Vom Urner Bergwald
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Vom Urner Bergwald

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

« Halten und Horchen. » So befiehlt es allemal in mir, wenn ich den Bergwald durchschreite, diese Gemeinsamkeit jahrhundertealter Bäume mit weit ausladenden Ästen und knorrigen, sehnigen Wurzeln, die gleich Eisenklammern die Blöcke umfassen, mit den wunderlich duftenden Stauden der Erika und Calluna, daneben sattgrüne Moose und graudürren Flechten, bestreut mit zarten Blütenkindern. Klar wie ein Himmelswasser rinnt ein feines Bächlein sorglos durchs bunte Gewirr der Steine und Pflanzen, sucht sich sandigen Weg und trägt behutsam gefallene Nadelblätter in die Weite, hält hinter stauendem Block, damit eine Spinne, ein Käfer, ja selbst ein hastiges Eichhörnchen hier trinken kann. Jäh ruft der jubelnde Föhn den Frühling herbei, dass der Wald in süssen Schauern erzittert; rauh braust der West daher und peitscht mit scharfen Regenruten das aufzuckende Astwerk... Nur Geduld, bald wird am stillen Sommertage das Märchen durch den Wald gehen, und wo seine unergründlichen Augen verweilen, blüht Schönheit auf.

In diesem Bergwald wollen wir halten und seinem Erzählen lauschen!

« Die Urwälder sind verschwunden oder in die entlegensten, unzugänglichsten Täler zurückgedrängt; in grosser Ausdehnung sind die Waldungen stärker gelichtet worden, als es bei einer den jährlichen Zuwachs als Massstab anlegenden und die Zukunft im Auge behaltenden Nutzung der Fall sein darf; an die Stelle holzreicher, wahre Baumriesen einschliessender, den Boden deckender und schützender Bestände sind an vielen Orten spärlich mit jungem Holz bewachsene Flächen getreten; niedriges, verbissenes Gebüsch deckt ganze Gehänge, auf denen früher schöne Laub- und Nadelwälder stockten. Tausende von Jucharten, die vor zwanzig und mehr Jahren abgeholzt wurden, liegen öde und geben nur einen spärlichen Weidertrag oder sind infolge von Bodenabschwemmung, Abrutschung, Steinschlag, Versumpfung und Verödung ganz oder teilweise unfruchtbar geworden. Selbst die Bannwälder, die das Volk sonst als Heiligtum zu betrachten gewöhnt war, weil sie seine Wohnungen, seine wertvollsten Grundstücke und die öffentlichen Verkehrsanstalten gegen Schneelawinen, Steinschlag und andere Übel schützen, sind an vielen Orten so sehr gelichtet worden, dass sie ihren Zweck nicht mehr zu erfüllen vermögen, ja gar hie und da ganz verschwunden. An andern Orten hat man dieselben durch übergrosse Schonung gegen die Axt, aber zu geringe gegen das Weidevieh, in einen Zustand versetzt, in dem ihre Widerstandskraft abzunehmen oder zu verschwinden droht. » Diese Kritik gab Elias Landolt, als er im Jahre 1862 einen Bericht an den Bundesrat über « die forstlichen Zustände in den Alpen und im Jura » ausarbeitete.Vierzehn Jahre später folgte das erste eidgenössische Forstgesetz, das alle Gebirgswaldungen als Schutzwälder erklärte, ihren Bestand sicherte und die Förderung und Pflege durch eine technische Bewirtschaftung, vor allem durch das Verbot des Kahlschlages, sicherte. Ein halbes Jahr- 16 hundert ist seither verflossen und hat allüberall in unsern Hochgebirgstälern deutliche Spuren einer Waldverbesserung hinterlassen. Wo nicht unverbau-bare Lawinenzüge und Ribitäler den Bergwald durchschlagen, erfuhr der Wald eine Pflege und Schonung, dass heute die natürliche Verjüngung mit Recht die Hoffnung aufkommen lässt, der Bergwald sei in alle Ewigkeit gesichert. Haben im verflossenen Jahrhundert die Hochwasserkatastrophen von 1834 und 1868 mit aller Gewalt das Schweizervolk zur Besinnung gebracht, nicht planlos seine Gebirgswälder niederzuschlagen, so hat das kaum überlebte Jahrzehnt des grausamen Krieges und seiner die ganze Welt erschütternden Nachwehen den Schweizern mahnend gezeigt, was gepflegte Wälder zu leisten vermögen, wenn es gilt, unabhängig vom Ausland zu sein oder Aus-gleichware fürs tägliche Brot zu geben. Der jährliche Holzverbrauch vor dem Krieg wurde auf rund 3,4 Millionen Kubikmeter geschätzt, den wir aber nur mit 2,7 Millionen aus dem eigenen Holzertrag zu decken vermochten, so dass wir aus dem Ausland nicht weniger als 700,000 Kubikmeter einzuführen gezwungen waren. Wenn in den Jahren 1915 bis 1918 unser Land Holz ausführen konnte, so war dies vor allem auch den Leistungen des Bergwaldes zu verdanken, der im stillen Abseits, wie Oberförster Bavier sagt, mit Milliarden feinster Saugwürzelchen in die Tiefe des Bodens gesenkt und mit Milliarden von Blättern und Nadeln, die sich im Lichte breiten, tagaus und tagein aus den Elementen der toten Materie der Erde und der Luft das köstliche Wunder des Lebens schuf, das Holz. Diese Bergwaldvorräte konnten zur vermehrten Nutzung herangezogen werden, sei es, weil Wegbauten ertragreiche Bringung gestatteten, sei es, weil die erhöhten Holzpreise erlaubten, selbst in die entlegensten Täler einzudringen, um die jahrhundertealten Tannen zu fällen und zu nutzen. Eine tiefe Ehrfurcht muss uns erfassen, so wir den Bergwald betreten und seinen würzigen, duftenden Odem einatmen, diesen Hauch ewigen Werdens und Vergehens.

Schutzwald!

Schon unsere Altvordern kannten ihn. Kaum hatten sie den Wald gerodet, um Bodenallmende zu gewinnen, die Häuser und Hütten um ein Gotteshaus zur Chilchhöri geschart, so legten sie auch schon die Wälder ob ihrem Gewohn in Bann, dass keiner darin Hand anlege, ohne dem Richter zu verfallen. Sie hatten eingesehen, dass der Wald ihnen Schutz bot gegen Steinschlag und Lawinen. Zahllos sind die Bannbriefe in allen Alpentälern, und wer kennt nicht den altehrwürdigen Bannwald ob Altdorf zu Uri! Aber einer der eigenartigsten Bannwälder ist sicherlich der ob Andermatt, der gleich einem mächtigen Keil zur Gurschenhöhe emporklimmt und die Lawinen vom Dorfe abwendet. Schon 1379 ist von ihm die Rede, als die Bürger zu Urseren beschlossen, dass keiner ihn unberechtigt betreten und weder Äste noch Tannzapfen daraus tragen dürfe, nichts, das darin wachse oder gewachsen sei. 1717 wurde der Bann erneuert, 1735 vom Landammann und Rat zu Uri « confirmiert, ratifiziert und bestätthet », und 1803 und 1841 kam sogar das Verbot hinzu, dass ihn nicht einmal Kinder betreten dürfen.

Die Bannung von Wäldern erfolgte meistens zum Schutz von Ortschaften oder einzelnen Häusern, dann aber auch zum Nutzen von Wegen und Stegen oder zum Schutz der Wiesen und Felder. So wurden vor Jahrhunderten der Korporationsverwaltung im besonderen die Steg- und Weg-wälder zugewiesen, als sich innerhalb der Korporation Uri die einzelnen Gemeinden mehr und mehr ihren Sonderrechten zuwandten, aus denen sich dann das Verwaltungs- und Nutzniessungsrecht in den in ihren Grenzen liegenden Waldungen herausbildete ( denn die Korporation Uri umfasst noch heute die ungeteilten Allmenden, Alpen und Wälder der 17 Gemeinden Nid der Schöllenen ). Diese waren für die Allgemeinheit mit dem Bann belegt, denn der Holznutzen durfte allein von der Korporationsverwaltung für den Unterhalt der Brücken verwendet werden. Jm Jahre 1407 erwirkten die Isentaler an der Landsgemeinde einen Bann für den Weg- und Schachenwald in der Isleten, damit der Schutz der Strasse vor dem damals noch frei wütenden Isentalerbach gesichert war. 1534 wurde diese Vereinbarung erneuert, und als im Jahre 1596 Peter Madran die Erzausbeute auch im Kleintal in Angriff nahm und sich an der Isleten dauernd niederliess, da überbürdeten sie diesem den Wegunterhalt, da mittlerweile durch Übertretungen des Bannes und durch die Überschwemmungen des Wildwassers der Schachenwald allzusehr gelichtet worden war, um noch wirksamer Schutz für den Weg zu sein.

Längs der Reuss und dem Schächenbach unterhalb Silenen und Bürglen waren fast alle Erlenwälder mit dem Banne belegt, d.h. als sogenannte Wuhr-schächen geschützt, die Anno 1609 in einer besondern Schächenordnung aufgeführt sind. Aus dieser entwickelten sich die besondern Schachenrechte und Servitute, die noch heute auf diesen Waldgebieten lasten, zum Schutz der Wiesen und Felder vor Überschwemmungen der Reuss.

Die Gemeindelade von Seelisberg aus dem Jahre 1365 enthält eine besonders erwähnenswerte Waldbannlegung. Als die zu Seelisberg von den übrigen Urnern erwirken konnten, dass das in ihrem Gemeindebann liegende Korporationsgut vom See bis hinaus zum Zingel ( wo die heutige Kirche steht ) zu ihrem eigenen und alleinigen Nutzen ausgeschieden werde, da beschloss die Landsgemeinde, dass der Wald an der Treib korporations-eigen bleiben müsse als Landwehre. « Und söllin och die ab Sewelisperch das also verbannen mit unser der Lantlüten ze Ure Hilf und ratte, das das Holtz bestande und ununerwüst belibe, uns den vorgenanten Lantlüten zu Ure und den kilchern ab Sewelisperch ze eyner Lantweri, als och dü alt Letzi was, an alle geverde. » So wurde der Wald als Bollwerk gegen allfällig eindringenden Feind in Schutz und Schirm gelegt, damit keine Gefahr an dieser Landesecke Einlass finden könne.

Im Laufe der Jahrhunderte bevölkerten sich aber auch unsere Bergtäler mehr und mehr, die Menschen legten in die Talgründe saftige Wiesen und Äcker, rodeten die Terrassen an den Hängen und schufen ob der Waldgrenze die Weiden. Lebte früher unsere Gebirgsbevölkerung mehr im Rahmen einer Art Naturalwirtschaft, die es ermöglichte, durch besondere Pflege und Sorgfalt auch den Getreidebau bis weit hinauf noch ertragreich zu betreiben, so formte sich mit dem Aufkommen der Verkehrsmittel auch das tägliche Leben der Bergleute so um, dass sie mehr Alpwirte mit hochgetriebener Viehzucht und Milchwirtschaft wurden, die Brot und Gemüse aus dem Unterland bezogen und deshalb den eigenen Ackerbau aufgaben. Damit wurde aber auch der einseitige Weg der Alperweiterung begonnen, der zum oft planlosen Eingriff in den Bergwald führte, der den Zustand der Hochgebirgsforste schuf, den Landolt im oben erwähnten Bericht unverschönert festhielt. Denn man darf nicht vergessen, dass eigentlich nur die Bannwälder dauernden Schutz erfuhren, dagegen in den Nichtbannwäldern, den Schietwäldern, wo jeder Holz hauen, « scheiten » darf, die freie Holznutzung bis gegen Mitte des letzten Jahrhunderts herrschte. In Uri ward der Freihieb zwar bereits im Jahre 1680 durch eine Verordnung der Landsgemeinde aufgehoben, allein erst die Schaffung des eidgenössischen Forstgesetzes brachte Ordnung in diese entlegenen Alpwälder.

Heute sind laut Artikel 3 des eidgenössischen Forstgesetzes alle Hochgebirgswaldungen als Schutzwald erklärt, d.h. alle « diejenigen Waldungen, welche sich im Einzugsgebiete von Wildwassern befinden, sowie solche, welche vermöge ihrer Lage Schutz bieten gegen schädliche klimatische Einflüsse, gegen Lawinen, Stein- und Eisschläge, Erdabrutschungen, Ver-rüfungen sowie gegen ausserordentliche Wasserstände ». Besonders Englers « Untersuchungen über den Einfluss des Waldes auf den Stand der Gewässer » haben deutlich gezeigt, dass wir diesen Gesetzesartikel, der jede willkürliche Wirtschaft im Gebirgswald ausschliesst, voll und ganz beibehalten müssen. Engler hat im luzernischen Napfgebiet zwei Täler bezüglich ihres Wasserabflusses genau untersucht, den fast weidlosen Sperbelgraben ( 3,i % Freiland, 96,9 % Wald ) und den Rappengraben ( 64,9 % Freiland und 35,1 % Wald ). Der Niederschlag und Wasserabfluss wurde während nahezu zwei Jahrzehnten genau ermittelt, so dass der Frage, ob der Wald das Wasserregime unserer Flüsse regeln könne, die klare Antwort gegeben wurde: « Auf geschonten, lockeren Waldböden fliesst das meteorische Wasser unterirdisch ab; auf Frei-landböden dagegen erfolgt, besonders bei starkem Regen und rascher Schneeschmelze, der Abfluss grösstenteils auf der Oberfläche. An steilen, berasten Hängen ist der oberflächliche Abfluss am grössten. » Bei allen Untersuchungen über Gewitterregen und Abfluss ergab sich, dass unter gleichen äussern Bedingungen der höchste sekundliche Abfluss des bewaldeten Sperbelgrabens nur ⅓ bis ½ von dem des unbewaldeten Rappengrabens betrug. Im Sperbelgraben stieg der höchste sekundliche Abfluss auf 817 1, im Rappengraben auf 3100 1. Treten Landregen oder längere Regenperioden ein, so wirkt der Wald ausgleichend und lässt die Bäche nur langsam anschwellen, während er wieder in längeren Trockenzeiten des Sommers und Herbstes der Wasserspender der Bäche wird, sofern durch den Aufbau des Gebietes bedingte gute Dauer-quellen und natürliche Wasserbehälter, wie Seen und Gletscher, fehlen. Und in bezug auf den Winter haben die Untersuchungen erwiesen, dass der Wald für die Wasserwirtschaft eine sehr wichtige und ausgleichende Wirkung auf den Abfluss ausübt. Bei Tauwetter fliesst zufolge der grossen Saugkraft des Bodens, der gleich einem Schwamme wirkt, im Walde viel weniger Wasser ab als im Freien; in Kälte- und Trockenzeiten dagegen werden die Gewässer aus dem Walde viel reichlicher gespeist als vom Freiland.

Ich erwähne diese eingehenden Untersuchungen Englers, um damit zu sagen, welche bedeutende Rolle gerade der Bergwald für unsere Volkswirt- schaft besitzt in einer Zeit, in der wir Schweizer mit aller Energie an den Ausbau unserer Wasserkräfte herantreten. Die Gletscher allein können nicht die Wasserspeicher sein. Es braucht das gewaltige Gebiet der Hochgebirgswälder, welche die Bildung des übermässigen Flussgeschiebes durch die Festigung der Gebirgshänge verhindern und die zahllosen, im Sommer und Winter gleichmässig Wasser führenden Bäche zum Talflusse senden. Die tiefgehenden Baumwurzeln lockern den Erdboden, so dass das Wasser leichter und in grösserer Menge zurückgehalten werden kann als im Freiland, wo die Gräser und Kräuter kaum fusstief ihr Hauptwurzelwerk treiben. Im Waldtal sind die Überschwemmungen selten oder geradezu ausgeschlossen, während in einem vom Wald entblössten Tale solche Wasserkatastrophen fast unbehebbare Verheerungen schaffen. Man erinnere sich nur an den Juli 1910, als der Schächen aus den Gebieten der Spiringer Berge ( wo der Wald zur Gewinnung von Wiesen und Weiden selbst aus tiefen Tobeln herausgedrängt worden ist und nur noch aus Hunderten von grössern und kleinern Baumgruppen und Horsten besteht ) innert wenigen Tagen so viel Wasserzufluss erhielt, dass er sein Bett aufwühlte, die Seitenhänge untergrub, mitriss und zum grausig schönen Wildbach wurde, der unterhalb Bürglen und Schattdorf weit und breit die Wiesen und Felder mit Schutt und Wasser überdeckte. Nahezu 3 Millionen Franken sind dann notwendig gewesen, um den Hauptlauf in ein festes Bachbett zu legen. Allein noch besteht im Einzugsgebiet der gelichtete Wald. Es fehlt der Schutzwald!

Der Älpler fordert sein Besitzerrecht, die Freiheit, auch im Bergwald. Und so trifft man immer wieder auf die Schäden, die dem Hochgebirgswald zugefügt werden. Nennen wir vorweg die Waldweide, den Vieh-eintrieb in den Wald. Durch den Huftritt der Rinder werden im feuchten und weichen Waldboden die Baumwurzeln verletzt, so dass diese den Fäulnis-pilzen offenstehen und Weidwaldfichten deshalb meistens im Alter stock-faul werden und nur noch schlechtes Brennholz ergeben. Am schlimmsten ist aber die Ziegenweide im Spätherbst bis Frühling. Wenn der Schnee die Weiden und Matten bedeckt, so treibt der Bergbauer das Schmalvieh in den Wald, wo dieses an den jungen Fichten und Tannen nagt. Dadurch entstehen die kugeligen Verbissfichten, die Geissentannli, die in jedem Bergwald zu treffen sind und jahrzehntelang ein Zwergleben durchkämpfen, bis der Zipfeltrieb vom Zahn des Tieres nicht mehr erreicht werden kann und ungehindert emporwächst zum Baum, die mühsame Jugend vergessend. Da wo wirklich Futternot ist, mag die Waldweide berechtigt sein, also an eng begrenzten Orten, wie zum Beispiel in der Wannelen ob Unterschächen, von der eine Urkunde besagt, dass in Zeiten der Not ( Unwetter und früher Schneefall ) das Vieh in den Oberwald getrieben werden könne. Aber eine allgemeine Waldweide dürfen wir nicht zulassen, wollen wir unsern Bergwald in seinem Bestehen und seiner Kraft als Schutzwald nicht gefährden. In allen Bannwaldordnungen wird ja immer besonders betont, dass das Laufenlassen der Ziegen strenge verboten sei. So setzt die Bannwaldordnung von Altdorf fest, dass im Banngebiet « weder Holz, noch Tannäst und Dünkel gehauen » werden dürfen, dass das Streuesammeln und Holzreisten, « ebenso die Geissen darin laufen zu lassen », verboten sei. Die Frevler seien zu bestrafen und nötigenfalls bei Wasser und Brot in den Turm zu werfen.

Ein weiteres Übel, das dem Alpwald immer wieder zugefügt wird, ist das Waldstreuesammeln. Die Älpler kratzen dabei nicht nur die Nadelstreue und das Laub zusammen, sondern auch Moose und selbst die Erde, um damit das fast wertlose Stallgelege zu erhalten, das eher feuchtes als trockenes Viehlager schafft und nur magern, sauren Dünger ergibt: ein jahrhunderte-alter Übelstand, der unzählige Male verboten wurde, aber trotz alledem noch heute zu den meist geahndeten Freveln gehört. Schon 1710 verbot die Holz-ordnung der Korporation Uri das « Griesnadelschaben oder gemiessen », weil dadurch den kleinen « Grotzen-Tanndlein der Aufwuchs benommen » werde. Es wurde sogar untersagt, für das Einsammeln des Bettlaubes ( Laubsäcke, die als Matratze dienen ) « eiserne Schaber » zu verwenden, damit die Wurzeln der Bäume nicht verletzt werden. Dieser Waldstreue- und Laub-nutzen war in früheren Jahrhunderten von grosser Wichtigkeit, als die Strassen und Bahnen noch nicht erstellt waren und man Mühe hatte, Stroh in die Gebirgstäler zu bringen. Deshalb zog der Bergbauer in seinem Eigen-wald mit Vorliebe Laubholz ( Buchen, Birken, Eschen, Ahorne ), um damit möglichst viel und alljährlich neue Laubstreue zu erhalten. Daher zeichnen sich in den meisten Bergtälern innerhalb der Laubwaldgrenze die Privat-wälder durch das Vorherrschen des Laubholzes aus.

Im engen Zusammenhang mit der Streuegewinnung steht das Schneiteln, das Aufasten stehender Bäume, sei es zur Gewinnung von Reisig als Stroh- und Streueersatz für den Stall, sei es vor allem aber zur Gewinnung von Reisig und Laub als Futter, weniger für Grossvieh, als vielmehr für Ziegen und Schafe. Deshalb trifft man überall im Bergwald die aufgeasteten Stämme, die nur noch die obersten Gipfeläste tragen, die wie strublige, zum Himmel gekehrte Besen aussehen, sonst aber von Aststummeln besetzt und mit tränendem Harz belegt sind, als entrinne ihrer Brust ein Weinen ob dem zugefügten Weh. Vielfach kommt in den Bergen noch das Entgipfeln von jungen Fichten vor, um die sogenannten Käsbrecher zu schneiden. Die Ast-quirle werden bis auf handbreite Stummeln zurückgeschnitten und, wie das Stämmchen, sauber geschält. Wenn nun beim Käsen die Milch dickt, so verwendet man diesen Stecken zum Umrühren und Käsbrechen. In Uri heisst man dieses Senneninstrument Gesehener, wohl weil ein Göschener der erste war, der einen Käsbrecher schnitt, nicht ahnend, dass er damit dem Bergwald einen grossen Schaden zufügen werde.Vom Übel ist auch das Auf-asten von alten, astreichen Bäumen zur Gewinnung von dauerhaften Stecken für die Gabelhäge oder Scharhäge.

Den Wegen entlang trifft man in den Bergtälern harzreiche Fichten, Lärchen und Föhren, die mit dem Messer oder der Axt dicht über dem Stock angeschrotet sind. Hat der Älpler früher an solchen Stämmen sich die Kien-späne zum Lichten geschnitten, so schindet er heute die Späne, um rasch Feuer machen zu können, denn das harzreiche Kienholz entflammt gar leicht. Oftmals sind grosse Fichten bis mannhoch quadratisch entrindet, dass nur eine klaffende, harztränende Wunde übrig bleibt. Man achte nur einmal auf solche Bäume im Maderaner- und Etzlital! Da haben die Älpler metergrosse, dicke Borkenstücke herausgeschnitten, um diese unter das Brett der Käspresse zu legen, damit beim Käspressen die Schotte ungehindert ablaufen kann. Fürwahr eine primitive Käserei, die aber schon der Urur-grossvater so hielt!

Köhlen und Harzbrennen ( letzteres zur Gewinnung von Wäscheharz ) sind heute fast gänzlich aus der Mode gekommen. Nur noch Geissbuben zünden dann und wann aus Freude am « Fürlirüche » die Harzklumpen der Wetterfichten an, so dass die geschwärzten Borken zurückbleiben, aus denen das neue Harz goldgelb perlt. Zahlreich sind alle die menschlichen Eingriffe in den Bergwald, zum Schaden des Älplers selbst. Doch genug davon! Mehr und mehr erwacht ja auch bei der Gebirgsbevölkerung die Erkenntnis, dass der Bergwald zur Alp gehört wie das Vieh zur saftigen Weide. Denn wie wollte man die Alphütten erbauen und pflegen und die Feuerungen halten, wenn das Holz des Bergwaldes nicht wäre? Hier sei der Beweis für den Wert des Waldes für die Alp anhand des mir bekannten Beispieles gegeben: Die Urneralpen besitzen 757 Alphütten, 949 Ställe und 59 Wohnhäuser und andere Gebäude. Rechnen wir durchschnittlich pro Jahr und Gebäude mit einem Holzbedarf von 0,2 Kubikmeter — mit Einrechnung des Neubau-holzes bei 40jähriger Dauer —, so benötigen wir jährlich 353 Kubikmeter Bauholz. In den Hütten und Häusern bestehen zusammen 784 Feue-rungen, die durchschnittlich 2 Kubikmeter Holz pro Jahr und Feuer verbrennen, gibt es doch sehr viele Sennküchen, die 1 bis 2 Klafter im Sommer verbrauchen. Der Brennholzbedarf erreicht somit 1568 Kubikmeter. Zählen wir dazu 79 Kubikmeter für die Brunnentröge, Alpstege, Häge usw., so erhalten wir einen jährlichen Alpholzbedarf von 2000 Kubikmeter. Der urnerische Alpwald ergibt durchschnittlich einen nachhaltigen jährlichen Ertrag von 1,« Kubikmetern pro Hektar. Zur Deckung des Alpholzbedarfes in Uri haben wir somit 1670 Hektaren Wald notwendig, ungeachtet des andern Waldes, den die Alpen zu direktem Schutz des Bodens und der Gebäulichkeiten vor Lawinen und Wildbächen unbedingt besitzen müssen.

Die Alp kann also ohne Wald nicht sein!

Zu dieser Erkenntnis sind die Hüter und Freunde des Waldes schon lange gekommen und hegen und pflegen den Bergwald, als gelte es, ein besonderes Gut zu erhalten: der Väter Erbe den kommenden Geschlechtern.

Der Bergwald darf nie erlahmen. Gleich wie im Urwald Generation auf Generation ohne Unterbruch folgt, so darf im Hochgebirgswald nie nackter Boden liegen, wie er zu Kahlschlagszeiten häufig zu treffen war, so dass der Regen ihn auswaschen und die Sonnenglut ihn austrocknen und verhärten konnte, bis aus dem früheren Waldboden ein Unkrautfeld mit Disteln und Dornen, Farnen und wertlosem Gestrüpp entstand, das erst nach jahrzehntelanger, unermüdlicher Selbstarbeit langsam wieder zu Wald wurde, wo nicht im Winter Lawinen von ihm Besitz ergriffen oder bei Gewitterregen die Wasser den Erdboden zur Tiefe trugen und klaffenden Bruch zurückliessen. Die heutige Forstwirtschaft hat sich endgültig vom Kahlschlag abgewendet, hat der weise waltenden Natur selbst die Hand geboten, um im Wald die beständige Bodenüberschirmung zu pflegen und zu erhalten. Darum sollen die alten, ehrwürdigen Bäume stehen bleiben und erst dann weichen, wenn unter ihrer Obhut die Jugend herangewachsen und stark geworden ist, um in die Lücken zu treten, die sie beim Gehen hinterlassen. Das Laub soll von den Bäumen fallen und den Boden düngen, um die Nahrung wieder zu ersetzen, die ihm die Wurzeln ausgesogen haben. Ein unaufhörliches Bauen und Umbauen ist Herr und Meister im Boden, ein Setzen und Zersetzen von Laub und toten Pflanzenteilen; Luft und Wasser treten hinzu, zahllose Käfer und Pilze, Organismen, die den Boden in ein lebendiges Laboratorium umwandeln, um alle die Stoffe bereitzulegen, aus denen neues Holz erzeugt werden kann.

So sind unsere Bergwälder wieder eine Gemeinschaft von grossen und kleinen, alten und jungen Bäumen geworden, eine Mischung von allerlei Holzarten. Wir nennen das Plenterwald. Da steht nicht alles in Reih und Glied und aus derselben Jahresklasse, nein: stolz reckt der alte Baum sein Haupt über die andern hinweg und schaut ins weite Land hinaus, grüsst Felsen und Firne. Unter ihm spielen die Kinderbäumchen, freuen sich ob jedem feinen Sonnenstrahl, der das Kronendach der Mutter durchbricht, spielen mit den vertraulichen Waldblumen und lauschen dem Summen der Mücken und Bienen. Im Innern aber erstarken sie zum « gesunden Holz » und bereiten sich vor für ihre eigene kommende Mutterschaft. « Halten und Horchen! » Wo gibt es Grösseres zu hören und Schöneres zu sehen? Wohl nirgends wie im Bergwald, wo die gewaltige Stille der Berge zur Predigt wird, zur feinen, wundersamen Stille der Bergpredigt!

Wanderer!

Dann und wann triffst du am Bergwaldweg die Herrgottstannen, ehrwürdige Bäume, auf denen der Älpler ein Christuskreuz oder ein Heiligenbild festgenagelt hat, ein Totentäfelchen gestorbener Nächsten, dass jeder seiner gedenke, so er vorbeigeht. Ein moosiger Stein ladet zum Halten und Beten. Raste dann eine Weile länger — und dann vernimmst du das unvergängliche Bergwaldlied Eichendorffs:

« Wer hat dich, du schöner Wald, Aufgebaut so hoch da droben? Wohl den Meister will ich loben, Solang noch mein'Stimm'erschallt. Lebe wohl, lebe wohl, Lebe wohl, du schöner Wald! » Max Oechslin.

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