Trekking in der Cordillera Bianca, Peru
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Trekking in der Cordillera Bianca, Peru

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

Ruedi Horber, Ittigen BF.

Bilder 40 bis Mit dem Manien Peru verbinden sich Vorstellungen wie Gold und Silber, versunkene Ruinenstädte in den Anden, Indios, die mit ihren Lamaherden über einsame Hochebenen ziehen, eine Handvoll Revolutionsgeneräle, die in der jüngsten Vergangenheit mit wenig Erfolg versucht haben, durch Strukturreformen eine neue, gerechtere peruanische Gesellschaft zu schaffen - und nicht zuletzt: eisgepanzerte, bis gegen yooo Meter hohe Bergriesen.

DIE VORBEREITUNGEN Trekking ist eine in jüngster Zeit stark in Mode gekommene Form des Entdeckens von fremden Ländern und bedeutet, zu Fuss, meist fernab von jeder modernen Zivilisation, auf Routen, die sonst nur von der einheimischen Bevölkerung begangen werden, zu wandern, zu entdecken, Berge zu besteigen oder Wüsten zu durchqueren. Die schweren Lasten werden dabei meistens von Trägern, Maultieren, Eseln oder Pferden getragen, und im allgemeinen wird im Freien in Zelten übernachtet. Immer mehr « zivilisationsgeschä-digte » Touristen wählen diese Reisemethode, um zum mindesten während einiger Tage oder Wochen des Jahres der Wohlstandsgesellschaft zu entfliehen und wieder vermehrt zu sich selbst zurückzufinden.

Ein Trekking bedingt im Vergleich zu einer traditionellen Reise natürlich ein beträchtliches Mehr an Vorbereitungen. Diese Tatsache ist uns auf eindrückliche Art und Weise vor Augen geführt worden: Obwohl unser Trip in den peruanischen Anden von einem Reisebüro sehr gut organisiert war, brauchte es viel Zeitaufwand und Kleinarbeit, bis wir unser Trekking rund um den höchsten Berg Perus, den 6768 m hohen Huascarän, endlich starten konnten.

Die ganze Reise stand unter der Leitung eines Schweizer Bergführers; von den sechs übrigen Teilnehmern gehörten nicht weniger als deren vier dem zarten Geschlecht an. Das Altersspek-trum reichte von 24 bis über 60Jahre. Ebenso breit gestreut waren Herkunft und Bildungsniveau. Alle diese scheinbar trennenden Elemente schweissten die kleine Gruppe aber während des Trekkings um so mehr zu einer echten Familie zusammen.

Insgesamt mussten neben dem umfangreichen persönlichen Material einige Seesäcke und zehn Holzkisten mit Nahrungsmitteln, Küchenmaterial und weiteren Ausrüstungsgegenständen mitgenommen werden. Dazu waren vier Träger, acht Lastesel sowie drei Pferde erforderlich. Die meisten Lebensmittel wurden in Huaraz, dem Ausgangspunkt unseres Trekkings, eingekauft. Huaraz, inmitten der höchsten Berge Perus auf 3000 Meter gelegen, mit 45000 Einwohnern die Hauptstadt des nordöstlich an Lima anschliessenden Departementes Ancash, wurde 1970 durch ein schweres Erdbeben teilweise zerstört und hat seinen provinziellen, ärmlichen Charakter bis heute bewahrt. Da Intertreck jedes Jahr mehrere 34 Indiofrau am Sonntagsmarkt von Chinchero bei Cusco. Solche Trachten wurden schon zur Zeit der spanischen Invasion getragen 35 Der 6032 Meter hohe Tocllaraju, den Dölf Reist zu den Traumbergen der Well zählt 36 Peter Güdel im I ocllaraju-Hochlager. Im Hintergrund der Nevada Urus ( ß4gj m ) Trekkings in der Cordillera Blanca durchführt, wird das meiste Expeditionsmaterial jeweils im Hause eines Bauern in Huaraz gelagert, der zugleich für die Rekrutierung der Träger und Lastesel verantwortlich ist. Dadurch kommt diese kinderreiche Campesino-Familie in den Genuss eines für lokale Verhältnisse beträchtlichen Nebenein-kommens. Die Rechte und Pflichten der beiden Partner sind übrigens vertraglich geregelt worden.

VERREGNETER START Nach einem letzten « zivilisierten » Morgenessen im modernen staatlichen Hotel Turistas in Huaraz verlassen wir am frühen Dienstagmorgen, dem 23. Mai 1978, die Stadt und fahren mit einem schwerbeladenen Kleinbus das malerische Calle- 6000 m.

5500 m 5000 m 4500 m 4000 m 3500 m 3000 m 2500 m 10. Tag 37 Die beiden Gipfel des Huascarân, l. der Nordgipfel ( 6655 m),r. der Südgipfel ( 6j68 m ), dazwischen der 6010 Meter hohe Garganta-Sattel 38 Tocllaraju-Hochlager. Farbenprächtiger Sonnenuntergang 39 Blick vom Westgrat des Huascarân-Norle zur Lagune von Yungay und zum Chakraraju-Doppelgipfel ( 6112, 6001 m ) Photos L ). Bi'dt'iiii;, Solothurn jón de Huaylas oder Sanla-Tal, oftmals auch als »pe-ruanische Schweiz » bezeichnet, abwärts. Da und dort ist die gut ausgebaute Strasse mit Steinen versperrt, den Zeugen eines zweitägigen Generalstreiks, der sich in dieser « heilen » Bergwelt sonst nur wenig bemerkbar macht. So gibt es nur ein langsames Vorwärtskommen. Bald verlassen wir das fruchtbare Haupttal, und auf sehr schlechter Naturstrasse, die uns eher an ein Bachbett als an eine Strasse erinnert, geht es ein steiles Seitental hinauf, hinein in die Cordillera Blanca. Die abenteuerliche Fahrt führt an einigen kleinen Dörfern und Weilern vorbei; in den Feldern bauen Indio-familien mit primitiven Methoden Mais, Kartoffeln und etwas Weizen an. Kurz nach dem Eintritt in den Parque Nacional Huascarân geht die Strasse in einen schmalen Maultierpfad über, und damit ist die Fahrt auf etwa 3650 Meter zu Ende.

43 40 Blick vom Portachuelo de Llanganucco ( etwa 4800 m ) auf 42 Auf dem Pisco Nevada; im Hintergrund der Huascarân die mächtigen Eiseipfel des Huandoy Phom Rucdi Hurbrr 43 Puya raimondiis, eine der merkwürdigsten und seltensten 41Unser Ziel, der Pisco Nevado, 5760 MeterPflanzen der Welt, im Parque National Huascarân Phon » I,ili> Neumann Der 3400 km2 grosse Nationalpark wurde am i.Juli 1975 ins Leben gerufen und bezweckt die Erhaltung der Cordillera Blanca in ihrer ursprünglichen Schönheit. Jegliche Besiedlung und Nutzbarmachung der natürlichen Ressourcen ist grundsätzlich untersagt. Damit dürfte eine der schönsten Hochgebirgslandschaften der Welt auch den kommenden Generationen unverfälscht erhalten bleiben. Eine der grössten und eigentümlichsten Sehenswürdigkeiten dieses Nationalparks stellen zweifellos die Puya raimondiis dar. Das sind sehr merkwürdige, zu den Bromeliaceen gehörende Gewächse, die nur noch äusserst selten anzutreffen sind, beispielsweise im oberen Callejón de Huaylas, in einem abgelegenen, kargen Hochtal auf etwa 4000 Meter Höhe. Diese Pflanze wird bis zu 4 Meter hoch und ähnelt in der Form einer stacheligen Zwergpalme. Das Erstaunlichste sind aber die bis zu 10 Meter hohen Blütenstände, die einsam aus der kahlen Puna-Land-schaft herausragen und vor der Kulisse der Eisgipfel der Cordillera Blanca ein grossartiges Bild ergeben.

Nach dem Mittagessen werden die Tiere beladen, und dann nehmen wir den guten Saumweg unter die Füsse. Nach gemächlichem Beginn folgt bald ein recht steiler Aufstieg, der uns infolge der Höhe ziemlich zu schaffen macht. Am späten Nachmittag erreichen wir auf 4350 Meter einen kleinen Lagerplatz, wo wir unsere Zelte aufschlagen. Dunkle Wolken, welche die nahen Berge einhüllen, Geröllhalden, magere Alpmatten und etwas Gebüsch geben der Landschaft das Gepräge. Bereits gegen 18 Uhr wird es Nacht. Das Wetter verschlechtert sich zusehends. Kaum ist nach dem Nachtessen ein Feuer entfacht, beginnt es zu regnen und später zu schneien. So bleibt uns nichts anderes übrig, als uns in die Zelte zu verziehen.

Am anderen Morgen erwachen wir bei kalter, unfreundlicher Witterung, die auch in den nächsten Tagen anhält. Zunächst überqueren wir in dichtem Schneetreiben einen 4750 Meter hohen Pass. Mit Ausnahme der Kälte und der heftigen 43 Windstösse deutet auf diesem trostlosen Über- Pholu Ruedi Horbcr gang nichts darauf hin, dass wir beinahe Mont-Blanc-Höhe erreicht haben. In den Geröllfeldern und Felsritzen können sich sogar noch einzelne besonders resistente Pflanzen behaupten. Nun beginnt ein längerer Abstieg, der uns in den folgenden Tagen bis in die höheren Einzugstäler des Amazonasbeckens hinunterführt. Diese Wanderung in der Montana, der Übergangszone zwischen Sierra ( Berglandschaft ) und Selva ( Amazonastiefland ), ist in zweierlei Hinsicht besonders interessant: Einerseits übt die wechselvolle Landschaft einen ganz besonderen Reiz aus; dunkle Wolken geben diesen wildromantischen Tälern einen einzigartigen, dramatisch-melancholischen Anstrich. Auffallend sind vor allem die klaren, fast grellen Farben, die durch die zahlreichen Maisfelder und die markanten Agaven noch speziell betont werden. Anderseits durchwandern wir völlig unerschlossene, nur dünn besiedelte Täler, die noch fast in ihrem Urzustand verharren. Die Zivilisation mit all ihren positiven und negativen Erscheinungen hat hier noch nicht Einzug gehalten, und Touristen gibt es fast keine; bis zum sechsten Tag haben wir jedenfalls keinen einzigen Ausländer angetroffen.

DIE WELTABGESCHIEDENSTEN TÄLER DER WELT Am fünften Tag, als sich das Wetter endlich entscheidend zu bessern scheint, kehren wir der eigentümlichen Landschaft am Ostabhang der Anden endgültig den Rücken und stossen ins eigentliche Herz der Cordillera Blanca mit ihren Hauptgipfeln vor. Die Landschaft wird zusehends wilder und urtümlicher, und im Hintergrund geben die Wolken bereits die ersten Sechstausender frei. Am Ende eines anstrengenden Tages, nachdem wir unter anderem einen 4100 Meter hohen Pass überquert haben, lösen sich die letzten Wolken auf, und bald wölbt sich über uns ein herrlich tropischer Sternenhimmel. Wie immer wird es in der Nacht empfindlich kalt. Mit den grossen Temperaturunterschieden, zwischen Tag und Nacht einerseits, Sonnen- und Schattenseite anderseits, die in grossen Höhen noch zunehmen, haben wir uns wohl oder übel abgefunden.

Am nächsten Morgen erwachen wir erstmals bei strahlendem Sonnenschein. Bei den letzten Vorbereitungen für den Abmarsch kommt man bereits ins Schwitzen. Langsam lassen wir die letzten Siedlungen hinter uns zurück. Selbst in diesen weltabgeschiedensten Tälern der Welt werden auf kleinsten, stark parzellierten Äckern in mühsamer Handarbeit noch Mais und Kartoffeln angebaut, die bis auf 4000 Meter gedeihen. Daneben werden Schweine, Geflügel, Rindvieh und Schafe, aber keine Lamas oder Alpacas gehalten. Die Subsistenzlandwirtschaf iProduktion für den Eigenbedarf ) ist nach wie vor dominierend; nach neueren Berechnungen der FAO i produzieren in ganz Lateinamerika nicht weniger als 70% der ländlichen Bevölkerung vorwiegend für den Eigenbedarf.

Die Indios sind sehr ärmlich gekleidet und scheinen die primitivsten Formen der Hygiene zum Teil noch nicht zu kennen. Dagegen kann die Ernährung sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht als einigermassen ausreichend bezeichnet werden. Die Behausungen sind meistens aus Lehm konstruiert und bestehen oftmals nur aus einem einzigen Raum. Trotz ihres tiefen Lebensstandards machen die Sierra-Bewohner jedoch im grossen und ganzen einen recht zufriedenen Eindruck. Die Indios, oft der spanischen Sprache nicht mächtig, sind jedenfalls freundlicher und weit weniger misstrauisch, als wir erwartet haben. Allerdings ist ihnen ein Hang zur Bedächtigkeit und Melancholie eigen, wohl eine Spätfolge der Vernachlässigung und Ausbeutung seit dem tragischen Untergang des Inkareiches in der ersten Hälfte des 16.Jahrhunderts sowie zum Teil bewirkt durch die extreme Höhenlage und die schwierigen klimatischen und topographischen Verhältnisse. Die Kinder sind liebenswert 1 FAO = Organisation für Ernährung und Landwirtschaft der UNO.

und zutraulich wie überall auf der Welt, und die Frauen fallen grossenteils durch hübsche Gesichter, aber einen ausgeprägt breiten Körperbau auf. Interessant, dass uns viele Campesinos nach der Zeit fragen. Als ob die Zeit in diesen verlassenen Tälern am Ende der Welt eine Rolle spielen würde!

Mit zunehmender Höhe geht die vielfältige Kulturlandschaft langsam in eine wilde Naturlandschaft über, und am späten Nachmittag erreichen wir nach einem ziemlich ermüdenden Aufstieg unseren sechsten Lagerplatz auf 4350 Meter, in grandioser Hochgebirgslandschaft, zu Füssen des über 6300 Meter hohen Chopicalqui. Bald gesellt sich ein armer Hirte zu uns, dessen ausdrucksloses, verwittertes Gesicht ein stummes Zeugnis von der harten Existenz dieser Indios ablegt. Nach dem Nachtessen schläft er trotz der beissenden Kälte, lediglich in Decken eingehüllt, zwischen zwei Steinen, während wir uns in die warmen Daunenschlafsäcke verkriechen.

Am andern Tag erreichen wir bereits nach einer guten Stunde Aufstieg den 4770 Meter hohen Portachuelo de Llanganucco, wo gerade ein Kondor seine majestätischen Kreise zieht. Auf diesem herrlich gelegenen Pass eröffnet sich uns eine einzigartige Aussicht auf die höchsten Gipfel der Cordillera Blanca, vor allem auf den Doppelgipfel des Huascarän ( 6768 m ), die vier Eisgipfel des Huandoy sowie die imposanten Eiswände des Chacraraju. Unsere besondere Aufmerksamkeit gilt natürlich dem Pisco Nevado, unserem übermorgigen Ziel. Nach längerer Rast erfolgt der Abstieg ins Llanguno-Tal, eines der schönsten Seitentäler des Callejón de Huaylas. An den Ufern des kristallklaren Rio Llanguno errichten wir auf etwa 4000 Meter Lager Nr. 7, entfachen nach dem Nachtessen ein Feuer, und, fernab von jeder Zivilisation, in der erhabenen Stille der peruanischen Anden und unter einem phantastischen tropischen Sternenhimmel, kommen wir uns unendlich klein, aber überglücklich vor. Während eifrig diskutiert und gesungen wird und die Zeit stillzustehen scheint, denke ich an Saint-Exupéry und seine Empfindungen während seiner Flüge in die Ein-sam- und Unendlichkeit der Nacht, wie er sie beispielsweise in « Vol de Nuit » so eindrücklich schildert.

PISCO NEVADO, 5760 METER In gespannter Erwartung der Dinge, die in den nächsten Tagen auf uns zukommen werden, treffen wir nach dem Morgenessen die letzten Vorbereitungen zum Aufstieg in unser Biwak am Fusse des Pisco Nevado. Alles für unsere Besteigung notwendige Material, inklusive dreier Zelte, wird auf vier grosse Rucksäcke verteilt, die Jöri, unser Bergführer, sowie drei Träger hinaufzuschleppen haben. Vorerst geht es recht steil einen mit Gestrüpp bewachsenen Hang und anschliessend einen Schuttkegel hinauf, immer den wuchtigen Pisco Nevado, unser morgiges Ziel, vor Augen. Nach kurzer Mittagsrast in einer kleinen Mulde wird der Aufstieg fortgesetzt, während sich das Wetter rasch verschlechtert und schliesslich Schneefall einsetzt. Nachdem wir eine gewaltige Moräne erreicht haben, folgt der mühsamste Teil des heutigen Tages: die Überquerung mehrerer Moränenzüge bis zu unserem winzigen Biwakplatz am Rande eines kleinen Gletschersees auf 5000 Meter. Trotz der Müdigkeit nach diesem anstrengenden, über vierstündigen Aufstieg und aufkommender Übelkeit als Folge der grossen Höhe stellen wir in aller Eile unsere Zelte auf, denn bereits am späten Nachmittag wird es beissend kalt. Langsam wird das Wetter wieder besser, und nach einem bescheidenen Nachtessen, bestehend aus etwas Suppe und heissem Tee, verschwinden wir bald in unseren Schlafsäcken, um unsere Höhenkrankheit auszuschlafen, währenddem heftige Windstösse an unseren Zelten zerren.

Um 04.30 Uhr rüttelt uns Jöri aus dem Schlaf; er ist bereits eine Stunde früher aufgestanden, um Wasser zu sieden - in dieser Höhe eine langwierige Angelegenheit. Es braucht schon einige Überwindung, aus der wohligen Wärme des Schlafsackes zu schlüpfen und in die dunkle, kalte Nacht hinauszutreten. Nach einem eiligen Morgenessen ( einige Löffel Porridge, etwas Tee ) nehmen wir den Aufstieg sofort in Angriff. Zwei Teilnehmer bleiben im Hochlager zurück, so dass wir eine Fünferseilschaft bilden können. Vorerst geht es über grobe Steinblöcke zum nahen Gletscher, wo die Steigeisen in Aktion treten. Eine Spur weist uns den Weg durch das Spaltengewirr des gewaltigen Gletschers. Bald weicht die Nacht dem Tag, und die ersten Sonnenstrahlen tauchen die Eisflanken des Huandoy in ein rosarotes, fast kitschiges Licht. Nach anderthalbstündigem Aufstieg erreichen wir auf 5350 Meter den tiefsten Einschnitt zwischen Huandoy und Pisco Nevado und treten gleichzeitig in die wärmende Sonne. Der Weitblick ist bereits hier grossartig: Ein Sechstausender reiht sich an den anderen. Doch die Rast ist nur von kurzer Dauer. Es folgt zunächst wenig anspruchsvolles Gelände, dann aber eine sehr steile Flanke neben gewaltigen, drohenden Eisabbrüchen mit bizarren Formen. Dann neigt sich der Firn etwas, und nach einem im grossen und ganzen mässig anstrengenden, technisch unschwierigen Aufstieg erreichen wir um 10.45 Uhr den 5760 Meter hohen Gipfel. Das Panorama ist überwältigend: in Griffnähe die Eiswände des Chacraraju, etwas weiter entfernt Artesonraju, die Pyramide des Garcilaso, Alpamayo, von vielen als schönster Berg der Welt bezeichnet, Huandoy, Huascarân, Chopicalqui und viele andere grossartige Andengipfel. Nach einer knappen Stunde Rast bei angenehmer Temperatur und wolkenlosem Himmel machen wir uns zum Aufbruch bereit. Der Abstieg verläuft um einiges bequemer und schneller als der Aufstieg: nach 11/2 Stunden haben wir bereits wieder unser Hochlager am Gletscherende erreicht, und am frühen Abend, kurz vor dem Eindunkeln, treffen wir ziemlich müde, aber zufrieden und glücklich im Basislager an den Ufern des Rio Llanguno ein. Während wir uns frühzeitig zur Ruhe legen, weilen unsere Gedanken immer noch in der unermesslichen Gletscherwelt des Pisco Nevado.

Am letzten Tag unseres Trekkings - das im übrigen ohne nennenswerte Zwischenfälle verlaufen ist wandern wir das Rio-Llanguno-Tal hinab, um unser letztes Etappenziel, Yungay ( 2600 m ), im unteren Callejón de Huaylas zu erreichen. Die neu angelegte Naturstrasse führt uns zunächst am verträumten Llanganuco-See entlang, in dessen klaren Wassern sich der Huascarân spiegelt. Am späten Nachmittag ist unser zehntägiges Trekking rund um den höchsten Berg Perus vor den Toren Alt-Yungays zu Ende. Hier hat sich 1970 eine der schrecklichsten Naturkatastrophen des 20.Jahrhunderts ereignet: das schwere Erdbeben, welches das ganze Callejón de Huaylas in Mitleidenschaft zog, löste am Huascarän einen gewaltigen Stein- und Schlammrutsch aus, der die ganze Stadt mit ihren etwa 20000 Einwohnern unter sich begrub. Nur ein von einer Chri-stusstatue gekrönter Hügel, vereinzelte Kreuze sowie einige Palmen an der Stelle des ehemaligen Hauptplatzes erinnern noch an die einst blühende Stadt. Hier hat sich einmal mehr auf eindrückliche Art und Weise gezeigt, wie klein und ohnmächtig der vermeintlich allmächtige und alles beherrschende Mensch trotz Atombombe und Vorstoss ins Weltall im Grunde genommen gegenüber der Urgewalt der Natur geblieben ist.

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