Skitage in der Silvretta
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Skitage in der Silvretta

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

Von Cici Birrer.

« Wenn Engel reisen, weint der Himmel. » Und da wir nun just keine Engel waren, hatte Petrus ein Einsehen und bescherte uns in überreicher Fülle Sonne und Schnee und des Frühlings Erwachen.

An einem glanzhellen Aprilmorgen verliessen wir Klosters, am Rücken den schweren Sack, auf der Schulter den Ski. Bald aber trug uns der Schneeschuh, dank Meiers « Tutti », welches ein vorzügliches Gleiten und Steigen gestattet, leicht dahin nach der Alp Sardasca und dann in afrikanischer Gluthitze auf dem Winterweg den steilen Hang zur Silvrettahütte hinauf.

Mit Vergnügen entrannen wir in der kühlen Frühe des folgenden Tages der überfüllten Hütte. Das Ziel war zunächst der Gross Buin.

Gemächlich schoben wir uns den Gletscher hinan und gewannen den Silvretta pass, 3113 m, um 945 Uhr. Schon hier genossen wir eine unvergleichliche Fernsicht. Signal- und Eckhorn stehen in nächster Nähe; der Gletscherkamm sendet einen wilden Grat herunter, worauf grosse Zacken Bronto-sauriern gleich zum Gipfel drängen; die schönste Gestalt aber hat der Piz Linard, man kann sich keine edleren Berglinien denken; daneben strahlt die prächtige Fliana; und hinten begrenzen die Berge Tirols und Italiens und die leuchtende Breite der Bernina den weiten, blauen Horizont.

Vier Kameraden kehrten hier schon um, wir übrige fuhren leicht dahin nach der Fuorcla del Confin. Welch eine Schau von hier auf die wuchtigen Gestalten der beiden Buine! Eine schönere Überraschung bietet die Silvretta kaum. Beim ersten Anblick meinte unser wackerer Lichtbildner: « Uf derig gächi Höger wend Ihr mit de Schi? Gönd wegemine. » Und siehe da, er fuhr — nicht allein — hinunter zur Jamtalhütte, und wir « Gipfelfresser » zogen unsre Spur durch stäubenden Pulverschnee nach dem Gross Buin. Bald lag der obere Fermontgletscher hinter und unter uns, und in leichter Steigung gewannen wir die Einsattelung zwischen den beiden Buin, die Fuorcla Buin. Hier stiessen wir die Ski in den Schnee, stapften in guten Stufen auf den Nordwestgrat, erkletterten das kleine vereiste Kamin und betraten bald darauf die Spitze des Gross Buin, 3316 m.

Die Stunde Rast da oben zählt zu den schönsten und besten meines Lebens. Der Leib war frisch, die Seele gehoben. Was willst du noch mehr? Ergötzlich war das Leben und Treiben auf den umliegenden Hängen und Gletschern. Es wimmelte nur so von Skifahrern und Bubiköpfen. Jaja, es ist nicht mehr so still in den Bergen wie anno 1865, als J. J. Weilenmann als Erster den Gipfel betrat und « die malerische Ausstattung » der Gross Buin-Rundschau entdeckte und sein Herz ergriffen fühlte « von der feierlichen Stimmung, die durch den unermesslichen Raum geht ». Man lese respektvoll bei ihm nach, was man von hier aus sehen kann und soll. Ich schweige.

Auf der gleichen Spur kehrten wir zufrieden zu den Ski zurück, wachsten diese, und bald flitzten wir in rasender Schussfahrt den Gletscher hinunter, der Mittagsplatte zu. « Hergott, is dös en Boandn, könn die Kerls schifohrn », meinte ein zufällig anwesender gemütlicher Wiener, als ich eben losgehen wollte.

Von der Mittagsplatte weg glitten wir in tadellosem Salzschnee die Plan Rai hinunter, das wunderbare Feld nach allen Regeln der Kunst verzirkelnd und mit Ausrufzeichen und Punkten zierend. Die Abfahrt ins Tuoi bietet hohen Genuss und ist, den letzten Steilhang ausgenommen, ziemlich lawinensicher. Die steilste Stelle wird am besten nordöstlich von P. 2589 durchfahren. Die felsdurchsetzte Halde ist auch bei schlechten Schneeverhältnissen einigermassen gesichert. Um die zweite Nachmittagsstunde betraten wir die Schwelle der reizend gelegenen Tuoihütte, begrüsst von einem Kameraden, der, von Guarda kommend, allein den Dreiländerspitz besucht hatte. Mit nagelneuen Brettern erschien auch unser « Pilatus»-Häuptling, Pierre Munck, nachdem er tags zuvor mit den alten auf dem Julier ein neues Winkel-rieddenkmal errichtet hatte.

Die Lage der Tuoihütte als Standort für winterliche Bergfahrten ist eine vorzügliche. Fast alle Skigipfel der Silvretta sind an einem Tage leicht erreichbar, und Übergänge wie Fermuntpass, Jamjoch, Mittagsplatte- Silvrettapass oder Fuorcla del Confin bieten dem Skifahrer grösstmögliche Bewegungsfreiheit. Geradezu ideal ist aber der Umstand, dass sich die Hütte nie wegen Überfüllung zu beklagen hat.

Der Ostertag fand uns um 630 marschbereit. Mit dem Osterhasen war ausbedungen, dass er uns seine Eier auf den Augstenberg legen möchte; dort würden sie abgeholt. Alle brannten darauf, heute Vorspuren zu dürfen. Der Schnee war nämlich beinhart, und das aufgestrichene « Tutti » wurde auf harte Probe gestellt. Mehr von Hand als mit Ski nahmen wir in fast zwei Stunden das Jamjoch, 3082 m. Dann aber, juhei, trug uns eine wunderschöne Abfahrt zur Fuorcla d' Urezzas, 2915 m. Über den sanften Vadret d' Urezzas schoben wir uns zur Fuorcla d' Urschai, 3004 m, hinauf und über den Vadret Chalaus fast ohne Steigung an den Fuss unseres heutigen Ostergipfels. Nicht lange gerastet, frisch, der Hase hat die Eier schon gelegt!

Und schon 1128 Uhr standen wir, sonnenumflutet, auf dem vordem Augstenberg, 3237 m. Mit Recht nennt ihn Walter Flaig « einen kleinen Monte Rosa », denn er ist in der Tat kein einzelner kühner Gipfel, sondern ein breiter Berg mit vielen Spitzen, Graten und Gletschern, und, abgesehen vom Fluchthorn, ohne Zweifel « das glanzvollste Stück der Berge um Jam ». Eine kurze Gratwanderung führte uns auf den Engadinergipfel, 3234 m, der einen prächtigen Tiefblick in die Val Tasna spendete. Und auch hier wiederum, welche RundschauNoch klang einfach und schlicht Hermann Suters « Unsere Berge » in die himmlische Bläue, dann zogen wir ab.

Der Schnee war noch nicht ganz weich, was in den gefrorenen Geleisen zu allerlei Niederlagen führte. Aber unten im Salzschnee feierten die Schussfahrten wahre Triumphe. Das Köstlichste aber bot entschieden der Vadret d' Urezzas, dessen fast 2 km Länge in einem frohen Schuss durchfahren ward. Über all den Herrlichkeiten wölbte sich ein blauer Himmel; fast « eintönig », meinte ein Spassvogel. Auf dem Jamjoch luden links und rechts zwei kleine Gipfel zum Besuche ein: die Jamspitzen, 3175 und 3169 m. Aber niemand ausser mir hatte Lust dazu. Nun gut, allein ist auch nicht ohne. Gar bald stand ich auf dem hintern Gipfel. Dann eine Minute Abfahrt in reinem Pulverschnee, und der Schuss trug mich auf der andern Seite des Joches ein schönes Stück hinauf, so dass ich nach einer Viertelstunde schon auf der vordem Spitze stand.

Und hier in der sonnigen Einsamkeit empfand ich etwas von dem, was Abel Burckhardt in dem Gedicht « Allein mit den Bergen » gesungen hat:

« Ich möchte mit euch reden hier...

Ihr Berg'und Firne betet ihr?

Ich möchte mit dir beten gern, Du feierliches Volk des Herrn. » Nach meiner Rückkehr ins Jamjoch begann alsbald die Abfahrt zur Tuoihütte, nun wieder in tadellosem Sulz. Aus leicht bewölktem Nachthimmel fielen schwere Regentropfen. Sollte das ein Wetterumschlag sein? Schon sprachen einige von Flucht nach Guarda. Oho! Aber da entsann ich mich plötzlich einer flüchtigen Bekanntschaft weit oben auf La Cudèra, und die Begegnung war ja auf Montag früh verabredet. Ein Stossgebet zum Himmel: Lass es doch nur morgen noch schön sein! Und es war so! Um 4 Uhr Tagwache, und zwei Stunden später krabbelte es nur so von kleinen Menschen am Steilhang gegen die Plan Rai hinauf. Verstohlen schweifte mein Auge bergwärts. « Richtig, da steht die Angebetete genau zur festgesetzten Stunde im schönsten Festtagskleide. » — « Was für eine denn? » fragt mich ein dunkles Augenpaar mit durchbohrendem Blick. Kalt lächelnd gestehe ich: « Diesmal ist es nur die schimmernde Fliana, welche das Thema Erotik nicht kennt. » Doch sieh, auch in Freund Albert Schildknecht entbrannte das heilige Feuer, die andern verzogen gesättigt nach Klosters.

Ein jäher Schneehang fällt vom Westgrat auf die Nordseite. Die Ski trugen uns also nicht lange. Durch knietiefen Pulverschnee schafften wir uns auf den Grat, westlich von P. 3116. Allein der Grat war arg überwächtet, so dass wir ihn sofort verliessen und in der obersten Flanke wagrecht zum Nordgrat hinüber querten. Über diesen gewannen wir in kurzer und hübscher Kletterei den Gipfel des Piz Fliana, 3284 m. Doch ach, die Zeit drängte und liess uns keinen langen Gipfeltraum. Dennoch muss ich gestehen, dass allein schon der faszinierende Tiefblick ins Engadin die kurze Besteigung dieses Berges rechtfertigt, nicht zu vergessen die stolze Gestalt des Linard und die sehr umfassende Rundsicht vom Tirol bis zum Gotthard, die ich für schöner als die vom Buin aus halte. Rasch erledigten wir den Abstieg zu den getreuen Hölzern.

Unten auf der Mittagsplatte läuft es mir plötzlich eiskalt über den Rücken; denn dort kommt schweren Schrittes der —Teufel daher. Die Haare stehen mir zu Berge, legen sich aber gleich wieder, als sich beim Näherkommen der vermeintliche Teufel als harmloser Skifahrer entpuppt. Der Kerl hatte, um sich gegen Sonnenbrand zu schützen, Kopf und Hals mit Russ und Schuhwichse bestrichen. Gewiss ein probates Mittel. Aber wem soll es da nicht gruselnMit frisch gewachstem Schneeschuh entschwanden wir 1205 Uhr dem Silvrettapass, und 55 Minuten später fuhren wir schon mit brennenden Kehlen an der Alp Sardasca vorbei. Stockarbeit löste nun Christiania und Telemark ab bis zum letzten Schneefleck hinter Klosters.

Über Nacht war der Lenz ins Tal gezogen, hatte aufgeräumt mit dem Frühlingsschnee und den Kirschbäumen ein Blütengewand geschenkt. Muntere Bächlein murmelten lebensfroh durch Krokusmatten. Diese Abstufungen im Leben und Weben der Natur erlebt nur der Skifahrer im Frühling.

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