Waldverwüstungen im Saastal
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Waldverwüstungen im Saastal

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Mit 3 Bildern ( 94—96Von Emil Hess

( Sektion Bern ) Wir haben den Lesern der « Alpen » in einem Artikel über die Lawinengruften von Saas-Grund die Lawinenkatastrophen in den letzten Jahrhunderten vor Augen geführt1. Da die Visper Täler bekannt sind durch ihr mildes Klima mit geringen Niederschlägen, sollte daraus der Schluss gezogen werden können, dass Lawinen in diesen Tälern nur ausnahmsweise zur Ausbildung kommen. Wir machen aber darauf aufmerksam, dass die Gebirge, welche diese Täler umrahmen, 4000 m Meereshöhe erreichen und die gefürchtetsten Lawinen bei über 3000 m losbrechen. Andernteils muss darauf hingewiesen werden, dass wir in den Visper Tälern die höchsten Waldgrenzen der Schweiz finden, also gewissermassen ein Ausgleich mit den hochliegenden Anrissgebieten vorhanden ist. Im Nikolaital steigt der Wald im Durchschnitt bis 2350 m und erreichte früher am Grünsee sogar die Höhe von 2400 m. Von diesem Maximum, das sonst nirgends in der Schweiz erreicht wird und zugleich die höchste Waldgrenze in Europa darstellt, beobachten wir ein Sinken sowohl nach Osten wie nach Westen. Schon im Saastal liegt die obere Waldgrenze nur noch bei 2250 m, am Simplon bei 2150 m, und im Goms fällt sie auf 2100 m. Auch gegen Westen zeigt sich eine stetige Abnahme der Waldgrenze, und zwar um 100 m im Turtmanntal und Anniviers ( 2250 m ), um 200 m im Bagnes und Entremont ( 2150 m ) und um 300 m im Val Trient und Val Ferret ( 2050 m)2.

Die grosse Lawinenhäufigkeit im Saastal kann nur mit der in frühern Jahrhunderten getriebenen Waldverwüstung erklärt werden. Das Saastal bietet in der Tat das Bild eines weitgehenden Zerfalles der Waldungen. Wir 1 E. Hess: Die Lawinengruften von Saas-Grund, « Die Alpen » 1943, Heft 1.

2 E. Hess: Die natürlichen Waldgrenzen im Kanton Wallis ( « Bulletin de la Murithienne » 59, 1942 ).

erinnern an das trostlose Bild der Hänge am linken Ufer der Visp zwischen Saas-Grund und Almagel ( Abb. ) und die traurigen Zustände von Zermeiggern taleinwärts, wo auf weite Strecken überhaupt kein Wald mehr vorhanden ist. Durch Abschwemmung und Windwirkung wurde der Boden von Humus entblösst, und heute tritt der nackte Fels zutage.

Überreste von Bäumen auf Triftalp bei 2300 m und das Feststellen von Krüppeln über dieser Grenze, vereinzelte Lärchen in Mattmark deuten darauf hin, dass der Wald früher grössere Gebiete besetzte als heute und vielerorts die Meereshöhe von 2300 m erreichte.

Dieses Zurückgehen der obern Grenzen wird vielfach auf Klimaverschlechterungen zurückgeführt. Nun sind aber Änderungen im Klima nur für Zeitspannen von Jahrtausenden nachgewiesen. Nach dem gegenwärtig allgemein beobachteten starken Rückgang der Gletscher müsste eher eine Milderung des Klimas und nicht eine Verschlechterung angenommen werden. Wir sind daher der Ansicht, dass der Rückgang des Waldes im Saastal auf menschliche Einflüsse zurückzuführen ist, die wir im folgenden näher betrachten wollen.

Aus dem letzten Jahrhundert konnten wir über die Holzausbeutungen im Saastal folgendes in Erfahrung bringen: In den sechziger Jahren wurden die Wälder des Saastales durch ausgedehnte Schläge verwüstet. Eine österreichische Gesellschaft kaufte das Holz für wenig Geld und flösste es nach Visp. Bei der Einmündung in die Rhone wurde es aufgefangen und zu Schwellen verarbeitet, welche an der Jura-Simplon-Bahn Verwendung fanden. Im weitern wurden auch Rebstickel angefertigt, die im Unterwallis zum Verkauf kamen. Dass das Holz auf dem langen Weg arg zugerichtet wurde und in kläglichem Zustand unten ankam und dabei grosse Quantitäten unterwegs verloren gingen, braucht wohl nicht näher erläutert zu werden. Genaue Angaben über die Masse des damals genutzten Holzes konnten nicht ermittelt werden.

Auch nach diesen grossen Schlägen, welche alles Holz erfassten, das über 30 cm Brusthöhendurchmesser erreichte, haben die Saaser der Pflege des Waldes wenig Aufmerksamkeit geschenkt, denn noch in den achtziger Jahren konnte jeder Burger für Fr. 2 für einen Baum das Holz im Walde auswählen, hauen und frei darüber verfügen.

Neben diesen planlosen Eingriffen in den Wald traten weitere schädigende Einwirkungen auf, von denen als wichtigste der Weidgang zu erwähnen ist. Bis gegen die Mitte des vorigen Jahrhunderts war die Weide im Kanton Wallis die Hauptnutzung des Waldes. Der Weidgang wurde nicht auf Grund einer Servitut ausgeübt, sondern das Waldgebiet war als öffentlicher Grund und Boden allgemein dem Vieheintrieb offen, es bestand die freie Atzung.

Es wird sich mancher Leser fragen, wie der Weidgang dem Walde nachteilig sein kann. Im allgemeinen wird zugegeben, dass die Ziegen durch Abfressen der Triebe grossen Schaden anrichten ( Abb. ); es ist aber noch zu wenig bekannt, dass auch das Grossvieh dem Walde schädlich ist und ihn schliesslich zum Verschwinden bringen kann. Eine ebenso wichtige Rolle wie das Abfressen spielt nämlich der Tritt des Viehes, der die Struktur des Waldbodens verändert.

Der Waldboden zeichnet sich aus durch ein besonders lockeres Gefüge, das sich in der guten Wasserdurchlässigkeit zeigt. Durch den Tritt des Viehes treten an der Oberfläche Bodenverhärtungen auf, die eine Verschlechterung des Wachstums der Bäume zur Folge haben und besonders die Entwicklung der Verjüngung beeinträchtigen. Die Samen können auf dem verhärteten Boden nicht normal keimen, und intensiv beweidete Bestände zeigen daher immer wenig oder keine Jungwüchse. Die Bodenverhärtungen können durch Sickerversuche experimentell nachgewiesen werden.

Als weiterer schädigender Eingriff des Menschen in die Waldungen erwähnen wir die Streuenutzung. Da die Produktion an Stroh gering ist, holt die Bevölkerung die nötige Streue im Wald. Die schädigende Wirkung der Streuenutzung macht sich auf zwei Arten bemerkbar. Durch die Wegnahme der Nadeln wird dem Boden die natürliche Düngung entzogen, die allerdings nicht hoch einzuschätzen ist. Viel wichtiger ist der schädigende Einfluss auf die physikalische Beschaffenheit des Bodens. Mit der Streue werden auch die Humusschichten entfernt, die dem Waldboden seine Lockerheit verleihen. Böden, auf denen Streue genutzt wird, verhärten an der Oberfläche derart, dass die natürliche Verjüngung sich nicht mehr vollzieht. Dazu kommt noch die schädigende mechanische Wirkung der Eisenrechen oder Schaber. Die Keimlinge werden ausgerissen und vertrocknen, und zudem sind auch die Wurzeln der alten Bäume den Verletzungen ausgesetzt, es treten Pilzinfek-tionen auf, welche diese zugrunde richten.

Diese während Jahrhunderten ständig wirkenden schädlichen Einflüsse auf den Wald verhindern seine natürliche Verjüngung. Während nach Holz-schlägen eine momentane grosse Schädigung eintritt, die durch die Natur nach Aufhören der Eingriffe rasch geheilt wird, kann sich der Wald bei dem ständig andauernden Weidgang nie erholen. Die Bestände altern, die ältesten Bäume sterben ab, Ersatz ist keiner vorhanden, und so verschwinden sie langsam im Laufe der Jahrhunderte, und die Waldgrenze sinkt stetig tiefer.

Als Beispiel solcher langsam absterbender Wälder im Saastal erwähnen wir den Staffelwald von Saas-Fee ( Abb. ), Börterwald, Triftwald und Stelli von Saas-Grund. Sie stellen Wälder dar, in welchen die Klasse des kleinen Holzes von 16—26 cm Brusthöhendurchmesser sehr schwach vertreten ist ( 1—8 % ), und auch die mittlere Klasse von 28—38 cm erreicht höchstens 10% der Holzmasse, während ein richtig im Gleichgewicht stehender Wald ungefähr 20 % Jungwüchse und 30 % mittleres Holz aufweisen sollte ( Tabelle nächste Seite ). Die Zukunft der oben angeführten Waldbestände ist ernsthaft bedroht. Die Starkhölzer in der obersten Klasse ( 40 und mehr cm Durchmesser ) weisen ein Alter von 500 bis 1000 Jahren auf, und jedes Jahr gehen einige zugrunde. Im Staffelwald z.B. kamen Lärchen zur Nutzung, die 700—800jährig waren, auf Triftalp wurden 1000jährige Bäume festgestellt. Während Jahrhunderten nehmen diese Lärchen nur wenige Zentimeter im Durchmesser zu, da sie Jahrringe von höchstens 0,5 mm ausbilden.

Die Bergbewohner messen dem Ersatz dieser Veteranen wenig Bedeutung zu und weigern sich häufig, auf Weidgangseinschränkungen zur Verjüngung des Waldes einzutreten. Die Folge davon ist ein langsames aber ständiges WALDVERWÜSTUNGEN IM SAASTAL Zurückgehen des Waldes und das Auftreten von Lawinen und Murgängen, welche den Siedelungen empfindlichen Schaden zufügen können. Aber auch der Mangel an Holz macht sich im Tal fühlbar, indem die Saaser ihre Häuser nicht mehr mit eigenem Holz aufbauen und reparieren können. Fast alles Nutzholz muss von auswärts ins Tal transportiert werden.

Zur Veranschaulichung des gegenwärtigen Waldzustandes haben wir die Zusammensetzung nach Holzarten und nach Holzvorrat der Gemeinden Saas-Grund, Fee und Almagel in Tabellenform wiedergegeben. Es zeigt sich vorerst, dass die Hauptholzart des Tales die Lärche ist und Fichte, Bergföhre und Arve nur eine untergeordnete Rolle spielen. Dann sehen wir, dass keine einzige Abteilung einen Holzvorrat von 200 m3 per Hektare erreicht, während sie in normaler Verfassung 250—300 m3 aufweisen sollten. Erfreulich ist dagegen die Feststellung, dass die Klasse des schwachen Holzes von 16—26 cm Brusthöhendurchmesser in vielen Waldabteilungen von Saas-Fee gut vertreten, die Entwicklung dieser Wälder für die Zukunft also gesichert ist.

Zusammensetzung der Waldungen des Saastales ( Auszug aus den Waldwirtschaftsplänen ) 1 Zusammensetzung des Waldes Holzvorrat nach Holzarten nach Holzvorrat Mittel- Gemeinde Wald Abt.

stamm per ha Fichte Lärche Bergföhren Arve 16-26 28-38 40 und mehr m3 m3 Saas-Grund Börterwald...

1 100 — 1001 6 93 1.43 Triegerwald..

2 90 — 90 10 — 18 64 18 0.47 Laubige Bodmen 3 104 — 10 90 — 46 38 16 0.21 Ronnenhöhe..

4 178 — 40 30 30 6 16 78 0.91 Triftalp

5 150 — 80 — 20 3 5 92 1.40 Kremmen...

6 70 — 90 10 — 14 24 62 0.61 Trullentschuggen 7 104 — 60 30 10 19 36 45 0.47 Furrwald....

8 52 — 10026 21 53 0.48 Stelli

9 1281001 2 97 1.78 Almagel Moosguffer...

1 37 — 10010 18 72 0.79 Bannwald...

3 106 — 1009 15 76 0.80 Blattbach...

10 148 — 10021 22 57 0.56 Saas-Fee Dählwald...

1 134 9 17 64 10 45 36 19 0.23 Ronggi

2 97 7 42 — 51 40 39 21 0.28 3 58 3 43 18 36 29 35 36 0.29 Lauberwald..

4 48 — 90 — 10 18 14 68 0.58 Dickwäldli...

5 30 — 10063 25 12 0.25 Staffelwald...

6 135 — 100 .8 11 81 0.93 Halde.

7 3610035 25 40 0.40 Honegg

8 87 — 955 12 19 69 0.67 Schafwald...

9 70 6 89 — 5 16 37 47 0.54 1 Weitere Angaben über die Wälder der Visper Täler findet man bei Bodenmüller: Die forstlichen Verhältnisse des Vispertales, Bulletin de la Murithienne, fasc. LV, 1938.

Die angeführten Waldverwüstungen des letzten Jahrhunderts können aber das weitgehende gänzliche Fehlen des Waldes im Saastal allein nicht erklären. Da keine waldzerstörenden Gewerbe, wie Erzverarbeitung, nachgewiesen werden können, muss nach andern Ursachen geforscht werden.

Da muss zuerst auf die Invasion der Sarazenen im ersten Jahrtausend hingewiesen und ihr Einfluss auf die Bewaldung untersucht werden.

Pfarrer Ruppen1 nimmt an, dass schon im Jahre 218 v. Chr. Hannibal mit seinen Kriegsheeren über den Antronapass durch das Saastal gezogen sei. Im zehnten Jahrhundert n. Chr. sollen die Sarazenen das Tal besetzt haben. Wir geben dem Chronikschreiber selbst das Wort.

« 939 brachen ins Wallis ein die Sarazenen, ein wildes, raubsüchtiges Kriegsvolk; man nannte sie auch Mauren oder Mohren. Diese Ungläubigen verheerten alles mit Feuer und Schwert, und flüchteten sich, von Feinden bedroht, in die Gebirge und Täler der Alpen. Hugo, König von Arles, duldete sie auf Beding, die Alppässe gegen den ihm feindlichen Berengar zu verteidigen. Diese wilden Horden besetzten demzufolge auch das Tal Saas mit kriegerischer Macht, um die Bergpässe, von denen Hugo einen feindlichen Überfall zu fürchten hatte, zu bewachen. Ihr Hauptlager war im Almagel, wo sich der Weg nach Antrona- und Anzaskatal scheidet, wie dieser Ortsname anzudeuten scheint. Von diesen Arabern wird der Berg, über welchen der Pass ins Anzaskatal führt, in der italienischen Mundart Monte Moro, deutsch Mohren-berg genannt; von diesen werden die arabisch lautenden Benennungen, wie Almagel, Allalin, Mischabel, oder gar Saas, Fee, herrühren.

Zweifelsohne machten sich 's diese Horden bequem, nahmen Habe, Hütten und Auen der Talleute in Beschlag und geberdeten sich wie Herren im eigenen Hause. Ihr Aufenthalt im Tale ward dadurch, da die Bergpässe ihnen vermutlich hier zu wenig Raub in die Hände spielten, sehr erleichtert, und bald dachten sie nicht mehr daran, den bezogenen Ort zu räumen. Sie begannen finstere Wälder einzureissen und immer mehr Boden anzupflanzen; und als Konrad, König von Burgund, der über Wallis gebot, im Jahre 954 die Barbaren niederhauen und vertreiben liess, hatten viele Sarazenen, welche in unseren Bergen der blutigen Verfolgung entgingen, die von ihnen erweiterten Auen schon zu lieb gewonnen, um selbe zu verlassen. Sie schlossen mit den Einwohnern, die ihre Mordlust übrig liess, Friede; sie nahmen den christlichen Glauben an, heirateten die Töchter der Urbewohner und machten bald nur ein einziges Volk mit ihnen aus. » Mit der Frage der Besetzung des Saastales durch die Sarazenen hat sich Dübi 2 befasst und dargelegt, dass sie während längerer Zeit die Alpenpässe besetzt hielten und als Verbündete Italiens verhindern sollten, dass ein Schwabenheer über die Alpen in Italien einfallen könnte.

Auch Le Fort3 weist eine Besetzung des Saastales nicht ohne weiteres ab. Er stellte fest, dass die Sarazenen im Jahre 936 in Graubünden und 954 1 Die Chronik des Tales Saas, für die Talbewohner bearbeitet und herausgegeben von Peter Joseph Ruppen. Sitten 1851, Buchdruckerei von Calpini-Albertazzi.

2 H. Dübi: Sarazenen und Ungarn in den Alpen ( Jahrb. S.A.C. 1878 und 1879 ).

3 Le Fort: Les sarrasins dans les Alpes ( « Echo des Alpes » 1879, p. 209 ).

in St. Gallen einzogen, 940 sollen sie den Grossen St. Bernhard besetzt und bis St. Maurice vorgestossen haben.

Es hat sich in den Jahren 1879 und 1880 eine rege Diskussion in alpinen Zeitschriften über die Sarazenen im Saastal entwickelt, jedenfalls angeregt durch den Aufsatz von Dübi. Es verdienen besonders die beiden Artikel von Coolidge und Freshfield im « Alpine Journal » 1879 Erwähnung, wo hauptsächlich letzterer energisch gegen eine Einwanderung der Sarazenen ins Saastal Stellung nahm.

Auch Richter1 war der Meinung, dass die Namen Moro, Almagel, Allalin usw. nicht vom Arabischen abstammen und stellt die Niederlassung der Sarazenen im Saastal in Abrede.

Neuerdings hat sich Eckstein 2 wieder mit der Frage befasst. Er erklärt, dass Almagel in alten Urkunden als Almenzell bezeichnet wurde, dass Mischabel von Mistgabel herrührt und nicht vom Arabischen abgeleitet werden kann, eine Niederlassung der Sarazenen daher sehr unwahrscheinlich erscheint.

Hutzli 3 dagegen vertritt neuerdings die Ansicht, dass die Namen aus dem Arabischen stammen. Im Atlas, in Nordafrika, soll es einen Berggipfel geben mit der Bezeichnung Mischabel.

Nach Staub 4 sind die Siedelungen im Süden des Rhonetales keltischen Ursprungs, indem Steinkistengräber darauf hinweisen, dass Kelten der spätem La-Têne-Periode, also des zweiten oder ersten vorchristlichen Jahrhunderts, diese Gegenden besiedelten.

Da sowohl die Sohle des Rhonetales wie die der Visper Täler wegen Überschwemmungsgefahr gemieden wurden, ist anzunehmen, dass die Besiedelung der Visper Täler von Bürchen, Zeneggen, Törbel, Visperterminen und Staldenried aus erfolgte und dass die Urbevölkerung auch dort keltisch war.

Die Saaser sind von den übrigen Oberwallisern derart verschieden, dass eine Invasion von Süden durch Mohammedaner oder Italiener angenommen werden muss. Wir treffen noch heute im Saastal Menschentypen, die viel Ähnlichkeit mit nordafrikanischen Stämmen zeigen.

Es steht fest, dass die Sarazenen während 100 Jahren ( 889—975 ) in Südfrankreich hausten und von dort aus gegen die Alpen vordrangen5. Im Jahre 906 überschritten sie den Mont Cenis, 939—941 den Grossen Sankt Bernhard und den Lukmanier. Warum sollten sie nicht auch den Monte Moro erstiegen haben?

Auch die Waldverwüstungen in diesem Tale würden für eine Invasion von Mohammedanern sprechen. Die Zerstörung des Waldes zugunsten der Weide ist ein Gebot des Korans. Daher treffen wir in den muselmanischen Ländern die grössten Waldzerstörungen.

1 Richter: Les sarrasins dans la vallée de Saas ( « Echo des Alpes » 1880, p. 87 ).

2 O. Eckstein: Seitenpfade um Saas-Fee, Zürich 1934.

3 F. Hutzli: Saas-Fee, « Die Garbe » 1944. Heft vom 15. Oktober und 1. November. 4 W. Staub: Die ältesten Siedlungen im Gebiet der Visper Täler. « Neue Zürcher Zeitung » Nr. 2052, 30. November 1944.

5 Iso Müller: Disentiser Klostergeschichte. Bd. I, 1942.

Eines steht sicher fest, dass vor Jahrhunderten im Saastal ausgedehnte Waldbrände stattgefunden haben. Dafür bilden die vielen in 10—15 cm Tiefe befindlichen Brandhorizonte sichere Zeugen. Es handelt sich dabei nicht nur um Kohlenmeiler, sondern es wurden ganze Hänge durch Feuer vernichtet. Sie erinnern an Verwüstungen, wie man sie nur im Orient zu Gesicht bekommt.

Für die Besetzung des Saastales durch Mohammedaner sprechen im weitern verschiedene alte Gebräuche, die dem Tal bis auf den heutigen Tag erhalten geblieben sind. Wir erwähnen das Schlachten der Schafe, das nur in den Visper Tälern in der Weise erfolgt, dass die toten Tiere gebrüht und geschabt werden. Die Haut bleibt am Fleisch, was bewirken soll, dass dieses beim Trocknen an der Luft saftig bleibt. In gleicher Weise verfahren Berber-stämme in Nordafrika. Wir konnten auf einer Reise in der Gegend von Timhadid eine solche Schlachtung beobachten. Ob es sich dabei um einen allgemein üblichen muselmanischen Brauch handelt, konnte allerdings nicht in Erfahrung gebracht werden.

Eine weitere Merkwürdigkeit der Visper Täler ist, dass kein Einheimischer ein weibliches Schwein hält, im Tal also keine Schweinezucht betrieben wird. Diese Sitte könnte als Überbleibsel aus der Sarazenenzeit gedeutet werden, da dem Mohammedaner der Genuss von Schweinefleisch verboten ist. Damals kamen gar keine Schweine ins Saastal, heute ist nur die Haltung des männlichen Schweins bei der Bevölkerung üblich und die Aufzucht ist derart verpönt, dass überhaupt kein Einheimischer jemals Schweine gezüchtet hat.

Wenn auch diese Gebräuche keinen einwandfreien Beweis für die Einwanderung der Sarazenen bilden, so machen sie eine solche doch wahrscheinlich, und wir neigen zur Ansicht, dass die Waldverwüstungen im Saastal diesen wilden Stämmen zuzuschreiben sind.

Suchen wir nach andern Möglichkeiten, um die Zerstörung der Wälder zu erklären, so ist vor allem an den frühern Verkehr über den Antronapass und Monte Moro zu denken, die während Jahrhunderten die Hauptverbin-dungen zwischen dem Oberwallis und Italien bildeten.

Wir können überall an den alten, vielbegangenen Paßstrassen das Zurückgehen des Waldes beobachten. Das tragische Beispiel bildet das Urserental, wo der Verkehr über die drei Pässe Gotthard, Oberalp, Furka sämtliche Waldungen des Tales ( ungefähr 2000 ha ) zum Verschwinden brachte. Es war eine während Jahrhunderten dauernde langsame Zerstörungsarbeit, die so gründlich ausfiel, dass wir heute nur noch aus Überresten in Torfmooren Schlüsse auf die frühere Bewaldung ziehen können 1.

Eine ähnliche, wenn auch nicht so weit fortgeschrittene Entwaldung, treffen wir am früher sehr wichtigen Übergang der Grimsel2.

1 M. Oechslin: Die Wald- und Wirtschaftsverhältnisse im Kanton Uri. ( Geobotanische Landesaufnahme, Heft 14, Bern 1927. ) 2 E. Hess: Pflanzengeographische Beobachtungen aus dem obern Aaretal ( Jahresbericht A.A.C.B., XIII, 1919 ).

Über den Verkehr über den Antronapass und den Monte Moro fehlen alle Anhaltspunkte, und wir können daher den Einfluss auf die Bewaldung nicht erfassen. Der früher sehr wichtige Antronapass ist in Vergessenheit geraten, da sich alles an den Hauptübergang des Simplons gewöhnt hat. Er wird aber erst seit 100 Jahren ( 1805 ) begangen, während früher der Antrona während Jahrhunderten ein viel benutzter Pass war.

Die Ausführungen zeigen, dass uns sichere Beweise fehlen, um die grossen Waldverwüstungen früherer Zeiten einwandfrei abzuklären, dass aber mit grosser Wahrscheinlichkeit die Sarazenen dafür verantwortlich gemacht werden müssen und dass vielleicht auch der Verkehr über den Antronapass und den Monte Moro einen Einfluss auf die Waldungen hatte.

Im Saastal wird gegenwärtig vieles zur Wiederherstellung der Waldungen getan. Der erste Schritt, der um die Jahrhundertwende im Tal unternommen werden musste, war die Erstellung der Wirtschaftspläne. Durch sie erhielt man die richtigen Grenzen der Waldungen und eine Einteilung in Abteilungen. Dann kam die Einschränkung der Streuenutzung und des Weidganges. Es wurden nur noch einige Gebiete freigegeben, die andern in Bann gelegt und Massnahmen unternommen zur Erzielung der natürlichen Verjüngung. Die Wiederbewaldung der Halde über dem Dorfe Saas-Fee wurde schon im Jahre 1912 begonnen, und der erreichte Erfolg ist erfreulich. Der kahle Hang bewaldet sich allmählich und übernimmt wieder die Aufgabe des Schutzes des Dorfes Fee. Die Arbeiten werden nach oben ausgedehnt, um auf Hannigalp den obern Waldsaum, der im Verschwinden begriffen ist, wieder herzustellen. Auch Grund und Almagel haben ähnliche Aufforstungen in Ausführung. Das Hauptaugenmerk ist bei diesen Wiederbewaldungen auf eine gute Abzäunung gegen das Weidevieh zu legen. Mit der Abschliessung gegen den Weidgang ist die Hauptaufgabe gelöst, denn sobald die Gebiete nicht mehr betreten werden, keimen die Samen der Holzgewächse, und die Verjüngung stellt sich ein. Gelegentlich muss mit Bodenbearbeitungen nachgeholfen werden.

Die heutigen Talbewohner mussten ein schlechtes Erbe übernehmen und sich mit dem Holzmangel abfinden. Noch mehr, es ist ihre Pflicht, mit allen Kräften am Wiederaufbau der Waldungen mitzuhelfen, um sie ihren Nachfolgern in besserem Zustand zu übergeben. Die gegenwärtigen Gemeindebehörden können die Sanierung nur einleiten, der Erfolg wird erst in einem Jahrhundert fühlbar werden. So hoffen wir, dass die Wälder des Saastales einer bessern Zukunft entgegengehen und sich langsam erholen werden. Die heutigen Nutzniesser bringen das grösste Opfer, indem sie in den Nutzungen stark eingeschränkt sind und zudem noch finanzielle Lasten für die Wiederherstellung der Waldungen zu tragen haben.

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