Wandlungen der Alpenflora in der Gegenwart
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Wandlungen der Alpenflora in der Gegenwart

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Der moderne Mensch sucht in den Alpen den Gegensatz zu seiner gewohnten Umgebung. Sieht er hier die Natur durch seinen übermächtigen Einfluss beinahe ausgeschaltet, so glaubt er, seiner Sehnsucht folgend, in den Alpen einer unberührten Landschaft gegenüberzustehen, bei der sich die ganze Vegetation noch in natürlichem, unverfälschtem Zustand befindet. Die Stufenfolge, die markanten Grenzen des Baumwuchses und des ewigen Schnees prägen sich stark als etwas Unwandelbares, ganz vom Menschen Unbeeinflusstes ein.

Aber nicht nur der Tourist, auch der Fachmann muss sich oft erst losmachen von der etwas romantisch angehauchten, stillschweigend angenommenen Idee, dass hier in den Alpen nur die unbeeinflusste Natur das wundervolle Bild geschaffen habe, an dem er sich erfreut. Unser heutiges « Schönheitsgefühl », das vor allem auf unberührte Natur eingestellt ist, täuscht sich da oft in der Einschätzung einer Landschaft. Denn gerade der reiche Wechsel von Wäldern mit Weiden, Wiesen und Feldern, der durch sein mannigfaches Grün neben Fels und Schnee der Alpenlandschaft ihren höchsten Reiz verleiht, ist dem Einfluss des Menschen zu verdanken. Der Bergbewohner, der in den Alpen sein Auskommen sucht, muss dazu die Natur beeinflussen, und die Rodung des Waldes war auch hier die erste und wichtigste Tätigkeit des einwandernden und besitzergreifenden Menschen. So entsteht erst durch seine Tätigkeit das abwechslungsreiche und reizvolle Bild, das das Pflanzenkleid unserer Talschaften darbietet und das so angenehm von der einförmigen Walddecke unbewohnter Gebirge absticht.

Der Einfluss des Menschen beschränkt sich aber nicht auf die nähere Umgebung seiner ständigen Wohnsitze. Auch hoch oben an der Wald- und Baumgrenze macht er sich in gleichem Sinne spürbar. Bäume werden umgehauen oder verbrannt, Wälder geschlagen, um Weideland zu gewinnen. Es muss das Bestreben leitend sein, diese für den Menschen gewinnbringendste Nutzungsart des alpinen Bodens möglichst weit in die tieferen Stufen auszudehnen, die bei längerer Vegetationszeit noch günstigeren Ertrag versprechen und den ständigen Wohnstätten näher liegen. Anderen Beweggründen entsprungen, aber in der Wirkung aufs gleiche herauskommend, ist die Entwaldung durch starken Holzverbrauch bei ungenügendem Nachwuchs. Durch eine solche Herunterdrückung der Baumgrenze wird nicht nur das Gebiet der alpinen Stufe nach unten vergrössert, sondern auch der Waldgürtel zwische ihr und der ebenfalls künstlich baumlosen Kulturlandschaft um die ständigen Wohnsitze im Tale wird stellenweise aufgelöst und durchbrochen, so dass die waldfeindlichen Arten beider aufwärts und abwärts an Areal gewinnen können.

Dass der zerstörte Wald sich von selbst meist nur langsam ergänzt und dazu Jahrzehnte, ja in der Nähe der Baumgrenze gar Jahrhunderte brauchen kann, ist klar. Oft stirbt der Nachwuchs im hohen Grase durch Lichtmangel, oder er wird abgefressen oder zerstampft. Auch der Älpler hält den einmal dem Walde abgerungenen Boden fest, indem er aufkommenden Nachwuchs abhaut und die Weiden von Gestrüpp säubert. Ganze Komplexe von Alpenrosen- und Alpenerlendickicht werden in emsiger Arbeit und oft mit staatlicher Unterstützung ausgerodet, um produktives Land zu gewinnen. Nicht selten ist aber die Folge eine für die Bodenbildung und Vegetation verhängnisvolle. Dadurch, dass der Schirm des Waldes fehlt, mangelt es manchmal auch an dem nötigen Frostschutz. Ferner können die Winde nun leichter angreifen, und es gibt Orte, selbst weit unterhalb der ehemaligen Baumgrenze, wo das Schneegebläse nunmehr so stark wirkt, dass der gefrorene, vom Winde in Bewegung gesetzte Schnee den einst vom Walde geschützten Boden entfernt, so dass die Felsen zum Vorschein kommen und eine Wiederbewaldung unmöglich wird.

Die Rodungen haben denn auch einen ungemein grossen Einfluss auf die Alpenflora. Ein Teil der alpinen Arten wandert unter die klimatische Baumgrenze abwärts; Kräuter und Gräser können hier eine geschlossene Rasennarbe bilden, in der sich einzelne Individuen zu prächtigen Exemplaren entwickeln. Umgekehrt mischen sich ihnen « Ebenenarten » bei, die aus den angrenzenden Tiefländern stammen.

Der Einfluss des Menschen auf die alpine Vegetation geht aber noch viel weiter als nur bis zur Vernichtung des Baumwuchses, der auf gutgepflegten Alpweiden durch fortwährende Säuberung von nachwachsendem Gestrüpp hintangehalten wird. Ganz bewusst greift der Älpler in die Besiedelung der neu gewonnenen Wirtschaftsgebiete ein. Die aus dem Heu ausgefallenen Samen, die sogenannten « Heublumen », werden ausgesät. Wohl verfüttert der Landwirt in erster Linie eigenes Futter; daneben aber gibt es auch in den Bergen einen Heuhandel, der viele Kilometer weit geht. Der Heubedarf des Oberengadins war vor der Eröffnung der Rhätischen Bahn ein sehr grosser, und aus dem Puschlav, selbst aus dem Veltlin wurden Hunderte von Wagenladungen bezogen. So wurde ohne Zweifel manche neue Art eingeschleppt und der Wiesenflora einverleibt.

In neuerer Zeit kommt noch anderes dazu. Die moderne Landwirtschaft muss mit grossen Erträgnissen bei verhältnismässig geringem Arbeitsaufwand rechnen, während dieser früher kaum in Betracht gezogen wurde. Dabei geht der Ackerbau unter dem Einfluss der besseren Verkehrsverhältnisse zurück. Beide Änderungen üben eine Rückwirkung auf den Wiesenbau aus, indem er nun über grössere Düngermengen verfügen kann. Die mageren Wiesen hatten eine reiche, sehr veränderliche Flora, die gedüngten Wiesen geben weit grössere Erträge, verarmen aber an Arten. Dabei werden die Konkurrenzverhältnisse geändert, und so können anderseits auch neue Wiesenpflanzen sich ausbreiten, ja selbst einwandern. Sogar die Idee der an- gebauten Wiesenpflanzen, die Anlage von Wiesen mit ausgewählten Gräsern und Kräutern findet selbst in den Alpen Eingang, und damit ist die Möglichkeit der Einführung neuer Arten gewachsen. Zuerst sind es Fremdlinge, dann können sie in die natürliche Vegetation übergehen.

Wir gehen also nicht fehl, wenn wir gerade von der Wiesenflora in den Alpen annehmen, dass sie sich in steter Umbildung befinde. Trotzdem die Rodungsperiode in den Schweizeralpen schon weit zurückliegt, trotzdem die Pässe schon zur Bronzezeit begangen wurden und trotzdem die Alpwirtschaft ebenfalls schon uralt ist, ist der Ausgleich der Flora doch noch kein vollkommener und manche sonst weitverbreitete, meist düngerliebende Arten haben die innersten Alpentäler noch nicht erreicht. Dafür ein Beispiel: Der Glatthafer, eine auch in den Alpen sonst weitverbreitete Art der gedüngten Wiesen, fehlte vor 20 Jahren diesen im Puschlav gänzlich; er hatte nur einige wenige Standorte in Hecken, an Wegrändern und in einem Auenwald aus Grauerlen. Als später die Berninabahn durch das Tal hinab gebaut wurde, säte man -lies Gras auf den Böschungen des Bahndammes an, und nun drang es von hier aus in die gedüngten Wiesen ein und ist heute im Begriff, ein Bestandteil der Wiesenflora zu werden. Das düngerliebende englische Raygras war früher in den Alpentälern überhaupt unbekannt. Heute wandert es längs der angelegten Alpwege ein und steigt empor. Ersetzt einer solchen Pflanze der Schutz der Schneedecke den wärmeren Winter der Ebene, so kann sie sich weit verbreiten, und es lässt sich gut denken, wie dadurch neue Konkurrenzverhältnisse eintreten, die Bestandesänderungen nach sich ziehen können.

Man muss nun aber nicht meinen, dass diese Einwirkungen des Menschen erst in neuerer Zeit, seit auch in den Alpen die Bewirtschaftung eine « rationellere » geworden ist, wirksam sind. Im Gegenteil. Die Gelegenheit zur Einschleppung neuer Arten war wohl damals noch viel grösser, als der ganze Verkehr zu Fuss oder zu Ross über die Alpenpässe ging und grosse Säumerkolonnen statt der heutigen Güterzüge die Waren herüberschleppten. Wir möchten hier noch eine Quelle der Einwirkung erwähnen, der gewöhnlich zu wenig Rechnung getragen wird. Das sind die früheren, heute kaum mehr recht bekannten Nutzungen durch den Menschen. Denken wir nun an das früher geübte Sammeln der wilden Pflanzen, das Sammeln von Wurzeln, Früchten, Blättern und Zweigen als Nahrung von Mensch und Vieh. Das heute noch geübte Ausgraben der Wurzeln der hohen Enzianarten, durch das mancher Standort vernichtet wurde, möge ein Beispiel sein. Dem steht gegenüber das Schonen, ja auch das Anpflanzen mancher Sammelpflanze.Von sehr grossem Einfluss war vor allem — und ist zum Teil noch heute — das Lauben und Schneiteln verschiedener Baumarten zur Gewinnung von « Laubheu ». Es beschränkte sich nicht auf Laubbäume; die Weisstanne ist z.B. durch das Verfüttern ihrer Zweige oft schonungslos in den Hintergrund gedrängt worden. Umgekehrt haben dann in die bebuschten Weideflächen Laubhölzer wie Haselnuss, Grauerle, an feuchteren Orten die Alpenerle der Laubfutterwälder Eingang gefunden an Stellen, wo einst Nadelholz stand. Ganze Talhänge sind heute mit solchen Laubholzbeständen bedeckt, und in ihnen finden zahlreiche Arten, die hier sonst fehlen würden, ihnen zusagende Standorte.

Diese Einflüsse begleiten den Menschen bis hinauf in die alpine Stufe. Wohl nimmt mit der Nutzung auch die gewollte Beeinflussung schliesslich ab, aber ihre Wirkung ist dafür eine verhältnismässig stärkere. Denn hier oben, wo die Pflanzenwelt im Kampf mit der Natur ohnehin unterzugehen droht, hat jeder Eingriff des Menschen um so grösseres Gewicht. Es ist von grossem Interesse, hier zu verfolgen, wie weit die Nutzungsarten gehen können. Das Lauben, das gänzlich an die unteren Stufen gebunden zu sein scheint, wird bisweilen bis in die alpine Stufe hinein geübt. Ein Beispiel aus dem Wallis möge das zeigen:

Hermann Christ, der verehrte Nestor der Schweizer Botaniker, beschreibt in einem Brief ( im Jahre 1917 ) anschaulich das Lauben, das durch die Bewohner des Saastales ausgeübt wird: « Um die kleine Gemeinde Almagel ( zirka 1700 m ) fehlen bereits die Laubbäume ganz. Daher greifen die Leute zu der einzigen etwas ausgiebigen Laubpflanze: Salix helvetica. Diese Weide bildet am Ostufer des Mattmarksees einen bedeutenden Bestand: den weitaus grössten, den ich in der Schweiz sah, vermischt mit niedrigerer S. myrsinites. Sie wächst zirka 60 cm hoch, aber ungemein dicht und eine sehr grosse vegetabilische Masse bildend. Das Laub ist bekanntlich derb, trocken, fast hart. Dies ist nun der ,Laubwald', in dem die Almageier lauben. Sie streifen die kleinen, dicht stehenden Blattzweige ab, hauen sie vielleicht auch ab, trocknen dies Laub dann mehr oder weniger, sei es im Freien zwischen den Felsblöcken oder etwa an der Wand eines Stadels, und tragen es im August, wenn es durch Trocknen leichter geworden ist, in sehr grossen, oben stark offenen Traghutten in Lasten von weit über 50 Kilo die drei starken Stunden aus 2100-2200 m Höhe auf sehr mühsamem Weg nach Hause als Winterfutter für das Vieh, ohne Unterschied von Gross- und Kleinvieh. Das Laub dieser Weide ist bitter und vermischt mit kleinen Zweigen, die hart und sparrig werden. Das schadet aber nichts. Die Verrichtung heisst loubon. » Wir sehen also, dass selbst kleine Zwergweiden in den Alpen sogar heute noch zur Nutzung dienen müssen, also noch einen gewissen wirtschaftlichen Wert haben. Wie muss es früher gewesen sein '?

Im Wechsel der Zeiten ändert sich auch der wirtschaftliche Wert der Alpen. In früheren Jahrhunderten handelte es sich darum, möglichst grosse Ländereien der landwirtschaftlichen Nutzung durch Entfernung der Bäume zuzuführen, auch wenn dadurch nur eine ganz wenig ergiebige Weide zustande kam. Waldzerstören hiess eine Kulturtat vollbringen, schuf sie doch eine Nahrungsvermehrung. Heute geht man zu andern Anschauungen über. Die grosse Bevölkerungsdichte und die Erschliessung der Alpen durch Verkehrswege geben dem Holze und damit dem Walde einen ganz andern Wert, die Nahrung aber kann aus entfernten Erdteilen zugeführt werden. Die landwirtschaftlichen Kulturflächen der Alpen werden daher heute anders betrachtet: sie müssen intensiv bewirtschaftet werden, und da die Arbeit im Preise gestiegen ist, beginnt man mit ihr zu sparen und die grössere Intensität durch grössere Düngermenge zu erreichen. Eine solche Bewirtschaftung lohnt sich nur bei gutem Boden und in guter Lage. Auch das Vieh wird heute intensiv gezüchtet und ist demnach anspruchsvoller geworden. Immer mehr beschränkt sich der Landwirt auf die Gebiete mit gutem Boden in erschlossener Lage; uraltes Kulturland mit geringerem Boden in abgelegenen Tälern hat oft kaum mehr einen wirtschaftlichen Wert, es wird schlecht oder gar nicht gepflegt. Vielerorts nimmt die landwirtschaftliche Bevölkerung deshalb in erschreckendem Masse ab, und die Auswanderung wird zu einer immer wichtigeren Frage der Alpenländer.

Die ehemals starken Abholzungen scheinen dem heutigen Menschen sinnlos gewesen zu sein — so schnell vergisst er die früheren Zustände — und ganze Flächen werden, mit Hilfe des Staates, aufgeforstet. Heute betrachtet man es als einen Fortschritt, wenn die kaum mehr genutzten Flächen, die Generationen von Menschen mit den primitivsten Mitteln in landwirtschaftlich bebautes Land umgewandelt hatten, wieder mit Bäumen bepflanzt werden. Mancherorts, besonders in den tieferen Stufen, breiten sich die Wälder auch von selbst aus, da man sie nicht mehr künstlich zurückhält.

Als man vor einigen Jahrzehnten Naturreservate schuf, schien es nötig, selbst die Beweidung einzelner, schon bestehender Wiesenflächen zu verbieten, glaubte man doch schon dadurch die Natur in Gefahr. Gehen wir aber in der heutigen wirtschaftlichen Richtung weiter, so wird der Schutz bald dem Alpenmenschen und seiner uralten Kultur gebühren. Seine althergebrachten Haustypen und Siedlungsformen, seine selbstgefertigten und erprobten Geräte, Gewebe, Kleider, seine Sitten und seine innere Kultur, das Ergebnis einer jahrtausendelangen Kulturentwicklung, drohen zu verschwinden. Damit wird aber auch die Alpenflora seiner Umgebung sich wieder ändern.

Zu den wirtschaftlichen Einflüssen — Nutzung, Beweidung, Düngung, Tritt von Mensch und Vieh — gesellen sich noch die durch die Wanderer, die Pflanzenliebhaber und die Gelehrten mehr oder minder bewusst ausgeübten. Wenn man zeigen konnte, dass die Bodenbakterienflora in der Nähe der Klubhütten mehr als tausendfach zunimmt gegenüber der in den sterilen Geröllhalden der weiteren Umgebung, so beginnen wir diesen grossen Einfluss zu ahnen. Als erbarmungsloser Zerstörer der alpinen Flora tritt der Mensch besonders dann auf, wenn er massenhaft für den Verkauf sammelt, seien es besonders schöne und begehrte oder aber heilkräftige Arten. Schlimmer haust hie und da der Sammler, der Hunderte von Exemplaren mitnimmt, schlimmer, weil er sich eher von den Folgen Rechenschaft geben könnte.

Der Naturfreund zerstört aber nicht nur so manches, er verhilft auch den Pflanzen hie und da zu neuen Standorten, bewusst und unbewusst. Wir nennen nur die Anemone-Arten und das Federgras, deren mit zierlichen, federartigen Anhängseln gezierte Früchte massenhaft als Hutschmuck verwendet und weit fortgetragen, bisweilen sogar verhandelt werden. Die mit der Zeit abfallenden Samen finden neuen Lebensboden.

Wir haben durch diese wenigen Hinweise, denen sich noch zahlreiche zufügen liessen, zu zeigen versucht, einen wie grossen Einfluss der Mensch direkt und indirekt auf die Flora und Vegetation ausübt, soweit seine Interessensphäre geht; und diese macht selbst an der Grenze des ewigen Schnees nicht halt. So lange es Menschen gibt — und dies ist in den Alpen wahrscheinlich seit der letzten Glazial- oder selbst Interglazialzeit der Fall — haben sie so eingewirkt, bewusst und unbewusst. Wohl ändern sich die Zeiten, wohl wechselt die Art der Nutzung und auch die psychische Einstellung des Menschen zur Alpenflora. Aber die Tatsache der Beeinflussung bleibt bestehen und damit ist auch das Pflanzenkleid selbst der alpinen Stufe heute noch einer fortwährenden Wandlung unterworfen.

Der Wechsel der Flora unter dem unmittelbaren Einflüsse der Natur ist in erster Linie eine Folge der meist langsamen, aber stetigen Änderungen der Erdoberfläche. Die Abtragung und Aufschüttung nach der letzten Eiszeit ist gering anzuschlagen im Verhältnis zu der mächtigen Erosionstätigkeit vor dieser Zeit; erkennen wir doch noch so gut die Moränen, Gletscherschliffe, Talformen usw. der letzten Glazialzeit. Aber doch waren diese Wandlungen unmittelbar nach der Eiszeit bedeutend stärker als in der Gegenwart. Die Bodenoberfläche ist heute ruhiger geworden, die Bodenbildung konnte dadurch kräftiger einsetzen, und die Bewachsung wurde viel dichter. Mit dieser Umwandlung wird aber der Boden immer reifer, im feuchten Klima vor allem ärmer an Alkalien, besonders an Kalk. Die Auslaugung und die Rohhumus-bildung, die Podsolierung schreitet vorwärts. Mit dem Ausreifen der Böden werden diese immer einseitiger und die Flora gleichmässiger, aber auch ärmer. Einst geschlossene Pflanzenareale können im Laufe dieser Wandlungen zerteilt und in Inseln aufgelöst werden. Die Pflanzenwanderungen werden oft aufgehalten, und man kann sich sehr wohl denken, dass solche Änderungen des Bodens die Ursache für Änderungen der Vegetation abgeben. Allerdings treten heute solche Wandlungen in den meisten Fällen nicht mehr so deutlich hervor, verschwindet doch der Einfluss der Natur nur zu oft hinter dem übermächtigen Einfluss des gewalttätigen Menschen.

Die letzte Frage muss diejenige nach der Änderung des Klimas in der Gegenwart sein. Sie ist am schwierigsten zu beantworten. Leicht ist besonders der Laie bei der Hand, das Aussterben von Kulturrassen, die heutige Un-ergiebigkeit ehemaliger Weiden, das Verlassen alter Passübergänge und manches andere mit einer Klimaänderung in Zusammenhang zu bringen. Eine starke Zurückhaltung gegenüber solchen Schlüssen scheint uns richtig zu sein. Wir kennen keine Tatsachen, durch die eine Wandlung der Alpenflora der Jetztzeit mit einem Wechsel des Klimas verknüpft wäre.

Heinrich und Marie Brockmann-Jerosch.

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