Alpine Unglücksfälle 1892
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Alpine Unglücksfälle 1892

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Von den 24 Unglücksfällen mit tödlichem Ausgang, welche Touristen und Führern im Verlauf des letzten Jahres zugestoßen sind ( man vergleiche die Liste in der Ö. T. Z. XII, Nr. 20 ), können wir als nicht alpin die Fälle ausnehmen, die sich beim Blumen-, namentlich Edelweißpflücken an gefährlicher Stelle ereignet haben, oder über welche keine genügenden Nachrichten vorliegen. Es gehören dahin die 6 Todesfälle: Gogel in der Kranebitterklamm bei Innsbruck, Melly am Salève, Schernthaner bei Ferleiten, Frau Ulrich am Vilan, von Rhonn in einer Schlucht bei Zermatt, Dreßig am Ardetzenberg bei Dornbirn. Von den übrigen Todesfällen gehören 8 dem Hochgebirge, 10 den Vor- und Mittelalpen an.

1 ) 2. Juli. Grimming ( im Salzkammergut ). Der 68jährige, aber noch sehr rüstige Herr Ferdinand Geyer, ein geübter Alpinist, hatte mit dem Führer M. Lieber die Besteigung glücklich ausgeführt und wollte durch die etwas schwierige und noch mit Schnee bedeckte „ Breite Rinne " absteigen, glitt aus und stürzte in die Randkluft, mit dem Kopf auf Felsen aufschlagend. Der Führer blieb bis morgens 4 Uhr bei ihm und holte dann Hülfe, aber der Verunglückte starb kurz nach deren Ankunft. M. Lieber selber starb 8 Tage später an den Folgen des Schreckens und der Kälte. Ö.A.Z. Nr. 352.

2 ) 3. Juli. Grande Casse ( Tarentaise ). Beim Aufstieg über einen steilen Gletscher, welchen drei Offiziere und ein Soldat des 13. Jäger-bataillons, mit Seil und Pickeln ausgerüstet, unternahmen, wurden die Lieutenants Rosier und Porcher von einem herabfallenden Eisblock erschlagen, die beiden andern leicht verwundet. Ö.A.Z. Nr. 201.

3 ) 26. Juli. Spiegelkogel ( Ötzthal ). P. Eugen Zelnicek, Cisterzienser aus Lilienfeld, und der Führer Rochus Raffeiner vulgo Schmid-Rochel aus Karthaus verließen Vent, um über das Ramoljoch nach Gurgel oder über das Gurglerjoch ins Pfosten- und Schnalserthal zu gehen. Am 1. August wurden ihre Leichen auf dem Spiegelferner gefunden, wohin sie mit einer Schneewächte 400 m tief abgestürzt waren. Ö. T. Z. XII, Nr 16.

46. August. Dreithorspitzen ( im Wettersteingebirge ). Studiosus Wisbeck aus München, tüchtiger Kletterer, hatte mit zwei Freunden sämtliche Dreithorspitzen, zum Teil auf neuen Wegen, überschritten, als er beim Passieren eines 200 ' " langen Felsrückens, der für Geübte ungefährlich ist, plötzlich lautlos nach rechts über die Wand abfiel und unten auf dem Geröll tot liegen blieb. Seine Begleiter vermuten, daß er sich mit einer Zacke seines Steigeisens in einer Felsritze verfing. M. D. Ö.A.V. Nr. 17.

5 ) 18. August. Grivola. Der Bankier G. Brock von Berlin, geübter Bergsteiger, hatte, mit den Führern Fr. Bich von Valtournanche und Adr. Proment von Courmayeur, von Val Savaranche aus über die Südvvestseite den Gipfel erreicht, wie ein am 19. von einer andern Partie, die aus dem Val de Cogne aufstieg, gefundenes Billet beweist. Bei längerm Ausbleiben gesucht, wurden am 29. August die Leichen unter einer Schneebrücke im Bergschrund am Fuß des großen Couloirs gefunden, welches die Ostwand durchsetzt. Wahrscheinlich waren die Verunglückten von der Lawine erfaßt worden. R.M. Nr. 9.

6 ) 26. August. Mont Blanc. Prof. R. L. Nettleship aus Oxford, mit Gaspard Simon und Alfr. Comte von Chamonix, war bei gutem Wetter frühmorgens vom Col de Vossaz aufgebrochen und geriet gegen 1 Uhr nachmittags zwischen Aiguille de Goûter und Dom de Goûter in Nebel und Schneesturm. Außer stände, sich weiter zu bewegen, brachten sie die Nacht in einem Schneeloche zu und setzten am Morgen ihren Marsch fort. Aber nach kurzer Zeit stürzte Prof. N. zusammen und starb an einem Herzschlag infolge von Erschöpfung. Es scheint, daß es dem Touristen an Kräften und den Führern an Umsicht und Energie gefehlt hat. Ö.A.Z. Nr. 357.

7 ) 3. September. Plattachspitze ( Wettersteingebirge ). Dr. J. Mainzer, ein ausgezeichneter Hochtourist und besonderer Kenner dieses Gebietes, hatte mit Jos. Dengg vulgo Zeisele Seppe aus Garmisch die Plattachspitze erreicht, wo er von Jägern beobachtet wurde. Seitdem waren sie vermißt, bis am 20. September nach langem Suchen die Leichen an der Nordseite der westlichen Plattachspitze aufgefunden wurden. Als Ursache der Katastrophe wird der Neuschnee, sei es durch Ausgleiten in demselben oder eine Lawine angenommen; möglich auch, daß Dr. Mainzer sich mit den Steigeisen im Wettermantel verfing und im Fallen Dengg mitriß. M. D. Ö.A.V. Nr. 18.

8 ) 6. September. Fünffingerspitze ( .Dolomiten ). Egon Stücklen aus Stuttgart, ein 18jähriger, vielversprechender Tourist ( er hatte im Juli u.a. am Fluchthorn einen neuen Anstieg von der Scharte aus gefunden und den südlichen Gipfel traversiert. M. D. Ò. A. V. Nr. 15, p. 177 ), unternahm mit dem tüchtigen, aber offenbar etwas verwegenen Sepp Innerkofler aus Landro trotz Neuschnee die schwierige Tour und beide stürzten im Aufstieg an der Traversierstelle, die zur Daumenscharte führt, ab, etwa 200 m tief bis an den Fuß der Wand, wo ihre zerschmetterten Leichen am 7. Juli von den auf die Suche gegangenen Herren E. Artmann und Dr. Savor gefunden wurden, welche auch den Transport zu Thal in verdienstlicher Weise geleitet haben. Es wird behauptet, daß Herr Stücklen durch vorangegangene Krankheit geschwächt gewesen sei, auch die Möglichkeit ausgesprochen, daß die im Schnee gefährlichen Kletterschuhe den Führer zum Absturz gebracht haben könnten. In der an den Unglücksfall sich anschließenden litterarischen Diskussion wird von dem besten Kenner dieser Spitze, Dr. L. Darmstädter, versichert, daß die „ Traversierstelle beim besten Wetter eminent schwierig und selbst unter den besten Verhältnissen überaus gefährlich sei ", entgegen einer Meinung, wonach „ Griff und Tritte gut seien und bei schönem Wetter mit der nötigen Vorsicht leicht hinüberzukommen sei ". Auch ist konstatiert, daß der Führer seinen Touristen, den er zum erstenmal sah, zu dem Unternehmen trotz der ungünstigen Verhältnisse geradezu aufgemuntert hat. M. D. O. A. V. Nr. 18, 19, 21.

Im Mittelgebirge sind folgende tödliche Unfälle vergekommen:

1 ) 7. Juni. Hochsieinplateau. Herr Alois Czerny, der nach einer Hochschwabbesteigung sich einer Gesellschaft anschloß, die vom Schießtl-hause nach Eisenerz absteigen wollte, blieb während eines Gewitters in der Nähe einer Sennhütte der Hochsteinalp zurück und ist, wahrscheinlich beim Ausblicken nach einem direktem Abstieg zum „ Bodenbauer ", über die Wände des Hochsteins etwa 300 m tief abgestürzt. Das Benehmen seiner Gefährten, die zwar an dem Unglück keine direkte Schuld tragen, wird scharf getadelt, weil sie die Nachsuchungen erstaunlich nachlässig betrieben und über die Gegend des Unfalls irrtümliche Angaben machten, so daß die Leiche des Verunglückten erst am 10. Juni nach langem und gefährlichem Suchen gefunden wurde. Ö. T. Z. Nr. 12 und 13.

2 ) 27. Juni. Bei Gargellen. Herr Hugo Rhomberg unternahm von dieser Ortschaft im Montavon aus, wo er sich zum Kurgebrauch aufhielt, einen Ausflug und ist seitdem verschollen, so daß die Vermutung nahe liegt, daß der junge Mann durch Absturz verunglückte. Ö. T. Z. Nr. 15.

310. Juli. Gappelspitzen ( Montavon ). Ein Schreinergeselle aus Schruns kam auf dem Rückweg, den er mit seinen Gefährten direkt zum Herzsee hinunter nahm, zum Sturze und wurde zerschmettert aufgehoben. Ö. T. Z. Nr. 15.

413. Juli. Raxalpe. Die Herren Fr. Podgorsky, cirka 20jährig, und Rud. Stölzle, 17jährig, waren auf dem Gaislochwege zur Höhe der Höllenthalerwände emporgestiegen und wollten zusammengeseilt auf einer ihnen bekannten Route durch das „ Wilde Gaisloch " absteigen. Dabei müssen sie, ungewiß, welcher zuerst, abgestürzt sein. Beide, namentlich der ältere, waren geübte Bergsteiger. Ö.A.Z. Nr. 354.

516. Juli. Monte Generoso. Herr Lange, Lehrer aus Berlin, hatte mit andern Landsleuten ohne Führer den steilen Aufstieg von Rovio unternommen und stürzte über eine 200 m hohe Wand in eine Schlucht des Madonnathaies hinunter. S.A.Z. Nr. 17.

629. Juli. Oberer Grindelwaldgletscher. Mr. G. Robbins aus Springfield ( Amerika ) stieg mit seinem Neffen John bei einem Besuch der Eisgrotte höher hinauf unter den Absturz und wurde von dem Stück eines im Sturz zersplitternden Eisblocks so an den Kopf getroffen, daß er gleich tot blieb. Ö. T. Z. Nr. 16.

7 ) 13. Aug. Traunstein. Der 19jährige Kadett Adolf Lorenz versuchte, mit einem ebenso jugendlichen Kameraden und völlig ungenügender Ausrüstung, diesen Berg von seiner unzugänglichsten Seite, welche bisher erst einmal erstiegen worden war, zu forcieren, glitt dabei in einer steilen Wand aus, stürzte etwa 100 m tief und verschwand in den Fluten des Traunsees. Sein Gefährte wurde von zwei Arbeitern mittelst Seil herabgeholt. Ö. T. Z. Nr. 17.

8 ) 14. August. Alpeiner Ferner ( Stubai ). Drei sächsische Touristen unternahmen diesen Übergang ohne Führer; auf dem obern Berg ( Alp Stöcklen ) stürzten sie ab; der eine blieb tot, die andern kamen mit Verletzungen davon. Ö. T. Z. Nr. 17.

915. Aug. Heiligenbluter Hochthor. Der 18jährige Gymnasianer G. Novack hatte den Aufstieg in Gesellschaft eines andern Herrn gemacht, war diesem beim Rückweg vor fler Jochhöhe vorangeeilt und stürzte ab, wahrscheinlich beim Versuche, den Weg abzukürzen. M. D. Ö.A.V. Nr. 17.

10 ) 2. Oktober. Todtenkirchl ( Kaisergebirge ). Herr Josef Ehret, 23 Jahre alt, war vom Hinterbärnbad allein und bei dichtem Nebel nach dem Todtenkirchl aufgebrochen und wurde am 5. Oktober tot in einem tiefen Kamin, mit dem Kopf nach unten eingezwängt, aufgefunden. M. D. Ö.A.V. Nr. 20.

Das Hochgebirge hat sonach im Jahr 1892 9 Touristen mit 6 Führern das Leben gekostet; die Voralpen 11 Touristen, die sämtlich führerlos waren. Die aus diesen Unfällen zu ziehenden Lehren sind wohl auch in unserer knappen Behandlung erkennbar für Verständige, die Unverständigen werden nach wie vor durch fremde Erfahrungen nicht klug werden. Doch verdient eins hervorgehoben zu werden. Die Unglücksfälle sind in den Ostalpen zahlreicher gewesen, als in den West- und Centralalpen, und nehmen seit Jahren in jenen Gegenden zu, und zwar, wenn uns nicht alles täuscht, in stärkerer Proportion, als es die touristische Frequenz der dortigen Berge erklären würde. Die Opfer sind dieses Jahr autfallend viel ganz junge Leute. Sollte das nicht eine Folge der in den bayrischen und österreichischen Alpen mehr als bei uns gepflegten sportlichen Richtung des Bergsteigens sein, die gerade bei jugendlichen Anfängern die natürliche Überhebung und Eitelkeit zu steigern geeignet ist, und ferner eine Folge der in der dortigen Litteratur etwa vorkommenden Überschätzung des Allein- und FührerlosgehensRed.

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