Zimba-Überschreitung
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Zimba-Überschreitung

Hinweis: Dieser Artikel ist nur in einer Sprache verfügbar. In der Vergangenheit wurden die Jahresbücher nicht übersetzt.

VON WILLY VAN LAER, BURGDORF

Im Gedenken an Hans Bühlmann, tödlich verunfallt am Bergseeschijen am 8. September 1968 Mit I Kohlezeichnung und 2 Bildern ( 43 und 44 ) Dem Namen Zimba begegnete ich erstmals in Toni Hiebelers köstlich geschilderten Jugenderinnerungen « Abenteuer Berg », und als ich dann das Bild der Zimba in Walter Pauses « Hundert Genussklettereien » fand, tauchte sogleich der Wunsch in mir auf, diesen kühnen Kalkgipfel, das Matterhorn des Montafons, in natura kennenzulernen. Auch meine vier Gefährten wohlgerate-ner Kletterfahrten liessen sich begeistern, als ich ihnen den Plan einer Zimba-Traversierung vorlegte.

Bei Tagesanbruch des letzten Julisonntags ( 1967 ) starteten wir in Burgdorf und durchquerten die Schweiz in einem Zug, um dann durch ein Stücklein festlich bewegtes Liechtenstein ins Vorarlbergische zu steuern.

Bis Bludenz folgten wir der Arlbergstrasse und bogen alsbald nach rechts ab - ins Montafon. Im Dorf Vandans mit seinen schmucken, ans Engadin gemahnenden Häusern nimmt das Rells-tal-Strässchen seinen Ursprung. Am Rande einer waldigen Schlucht führt es durch prächtigen Tannenforst in einigen Kehren steil empor, genau wie die Wege in unsern Walliser Seitentälern, und folgt dann auf etwa 800 Meter Höhe in sanfterer Steigung erst der linken Talflanke, dann der Talsohle.

Nach drei Kilometern, hinter der Voralp Ruggel ( 1420 m ), ist für uns das Strässchen zu Ende, denn schon sind wir mitten drin in den grauschimmernden Felsgipfeln, die im Westen und Norden über dunklen Wäldern und smaragdgrünen Weiden dolomitenhaft aufsteigen.

Wir parkieren unser Gefährt und nehmen nach kurzer Rast den Hüttenweg unter die Füsse, der uns in einer knappen Stunde zur Heinrich-Hueter-Hütte des DÖAV führt, auf 1764 Meter.

Es ist erst 10 Uhr, und meine jüngern Freunde sind angesichts der lockenden Gipfel und des herrlichen Wetters voller Tatendrang.

Derweil sie die nahe Felsbastion des Saulakopfes ( 2517 m ) durch den Ostwandkamin erklettern, schlendere ich die Weidhänge südlich der Hütte empor. Geniesserisch in das federnde Geäst einer Legföhre geschmiegt, kann ich im untern Teil der Wand den Aufstieg der Kletterer verfolgen, bis sie in der Tiefe einer Schlucht meinen Augen entschwinden.

Im Norden offenbart sich mir hier, 200 Meter über der Hütte, die Zimba in ihrer ganzen Schönheit. Wie eine eherne Glocke ist der stolze Gipfel einem mächtigen Sockel aufgestülpt; zur Linken schwingt sich der Westgrat, der Normalweg, steil empor, rechts der schwierigere, stark zerhackte und bedeutend längere Ostgrat. Es drängt mich, zum Zeichenstift zu greifen, um dieses Bauwerk aus senkrechten Pfeilern, unterbrochen von horizontalen Schichtbändern, völlig in mich aufzunehmen. Ringsum breitet sich eine noch üppige Alpenflora. Aus dem Schatten der Legföhrenbüsche leuchtet das Scharlach der Steinrosen; in reicher Menge blüht die weisse Silberwurz, und grosser und kleiner Enzian beleben das Bild mit ihrem unvergleichlichen Azurblau. Arnika, Rapunzeln und die Goldkugeln der Trollblume vollenden die Skala der Farben. Hellschimmernde und rostbraune Falter gaukeln sorglos von Kelch zu Kelch. Zimba - MontafonNamen wie Musik, die mit dem Summen der Bienen, dem leisen Säuseln des Höhenwindes und fernen Herdengeläute zu einer friedvollen Harmonie zusammenklingen.

Der Abend vereinigt uns wieder in der stark besetzten Hütte; wir machen Bekanntschaft mit dem sympathischen Hüttenwart Wendelin Tschugmell, der uns nicht nur gut verpflegt, sondern sich anderntags auch als flotter, zuverlässiger Bergführer bewährt.

Am Montag in der Frühe lacht uns wiederum das Wetterglück; nur vereinzelte weisse Wolkenschiffchen segeln durch die Bläue des Himmels.

Wir verlassen die Hueter-Hütte um 6 Uhr Richtung Zimba-Nordgrat. Bald verliert sich das dürftige Steiglein in Geröllhalden. Der Aufstieg wird mühselig: er führt abwechselnd über steile Gras- und Geröllhänge, dann wieder durch schneegefüllte Runsen und über Felssätze zur « Neyerscharte » empor ( 2300 m ). Nordwärts taucht hier der Blick in den öden Kessel des Steintäli, den obersten Teil des Sarotlatales. Eine Gemse hat uns gewittert; wir hören sie nur noch um eine schützende Felsecke entschwinden.

Nach einer kleinen Stärkung machen wir uns kletterfertig. Als Senior darf ich ans Führerseil; die Kameraden folgen in zwei Zweierseilschaften. Einen ersten Steilaufschwung umgehen wir auf der Nordseite wegen der lehmverschmierten Schuhe. Nachdem wir die Kante wieder erreicht haben, beginnen wir mit der Genusskletterei, der wir uns freudvoll hingeben.

Der Felsgrat zeigt hervorragende Festigkeit; Griffe und Tritte sind solid und sicher. Es klettert immer ein Mann die volle Seillänge und sichert alsdann den Gefährten. Die Gratschneide, meist schmal und exponiert, weist in stetem Wechsel die mannigfaltigsten Hindernisse auf: Türmchen und Zähne, die bald überklettert, bald auf schmalem Bande umschlichen werden; jähe Felsplatten, Risse, Verschneidungen. Die « Abseilstelle », eine leicht überhängende Nase, klettern wir zum Zeitsparen hinunter - es sind nur wenige Meter; den « Roten Turm » umgehen wir in der Südflanke. Ein rasendurchsetzter, mächtiger Buckel ist in guten Erdstufen leicht zu ersteigen, bei Nässe jedoch gefürchtet. Noch einige Gendarmen, eine letzte Scharte - und wir betreten den Gipfel der Zimba ( 2643 m ) und schütteln einander freudestrahlend die Hände.

Wendel, der Führer, zaubert fürsorglich Tee mit Zitrone aus seinem Rucksack - ein Genuss für die ausgedörrten Kehlen. Eine Seilpartie ist über den Westgrat aufgestiegen; wie die Leute hören, dass ein Siebziger dabei ist, kommen sie freundlich gratulieren.

Es ist 11 Uhr. Von den fünf Stunden des Aufstieges hat uns der Anmarsch in die Neyerscharte die Hälfte gekostet; die Gratkletterei bewältigten wir somit in guter Zeit.

Hochsommerlicher Dunst raubt uns leider den Blick in die Weite.Von den Kreuzbergen, den Bündner Alpen, dem Fervali, den Lechtaler und Allgäuer Bergen sind nur Schatten wahrnehmbar. Doch die nähere Umgebung mit trutzigen Einzelgestalten wirkt um so imponierender: Da ragen die Drei Türme, der Saulakopf, der Seekopf über den Lünersee, der Brandner Mittagsspitz und an der Schweizer Grenze im Süden die Sulzfluh, im Südwesten die Schesaplana.

Um die Mittagszeit verlassen wir den Gipfel und wenden uns dem Westgrat zu. Bald haben wir die früher aufgebrochene Viererseilschaft überholt. Im ziemlich leichten Fels zeugen Steigspuren von zahlreichen Begehungen. Sie führen immer wieder in die Westwand hinein, bald auf Bändern über lotrechten Abbrüchen, dann wieder über Grätchen und durch kurze, gestufte Kamine. Zuunterst gibt 's noch ein beschwingtes Abseilen über 20 Meter; nach einer kurzen Querung stehen wir auf dem grasigen Rücken des Zimbajoches ( 2387 m ), aus dem der Gipfelblock sich emporschwingt. Hier treffen wir auf einen Pfad, den Passübergang vom Sarotla- ins Rellstal. Er führt uns im Zickzack durch Felsen und Geröllhalden zu unserem Ausgangspunkt, der Hueter-Hütte, zurück, wo wir uns um 14 Uhr zum wohlverdienten Mittagsmahl setzen können.

Eine kräftiger Gewitterregen am Nachmittag überzeugt uns, dass es schade wäre, heute schon heimzukehren. So kommen wir noch zu einem recht vergnüglichen Hüttenabend bei schäumendem Gerstensaft und lustigem Gesang zum Klange der Gitarre. Zwei meiner Kameraden begleiten dann noch in vorgerückter Stunde ein paar leicht schwankende Gestalten ( nicht Bergsteiger !) zu ihrem Absteigequartier, dem Berggasthaus Rellstal, hinunter.

Anderntags - es ist der 1. August - steigen wir gemütlich zu Tal, mit viel Bergglück und viel Dank im Herzen.

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