Theorie bei Maduschka und Praxis am Krönten-Südturm
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Theorie bei Maduschka und Praxis am Krönten-Südturm

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

Von F. Artor

Mtt 1 SkizzeZollikon-Zflricb ) Für wenig anderes bin ich meinem Vater so dankbar wie für das Wissen und Können in Dingen der Bergsteigerei, welches er mir, jung schon, beibrachte. Eines lehrte er mich nicht: Klettern schärferer Richtung. Es sei zu gefährlich. Ich solle es meiden. Verächtlich war sein Ton, wenn er von den « Hakenspezialisten » sprach, und « Ehrfurcht vor dem Berg » war eines seiner viel zitierten Worte.

Er war aber ein schlechter Psychologe. Denn es sind die verbotenen Früchte, die am süssesten schmecken. Deshalb lockten mich die scharfen Felsgräte und steilen Wände erst recht und mehr als ein beschaulicher Firntippel.

Jahre vergingen, Kletterfreunde fanden sich. Systematisch trainierten wir auf schwerere Fahrten. Der Klettergarten am Ütliberg und die Gross-

Mythen-Westwand mussten herhalten. Langsam erstarkten unsere Bürolisten-fingerchen, das Vertrauen ins eigene Können stieg im Quadrat zu den « genommenen » Schwierigkeiten. Was galten da abgerissene Fingernägel, zerschlissene Hosen, wunde Zehen! Es war eine schöne Zeit 1 Meine Freunde besassen damals schon Haken und Hammer, Dinge, die ich scheu bestaunte, deren Gebrauch mir aber « in praxi » immer noch fremd war. Ich brannte darauf, beim Klettern einmal an eine Hakenstelle zu geraten. « Was für technische Möglichkeiten hat man überhaupt mit diesen künstlichen Hilfsmitteln? Warum ist ihr Gebrauch bei vielen seriösen Alpinisten verpönt? Was ist eine, Scherensicherung ', ein ,Pendelquergang » Nirgends fanden wir Antwort auf solche Fragen bis eines Tages — Willy bei mir erschien aufgeregt mit den glänzenden Augen einer Braut welche eben ein « besonders preiswertes » Stück zur Aussteuer erwischt hat. Er knallte ein unscheinbares Büchlein auf den Tisch: Maduschka, « Moderne Felstechnik ». An jenem Abend hörte man nicht mehr viel von mir. Holzspalten mochte heute wer wollte, und die Matten im Garten konnte mähen wer Lust hatte. Ich war bei Maduschka, und rings um mich versank die Welt. So ging man also am Doppelseil, hier war die Skizze des « Pendelquerganges », der « Paternosterleiter », dies war die Anwendung des Prusik-Knotens im Fels etc. Auch am nächsten Tage blieben die Matten « ungeschoren ». Die Lehren Maduschkas mussten angewandt werden, heute noch, wozu hat unser Haus drei Balkone? Abgeseilt hatte ich zum Entsetzen der Nachbarsfrauen schon oft daran. Nun folgten, streng « nach Maduschka », der Bau von Flaschenzügen, halsbrecherische Pendelmanöver etc. ( die nebenbei herrlich zur Erlangung der Kirschen im Wipfel des hier wachsenden Baumes dienten !). Die Nachbarsfrauen grüssten von da an noch ernster. ( « Schade, sonst ist er doch gesund! », und mir schien, Mitleid male sich in ihren Zügen. ) Auf sonntäglichen Klettereien machten wir nun rasch Fortschritte. Die Anwendung der Theorie klappte. Die Barometersäule des Selbstvertrauens wollte bald oben zum Glase hinaus, und eines Samstags bummelten wir zur Leutschachhütte hinauf, den Krönten-Südturm zu begehen.

Wie wir dann morgens 7 Uhr in der südlichen Scharte unter diesem Turm standen, schüchterte er uns trotz unserer Maduschka-Weisheit durch seine himmelstürmende Wucht ein. Unsicher schaute ich zu Willy. Unsicher schaute er zu mir. « Steil », würgte er hervor. Aufmerksam studierten wir den « Weg » der Brüder Amstad. ( Unterführer II, Route 902. ) Ich zauderte. Entschlossen rollte Willy die beiden Seile aus: « Hör'jetzt, ein langes Wenn und Aber lähmt nur! » Kaum hatte ich den Fels unter den Händen, waren alle Zweifel wie weggewischt. War das ein Klimmen im gewachsenen Fels I In der S-Flanke war dieser bereits herrlich warm, und die Anstrengung wurde zum reinen Vergnügen. Bald wird nach Führer « wenig von der Kante entfernt 15 m schwierig und exponiert emporgestiegen ». Schräg links über sich entdeckte Willy zwei Haken. « Griffe selten, Tritte spärlich! » Das war nun also « schwierig » nach Amstad. Willy jauchzte begeistert. Sein rotes Kopftuch leuchtet in der Sonne, unter der braungebrannten Haut der Arme spielen seine Muskeln, ruhig, sauber arbeitet er sich zum ersten Haken empor. Ein Bild überschüssiger Kraft, Jugend am Wagen, Gewinnen. Welches Spiel heischt höhere Einsatz?

Welches bietet tiefere Wonnen?

Griffe fehlen, Tritte selten! Konzentriert haftet mein Auge auf Willys rechtem Fuss. Kein Zittern. Und doch — mir scheint, die beiden Seile werden langsam zu Übermittlern seiner aufkeimenden Unruhe. Willy ist zu klein, noch erreicht sein gestreckter Arm den Haken nicht. Nun vibriert sein Fuss. Ich prüfe hastig meine Selbstsicherung. Zwischen den Beinen hindurch erblicke ich einen Moment den Firn, tief, schwindelnd tief unten. Und plötzlich umflattert mich mit grauen Flügeln die Angst. Willys vibrierender Fuss, das leise Keuchen! Griffe fehlen, keine Tritte 1 Nie würde ich den Sturz halten können: « Willy, zurück. Die Seile sind übrigens unter mir verklemmt! » Auf abschüssigem Leistchen wartet er. Fixieren der Seile, Abseilen zur Ver-krangelung, Lösen und affenartiges Aufsteigen meinerseits ist eines!

Jetzt schnappt der Karabiner, ein Seil wird eingehängt, und — nun ist 's genau wie bei Maduschka. Willy strahlt, « Zug » brüllt er. Mit ganzem Gewicht lege ich mich ins Seil und reisse ihn, den Leichten, Kleinen, zum Haken empor. Hanf Nr. 2 wird weiter oben eingehängt, wieder Zug. Prächtig, wie man so aufwärts kommt! Ob es « stilrein » geklettert ist oder nicht, was schert 's uns? Wir probieren « Maduschka » aus und damit basta! ( Ganz wohl ist mir nicht dabei. Als Grösserer hätte ich die Stelle führen sollen. ) Bald stehen wir wieder beisammen, und Willy geht los, weitern Abenteuern entgegen. Der nach horizontalem Band höher führende Riss und die anschliessende Verschneidung stellen nochmals Ansprüche. Überall gibt es jedoch herrliche Sicherungsstellen, und um 11 Uhr reichen wir uns auf dem Gipfel die Hände. Der Schuhe und Strümpfe ledig, dösen wir wohlig auf den sonnenwarmen Platten, die Fernsicht lobend.

Trage, wie wir jetzt sind, werden wir den Krönten-Westgipfel links ( nördlich ) liegen lassen, um einen Abstieg in das zwischen Südturm und Krönten-Westwand heraufstreichende Couloir zur Leutschachseite hinab zu suchen. Haben wir doch 70 m Reepschnur mit; einen Abseilblock werden wir finden.

Richtig, ca. 50 m südlich vom Gipfel mündet die spärlich grasige, mit losen Tafeln und Blöcken gefüllte Rinne, der wir absteigend folgen, auf ein etwa 8 m im Geviert messendes Bödeli. Eine lotrecht abfallende Kante, 2 m lang, östlich an den Platz grenzend, vermittelt einen prächtigen Abseiler zum Couloir. Der ohne Pickel gefürchtete Abstieg in letzterem schrumpft so auf harmlose 100 m zusammen. Am Partieseil gesichert geht Willy auf die schaurig schöne Luftreise. Lange Minuten bangen Sicherns, dann ruft 's hohl aus unsichtbarem Schlünde: « Seil reicht. » Weit beuge ich mich über die Wand hinaus: tief unten ( ca. 30 m ) winkt ein kleiner Porzellanzwerg, mein Seilgefährte. Er geht in Deckung, und ich werfe den 12-mm-Hanf hinunter. Sausend durchschneidet dieser die Luft, im Geröll unten einige Brocken lösend. Ein unliebsames Geräusch, wie sie abwärts poltern!

Bald gleite auch ich sorg- und lautlos zur Tiefe. Eine ganze Skala von Gefühlen empfinde ich jedoch, wie ich unter einem Überhang ins Pendeln und Drehen komme. Fest zwinge ich meinen Blick auf die eifrig durch den Karabiner spulende Schnur, und bald weichen die Zweifel am guten Ausgang der ruhigen Gewissheit, festen Grund zu erreichen.

Freundlich lächelnd hilft mir Willy aus dem Seil. Einziehen desselben. Hurra, es rutscht glatt — 30 cm weit. Dann — panischer Schreck in des Gefährten Auge. Das Seil ist verklemmt! Was jetzt kommt, kennen wir —.

Die vorhin unter dem sanften Flämmchen Zuversicht nur dumpf mottende Furcht bricht jäh durch zur alle Vernunft fressenden Flamme. Wütend zerren wir an einem Seilende, schlagen « Wellen » am andern. Vergeblich. Hinaufklettern und lösen? Die Zeit reicht nicht, wegen uns fährt die Bahn nicht später. Langsam kehrt unsere Überlegung wieder. Mein Blick irrt dem Seil entlang, hinauf zum Berg. Ernst und stumm schaut er auf uns nieder. Etwas Schnee rutscht ab im Couloir unten. Klang es nicht wie höhnisches Gekicher? Die Alpen - 1947 - les Alpes2 THEORIE BEI MADUSCHKA UND PRAXIS AM KRÖNTEN-SÜDTURM Whì Und mir ist, der Berg spreche zu uns: « Was habt ihr drüben am Südgrat gespielt? ,Maduschkalis ', so so. Zum Hinunterklettern war't ihr zu faul, ja? Warum folgtet ihr nicht bis zum Schluss der Amstad-Route? Glaubt ihr Besseres zu können? Trollt und schämt euch! » Nach schwerer, nutzloser Arbeit mussten wir meine schöne Reepschnur hängen lassen. Der Berg rächte sich für unsere unfaire Kletterei, für das Spiel, das wir mit ihm trieben.

Kleinlaut und übervorsichtig brachten wir das steile Couloir hinter uns, dann ging 's in wütenden Sätzen hinunter nach Intschi und per Bahn heimwärts —.

Ich verschmerzte den Verlust der Schnur nicht. Am nächsten Sonntag holte ich sie; in frechem Alleingang gelang es. Aber beinahe hätte mich der Berg noch gefällt. Beim Abstieg im Couloir glitt ich aus, fuhr in einem Höllentempo etwa 60 m ab, gegen die angrenzenden Felsen treibend. Ein Sturz in ein 4 m tiefes Schneeloch beendete die Fahrt. Der Aufschlag schwächte meine Knie derart, dass ich erst nach langen, qualvollen Minuten aus dem Loch gelangen konnte, mühsam kriechend. Ein Schiffbrüchiger, der an eine rettende Planke gerät, kann nicht tiefer aufseufzen, als ich es tat, wie ich unter dem Bergschrund stand.

« Ehrfurcht vor dem Berg »? Nun verstehe ich es. Hätte ich als Grösserer den Mut gehabt, an der kritischen Stelle zu führen — ein Führungswechsel wäre möglich gewesen —, nie würden wir mit Seilzügen operiert haben. Es war kein faires Spiel mit dem Berg. Nie mehr spielen wir « Maduschkalis » in den Bergen.

/ É4:

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