagen und zischend den Kopf hoben, wenn ich mich nahte. Erst viel später habe ich erfahren, dass ich mich in einem der gefürchtetsten Schlangenreviere des Rilatales bewegte, in dem besonders Kreuzottern, Sand-Höllen und Kupfervipern so zahlreich vertreten sind, dass sie selbst am hellen Tag die Wege in Rila unsicher machen. Da mir zeitweise die Farnwedel und Gräser bis zur Brust reichten, wurde der Abstieg bald zu einer recht mühsamen und gefährlichen Arbeit.

Als ich die Zone des dichtesten Pflanzenwuchses hinter mir hatte und den Abstieg auf einem teilweise nur mit niedrigem Gras bestandenen Rücken zwischen zwei Gräben fortsetzte, gewann ich Einblick in den weiteren Verlauf der Rinne. Sie wurde nun rasch enger und felsig, und das Rauschen eines Wasserfalles verkündete mir den geahnten und gefürchteten Abbruch. Wenige Minuten später stand ich an seinem Rande. In hohem Bogen stürzte sich das Wasser hinab in die gewaltige Tiefe. Es war ein herrliches Schauspiel, das mich alles Übrige vergessen liess. Im Lichte der Sonne leuchtete jeder Tropfen des Wasserstaubes in allen Farben des Regenbogens. Licht und Schatten wechselten. Wo die Sonnenstrahlen auf das nasse, grüne Blattwerk fielen, gab es wundersame Reflexe, die sich vom Dunkel der Schatten prächtig abhoben. Alles war hier vereinigt zu einem seltenen Bilde — Formen, Farbe, Höhe und Tiefe, Licht, Schatten und Bewegung. Es ist sonderbar, wie manchmal das Gefühl ein Hindernis oder einen Ausweg vorahnt. Als ich an den Rand des Abbruches trat, war ich nicht im geringsten beunruhigt und genoss das selten schöne Schauspiel ohne irgendein Spannungsgefühl. Als ich dann doch nach einem Abstieg Ausschau hielt, entdeckte ich, dass die Felswand schön gegliedert war und teilweise sogar mit Föhren bestanden. Voll Freude kletterte ich von Stufe zu Stufe, oft auch von Baum zu Baum, immer neben dem schäumenden und brausenden Wasser hinab, bis ich allmählich im grünen Meer des Waldes untergetaucht war. Vorbei an künstlichen und natürlichen Felshöhlen, in welchen einst Mönche und Einsiedler gehaust haben, stieg ich durch den Wald abwärts, bis ich am Grunde des Tales unvermutet auf einen breiten Fahrweg stiess. Langsam folgte ich ihm nach Westen. Allmählich wurde die Gegend bewohnt; Gebäude tauchten auf, und dann sah ich einen langen Zug von Menschen vor mir, der in das offene Tor einer mäch- tigen Burg hineinwallte. Als die Glocken hoch im Turme die Mittagsstunde verkündeten, schritt ich als letzter hinter dem Pilgerzug hinein in den grossen Hof des Klosters von Rila.

Diensteifrige Mönche geleiteten die Pilger in die grossen Schlafsäle oder wiesen sie zur Küche. Auch mir wurde Unterkunft und Verpflegung freundlichst angeboten; ich dankte höflich, zog es aber vor, doch lieber im kleinen, netten Hotel ausserhalb des Klosters Quartier zu nehmen, um völlig ungebunden zu sein.

Nun hatte ich den ganzen Nachmittag für die Besichtigung des Klosters frei. Als gewaltiger, festungsartiger Bau steht es inmitten der ausgedehnten Wälder des Rilatales, in welchem im 10. Jahrhundert der heilige Einsiedler Johann von Rila lebte. Es ist sehr bemerkenswert, dass dieses grösste Kloster Bulgariens die 500 Jahre Türkenherrschaft unverändert überstand und daher auch verständlich, dass es im Laufe vieler Jahre ein Nationalheiligtum wurde. Das Kloster selbst ist nach dem Vorbilde der Klöster vom Berg Athos in vier Stockwerken erbaut. Vom ursprünglichen Bau, der im Jahre 1335 errichtet wurde, ist allerdings nur noch ein fünf Stock hoher Turm neben der Kirche erhalten, da die anderen Baulichkeiten im Jahre 1833 einem Grossfeuer zum Opfer fielen. 1833-1837 wurde das Kloster wieder aufgebaut und soll dem alten Bau vollkommen gleichen.

Wirkt der Bau nach aussen durch seine festungsartige Geschlossenheit hart und abweisend, so öffnet der vierfache Säulengang des grossen Hofes, fast möchte ich sagen, das Tor zur besinnlichen und weihevollen Einkehr. Es ist seltsam, wie der italienische Renaissancestil der steinernen Säulengänge des 1., 2. und 3. Stockwerkes sich mit der bulgarischen Bauart des hölzernen Säulenganges des 4. Stockes zu einem harmonischen Bilde von grosser Wirkung vereint. Immer wieder kehrte ich bei meinem Rundgang zu diesem Hofe zurück, über dem als Krönung die fünf goldenen Kuppeln der Kirche, die auch im Stile jener vom Berg Athos erbaut ist, leuchten. Die ganze Vorstellungswelt eines Volkes aber offenbaren die wirklich prachtvollen Fresken, die den Säulengang vor der Kirche schmücken, in dem auch ein ganz aus Blei gearbeiteter Brunnen köstliches Trinkwasser spendet.

Abends, als die Sterne leuchteten, aus den vielen Zellen gedämpftes Licht in den Hof fiel und der abnehmende Mond seinen A-Bogen scharf auf den dunklen Himmel zeichnete, nahm ich endgültig Abschied vom Rilagebirge, vom Rilatal und seinem Kloster.

Pirin Am nächsten Tage brachte mich die kleine, einfache Waldbahn aus dem Rilatal hinaus in das Tal der Struma, dem alten Strymonfluss, und weiter nach Gorna Djumaja, dem Scaptopara der Römer. Wer dafür ein Gefühl und vielleicht sogar auch noch Verständnis hat und Wissen mitbringt, dem werden an vielen Orten ungezählte Zeugen der jahrtausendalten Geschichte des Landes begegnen.

In Djumaja musste ich vierundzwanzig Stunden auf das Auto warten, das mich in das sagenhafte, in vielen Volksliedern besungene Piringebirge bringen sollte. So hatte ich reichlich Zeit, das Leben und Treiben in dieser alten, malerischen Stadt kennen zu lernen, deren Dächer nicht nur hohe Pappeln, sondern auch schlanke weisse Minarette überragen, die dem ganzen Bilde eine besondere Note verleihen. Berghoch lagen in den Gassen grosse Wassermelonen aufgetürmt, Zigeunerinnen, kurz geschürzt und tief dekolletiert, gingen ziga-rettenrauchend spazieren, und fast jedes Haus war umwunden mit Schnüren, auf welchen die Blätter des mazedonischen Tabakes zum Trocknen auf-gefädelt waren. Abends, als ich vor meinem Gasthaus sass, kam ein Stiefelputzer und gab mir zu verstehen, dass er die Absicht habe, meine Bergschuhe zu putzen. Als ich ihm durch eine energische Kopfbewegung zu verstehen gab, dass ich es nicht wünsche, stürzte er sich zu meinem Erstaunen mit einem Feuereifer über meine Stiefel und fegte sie blitzblank. Jetzt fiel mir erst ein, dass ja das mimische Zeichen für Nein hier Ja bedeutet und umgekehrt.

Am 1. August vormittags schwankte ein vollbeladener alter Autokasten aus Djumaja hinaus. In Simitli konnte ich meine Knochen etwas in Ordnung bringen und die Höflichkeit dienstbeflissener Zigeuner bewundern. Nach kurzer Rast ging es dann in toller Fahrt hinauf auf die vom Rila-Pirin und Rodopengebirge eingeschlossene, von der Mesta, dem alten Nestus, durchflossene Hochfläche von Razlog-Mechomia. Es war durchaus keine moderne Autostrasse, die da hinaufführte, und ich wusste nicht, was ich mehr bestaunen sollte, die Kaltblütigkeit der mitfahrenden Einheimischen oder die Kunst des Fahrers, der immer im letzten Augenblick das hintere äussere Rad des Autos, wenn es über der steilabfallenden Böschung hing, wieder auf festen Boden brachte. Eines aber war sicher, dass es gar nicht notwendig war, um viel Neues zu erleben, Gebiete aufzusuchen, die, wie man zu sagen pflegt, ausserhalb der Welt liegen. Hier, in verhältnismässig geringer Entfernung von Zentraleuropa, ist man durchaus noch innerhalb der Welt und doch schon in einer ganz anderen.

Immer mehr erschliessen die Menschen und die Landschaft dem Fremden die Eigenart ihres Wesens. Das alte Mazedonien entsteht, Namen und Brauch erinnern an die Zeiten des Osmanischen Reiches, und moderne Zivilisation verrät den Fleiss und die Tüchtigkeit der Bulgaren. Immer aber, wohin ich auch kam, wurde ich freundlich und mit Achtung aufgenommen. Die Gastfreundschaft drückte allem Geschehen ihren Stempel auf. Und so reihte sich bei dieser Fahrt Bild an Bild, jedes vollendet in seiner Eigenart.

Ein alter Bärentreiber sass rastend am Strassenrand; neben ihm Meister Petz friedlich seine Pfoten leckend.

In Razlog-Mechomia liefen, als wir einfuhren, klappernde Störche über den Weg, im Schatten der vorspringenden Dächer alter kleiner Häuser sassen wieder die ganz Alten und ganz Jungen und liessen das kühle Wasser über ihre — braunen — Füsse laufen. Am Hauptplatz hielt der Wagen. Ein Kranz malerisch gekleideter Menschen umstand ihn. Da waren sie wieder, die Vergangenheit, das Einst, das Alte, da standen sie neben der modernen Zeit, aber nicht als Erinnerung, nicht als Rudimente, sondern als frische, gesunde Jugend. Prächtige Männergestalten mit kühnen, harten, braungebrannten Gesichtern, hellen Augen und scharfen Hakennasen und grosse, vollschlanke Mädchen in blühender Schönheit. Selten habe ich so deutlich wie hier die Tatsache empfunden, dass sich das Wesen der Menschen nicht nur in ihrer Gestalt, sondern auch in ihrer Kleidung offenbart. Farbenfroh war sie, diese Nationaltracht, und peinlich rein; echt und gediegen war der Schmuck, der die Mädchen zierte. Aus echten Gold- und Silbermünzen waren die Ketten, die sie um den ebenmässigen, bronzefarbigen Hals trugen, und eine von den Schönen, wohl die reichste des Dorfes, trug über ihrem schneeweissen Leibchen einen wahren Panzer aus glänzenden Münzen.

Und weiter rollte der Wagen. Ein Reiter tauchte auf. Auf prächtigem Pferde sass eine hagere Mannsgestalt in voller « Kriegsrüstung ». Mit keinem Blick würdigte er den langsam vorbeirollenden Wagen. Hinter ihm aber, in geziemender Entfernung, schritt barfuss die Frau; ein Kind links, eines rechts, eines auf den Rücken gebunden, unter dem Arm die Spindel und mit den Fingern den Faden drehend. Kein Leid aber sprach aus ihren Augen, keinen Ausdruck der Erniedrigung oder der Scham zeigte das schöne, ruhige Gesicht.

In Bansko war die lange Fahrt zu Ende. Wieder umgab ein Kranz von Menschen den ankommenden Wagen. Meinen Sack am Rücken, den Pickel unter dem Arm, stieg ich aus. Keine zudringliche Neugierde hinderte mich. Still wurde mir Platz gemacht, und grüssend schritt ich aus dem Kreis hinaus in das Unbekannte. Keine Frage an mich, keine Frage von mir; ich tat, als wäre ich hier zu Hause.

Wo aber war mein Ziel, wo die Hütte Banderitza? Markierungen und Wegtafeln gibt es natürlich noch nicht. Fand ich aber einmal eine Aufschrift, so war sie zyrillisch und daher nicht leicht lesbar.

Auf einem breiten Weg, zwischen niedrigen Häusern, schritt ich aus der « Stadt » hinaus. Ein seltsames Geklapper, das aus dem Dunkel einer Fensteröffnung kam, liess mich aufhorchen. Unwillkürlich schritt ich näher und blickte hinein. Im dämmrigen, kühlen Raum, mir halb zugewandt, sass ein Mädchen am altertümlichen Webstuhl und summte leise ein Lied vor sich hin. Als der Schatten meines Körpers über ihr Gesicht glitt, wandte sie den Kopf und blickte mich voll an. Tiefes Geheimnis Menschenseele! Trotz allem Wissen und aller Wissenschaft ewig unergründlich. Triumph des ewig Unbewussten über alle Erfahrung, des Nichtfassbaren über jede Analyse. Ein Gefühl heiliger Scheu, beglückenden Erstaunens, erahnenden Erkennens umschlich mein Herz. War das das Antlitz eines Menschen unserer Welt? Nur ein gottbegnadeter Künstler könnte es aus leichtgetöntem Marmor schlagen, nur ein Maler mit sehnsuchtheisser Seele auf die Leinwand bannen, nur ein Dichter mit schöpferischer Urkraft mit Worten besingen. Es war die vollendetste Schönheit, die ich je geschaut. Langsam zog sie den zurückgeschlagenen Schleier vor das unbewegte Gesicht, stand auf und verliess den Raum.

Grosse gelbe Sonnenblumen leuchteten, Rosen dufteten, und tiefblau strahlte der Himmel. In einem breiten, ausgetrockneten Bachbett schritt ich aufwärts, dem Walde zu, den Bergen entgegen. Wie im Traum wandelte ich dahin. Im kühlen Waldesschatten, auf moosigem Boden lag ich lange regungslos, wie ein Körper, dessen Seele auf Wanderfahrt ging. Allmählich wich der seltsame Bann, der mich umfangen hatte. Als der Blick auf meine schweren Bergschuhe fiel, auf das blanke Eisen des Pickels neben mir, fühlte ich die Wiederkehr meines zweiten Ichs, erkannte ich die Grösse eines Augenblicks, der alles gewann und alles — verlor. 0 tiefes Mysterium, unergründliches Schicksal.

Auf gutem Waldwege stieg ich bergwärts. Immer mehr löste sich das drückende Gefühl, immer freier wurde das Herz. Aus dem Waldesdunkel trat ich hinaus auf eine grosse Wiese. Über dem Talschluss ragten die Berge, und ringsum waren die baumlosen Höhen übersät mit unzählbaren weissen und schwarzen Punkten: Schafe, Bergschafe, der lebendige Reichtum der Bauern. Plötzlich, ich wusste kaum, wie es geschah, war ich umringt von fünf oder sechs grossen, heulenden und zähnefletschenden Hunden. Keinen Schritt vor, keinen Schritt zurück liessen sie mich tun, sprungbereit umstanden sie mich. Wohl hielt die Rechte den Pickel zum Hieb bereit, aber was hätten ein oder zwei Hiebe genützt? Suchend irrte mein Blick umher. Siehe, da tauchte aus der Tiefe einer Mulde eine Gestalt; ein heller Pfiff, ein zweiter, und bellend sprangen die Hunde davon. Freundlich grüssend nahte der Mann und führte mich in die Bodensenke, aus der er aufgetaucht. Hier war ein wahres Schweinelager. Mehr aus den Gebärden als aus den Worten erkannte ich, dass mein Retter damit beschäftigt war, die Wunden frisch kastrierter Schweine mit einer schwarzen Salbe zu verschmieren. Als er mit seiner Arbeit fertig war, lud er stillschweigend meinen Sack auf den Rücken eines grasenden Maultieres, und weiter ging die Fahrt.

Das grosse Fest Auf der letzten Talstufe, am rauschenden Bache, umgeben von lichten Lärchen und hohen Fichten, stand die einfache Hütte. Ich wurde auch hier wieder freundlich und zuvorkommend aufgenommen. Zwei deutschsprechende Bulgaren aus Sofia nahmen sich meiner besonders an und weihten mich in die Hausgebräuche ein. Ich war erstaunt, in dieser Gegend, in der ich kaum einen Menschen zu finden hoffte, so viele versammelt zu sehen. Bald aber wusste ich Bescheid. Die Sofianer erzählten mir, dass heute und morgen hier oben ein grosses, nationales Fest gefeiert werde, zu dem selbst alle Hirten von nah und fern herbeigeströmt waren.

Als es dunkel geworden war, erschienen meine beiden Freunde, um mich zu den Hirten zu begleiten. Die Nacht war ruhig und die Luft lau. Rings um die Hütte brannte ein Lagerfeuer neben dem anderen. Lichter leuchteten auf und verschwanden, Gestalten huschten an uns vorbei, Gelächter erscholl und Gesang; das Ganze erinnerte mich an die klassische Walpurgisnacht im Faust II. Durch die Finsternis stolperten wir von Lagerfeuer zu Lagerfeuer, überall gab es Milch, Käse und sonst allerlei, und überall schienen mir die Menschen von einer grossen Idee durchdrungen und begeistert. Allmählich wurde aber die Sache doch beschwerlich, weniger das Gehen als das Bescheid-trinken und -essen, und ich war froh, als wir zur Hütte zurückkehrten. Die Gäste schliefen fast ausnahmslos im Freien auf einer überdachten Pritsche. Mir hatte man ein Lager in einem Zimmer zurechtgemacht. Es war ein buntes und tolles Mosaik von Bildern und Begebenheiten, das vor meinen geschlossenen Augen tanzte. Phantasie und Vorstellung arbeiteten noch lange, bis im tiefen Schlaf der Tag erlosch.

El Tepe, 2920 m, und Ovinatjä Wrch, 2680 m Im Juli 1937 war auf dem mir zur Verfügung stehenden KartenmaterialJ das Rilagebirge, besonders aber das Gebiet des El Tepe, noch ganz schematisch gezeichnet, die Höhe des Berges selbst mit nur 2681 m angegeben. Erst die topographischen Arbeiten von Dr. Herman Louis haben Ordnung und Aufklärung gebracht. Heute ist der El Tepe mit 2920 m der zweithöchste Gipfel der Balkanhalbinsel und überragt um zwei Meter den 2918 m hohen Olympos.

Nun stand ich am Fusse des weissen Marmorberges, dessen Gipfel vor Tagen — oder soll es schon länger sein — über den Dunst der Täler im Lichte der Morgensonne so lieblich erglühte. Einer meiner Sofianer Freunde bat mich, ihn auf den Berg mitzunehmen. Also verliessen wir zu zweit morgens um 5 Uhr, bei schönem Wetter, die Hütte und schritten das Bergtal aufwärts. Später zweigten wir bei einem grossen Block vom Talweg ab, stiegen über steile, latschenbestandene Hänge östlich empor und erreichten den Sattel zwischen El Tepe und dem Ovinatjä Wrch nach ungefähr zwei Stunden. Nun hatten wir nur noch den steinigen Gipfelhang zu ersteigen; um 7.30 Uhr war das Ziel erreicht. Kameradschaftlich sassen wir still nebeneinander, umweht vom frischen Morgenwind, umschmeichelt von den Strahlen der Sonne. Weit ausgebreitet vor uns lag das Bergland des Pirin. Kühne Gipfelformen hielten den Blick gebannt, liebliche Seeaugen blickten aus der Tiefe, und ein seltsames Licht im Südosten kündete das nicht mehr ferne Ägäische Meer.

Rascher noch als am Musallah stiegen aus den Gründen und Tälern die Nebel und verhüllten die schöne Welt. Vom Sattel, zu dem wir wieder hinabgestiegen waren, führte ich meinen Freund noch über einen netten Urgebirgsgrat hinauf auf den Gipfel des Ovinatjä, des Latschenkopfes oder Zirbenkogels, wie wir in unserer Sprache sagen würden. Die schöne, nicht schwierige Kletterei hat dem Sofianer sichtlich grosse Freude bereitet; sie war seine erste, sicher aber nicht seine letzte. Wir überschritten den Berg, stiegen über seine Südosthänge hinab zu den kleinen Seen im hintersten Talkessel und waren kurz nach Mittag wieder bei der Hütte.

Abends aber folgte des Festes zweiter Teil. Ich hatte gerade etwas gelesen und geschrieben, als ich ins Freie gerufen wurde. Unter einer mächtigen, alten Zirbe lagen im Kreise ein Dutzend Männer, unter ihnen « Eumäus, der göttliche Sauhirt ». Freundlich machte man mir Platz.B.ald darnach brachte der Hüttenwirt auf einer grossen Metallplatte, mit mindestens 75 cm Durchmesser, ein am Rost gebratenes Spanferkel und stellte es in den Kreis der Lagernden. Aus einem Fässchen aber neben dem Stamme der Zirbe floss 1 österreichische Generalkarte 1: 200 000, 41°, 42° Djumaja.

dunkelroter Wein aus Melnik in die hölzernen Becher. Lustig wurde getrunken, gegessen, gesungen, gelacht, und laut knallten dazwischen die Schüsse aus Revolver und Pistole. Als es dunkel wurde, loderte ein mächtiges Feuer empor zum krausen Geäste der alten Zirbe und zauberte gespensterhafte Gestalten auf den dunklen Hintergrund des Waldes.

Todorin Wrch, 2755 m Am nächsten Morgen ( 3. August ) fühlte ich, dass irgend etwas in meinem Organismus nicht in Ordnung sein musste. Aber neben der Hütte stand der 2755 m hohe Theodorsberg, und den wollte ich vor meiner bevorstehenden Heimreise doch noch mitnehmen. Diesmal begleitete mich mein zweiter Freund. Durch die schmale, steile Rinne, die nördlich der Hütte zum Berg emporzieht, stiegen wir zwei Stunden lang hinauf zum Gipfel. Weil wir erst um 8 Uhr oben standen, war uns kein Ausblick mehr gegönnt; lichter, sonnen-durchflossener Nebel verhüllte alle Nähe und Ferne. Nicht lange rasteten wir und stiegen bald über einen Rücken und später über einen mit grossen Blöcken übersäten Hang recht mühsam und beschwerlich in das Tal hinab. Immer deutlicher spürte ich das rasch aufkommende Fieber, und immer schwankender wurde mein Gang. Als wir die Hütte gegen 11 Uhr erreichten, war ich in Schweiss gebadet und zum Umfallen müde.Schluss folgt )

Feedback