100 Jahre alt und immer noch revolutionär
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100 Jahre alt und immer noch revolutionär Die Daunenjacke und ihr Erfinder George Finch

Die Daunenjacke wird 100 Jahre alt. Sie ist allgegenwärtig, im Hochgebirge und in den Städten. Doch die gefütterte Jacke hat ihrem Erfinder, dem australischen Bergsteiger und Chemiker George Finch, auch Spott eingebracht.

Die Daunenjacke. Wenn die kalte Jahreszeit anbricht, ist sie wahrscheinlich das am weitesten verbreitete Kleidungsstück. Als Jacke, als Weste, als Mantel oder auch als Jupe sind Daunen das Nonplusultra. Angesagt sind sie im Hochgebirge ebenso wie auf der Strasse. Bergsteiger, Modebewusste, vom Kind bis zur Seniorin, jede und jeder hat heute eine Daunenjacke.

Das Must-have feiert dieses Jahr seinen 100. Geburtstag. Doch es hat lange gedauert, bis es sich durchsetzen konnte. Bis die Daunenjacke zu einem Modephänomen wurde, war sie ein Nischenprodukt, das für grosse Höhen bestimmt war. Ursprünglich hatte sie der australische Bergsteiger und Chemiker George Finch für die britische Everest-Expedition im Jahr 1922 entwickelt, wie Robert Wainwright in der Biografie The Maverick Mountaineer 1 schreibt. Trotz dem Spott seiner Begleiter, darunter auch der berühmte George Mallory, war Finch von seiner Erfindung überzeugt.

In der erlesenen Szene der britischen Alpinisten war George Finch nicht unumstritten. Er stammte aus Australien, hatte einen Abschluss in Chemie an der ETH Zürich und war ein brillanter Kopf. Seine Vorliebe galt dem Klettern ohne Bergführer, und er scheute sich nicht, seine Meinung zu sagen. Als ihn 1913 eine englische Zeitschrift bat, eine Kolumne zu diesem Thema zu verfassen, schrieb der 25-Jährige: Wer mit Bergführer unterwegs ist, kann sich rühmen, «ein guter Wanderer zu sein», indem er «geduldig den Schritten seines Führers folgt», um «einen x-beliebigen Gipfel der Alpen zu besteigen». Finch kam zum Schluss, dass «die Auffassung, wonach die Alpen ein Jagdrevier für wohlhabende Männer in mittlerem Alter sind, tot ist».

Diese Offenheit brachte ihm im britischen Alpine Club und in der Royal Geographical Society Feindschaften ein. 1921 wurde er deshalb bei der ersten britischen Everest-Expedition übergangen. Für die Folgeexpedition 1922 wurde er dann trotz allem ins Team aufgenommen.

Unermüdlicher Erfindergeist

Finch setzte sein Wissen und seinen Einfallsreichtum ein. Zuerst verbesserte er die Kocher, damit sie in den grossen Höhen des Himalaya funktionierten. Dann erkannte er den Vorteil von Flaschensauerstoff und begann, ein geeignetes System zu entwickeln. Im Team stiess dies allerdings nicht nur auf Zustimmung, da einige Mitglieder den Einsatz von Sauerstoff ketzerisch fanden.

Finch vernachlässigte kein Detail. Seine ersten Hochtouren in den Schweizer Bergen hatten ihn gelehrt, dass «ein warmer und dicker Mantel von unschätzbarem Wert sein kann» und «dass ein Wollpullover unter einer Jacke aus winddichtem Segeltuch nicht nur leichter, sondern auch wärmer ist und besser schützt als der traditionelle Kittel aus Tweed», der eher für «einen Spaziergang auf einem Boulevard» geeignet sei, wie sein Biograf berichtet. Die anderen Expeditionsteilnehmer beabsichtigten, «mehrere Lagen Pullover, Schals und sogar Pyjamas, und darüber einen Anzug aus Norfolk-Tweed» zu tragen, «um auf über [7900 Meter] aufzusteigen».

George Finch liess sich nicht bremsen: Er liess sich einen mit Daunen gefütterten Ganzkörperanzug anfertigen. Das brachte ihm schiefe Blicke ein. Als Arthur Hinks, der Sekretär der Royal Geographic Society, das Paket mit der «knielangen, mintgrünen wattierten Jacke aus gestepptem Gewebe für Heissluftballons», «deren sorgfältig vernähte Lagen mit Daunen gefüllt waren», und den «passenden Hosen und Handschuhen» in Empfang nahm, hielt er sich mit Spott nicht zurück. «Sorge bitte dafür, dass der offizielle Fotograf ein Foto von Finch in seinem patentierten Kletteranzug und mit seinem Sauerstoffgerät schiesst», schrieb er dem Expeditionsleiter Charles Bruce.

Von Spott zu Neid

Die Skepsis gegenüber dem Sauerstoff hielt bis etwa 7000 Meter Höhe an, der Spott in Bezug auf die Daunenjacke wich aber rasch. «Heute war es bitterkalt und windig […]. Alle beneiden mich jetzt um meinen Daunenmantel und niemand macht sich mehr darüber lustig», schrieb George Finch, während das Expeditionsteam zum Fuss des Everest vorrückte. «Nicht ein einziges Lüftchen Wind dringt durch ihn hindurch», bemerkt seinerseits der Fotograf John Noel.

Bei einem ersten Gipfelversuch erreichten George Mallory, Howard Somervell und Edward Norton ohne Sauerstoff 8225 Meter. Einige Tage später kletterten George Finch und Geoffrey Bruce mithilfe von Sauerstoff bis auf 8326 Meter. Ein dritter und letzter Versuch unter der Leitung von Mallory und Somervell wurde abgebrochen, nachdem eine Lawine mehrere Sherpas mitgerissen hatte.

1924 kam eine neue Expedition zustande. George Mallory führte sie an, während George Finch wieder nicht berücksichtigt wurde. Mallory hatte sich inzwischen zur Verwendung von Sauerstoff bekehrt. Trotz der überzeugenden Leistung von Finchs Daunenjacke zwei Jahre zuvor, rüsteten sich die Bergsteiger aber nicht damit aus. George Mallory und sein Begleiter Andrew Irvine starben in ihren Tweedanzügen in den Gipfelhängen des Mount Everest.

Fast 30 Jahre später, im Jahr 1953, gelang es Edmund Hillary und dem Sherpa Tenzing Norgay schliesslich, das Dach der Welt zu erklimmen. Beide waren mit Daunenjacken und Sauerstoffmasken ausgerüstet.

Immer noch unübertroffen

George Finch setzte seine Karriere als Professor für physikalische Chemie am renommierten Imperial College London fort und wurde 1959 Präsident des Londoner Alpine Club. Die Daunenjacke entwickelte er zwar nicht weiter, aber andere übernahmen diese Aufgabe. 1940 liess der Amerikaner Eddie Bauer eine solche Jacke patentieren.

Das Kleidungsstück war revolutionär. «Die Daunenjacke ermöglicht es, maximale Wärmeleistung mit minimalem Gewicht und maximaler Komprimierbarkeit zu verbinden, das sind drei zentrale Kriterien für Bergsteiger», sagt Tamara Schneeberger, Verantwortliche für Bekleidung bei Yosemite in Lausanne. Und Yannick Arbel, Leiter der Wanderabteilung bei François Sports in Morges, erklärt: «In technischer Hinsicht handelt es sich um Daunenfedern und Luft, die zwischen zwei Textillagen eingeschlossen sind. Das Prinzip ist einfach, aber sehr effektiv.»

Bis Anfang der 2000er-Jahre war die Daunenjacke fast ausschliesslich im Hochgebirge verbreitet. Mit dem Aufkommen der Hardshelljacken, die wasserdicht, aber nicht wärmend sind, begann ein neues Zeitalter für sie: Sie lässt ihren Träger nicht mehr wie ein Michelin-Männchen aussehen, sondern spielt eine wichtige Rolle als wärmende Kleidungsschicht. Von da an hat die Daunenjacke auch das Flachland erobert. «Sie ist ein Modeaccessoire geworden. Alle tragen sie. Früher war sie oft schrill und sehr dick, heute ist sie in schönen Farben zu haben und viel universeller tragbar», sagt Yannick Arbel.

Mittlerweile hat die Daunenjacke in jedem Bergrucksack ihren festen Platz. «Die Erfindung ist so perfekt, dass sie bis heute durch nichts zu ersetzen ist.» Synthetische Modelle versuchen zwar regelmässig, mit der meisterhaften Erfindung mitzuhalten, aber bis jetzt ist es noch keinem Produkt gelungen, die 100-jährige Königin vom Thron zu stossen. Und eines ist sicher: George Finch hätte bestimmt einige Ideen, wie man sie noch weiter verbessern könnte.

Autor / Autorin

Martine Brocard

Der Australier, der Schweizerdeutsch sprach

George Finch wurde 1888 geboren und verliess seine australische Heimat, um mit seiner Familie ein Sabbatjahr in Europa zu verbringen. Als leidenschaftlicher Leser von Edward Whymper machte er mit seinem Bruder Max bald erste Erfahrungen im Gebirge, vorwiegend in der Schweiz. Vom Wunsch beseelt, selbstständig zu klettern, bildeten sie sich beim Berner Bergführer Christian Jossi weiter. 1907 begann George ein Chemiestudium an der ETH Zürich. Die Nähe zu den Alpen hatte den Ausschlag gegeben, wobei er auch Oxford erwogen hatte. Der junge Mann, der fliessend Schweizerdeutsch sprach, wurde Mitglied und später Präsident des Akademischen Alpenclubs Zürich. 1911 schloss er sein Studium als Jahrgangsbester ab. Als der Krieg ausbrach, verlegte er seinen Wohnsitz nach London und stellte seinen Erfindungsreichtum in den Dienst der britischen Armee, wo er als Experte für Bomben tätig war. Zeit seines Lebens blieb er mit der Schweiz eng verbunden und hielt 1965 in Genf eine Ansprache anlässlich des 100-Jahr-Jubiläums der dortigen SAC-Sektion.

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