Der Gipfel der Gleich­stellung
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Der Gipfel der Gleich­stellung Wenn man den Partner mit dem Berg teilen muss

Manchmal drängt sich der Berg zwischen ein Paar, sät Zwietracht und zwingt einen zu harten Entscheidungen. Peggy Frey war auf der Suche nach Erfahrungsberichten.

«Ich vergesse nie, als er mich am Tag unseres Umzuges im Stich gelassen hat, um mit seinen Freunden das Matterhorn zu besteigen», erinnert sich Florence*. «Ich war so verletzt, dass ich mich lange geweigert habe, mit ihm zu sprechen.» Kein Einzelfall, wenn man mit einem Bergenthusiasten zusammenlebt, das weiss die 30-Jährige aus Chamonix. Auch wenn sie mittlerweile das zeitintensive Hobby ihres Partners akzeptiert hat, war es am Anfang ihrer Beziehung alles andere als einfach. Sobald die Eispickel ausgepackt wurden, begann für die lebensfrohe, junge Frau ein Wechselbad der Gefühle. «Wir haben uns ohne Ende gestritten. Die Berge waren ein unentwegter Zankapfel zwischen uns. Eines Tages habe ich begriffen, dass ich mich mit den Bergen arrangieren muss, wenn ich mit ihm zusammenbleiben möchte.» Das beste Mittel für Florence, um in dieser Situation nicht mehr zu leiden: Freunde treffen und ihr Leben möglichst unabhängig von David* organisieren. «In Chamonix gibt es viele Frauen, die in einer ähnlichen Situation stecken. Das bringt uns einander näher. Wir versuchen, es mit Humor zu nehmen und uns nicht allzu grosse Sorgen um unsere Männer zu machen.»

Das Leben den Bergen gewidmet

Während Florence die Omnipräsenz der Berge in Massen duldet, kann sie für andere auch die Basis für eine felsenfeste Beziehung bedeuten. Für die Freiburger Elisabeth und Alexandre schlug es vor rund 15 Jahren bei der SAC-Sektion Moléson ein wie der Blitz. Beide sind begeisterte Berggänger. Beim Klettern unzertrennlich, beim Bergsteigen immer in der gleichen Seilschaft und beim Skitouren in der gleichen Spur. Die Berge erleben ohne den anderen? Unvorstellbar. Die Wochenenden, Ferien, Abende, der 40. Geburtstag ohne die Kinder, praktisch die ganze Freizeit wird der Leidenschaft geopfert. Isoliert man sich als Paar dadurch denn nicht? «Keinesfalls! Wir fühlen uns pudelwohl in diesem Umfeld, aus dem auch alle unsere Freunde stammen. Die Beziehung zu den Bergen hat unser soziales Leben eher bereichert», schmunzelt Alexandre.

Wenn früher die Verwandten mit den Zähnen knirschten, haben sie sich mittlerweile mit den ständigen Absenzen von Elisabeth und Alexandre bei Familienzusammenkünften arrangiert. «An Weihnachten und grossen Anlässen sind wir anwesend. Aber es stimmt, den Rest des Jahres braucht man bei Einladungen nicht wirklich mit uns zu rechnen.»

Auch in Sophies* Leben standen die Berge meist im Mittelpunkt. Bis zu dem Tag, als ihr Partner bei einer Himalaya-Expedition nicht mehr zurückkehrte. «Wir waren die ­meiste Zeit blank, da wir unentwegt das nächste, noch extremere Projekt planten. Am Freitag wurden die Karten und die Ausrüstung für das Wochenende vorbereitet. Und wenn die Zeit es erlaubte, machten wir uns auf in den Himalaya, um einen 8000er zu erklimmen. Die Berge lieferten das Adrenalin für unsere Verbindung.» Die Walliserin erinnert sich an diese symbiotische Beziehung: «Diese Art von Leben genügte uns vollauf. Einige Berggänger waren neidisch auf uns, weil sie es kaum oder nur mit Mühe schafften ihre Leidenschaft mit dem Partner zu teilen oder wenigstens dessen Akzeptanz dafür zu gewinnen.»

Die goldene Mitte finden

Unter dieser Art von Konflikt litt auch Marco* in seiner früheren Beziehung. «Sobald ich eine Bergtour nur schon erwähnte, war sie gestresst. Es kam sogar vor, dass ich eine Tour im letzten Moment absagte, nur um es ihr recht zu machen. Einmal bin ich mitten auf einer Tour umgekehrt, um nach Hause zurückzukehren, einfach damit keine Krise ausbricht.» Zermürbt durch diesen Mangel an Verständnis verliess der Tessiner am Ende seine Partnerin. «Ich war einfach zu unglücklich, um die Beziehung fortzusetzen.»

Für die eingewanderten Österreicher Murielle und Tony lag der Schlüssel des Erfolgs im Kompromiss. Tony, ein unermüdlicher Berggänger, nahm den Fuss vom Gas und die Partnerin unter seine Fittiche. Sorgfältig trainierte er mit ihr, bis sie sein sportliches Niveau erreicht hatte. Es war ein Liebesbeweis, den Murielle sehr bewegt hat. «Meine Erfahrungen am Berg waren eher bescheidener Natur und von wenig Ehrgeiz geprägt. Als ich Tony kennenlernte, begann ich zu klettern und Ski zu fahren, damit ich mehr Zeit mit ihm verbringen konnte.» Mit 35 entdeckt sie das Bouldern, steht zum ersten Mal auf den Ski und nimmt Skiunterricht.

Dann wechselt Murielle auf Tourenski, montiert die Felle und folgt ihrem Verlobten und Coach. «Es war unglaublich anstrengend. Tony zeigte sich geduldig, aber fordernd. Mehr als einmal haben wir uns gestritten, vor allem dann, wenn er mir zehnmal gesagt hatte, dass wir bald ankommen würden, ich aber noch überhaupt nichts von unserem Ziel sah!» Das Erreichen des Gipfels zauberte jedoch immer das Lächeln zurück in Murielles Gesicht. «Dieser Moment war jedes Mal magisch und liess mich alle Strapazen vergessen.»

Toleranz und Respekt vor den Wünschen des anderen sind das Geheimrezept dieser Beziehung. Abgesehen von den gemütlicheren Touren mit Murielle, geht Tony jedoch weiterhin mit seinen Freunden auf hochalpine Touren. «Ich brauche diese Routen, die gleichzeitig physisch anstrengend und technisch herausfordernd sind, für meinen inneren Ausgleich.» Eine Ansicht, die Murielle nicht teilt: «Die Überwindung einer Herausforderung ist für mich kein Ziel an sich. Ich habe einfach Lust, mich in der Natur zu bewegen und magische Orte zu entdecken. Die Berge sollen ein Vergnügen bleiben.»

Ein unterschiedlicher Ansatz

Viviane* wiederum litt in ihrer Beziehung darunter, dass die Erwartungen auseinanderdrifteten. Als sie Pierre* kennenlernte, schweisste sie der Outdoorsport zusammen. «Im Laufe der Jahre brachte uns jedoch unsere gemeinsame Leidenschaft immer mehr auseinander», erinnert sich Viviane, «es ging so weit, dass sie am Ende einer der Trennungsgründe war.» Der Auslöser dafür war der immer unterschiedlicher werdende Ansatz, wie beide die Berge erlebten. «Für ihn wurde es immer mehr zum Ventil, den Stress loszuwerden, der sich unter Woche im Job angesammelt hatte. Folglich mussten wir dann am Wochenende möglichst schnell auf irgendeinen Gipfel hetzen, während ich davon träumte, mir endlich Zeit nehmen zu können, um jeden Moment geniessen zu können.» Müde vom höllischen Tempo dieser Touren hörte Viviane auf, ihren Partner zu begleiten. «Das Unbehagen wurde immer grösser, wir drifteten immer weiter auseinander und kurze Zeit danach trennten wir uns.»

Florence aus Chamonix erinnert sich ebenfalls an diese Form der Meinungsverschiedenheiten. «Da ich nicht sehr sportlich bin, sollten die Berge nicht zu anstrengend, sondern eher spielerisch begangen werden.» Die wenigen Male, die sie David begleitete, kippte die gute Stimmung sehr bald. «Er versprach mir andauernd, dass alles sehr locker sein würde und wir wunderschöne Orte ausfindig machen würden. Am Ende war die Tour oft viel zu schwierig für mich, und ich konnte die ganze Schönheit um mich herum gar nicht geniessen.» Trotzdem versuchte Florence zu Beginn ihrer Beziehung ihr Bestes zu geben, um David folgen zu können. «Ich erinnere mich daran, auf den langen Touren im Vercors eine Menge Tränen vergossen zu haben. Ich wollte beweisen, dass ich es schaffen würde, aber ich schaffte es nicht.» Mittlerweile sind gemeinsame Touren eine Seltenheit geworden. «Ich spüre genau, dass er sich langweilt. Manchmal habe ich sogar den Eindruck, er nimmt mich nur dann mit, wenn sonst niemand Zeit hat.»

Den Niveauunterschied ausgleichen

Abgesehen von abweichenden Herangehensweisen können sich auch Unterschiede im Niveau problematisch für die Partnerschaft bei der Ausübung eines Outdoorsports auswirken. Sophie* erinnert sich, dass das Klettern mit ihrem Freund manchmal ein bisschen schwierig sein konnte. «Er wärmte sich bei einer 7b auf, während ich Zeit brauchte, um überhaupt die Routen zu schaffen. Bei aller Liebe und Bereitschaft ist es trotzdem immer so, dass sich der Stärkere langweilt, wenn die Niveauunterschiede sehr gross sind!» Das Gleiche stellen auch Murielle und Tony fest: «Seilklettern am Fels ist unmöglich, wenn beide ihren Spass haben wollen. Darum weichen wir aufs Bouldern aus, bei dem jeder sich ausleben und sich weiterentwickeln kann.»

Aurore aus der Franche-Comté sieht den Niveauunterschied nicht als Problem. Wenn sie sich an ihre Anfänge als Berggängerin erinnert, war es gerade die Erfahrung ihres damaligen Partners, die es ermöglichte, schnell zu lernen und Fortschritte zu machen. «Er kannte sich wirklich gut aus, nahm sich Zeit und erklärte mir alles ganz genau. Nach und nach traute ich mich mehr und wurde sicherer. Auf diese Weise konnte ich über mich selbst hinauswachsen, technisch immer schwierigere Schritte meistern und trotzdem dabei Spass haben.» Aurore wird diese Zeit ihres Lebens voller Intensität und Glück immer in guter Erinnerung behalten. Sie würde ihrem derzeitigen Freund ebenfalls gerne die Berge zeigen. «Im Moment ist er jedoch nicht sehr motiviert, ich hoffe, das ändert sich noch.»

Von der Gruppe getragen

Ein Motivations- oder Formtief beim einem der Partner, eine Schwangerschaft, ein Unfall, es gibt unzählige Parameter, die einem Paar die Gipfelbesteigung erschweren oder unmöglich machen können. «Als sich Elisabeth am Knie verletzt hatte, mussten wir ein gemässigteres Tempo anschlagen. Während sechs Monaten hat das Velo das Bergsteigen, Klettern und Skifahren ersetzt», erinnert sich Alexandre. In diesen paar Monaten unternahm er zwar Bergtouren in der Gruppe, aber er vermisste seine Partnerin.

Einen Freundeskreis zu haben, ist wichtig, betonen auch Murielle und Tony. «Wir schätzen beides: die Touren als Paar und die Touren mit den Freunden. Ausserdem vervielfacht es die Möglichkeiten, wenn einer der Partner einmal nicht mitkommen kann.»

Abgesehen vom Spassfaktor, hat ein Freundeskreis auch immer einen beruhigenden und motivierenden Effekt. «Sind die Bedingungen einmal nicht ideal, wird in der Gruppe viel weniger gestritten als zu zweit», schätzt Murielle. «Ich finde auch, dass sie weniger meckert und sich mehr Mühe gibt, wenn die Tipps von jemand anderem kommen», schmunzelt Tony. Schon bald müssen die zwei einen Kompromiss zu dritt finden: Murielle erwartet ein Kind, und das wird die Umstände ziemlich verändern. Nach dem Erlebnis als Paar am Berg wartet nun die Familienversion mit neuen Überraschungen, Befürchtungen und Freuden auf.

* Die Vornamen im Text wurden geändert und sind der Redaktion bekannt.

In der nächsten Ausgabe...

«Auf dem Gipfel mit Kindern. Die Familie in den Bergen»

Interview mit Paartherapeutin

Anne-Claude Rossier Ramuz ist Paartherapeutin. Sie gibt ein paar Ratschläge für eine harmonische Beziehung zwischen Paar und Berg:

-> "Jeder sollte sich in seinen Bedürfnissen respektiert fühlen"

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