Salbitschijen
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Salbitschijen

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

Von Friedrich Koblet

Mit 1 Bild ( 109Zürich ) Salbitschijen, ein Zauberwort! An manchem trauten Hüttenabend hörte ich meine Kameraden von diesem Berg schwärmen. Und wahrhaftig: sobald man einmal in seinem Reich gewesen, zieht es einen mit magischer Gewalt immer wieder in seine Grate und Wände, in diesen einzigartigen Klettergarten.

Nach einer Woche Bergeller Kletterferien habe ich mir die nötige Übung geholt, um den Südgrat des Salbitschijen begehen zu dürfen. Im Gewühl des Zürcher Hauptbahnhofs sehe ich den rotblonden Haarschopf meines Kameraden Serge auftauchen. Nach herzlicher Begrüssung nehmen wir im Gotthardschnellzug Platz. Rasch führt uns der Zug in landschaft- lieh abwechslungsreicher Fahrt nach Göschenen. Bei der Einfahrt in diese wichtige Station an der Gotthard-Nordrampe erblicken wir ihn, den Berg der Urner Alpen, im Schein der untergehenden Sonne. Es ist 20.30 Uhr, und schnell bricht die Nacht herein. Deshalb heisst es sich sputen. Von der Göscheneralp her weht ein kühler Abendwind, der uns nach der Hitze des Tages wie Balsam wohltut. Serge nimmt ein unverschämtes Tempo auf, und ich habe Mühe, mit ihm Schritt zu halten. Sobald wir die Waldregion verlassen, leuchtet uns der Mond auf den Weg. Vor der Salbithütte, einem Juwel von einer Hütte, bleiben wir staunend eine Weile stehen. Vor uns steht der Berg, vom milden Lichte des Mondes überflutet. Grausig und unnahbar, wie eine mittelalterliche Festung, weist er uns seine Ostwand zu. Zackig und wild bildet der Südgrat den Horizont. Unter uns, im Dunkel der Nacht, das schmale Göscheneralptal. Darüber die glitzernden Firne der Gotthardberge. Ein Frösteln weckt uns aus der stillen Betrachtung. Wir verschwinden in der schützenden Hütte. Gekocht wird nicht mehr, und rasch schlüpfen wir unter die wärmenden Wolldecken.

Rrrr...! Verdammtes Biest! Ich richte mich schlaftrunken auf, ergreife den Wecker und versuche, den Krachbruder abzustellen. Da ich nicht sofort den Riegel finde, stecke ich ihn meinem Kameraden unter die Decke. Trotzdem ich sofort aufstehe und mich aus dem Staube mache, höre ich bis in die Küche Serges nicht gerade gewählten Dankesworte. Doch sobald der dampfende Kaffee auf dem Tisch steht, besänftigt sich seine Laune wieder. Eine Stunde später brechen wir auf. Bald bricht der neue Tag an. Wunder der Natur, wenn so ein Tag erwacht! Das Balzen des Auerhahns, das Zirpen der Grillen und hundert andere Geräusche verkünden das Tagwerden der Natur. Erste Sonnenstrahlen treffen die Berggipfel, und aus dem Dunkel der Nacht bricht die Helle des Morgens. Gletscher leuchten, Firne glänzen, herrliche Bergwelt! AU dieses Schöne in uns aufnehmend, stolpern wir dem Pfad entlang, der sich zwischen Blöcken, Geröll und Gras zur Schulter des südlichen Grates des Salbitschijen hinaufzieht. Immer steiler werden die Bergflanken, und der Weg verlangt unsere volle Aufmerksamkeit. Schon haben wir das Couloir erreicht, das zum Band unter dem Salbitzahn ( Müllerturm ) hinaufführt. Noch ist das Gras nass. Wir müssen auch die Hände zur Fortbewegung zu Hilfe nehmen. Unter einem Block beim Einstieg rasten wir. Serge geht rekognoszieren. Ein Ausruf! Etwa 50 Meter weiter oben fällt der Blick in das noch im Schatten liegende Voralptal. Steil fällt die Bergflanke dort hinab. Das Sustenhorn dahinter steht bereits im Lichtkleid der Morgensonne. Ein herrliches Bild!-Wir tauschen die Bergschuhe gegen die Kletterfinken aus. Angeseilt an zwei Dreissigmeterseilen, die Felsnägel und den Kletterhammer am Gürtel, so steigen wir weiter. Die ersten Seillängen werden rasch durchstiegen, wobei wir immer wieder den Tief blick ins Voralptal bewundern. Schon erwärmt die Sonne die Felsen. Das Blut pulsiert schneller in den Adern. Ein Kamin. Eine heikle Querung, und schon befinden wir uns auf dem Gipfel des Zahns. Einige Schritte abwärts. Ein Haken mit etlichen Reepschnurschiingen weist uns die erste Abseilstelle in die Scharte. Und wir stehen vor dem grossen Aufschwung des Südgrates! Granit, flimmernder Granit! Grossartig sieht er aus, der untere Plattenturm. Immer links haltend, finden wir gutgriffiges Gestein. Dann in die rechte Bergflanke zum « Elephantenbauch », eine steil aufgerichtete Platte, von senkrechten Rissen durchzogen. Nachdem Serge bis an den Fuss der Platte nachgekommen, sichert er meinen Weiterweg. Rechts oben ein Überhang. Auf den halte ich zu. Es geht besser als ich dachte. Das Gestein ist fest und sicher, so dass die kleinsten Risschen und Erhöhungen gute Griffe und Tritte ergeben. Direkt unter dem Überhang erreiche ich einen Sicherungshaken und schnappe den Karabiner ein. Ein feiner Riss führt mich wieder zur Gratkante, wo ich mich rittlings auf sie setze und meinerseits Serge beim Nachkommen sichere. Schnaufend setzt er sich neben mich. Unsere Augen strahlen vor Freude. Der wundervolle Tag, der warme Fels, die herrlichen Aus- und Tief blicke müssen zur Begeisterung hinreissen. Noch einige Seillängen und wir stehen bei der Riesenplatte, der Schlüsselstelle. Wir rauchen noch ein Pfeifchen, schauen auf die in der Tiefe liegende Salbitalp, die von Gesteinstrümmern übersät ist, die der Berg im Laufe der Jahrtausende von sich gestossen. Und dahinter die Hütte, wie eine Zündholzschachtel an den Berg geschmiegt. Nach beruhigender Rast steigen wir weiter und sind dankbar dafür, dass frühere Bergsteiger Haken zurückliessen, von denen nur zu viele sind, als hätten Kletterer den Berg mit einem Jahrmarkt-Nagelbalken verwechselt. Wertvoll ist ein Grathaken, in welchem eine Drahtseil-schlinge hängt. Mit dem linken Fuss in der Schlinge richte ich mich auf und versuche, die Gratkante zu fassen. Es geht nicht, bis ich den Handgriff zur Rechten entdecke, eine kleine Erhöhung im Fels. Und schon habe ich den Grat zwischen den Beinen. Mit den Händen an der Kante und den Beinen in der Hornfelliflanke, an einem Haken mit einem Karabiner gesichert, stehe ich auf gutem Standplatz, muss die volle Seillänge ausgeben, um meinen Kameraden nachkommen zu lassen, der sicher Und gut klettert, als hätte er sein ganzes Leben nichts anderes getan. Bei mir angekommen, schnauft er aber wie eine alte Dampflokomotive. Noch zweimal dreissig Meter, und wir sind auf dem untern Plattenturm ( Schlüsselturm ). Stolz schreiben wir unsere Namen in das Gratbuch. Kurze Rast. Gestärkt und erholt wird der folgende Turm in Angriff genommen. Ein kurzes Stück können wir gemeinsam klettern. Dann zeigt der Grat wieder seine Zähne. Ein Turm sieht wie eine Flamme aus. Man muss ihn zuoberst umarmen, um auf die andere Seite zur Platte zu gelangen. Der obere Platten türm nötigt uns noch eine Seillänge schwerer Kletterarbeit ab. Wieder muss ein schon vorhandener Haken zur Sicherung herhalten. Mich wundert nur, zu welchem Zweck ich meine eigene Schlosserei mitschleppte, denn es sind genügend Haken vorhanden. Wenige Meter hinter dem Turm wird mit « Seillift » in die Scharte Plattenturm-Zwillingsturm abgefahren. Die Zwillinge werden in gemeinsamer Kletterei überschritten, immer darauf bedacht, dass das Seil auch seinen Sicherungszweck erfülle. Dann Abseilen vom zweiten Zwilling, diesmal überhängend, in die Gipfelwand, durch die der Südgrat mit der Kurzroute gemeinsam führt und sich keine weiteren Schwierigkeiten mehr bieten. Noch ein letztes Kräftemessen mit der Nadel. Dort oben stehend, komme ich mir wie ein König vor! Ringsum Luft! Von unten herauf grüssen die Grössten dieses Kletterparadieses: die Herzöge und Grafen, seine Hoheit, König Salbitschijen, die Türme des Westgrates. Unvergesslich in ihrer Wildheit. « Komm herunter, oder lass mich wenigstens nachkommen! » weckt mich Serge prosaisch aus meinen Betrachtungen. Ich ziehe das Seil langsam ein, bis Serge neben mir ist, und gemeinsam sitzen wir auf unserem Thron, um uns die weite Bergwelt: Dammastock, Blauberge, Winterstöcke, Sustenhorn. Blaue Gletscher, weisse Firne, schwarze Felsen!

Der knurrende Magen erinnert uns daran, dass wir keine Götter, sondern auch nur kleine Menschlein sind. Eine kurze, luftige Abseilfahrt, und dann stehen wir wieder auf breiterem Boden, auf dem wir uns freier bewegen können. Mit Heisshunger machen wir uns hinter die Säcke. Es ist erst 9 Uhr! Fünf Stunden hatten wir von der Hütte zum Gipfel, selbst für uns eine überraschende Zeit. So gönnen wir uns zwei sonnige Gipfelstunden und steigen dann über die Kurzroute ab, die einem « Abseilfest » gleicht. In der Hütte wird ein frugales Mittagmahl gebraut, wobei Serge einmal mehr seine Kochkünste zeigt. Nach erneuter, ausgiebiger Rast steigen wir nach Göschenen ab und halten Heimfahrt, mit geschlossenen Augen den Klettergrat des Salbitschijen immer wieder erlebend.

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