Der Längisgrat
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Der Längisgrat

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Grimsel und Furka sind heute wohl die besuchtesten Pässe der schweizerischen Centralalpen. Der große Fremdenstrom, der von Interlaken aus den Herrlichkeiten des Berneroberlandes den Besuch abstattet, die zahlreichen Schulen, welche in kurzem Fluge einige der schönsten Partien des Schweizerlandes sehen wollen, die rüstigen Wanderer mit Tornister und Bergstock, alle treffen wir auf der Grimsel- und Furkastraße? sei es, daß sie hinüber zum Gotthard oder hinunter ins Wallis wollen, oder von dorther kommen.

Den rechten Genuß solcher Paßwanderung hat aber erst, wer da und dort die Straße verläßt, hier auf einen „ Hoger " hinaufsteigt, wo der freiere Blick mit schönerer Aussicht lohnt, dort in ein verborgenes Gletscherthal hineindringt, das in seinem einsamen Schauer den Wanderer mächtig ergreift. Einen solchen „ Hoger " möchte ich diesmal den Wanderern der Furka-Grimselroute recht empfehlen, denn er empfiehlt sich nicht selbst, er steht so unscheinbar da und doch bietet er eine Aussicht, welche zu den schönsten der Alpen gezählt werden muß.

Der Längisgrat liegt der Grimsel und der Furka gerade gegenüber. Von der Grirasel trennt ihn das oberste Rhonethal bei Gletsch, von der Furka das einsame Thal der Oberalp. Wenn man von der Grimsel wie von der Furka auf den mit grünen Weiden bedeckten, welligen Höhenzug hinübersieht, der mit seinen 2501 m nicht einmal viel höher ist als die beiden Pässe, so ahnt man nicht, daß die Aussicht da drüben so viel schöner ist als auf jedem von ihnen.

Der Anblick einer Gebirgsgruppe erscheint uns nur dann schön, wenn wir ihr nicht zu nahe sind. Die Schönheit hängt wesentlich ab vom Überblick über die einzelnen Teile der Gruppe und vom Einblick in die Thäler, welche sie scheiden. Darauf beruht ja überhaupt zu einem großen Teil die schöne Wirkung der Gipfelaussichten. Die Pässe aber sind selbst auf der Paßhöhe oft noch so tief eingeschnitten, daß man 862 M. Zéller.

auch da nicht mehr sieht als eben die nächsten Erhebungen. Das Hin-gebende Detail wiegt zu stark über, in der Entfernung ordnet es sich unter und kann überblickt werden.

Vom Längisgrat bieten sich nun gleich großartig dar die Finster-àarhorngruppe und das Triftgebiet, und zwar, was die Hauptsache ist, beide mit ihren Hauptgletschern; man sieht direkt hinein in die Unteraaralp und erblickt den gewaltigen, von den Moränen mehr schwarzen als weißen Gletscher bis zum Abschwung, darüber erhebt sich stolz das Finsteraarhorn und seine Trabanten. Einen gewissen Kontrast dazu, namentlich in den Farben, bildet das Triftgebiet, einen Kontrast der'wohl von keinem Standorte aus schärfer sich herausheben würde. Blendend weiß, ohne die geringste Verunreinigung durch Moränenschutt, liegt die ungeheure Mulde des Rhonegletschers gerade gegenüber, flankiert von den Gerstenhörnern und dem Wahrzeichen des Oberwallis, dem Galenstock. Man übersieht den Gletscher von seinem Anbeginn in den Schneegefilden der Triftlimmi bis hinunter, wo er in gewaltigem Bruche zur Tiefe stürzt und den breiten Fuß ins grüne Thal setzt. Er ist von hier aus besser zu übersehen, als vom Nägelisgrätli oder Furkahorn.

Aber noch einen dritten Glanzpunkt bietet die Aussicht vom Längisgrat, ich meine den Blick ins Wallis hinunter. Wohl manch einer, der durch das Urserenthal heraufkommt gegen die Furka, vermeint, dort auf der Paßhöhe könne er hinabsehen in das berühmte Thal; mit nichten, .der etwas höhere Längisgrat nimmt gerade den Ausblick weg. Der Längisgrat liegt gerade in der Fortsetzung des obern Rhonethals, indem dasselbe in seinem obersten Teile gleichsam einen Seitensprung macht. Man sieht deshalb von diesem Punkt durch das ganze Oberwallis hinab biö in die Gegend von Brieg ( cirka 40 Kilometer ). Über dem Thale aber ragen in unvergleichlicher Schönheit die Walliser Hochalpen, die Mischabel und das herrliche Weißhorn.

Alle drei, Triftgebiet, Finsteraarhorngruppe und Rhonethal, bieten sich dem Wanderer so entzückend dar von dem unscheinbaren Längisgrat aus, daß nur der diesen Genuß versäumen wird, der ihn nicht ahnt. Und dazu ist er leicht zu erreichen. 750 m Steigung sind es von Gletsch auf den Grat, was ein rüstiger Gänger in IV2—2 Stunden bewältigt. Weg ist kein besonderer, aber auch keiner nötig, man kann tiberall hinauf, sei es direkt von der Furkastraße oder von hinten herum durch das Oberalpthal. Herr Seiler im Hotel Gletsch beabsichtigt übrigens, einen Weg hinauf erstellen zu lassen, und es wäre wirklich der Mühe wert. Gewöhnlich reist man im Gletsch nur durch oder besucht schnell den Rhonegletscher, daß sonst noch etwas Sehenswertes da sei, weiß man nicht, und es ist Zweck dieser Zeilen, den Wanderer, der einen halben Tag übrig hat, aufmerksam zu machen auf diesen Prachtspunkt unserer Centralalpen.Dr. R. Zeller ( Sektion Bern ),

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