Der Märjelensee
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Der Märjelensee

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„ Der Märjelensee ", eine hydrologische Studie von Ing. O. Lütschg, ist ein Buch, das dem Naturfreund wie dem Wissenschaftler Freude macht. Der Name selbst hat für uns einen seltsamen, fast fremdartigen Klang. Weither aus der Jugendzeit steigt verworren die Erinnerung auf an etwas märchenhaft Schönes. Was für ein besonderer See das eigentlich sei, hätte damals niemand genau sagen können. Man wußte nur aus der Schulstube, daß der See schön, gefährlich und im Wallis sei. Durch die Zeitungen lief fast Jahr für Jahr im Juli die Meldung, der See sei ausgelaufen. Ganz klug wurde man aus diesen Berichten nie, sicher war nur, daß etwas Sagenhaftes, dessen Namensklang in uns eine Vorstellung von etwas Grünschillerndem weckte, verschwunden ist, und es tat einem leid, daß etwas Schönes nicht mehr da sei.

Das Buch von Herrn Ingenieur Lütschg klärt uns endlich auf und es werden nicht wenige Klubisten Befürchtungen hegen: nun ist 's mit dem Zauber aus. Die Wissenschaft rückt mit kalten Zahlentabellen auf und wird Wunder nach Wunder zerlegen, sortieren und uns als nackte Tatsachen servieren. Nun, ganz so grimmigDer Märjelensee und seine Abflußverhältnisse ", eine hydrologische Studie von Ingenieur ( ). Lütschg, Adjunkt der Abteilung für Wasserwirtschaft, Bern. Le Lac de Märjelen, Genève, Imprimerie Kündig.

verfährt Herr Lütschg nicht. Er zeigt uns sogar an Bildern, daß der Märjelensee wirklich wunderschön ist, und verschweigt auch nicht, daß das schlaue Seelein noch manch Geheimnis eigensinnig für sich behält. Der Zauber ist also nicht gebrochen, dagegen hat sich entschieden etwas davon zwischen die Zeilen eingeschlichen. Man liest das Buch leicht, so daß man den Gedanken nicht los wird, dem Verfasser hat 's das Seelein angetan.

Nun, wo steckt eigentlich der Märjelensee? Die Karte belehrt uns, daß der See sich im Oberwallis in einer Höhe von zirka 2300 m am rechten Talhang befindet. Er ist ein Gletscherrandsee und wird durch den großen Aletschgletscher in ein kleines Seitental aufgestaut, das zwischen dem Eggishorn und den Strahlhörnern liegt. Die vom See bespülte Gletscherwand wirkt wie eine Staumauer.

Treten wir aus dem Bahnhofgebäude in Brig, dann tauchen im Süden über dunkelgrünen, waldigen Vorbergen glänzende Firnkänime des Simplonmassivs auf. Wenden wir uns aber gegen Norden, so bietet sich uns ein abwechslungsreicheres Bild. Wiesen, kleine Wäldchen von Felsbändern durchzogen, dann Häusergruppen, höher hinauf sind Weiden, und über allem ragen ruhige, malerische Formen von Schnee und Fels in den tiefblauen Wallishiinmel hinein. Aber irgend etwas stört doch die Ruhe dieses friedlichen Bildes. Mitten aus dem Grün erhebt sich eine eigenartige buckelige Felswüste: es ist ein chaotisches Durcheinander kahler, glattgehobelter Felskuppen. Es scheint, ein Gletscher habe dort vorzeiten die Felsen beleckt. Sicherlich hat sich seinerzeit eine grünleuchtende Gletscherzunge zwischen den dunkle » Felsstöcken ( welche den engen, hochgelegenen Ausgang eines Seitentales flankieren ) ins Haupttal hinabgesenkt. Unsere Zeit nennt den Rest des vorhistorischen Gletschers Aletschgletscher. Wer aber glaubt, vom ehemaligen Gletscherbach irgendwelche Spuren zu entdecken, der irrt sich; denn die Massa, der Gletscherbach des großen Aletschgletschers, hat sich tief in den Schoß des Urgebirges eingesägt und fließt in enger Schlucht verborgen. Vergebens späht auch das Auge nach dem helllouclitenden Eis zwischen den Felsen. Um den Rücken des jetzt noch recht stattlichen Gletschers zu sehen, muß man höher hinauf bis nach Belalp, den Hütten hoch oben am lieblichen Hang, deren Fenster freundlich ins Tal grüßen. Der Weg führt durch die winkligen Gassen des uralten Naters an Häusern vorbei, deren unscheinbares Äußere kaum die wertvollen Türen und Dielen aus früheren Jahrhunderten erraten läßt. In zirka drei Stunden sind wir beim Hotel Belalp und treten hier überrascht in das sich weitende Seitental, das hoch hinauf durch einen Eisstrom ausgefüllt ist. Das ist der gesuchte Gletscher. Er fließt majestätisch, zuerst parallel dem Rhonetal, biegt dann weiter oben nach Norden ab und verschwindet zwischen steilen hohen Gratkämmen. Der Talhang links ist nicht hoch, der Gletscher wird ihn früher überflutet haben. Jetzt wird er von einem in paradiesischer Üppigkeit wuchernden Lärchenwald umsäumt und weist einige hübsche Aussichtspunkte auf. Der bedeutendste ist die Felspyramide des Eggishorn, an deren Fuße der Märjelensee ruht.

Wer über genügend Zeit verfügt, wähle diesen Weg, pilgere dann quer über den Gletscher und durch den märchenhaften Lärchenwald dem Gletscher entlang aufwärts; eine andere Route führt von Mörel nach Hotel Riederalp: die kürzeste von Fiesch zum Hotel Jungfrau an den Märjelensee.

Das Stücklein Welt zwischen Eggishorn und den Strahlhörnern ist ein kleines schweizerisches Grönland. In früheren Zeiten schob sich zwischen beiden Bergen ein Zweigstrom des Aletschgletschers gegen das Fieschertal hinab. Jetzt liegt den Schliffen nach zu schließen die Oberfläche des großen Aletschgletschers zirka 400 m tiefer und der ehemalige Seitenarm ist zu einem winzigen Fortsatz zusammengeschrumpft. Das kleine Seitentälchen ist im Sommer aper; es sammelt sich am tiefsten Punkt Wasser, bildet den kleinen See und benagt hartnäckig den abschließenden Gletscherrand. Zur Sommerszeit füllt der Märjelensee fast ganz die mit Steintrümmern bedeckte Talmulde aus.

Dann lösen sich krachend Eismassen vom Gletscher und schwimmen, vom Winde getrieben, im tiefgrünen Wasser als Eisberge hin und her wie weiße Schwäne. An irgendeinem Morgen liegen dann alle die weißen Berge auf dem feuchten Seegrund, während der Rest des grünen Wassers gurgelnd in einem dunklen Rachen der schimmernden Eiswand verschwindet und den langen Weg bis zum Ursprung der Massa am Gletschertor sucht. Stellen sich dann dem unterirdischen Strom dichte, feste Eiswände entgegen, so bilden die Märjelenwasser, Spalten und Hohlräume des Gletschers füllend, einen neuen See, einen wirklichen Gletschersee. Dieser bricht wieder aus, so wie es dem steigenden Wasserdruck gelingt, die Eissperre umzuwerfen und den Zutritt zu einer durchgehenden Spalte zu gewinnen.

Widersteht die Eismasse zwischen zwei Querspalten, so quillt nach einiger Zeit aus der oberen Spalte ein Strom braunen Wassers und stürzt sich mit donnerähnlichem Getöse in die nächste Spalte, um zwischen Eis und Grundmoränenschutt einen neuen Weg zu wühlen.

Das plötzliche Verschwinden des Märjelensees durch Abfluß unter dem Gletscher erfolgt selten; meistens senkt sich der See nach und nach ( jedes Jahr um zirka 40 m ) von dem Tage an, an dem der höchste Stand erreicht wird. Dieser Stand hängt vom tiefsten Punkte des den Uferrand bildenden Gletscherteiles ab. Sobald ein Überlaufen über den Gletscher möglich ist, tritt Erosionswirkung ein und nach kurzer Zeit ist zwischen Fels und Gletscher, hie und da auch im Eise selbst, eine tiefe Schlucht gesägt. Der See senkt sich ab, und zwar so lange, bis in der Nähe der Ausbruchstelle die Schlucht im Eis auf einen horizontal verlaufenden Felsriegel stößt und ein weiteres Einfressen unmöglich wird. Durch die Höhe dieses Felsriegels wird der tiefe Seestand fixiert. Daß in der Umgebung der Überlaufsstelle unter dem Eise solche Riegel vorhanden sein müssen, beweist die ziemlich gleichbleibende Höhe der abgesenkten Seespiegel vieler Jahre.

Das Ausbrechen des Sees, der Lärm und das Getöse hat etwas Schreckhaftes ( vgl. J. V. Widmann: Spaziergänge in den Alpen, Seite 256 ); nicht selten aber verursachten die großen Wassermassen verheerende Überschwemmungen in der Rhoneebene. Kein Wunder, wenn die Bergbewohner in früheren Zeiten den Aletschgletscher mieden und den Märjelensee fürchteten. Die Verwüstungen forderten aber doch Abhülfe und notgedrungen überwand man gegnerische Strömungen und die Scheu vor dem geheimnisvollen See. 1829 wurde ein Graben, 1895 sogar ein Stollen vollendet unter dem Paßsattel durch in ostwestlicher Richtung in das Gebiet des sogenannten Seebaches, um das Seevolumen von zirka 10 auf 6,5 Millionen m3 zu reduzieren. Die Gegner einer Korrektion behaupten, durch Absenken des Sees vermindere man den Wasserdruck auf die Gletscherwand; den Gletscher werde es gelüsten, vorzustoßen. Zugleich erschwere man dem wärmeren Wasser den Kampf mit dem Eis durch Verkleinerung der Angriffsfläche. Der Gletscher werde also nach und nach vorrücken und ihre schönen Weiden auf der Fiescherseite längs dem Seebach zudecken.

Der Seebach war in früheren Zeiten die natürliche Ausflußrinne des überlaufenden Märjelenseewassers bei außerordentlich hohen Seeständen. Es bilden bei hohen Wasserständen die beiden Seen des Seitentales, der Gletschersee und der Vordersee, zusammen nur ein Becken. Der Wasserüberschuß fließt über den niedrigen Paßsattel ( jetzt durch den Stollen ) den Seebach bildend in das Tal des Fiescherbaches. Der Seebach bleibt aber seit einigen Jahren trocken, weil infolge des tieferen Gletscher- Standes der See über die Gletscherschwelle weg ausrinnt und die Höhe der Stollen-sohle nicht mehr zu erreichen vermag.

Es standen in den letzten Jahren wegen des tiefen Gletscherstandes dem Beobachter meist zwei ganz verschiedene Seen zur Verfügung und es regt die Beziehung der beiden zueinander zum Vergleichen an. Der Vordersee, ein kleiner Muldensee, ist seicht und speist zum Teil den größeren tieferen Gletschersee. Da er frei über eine breite Felsschwelle ausfließt, betragen seine Niveauschwankungen kaum 2— 3 cm, während diejenigen des Gletsehersees bis 69 m ( bei Ausbrüchen unter dem Gletscher ) ausmachen können.

Ohne Zweifel muß die Gletscherwand auf die Temperaturverhältnisse des Gletschei-sees einwirken. Leicht ließ sich die Oberflächentemperatur messen; sie variiert trotz gleicher Luft- und Sonnenwirkung beim Vordersee von 0 bis 12° C, beim Gletschersee von 0 bis 3° C. Letzterer lockt also nicht zum Baden und warten allzu Neugieriger noch andere Überraschungen. Einbrechen des Gletschereises kann bis 5 m hohe Wellen erzeugen. Es ist also etwelche Vorsicht geboten. Daß unter solchen Umständen die Seevermessung und die Temperaturlotungen nicht ungefährliche Unternehmungen waren, erhellt aus dieser Tatsache. Allen Gefahren und Strapazen zum Trotz wurde die Vermessung und die Temperaturlotung sehr sorgfältig durchgeführt, zum Teil allerdings im Winter von der sicheren Eisdecke aus.

Sobald auf der Eisdecke eine tüchtige Schneeschicht liegt, ist das Seewasser den äußeren Temperaturschwankungen entzogen. Bei freier Eisschicht und scharfem Frost tritt dagegen durch das blanke Eis hindurch eine starke Abkühlung der oberen Wasserschichten ein. Längere Kälteperioden erzeugen auf diese Weise Klareisschichten bis an 80 cm Stärke. Die Lufttemperaturen sind aber auch auf diesen Höhen im Winter sehr variabel. Nicht selten findet man deshalb mehrere Eis- und Schnee-eisschichten durch Wasserschichten getrennt, und es sollte bei Probemessungen genau auf Stärke und Reihenfolge der Eis- und Schneeschichten geachtet werden. Es ist vorauszusehen, daß in einigen Jahren zu Zwecken der Wasseraufspeicherung im Winter in den Bergen künstliche Seen aufgestaut werden, und man benötigt zur Berechnung des mutmaßlichen Kraftausfalles infolge Seegefrörne die Kenntnis der maximalen Stärke der Eisdecke. Angaben über Schnee- und Eishöhen in hochalpinen Regionen sind deshalb sehr erwünscht. Vielen Skiläufern wäre es leicht möglich, durch genaues Notieren der Schneehöhen an den Schneepegeln, durch Messen der Eisdecken und Weiterleiten an die Meteorologische Zentralanstalt Zürich oder an die Abteilung für Wasserwirtschaft in Bern dem Lande wertvolle Dienste zu leisten. Solchen Beobachtungen verdanken wir bereits einige interessante Resultate, so z.B., daß Seen auf 1500—2000 m 150—200\ Tage gefroren „., 2000—2500 m 200 — 300sind.

Ferner, daß auch seichte Wassertümpel nie ganz ausfrieren; der Schutz der Schnee-und Eisdecke und geringer Einfluß der Erdwärme genügen, das Wasser über 0 ° zu halten. Wie sich die Wassertemperaturen in größeren Tiefen verhalten, ist aus folgenden Angaben ersichtlich. Die Temperaturlotungen ergaben:

Vordersee im Sommer bis 10°, im Winter 4° C Gletschersee2°,0

Beim Vordersee starker Einfluß der Jahreszeit, ja sogar einzelner warmer Tage. Große Temperaturdifferenzen haben große Dichtigkeitsdifferenzen zur Folge und es findet deshalb eine rege Ausgleichströmung statt. Der etwas kühle Gletschersee läßt sich auch von der schönsten Sonne und der drückendsten Föhnlage nicht erre- gen. Schwimmende Eisberge, Strömungen durch Gletschereinbrüche sorgen dafür, daß die Temperatur gleichmäßig tief bleibt und der Gletscherwand nicht allzu gefährlich wird. Im Sommer steht die Wassertemperatur etwas über O. Während am Tag infolge der steigenden Zuflüsse die glänzende Wasserfläche sich hebt, tritt während der Nacht meist ein Sinken ein.

Diesem täglichen Auf und Ab der Wasserspiegel stehen die jahrzeitweisen Schwankungen gegenüber. Ein langsames stetes Ansteigen im Winter, ein rascheres vom Mai bis in den Sommer läßt sich konstatieren und eines Tages ist der höchste Stand erreicht. In einem oder in einigen Tagen sinkt dann der Wasserspiegel um ca. 30—40 m und hierauf setzt ein Pendeln der Seestände ein, je nachdem die Abflußöffnung im Gletscher durch treibendes Eis mehr oder weniger verstopft ist. Der Herbst rückt heran, die Nachtfröste werden grimmiger, spiegelblankes Eis überspannt morgens den See und wirft glänzende Sonnenreflexe an die hochragende Gletscherwand. Gegen Mittag erwacht diese aus ihrer Erstarrung, löst leise kristallklare Bächlein, die durch glatte Rillen herunterrieseln, dann reckt sie sich gewaltig, so daß es kracht, schüttelt sich und Eismassen fallen von ihr ab. Der See schrickt zusammen, Wasser spritzt hochauf, die Eishaut zerspringt und glitzernde Eisscherben werden von wilden Wogen ans Ufer geschleudert.

Die nächste Nacht kittet notdürftig die schwimmenden Trümmer. Von neuem schüttelt sich die Wand und rollt die zerstörende Welle. Das geht so fort, bis eines Tages der Himmel fahl sich färbt und der Abend langsam Flocke auf Flocke dem Gletscher auf die Schultern legt. Tags darauf weht ein scharfer Wind, die Eisdecke stöhnt und in die dunklen Tore der Gletscherwand flüchtet verwehter Schnee. Das ist die Zeit, da sich der Gletscher vor Kälte in sich zusammenzieht, Ritzen und Spalten schließt und dadurch gerade zu der Zeit, da alles vor Frost klirrt, durch Schließen des Seeabflusses ein Ansteigen, wenn auch ein schwaches, des Sees möglich macht. Woher aber stammt der WasserzufluQuellen waren im Sommer im leeren Becken keine zu sehen, wohl führen drei Quellbächlein etwas Wasser zu, aber bei weitem nicht genügend, um den dem Steigen entsprechenden Zuwachs zu decken. Die Bewegung des Gletschers gegen den See muß nicht ganz zum Stillstand gekommen sein und wie die wellenförmigen Verschiebungen der Eisdecke verraten, schiebt sich tatsächlich die kleine Gletscherzunge auch im Winter langsam gegen den See zu vor. Nur scheinbar ist um Neujahr in den Bergen alles Leben tot. Das große Uhrwerk der Natur steht trotz der nur geringen Kraftzufuhr von außen niemals still. Die Bewegungen sind nur hundertmal kleiner als zur warmen Sommerszeit und kaum mehr meßbar; ein Zustand scheinbarer Glescherstarre.

Dann folgen traumhaft stille Tage; unaufhaltsam gleiten helle Schwaden durch den grauen Himmelsraum, hüllen sorgsam jeden Fels und jeden Riß in weiches Weiß, und wie nach Tagen neugierig die Sonne aus blankem Blau herniederblinzelt, da stöhnt der Gletscher nicht mehr auf, noch ächzt der See. Alles bleibt lautlos, totenstill. Geruhig beschaut sich 's die Sonne von allen Seiten^ um am Abend kühl Abschied zu nehmen, begierig, ob auch am Morgen alles so leblos und stumm sei.

Eines Mittags entdeckt sie freche Menschlein; die gleiten auf flinken Hölzern die Hänge herab, stochern am See herum, schlagen Löcher, loten, schreiben, messen und verschwinden vor dem Abend, vergnügt Purzelbäume schlagend.

Da wundert sich die Sonne sehr; das Volk wird unverschämt, bricht in den schönsten Garten ein und stört mit Strich und Punkt das reine Weiß der Beete.Voll grimmiger Wut schleudert sie funkelnde Strahlenbündel, streichelt den weichen Flaum der gerundeten Hänge; die Menschlein hasten vorwärts. Schwer wird der Schnee und die Sonne brennt. Da recken hellgelbe Dunsthände über die Kämme, schichten Schleier über Schleier, bis zuletzt ein graues Tuch über den finsteren Bergen liegt. Vergebens versucht die Sonne durchzubrechen; ihre Liebkosungen werden abgefangen und, ehe es dunkelt, schüttet der Himmel mitleidig frisches Pulver den müden Wanderern auf den Weg.

Die seit einigen Jahren einsetzende intensive Erforschung der meteorologischen und hydrologischen Verhältnisse der Alpen hängt mit der Entwicklung der Wasserkraftnutzung in der Schweiz und mit den Hoffnungen, die wir diesbezüglich hegen, zusammen. Systematisch werden die Gebirgsgewässer untersucht. Besonders wichtig ist die Größe der winterlichen Minimalwassermengen, ferner die räumliche Gestaltung hochliegender Seitentäler in bezug auf ihr Fassungsvermögen als Aufstauräume.

1911 im trockenen Sommer sorgten die Gletscherbäche für den Ausgleich in unserem Wasserhaushalt. Während in der Hochebene die Quellen versiegten, sprudelten tausend Wässerlein über die apern Gletscher und sprangen ohne Ermüden Tag und Nacht lustig zu Tal, die Kraftmaschine zu treiben und die Seen nachzufüllen. Die Wassermengen der Gletscherbäche sind allerdings nicht immer willkommen. So kam es 1897 im Wallis vor, daß die Khone während ausgesprochener meteorologischer Trockenzeit über die Ufer trat und die Sturmglocken Wassernot kündeten.

Abnormale Temperaturen in hohen Lagen können die seit dem Winter lagernden Niederschläge in wenigen Tagen lösen und eigentliche Sintfluten erzeugen. Uns Touristen ist das tägliche Anschwellen der Gletscherbäche nur zu bekannt. Wie oft überschreiten wir frühmorgens, leicht von Stein zu Stein springend, ein harmloses Wässerlein, um abends nach heißer Gletscherwanderung an derselben Stelle einen tobenden Wildbach zu finden. Wie mancher Holzsteg ( Oberaar ) ist nach warmen Sommertagen abends kaum passierbar, weil wilde Wasserschüsse über die Balken fegen.

Die Beschaffenheit der Gletscher selbst hilft glücklicherweise das Anschwellen etwas mildern. In all den Luftbläschen und Haarspalten des Eises tritt Wasser ein und sickert nun nach und nach wieder aus, so daß sich die Schmelzflut von acht Tagesstunden auf 24 Stunden, wenn auch nicht gleichmäßig, verteilt. Dem Retentionsvermögen der Gletscher ist es zum Teil zu verdanken, daß viele Hoch-gebirgsflüsse relativ leicht im Schach zu halten sind.

Nicht jeder Gletscher besitzt in demselben Maße Retentionsvermögen. Steil abfallende zerschrundete Gletscher, deren Untergrund wenig hemmende Felsriegel aufweisen, senden ihre Schmelzwasser unvermittelter zu Tal als lange, flachver-laufende Eisströme, die im Innern eine Menge kleiner Gletscherseen und Tümpel bergen, welche den Wasserzufluß verzögern und ausgleichen.

Im Winter besteht die Hauptabflußmenge des Gletscherbaches am Gletschertor aus Quellwasser aus dem eigentlichen Gletscherkessel. Ob der Gletscher solches auch zurückhält ( aufsaugt ), ist nicht direkt nachweisbar, doch führen tatsächlich die Gebirgsflüsse im Winter um so weniger Wasser, je mehr deren Einzugsgebiete vergletschert sind. Im allgemeinen aber wächst die relative Wassermenge in ein und demselben Gewässer mit der Tiefe der Wassermeßstelle. Zum Vergleich wird von Ingenieur O. Lütschg aus andern Gebirgsgegenden interessantes Beobachtungsmaterial beigezogen.

Wir stehen erst am Beginn der Erforschung hochalpiner Regionen bezüglich der hydrologischen Verhältnisse; es ist mit Zuversicht zu hoffen, daß wissenschaftlich wie praktisch wertvolle Resultate erzielt werden, und es wäre wünschenswert, wenn diese neueren Bestrebungen von den Klubisten nach Kräften unterstützt und gefördert würden.

Die ersten Touristen waren Naturforscher, nicht die Schönheit der Alpenwelt allein lockte sie hinauf. Es war vielmehr die in steter Umformung begriffene Gebirgswelt; diese Welt, die wie ein Überrest aus der Urweltzeit der Erde anmutet. Die von Menschen unberührte Urnatur fesselte in Verbindung mit ihrer herben Schönheit den Forscher und zog dessen ganzes Sein in ihren Bann. Auf Schritt und Tritt tauchen Probleme auf und rufen neue Ideen hervor. Die gewaltige wissenschaftliche Literatur über die Alpen beweist, daß die Berge die Freude an der Wissenschaft und diese selbst vielfach gefördert haben. Wir wissen, daß noch viele Probleme zu lösen sind, wenn auch vieles immer Geheimnis bleiben wird. Aber gerade dieses Geheimnisvolle übt einen besonderen Reiz aus; gerade deshalb wagte man sich an den schillernden launischen Gletschersee. Galt es doch, den Saum des Zauberschleiers, der uns das Wesen des Sees verhüllt, etwas zu heben. Das Buch über den Märjelensee ist wiederum eine Bestätigung der alten Erfahrung, daß in der Natur unversiegbar ein Quell geistiger Anregung fließt, aus dem ein jeder, der ihn rauschen hört, schöpfen darf.Hans Roth, Ingenieur, Zürich ( Sektion Uto ).

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