Die Bedeutung des Pilatus in der Alpenkunde
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Die Bedeutung des Pilatus in der Alpenkunde

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Von P. X. Weber ( Sektion Pilatus ).

Hochgeehrte Herren und Bergfreunde!

Das stadtluzernische Wahrzeichen, die neuntürmige Musegg, richtet seine Front direkt gegen den Kranz der Alpenhöhen. Schweift von dort aus der Blick zur Rechten, so wird er unmittelbar gefesselt durch die faltenreiche Gewandung einer der kühnsten Gestalten der Voralpen, durch den Pilatus. Überblickt man dagegen auf einer Karte den gesamten Alpenwall, der sich von der Riviera di Ponente bis zur Kaiserstadt an der Donau zieht, so befindet sich der Berg nahezu in der Mitte der nördlichen Umwallung. Seine Höhenflucht geht von Westen nach Osten und vermittelt uns nicht selten Wolken- und Gewitterzüge. Seine Wildbäche sind bekannt, soweit wir überhaupt Aufzeichnungen von Chronisten besitzen. Daneben ist er eines der nützlichsten Inventarstücke der Landesgegend. Denn einerseits hat er sich von jeher den Umwohnern als weithin sichtbares Barometer zur Verfügung gestellt. Zum andern aber rinnen aus seinen unversieglichen Vorratskammern die schon von Geßner, Lang und Kappeier gerühmten kühlen Wasseradern zu Tal und speisen da Hunderte von Brünnlein und Brunnen zu Stadt und Land. Dieser Berg hatte den seltsamsten 2 ) und weitverbreitet sten Ruf in der alten Eidgenossenschaft. Neulich hat das Ihnen unser verdiente Jahrbuchredaktor Dr. Dübi mit etwas anderen Worten geschrieben: „ Das Klubfest findet in Luzern, am Fuße des Berges statt, welcher die Wiege des Schweizerischen Alpinismus und damit des Alpinismus überhaupt war"3 ). Und da wir hier just zu den Füßen dieses Berges weilen, so war der bergsteigerische Teil unseres Festprogramms eigentlich vorgezeichnet. Ebenso die Richtung dieses Referates, welches gleichsam als Einleitung zu dem für morgen in Aussicht genommenen Bergbesuch dienen möchte. Ich erbitte mir daher für kurze Zeit Ihre freundliche Aufmerksamkeit zu einem flüchtigen Exkurs über die Bedeutung des Pilatus in der Entwicklung der Alpenkunde.

Entsprechend der späteren Bedeutung dieses Berges treten dessen Namen schon sehr früh auf in der Literatur. Er hieß ursprünglich in lateinischen Schriften „ fractus mons ", und in deutschen „ Fragmuond, Fracmont oder Frekmünd " 1 ). Der Name „ Pilatus " dagegen tauchte anfänglich immer nur in Verbindung mit der bekannten Pontius Pilatus-Sage und mit dem Seelein in der Oberalp auf. Auf das ganze Bergmassiv übertragen finden wir den Namen Pilatus erstmals im Jahr 1433. Als Albert v. Bonstetten Anno 1479 die erste topographisch- staatsbeschreibende Darstellung der Eidgenossenschaft schrieb, wußte er bereits von der großen Höhe der cacumina „ Fractimontis ", der Spitzen des Fracmonts zu sprechen. In ein Seelein zwischen diesen Gipfeln sei der verdammte Pontius beschworen worden, weshalb der Berg „ in gemeinrem namen " Pilatusberg geheißen werde. Dieser führe ungestüme Gewitter, und mit rauhen, scharfen Ecken sei er eine rechte Wohnung wilder Tiere und „ zemal ein forchtsam und greuenlich wilde"2 ). Zu jener Zeit also, da die geographische Literatur der Schweiz ihren Anfang nahm, war die Kunde vom wetterführenden Fracmont und dessen Pilatussage schon derart verbreitet, daß die jüngere Bezeichnung „ Pilatusberg " bereits zum gemeineren Namen geworden war. Der ursprüngliche Bergname fractus mons ( gebrochener Berg, nach dessen äußerer Erscheinung so benannt ) reicht vor das Jahr 1200, also vor die Zeit der Entwicklung Luzerns zum städtischen Gemeinwesen zurück. Die erste literarische Erwähnung dieses Namens findet sich nämlich in einer Handschrift im Charakter des 11. Jahrhunderts vor 3 ). Also zu einer Zeit, als das Benediktinerkloster hierzulande noch Grund und Grat, Wasser und Allmend, Jagd und Fischenz besaß. Der Streit der Gelehrten über die Frage, ob dieses Pergament Kopien von verlorenen Originalvorlagen vom Jahr 853 oder noch früher enthalte, oder ob eine später in Urkundenform aufgezeichnete Erzählung früherer historischer Tatsachen vorliege, kann uns hier zunächst nicht berühren. Das Vorhandensein der Handschrift 1 ) genügt zur Feststellung, daß die ältere Bezeichnung unseres Berges „ fractus mons " schlankweg unter die ältesten Bergnamen der Schweiz eingereiht werden muß.

Auch andere Bergnamen tauchen schon frühzeitig in der Literatur auf. Im Jahr 1380 beispielsweise 2 ): Schwarzerlen, Flösch, Großeck, Tremeleck, Mülimes, Lowinen, Frekmünd, Kastel, Spirbach, Buchsteg, Botstock, Meyenstoß und Fuchsbühl, alle auf der Nordseite des Berges, im Bereich der Alpen- und Weidregion. Von den Gipfeln wird zu dieser Zeit nur einer genannt, das Winterhorn — heute Klimsenhorn geheißen, in 1910 m Höhe. Weitere Örtlichkeiten auf der Nordseite werden zum Teil noch früher erwähnt ( das Eigental 1287, Breitenstaffel 1314, Riestersgum 1363 ), zum Teil aber erst im 14. Jahrhundert und später. Im Jahr 1381 zum Beispiel: Gantersei, 1416 dagegen3 ): Horholz, Bibenmos, Enzenstollen, Sattelegg, Rotenflue, Veldmos, Steinenstalden, Lowenegg, Hundschüpfen, Wallender Brunnen, die Wandflue „ zem schrak ", Hergiswald. Im Jahr 1462 erscheint die bekannte Berghöhe Gemsmätteli. Später sind nachweisbar: die Frohnstaffelalp 1490, das Mondmilchloch 1555, die Oberalp 1560, das Mittaggüpfi 1572 4 ), die Bründlenalp 1590. Im Jahr 1727: Kriesiloch, Steiglihaupt, Windegg, Buhstein.

Im Jahr 1759 endlich: Oberhaupt, Band, Dominikloch, Sulzbächlein, Treyen-hütte, Staubbach, Tornii. Die Namen der Allmenden, Alpen und „ Etzweiden " auf der Südseite des Berges erscheinen urkundlich erst im Jahr 1498 5 ): „ Mörischlag, Schieden, Xünsteffel, Lengenfeltmos, Palismatt, Wängen, Brudersalpeli, Laucherli, Schyh, Fräckenmünt, Lengenmatt, Denneten, Emsigen und Matt. Der Umstand, daß schon die ältesten erhaltenen Marchnrkunden von 1380, 1416, 1462 etc. einläßliche Aufzählungen von Alpnamen enthalten, und daß bereits 1380 ein Satteleggweg und 1462 ein Alpweg bei der Lowenegg erwähnt wird, ebenso daß bereits 1517 —1519 ein hartnäckiger Streit um ein Alpfahrrecht im Eigental nachweisbar ist 6 ), spricht deutlich dafür, daß die Alpwirtschaft in diesen Gebieten weiter zurückgeht, als die uns überkommenen Schriften zu beweisen imstande sind. Das Nämliche wird auf der Obwaldnerseite zutreffen.

Von den Namen gehen wir zu den Besteigung en und Beschreibungen dieses Berges über, denen wir ebenfalls einen kurzen Überblick vergönnen wollen.

Der Sinn für die Berge, für die Schönheit der Gebirgslandschaft, für das Erhabene und Romantische in der Natur, wie er jetzt nördlich des Alpenwalles und auch sonst noch vielerorts in der Kulturwelt verbreitet ist, reicht bekanntlich in 1 ) Aufbewahrt im Staatsarchiv Luzern.

dieser Art und Verehrung kaum auf 150 Jahre zurück. Vordem waren es mehr Ausnahmefälle, wenn Bergbesteigungen des Vergnügens oder der Gipfelaussicht wegen ausgeführt wurden. Die weitaus größere Mehrzahl jener Menschen, welche vom Altertum weg bis weit in die Neuzeit hinein mit Bergrevieren in Berührung kamen, wurde aus praktischen ( zum Beispiel aus verkehrstechnischen und militärischen ) oder aus religiösen Motiven dazu bewogen. Einen weiteren Beweggrund für viele Bergbesteigungen in alter und neuerer Zeit bildet der Reiz, den einzelstehende Berge ( namentlich solche von auffallenden Formen ), sowie der Reiz, den sagenhafte Naturmerkwürdig-keiten je und je auf die Menschen ausgeübt haben. Hierher rechnen wir beispielsweise die frühen Besteigungen des Adamspik, Ätna 1 ), Vesuv, Pic Teneriffa 2 ), und speziell in den Alpen diejenigen der Rocciamelone 3 ), des Mont Aiguille 4 ) und nicht zuletzt auch die meisten früheren Pilatusbesteigungen.

Einer mysteriösen Naturmerkwürdigkeit wegen, an die sich eine weitbekannte Sage lehnte, reichte der Ruf dieses Berges bis weit in die Nachbarländer hinein.

Annähernd zur selben Zeit, da der Bergname fracturs mons zum erstenmal urkundlich auftritt, meldet die Klosterchronik von Novalese am Mont Cenis-Paß von vergeblichen Besteigungsversuchen der sagenhaften Rocciamelone. Die eine dieser Expeditionen sei von Klerikern unternommen worden, welche unter Absingen des „ Vexilla regis " den Aufstieg begannen, um den Schatz auf dem Berggipfel zu heben. Aber auch sie seien vom Berggeist oder Dämon, der die Schätze hütete, unter Zuhülfenahme der Naturkräfte schmählich zurückgewiesen worden 5 ).

Das waren Zeiten, in denen die Menschheit noch vor der Majestät der Gebirgswelt als vor einer fremden Überwelt zurückschreckte, in denen die Naturerkenntnis noch so sehr daniederlag, daß der Eintritt schreckhafter Naturereignisse unsere Bergvölker zunächst an ungemeine, dämonisch waltende Kräfte erinnerte. Aus diesem letzteren Grunde, und weil die unmittelbare, methodisch geübte Beobachtung von Pflanzen und Gesteinen in deutschen Landen erst mit dem Beginn des 16. Jahrhunderts ihren Anfang nahm, begegnen uns vor dieser Epoche in der Geschichte der Gebirgsreisen und Bergbesteigungen zum öfteren Kleriker als die hervorragendsten Vertreter der damaligen Bildung. Da nun auch unsere Berggeschichte in jene frühen Zeiten zurückreicht, tauchen auch hier in der Serie der mit Namen bekannten Bergbesucher zunächst Kleriker auf.

Es sind das vor allem die sechs Geistlichen, welche im August des Jahres 1387 Urfehde schwören mußten, weil sie die Höhe des Fracmonts besteigen wollten. Im weiteren ist auch der Zürcher Chorherr Felix Hämmerlin zu nennen, von dem zwar nicht bestimmt feststeht, ob er den Berg persönlich bestiegen habe. Der vielgereiste Mann gibt uns aber die erste genauere Beschreibung der Örtlichkeit des Pilatussees und einen interessanten natürlichen Erklärungsversuch für die Entstehung der Pilatus-gewitter. Wenn Hämmerlin seinen Ausführungen keine Notiz über seine Reise zum Pilatussee beifügt, so geschah das wohl in Rücksicht auf das damals bestehende Verbot des Betretens jener Gegend. Das Verbot wurde aber — mit oder ohne Erlaubnis des Rates von Luzern — nachgewiesenermaßen des öftern umgangen.

Im Jahre der Entdeckung Amerikas ( 1492 ) bezwang bekanntlich ein kühner Söldnerführer ( Antoine de Ville ) den für unersteiglich gehaltenen Mont Aiguille im Dauphiné ( 2097 m ). Wenige Jahre später, im August 1514, finden wir drei aus den damaligen Kriegen der Eidgenossen bekannte, rüstige Männer auf dem Pilatus, von denen der bekannteste im Jahre 1522 Hauptmann in der Schlacht zu Bicocca war: Kleinrat Hans Hug, Großrat Hans Thum und den Wirt Jacob Jeger1 ). Leider werden wir über den Grund ihrer Bergbesteigung nicht unterrichtet, auch nicht darüber, ob sie wirklich Gipfel erreichten und welche. Man wird das annehmen dürfen, indem sie offenbar in Marchangelegenheiten „ uff den Bilatusberg " abgeordnet worden sind, denn sie wurden aus dem obrigkeitlichen Ohmgeldsäckel abgelöhnt.

Und um die nämliche Zeit, da der Kardinal und Humanist Pietro Bembo den Ätna bestieg ( 1500 ), da Leonardo da Vinci ( Anno 1511 ) auf dem Monte Bo Umschau hielt, und in der neuen Welt drei verwegene Spanier aus der Heerschar des Cortez ( Anno 1521 ) den Vulkan Popocatepetl erstiegen, rückte dem Pilatus bereits die erste, von wissenschaftlichem Eifer beseelte Expedition zu Leibe. Es waren die Gelehrten und Schulmänner: Vadian, Grebel, Myconius und Xylotectus, die da in der Frühe eines Augustmorgens das Weichbild des alten Luzern zu Pferd verließen, um das berüchtigte Naturspiel des Pilatussees aus eigener Anschauung zu ergründen. Nebenbei gewannen sie auch noch „ die Höhe des Berges ", worunter vielleicht das Widderfeld, wahrscheinlicher aber das Mittaggüpfi zu verstehen ist. Das war im Jahre 1518. Mittlerweile fingen Ärzte und Naturforscher an, aus den althergebrachten Geleisen der Arzneimittellehren, namentlich derjenigen des Dioscorides herauszutreten, um die Pflanzenwelt selbständig zu beobachten und die Natur unmittelbar zu erforschen. Man legte botanische Gärten an, Arzneistudierende und Ärzte, auch Kräutler und Dorfpfarrer griffen zum Wanderstab, um die Gewächse und Simplizien zu Berg und Tal, oft selbst in fernen Ländern kennen zu lernen. Ein bis dahin unbekanntes Reisefieber trieb die Forscher aus den Studierstuben auf die Berge. In die kindlich naive Bewunderung all der Reize und Seltsamkeiten der Pflanzenwelt mischte sich die Freude am bedürfnislosen Hirten- und Sennenleben und die Begeisterung für die noch nie gesehenen Landschaftsbilder. So kam es, daß die Alpenkunde um die Mitte und gegen das Ende des 16. Jahrhunderts einen mächtigen Aufschwung nahm und zu einem Bergkultus führte, der — wäre er nicht durch die einschneidenden Wirren des nachfolgenden Jahrhunderts lahmgelegt worden — den hochentwickelten Alpensinn unserer Tage um ein bedeutendes früher gezeitigt haben würde.

Und wiederum zur nämlichen Zeit, da anderswo Stockhorn, Wendelstein, Niesen, Calanda, Monte Roën und Monte Baldo Besuche erhielten, und da man zu Clermont eine Besteigung des Puy de Dòme in das Festprogramm zu Ehren der Katharina von Medici und Karls des IX. aufgenommen hatte 2 ), sehen wir neuerdings eine denkwürdige Expedition Luzern verlassen zu einem Besuch des Mittaggüpfis und des Pilatussees. Dieses Mal war einer der größten Naturforscher und Gelehrten jener Tage an der Spitze, der Zürcher Stadtarzt Konrad Geßner. Er hat uns einen einläßlichen Reisebericht hinterlassen, nach Coolidge „ vielleicht das wichtigste alpengeschichtliche Dokument des 16. Jahrhundert ". Die Schrift enthält sozusagen die erste ausführliche Darstellung der alpinen Ästhetik. Geßner war nicht bloss Gelehrter, er war ein perfekter Alpinist, und genoß das Vergnügen des Bergsteigens in vollen Zügen 1 ). Das dem Reisebericht beigegebene Pflanzenverzeichnis wird von Schröter als „ die erste und älteste Lokalflora der Schweiz " bezeichnet. Es hat seinen Weg teilweise in Josias Simlers Schriften und in verschiedene Kräuterbücher gefunden und das meiste zur damaligen Berühmtheit der Pilatusflora beigetragen. Das Widderfeld, der vierthöchste Pilatusgipfel ( 2078 m ), ist laut Geßners Pflanzenbeschreibung nachweisbar ums Jahr 1555 bereits besucht worden.

Waren die Naturforscher schon im Altertum die ersten Bergsteiger 2 ), so spielten die Botaniker im 16. Jahrhundert und in der folgenden Zeit die führende Rolle. Was die Pilatusbesteiger betrifft, so sei nur an die Namen der Stadtärzte: Konr. Geßner, Huober, Plater, Wagner, Scheuchzer und Kappeler erinnert. Sodann an Renward Cysat, der in seinen jüngeren Jahren Apotheker war, an Burser, Gagnebin, Joh. Jak. Geßner und Joh. Georg Sulzer. Auch unter den angesehenen Personen, welche zur Lebenszeit des Stadtschreibers Renward Cysat aus Deutschland, Italien, Polen, England, Frankreich und den Niederlanden über Luzern reisten und von da aus den Berg bestiegen, seien Doktoren und Medizinstudierende gewesen. Tritt auch in der wissenschaftlichen Erforschung der Alpenwelt seit Saussure das physikalische Interesse vor das botanische, so sind doch die Botaniker bis zum heutigen Tag Stammgäste des Pilatus geblieben. Wir nennen lediglich die Namen: Wahlenberg, Krauer, Hegetschweiler, Steiger, Jäggi, Christ und Schröter. In nächster Zeit werden wir auch eine pflanzengeographische Studie von diesem Berg erhalten.

Daß der Pilatus als hochaufgetürmter, zackiger Bestandteil der bekannten Randkette der zentralschweizerischen Kalkalpen auch ein beliebtes Operationsfeld für die Mineralogen und Geologen wurde, zeigen unter anderm die Namen: Joh. Konr. Escher, Hugi, Mousson, Murchison, Brunner, Heer, Arnold Escher, Rütimeyer, Kenngott, Burkardt, Balzer, Renevier, Heim, Kaufmann, J. Weber und Buxtorf.

Die Verbindung dieses Berges mit der Kulturgeschichte stellt neben anderen der Leutpriester Johannes Müller von Luzern her, der im Sommer 1585 mit einer größeren Gesellschaft von Ratsherren, Bürgern und Älplern auf die Oberalp zum Pilatusseelein stieg, um vermittelst einer öffentlichen Demonstration mit dem angeblichen Geisterspuk in der düstern Waldlache endgültig aufzuräumen. Der Rat gab bald hernach ( 1594 ) den Zutritt zu der verrufenen Berggegend frei 3 ) und verfügte die Abgrabung „ der pfützen uff Pilatiberg, so man Pilatisew genamset ". Diese Ab-grabungsarbeiten sind in der Folge des felsigen Umgeländes wegen bald aufgegeben worden. Neunzig Jahre später konnte Wagner am nämlichen Ort konstatieren, daß die Sennen keineswegs mehr im alten Wahn befangen waren, daß der Ort selten mehr aufgesucht werde; nur noch von Hirten und solchen, welche den Berg aus Gefallen besteigen. Es hatte sich also mittlerweile ein Umschwung in den Empfindungen und in der Richtung des Naturgefühls vollzogen. Um das Jahr 1680 und in den folgenden Dezennien bestiegman nämlich bereits in größerer Zahl das Widderfeld. Unmittelbar vor der Epoche der Höhenmessungen wurde dieser Gipfel als höchste Pilatus, höhe angesehen. Voll Bewunderung und Entzücken ließen die Wanderer von hier aus den Blick über die weitausgebreiteten Niederungen schweifen und zählten mehr als 16 Seen und Flüsse. Freilich, was wir an den Eeisenden von damals beobachten, sind mehr malerisch poetische Anwandlungen; noch fehlte der Sinn für das, was wir als wild und romantisch bezeichnen.

Unter die ersten Höhenmessungen der Schweiz ist diejenige des Widderfeldes am Pilatus zu zählen. Der um die Alpenkunde hochverdiente Scheuchzer, der diesen Berg wiederholt bestieg, berechnete sie schon auf seiner ersten Alpenreise ( 1702 ) barometrisch auf 2800 Schuh über der Stadt Luzern. Auf seiner zweiten Reise beobachtete er ( am 19. Juni 1706 ) die Höhe des Barometers im Eigental und auf dem Widderfeld und berechnete die Höhe dieses Gipfels nach Mariotte auf 4480, nach Cassini auf 5920 Schuh über dem Meeresspiegel. Sein Bruder Johannes dagegen berechnete diese Höhe auf 4604 Schuh über Meer. Zu Scheuchzers Zeit besuchte auch dessen Freund Dr. Kappeier dreimal diesen Berg. Er hat seinem Pilatusbuch nebst anderen noch drei eigenhändig gezeichnete Bergansichten mitgegeben. Aber mehr als das. In einer Zeit, wo die Meßinstrumente und Methoden noch unzulänglich waren, machte er wiederholt korrespondierende Barometerbeobachtungen, berechnete sie nach den Regeln von Mariotte, Cassini und Scheuchzer und nahm schließlich an, daß man die Höhe des Berges über der Stadt wohl auf 5000 Fuß setzen könne 1 ). Dazu arbeitete er noch eine Landkarte aus über das Gebiet von Küßnach bis zum Entlengebiet, welche für die damalige Zeit einen merklichen Fortschritt bedeutete. Die hintere Berghälfte — Widderfeld - Oberalp - Mittaggüpfi — ist annähernd getreu wiedergegeben. Viel weniger die vordere Berghälfte, wo Kappeier nur das leicht zugängliche Oberhaupt bestiegen hatte. Auf dieser Karte ist die damals gebräuchliche Route für Pilatusbesteiger eingezeichnet: Luzern-Frohnstaffel-Oberalp-Feldalp-Alpnach.

In Ansehung des bis dahin vorliegenden Kartenmaterials war eine bessere Wiedergabe der Terraingestaltung, namentlich der Gebirgsdarstellung, wünschenswert. Panoramenzeichner und plastische Xachbildner von Gebirgsformen konnten diese Entwicklung am ehesten fördern helfen. Auf letzterem Gebiet verdanken wir der Künstlerhand des Generalleutnants Franz. Lud. Pfyffer ein Relief dieses Berges, welches das erste Werk dieser Art auf Schweizerboden war. Ungefähr 10 Jahre später das große Relief der Urschweiz. Er bestieg auch als Erster alle Gipfel des Pilatus und gab dem Buche Kappelers eine Kartenskizze mit allen Höhenangaben mit.

Nicht unerwähnt darf der ungewohnte Aufzug bleiben, den der Berg ums Jahr 1760 sah, als die Frau Marschall Pfyffer — eine geborene Französin — in Begleitung einiger vornehmer Damen und Mitglieder des Patriziates von Luzern zum Genuß der Fernsicht den Gipfel des Oberhauptes besuchte. Dieser Damenflor auf dem Oberhaupt war um jene Zeit selbstredend noch etwas Unerhörtes. Hätten wir nicht andere Belege genug, wir wären wahrhaftig versucht, diese Begebenheit als Beweis dafür heranzuziehen, daß der Besuch der vorderen Pilatushöhen und der Genuß der dortigen Fernsicht schon damals Modesache geworden war.

Nach Professor Graf beginnt in der Schweiz der Übergang von der alten Kartographie zur wissenschaftlichen mit einer epochemachenden Arbeit von Joh. Georg Tralles im Jahr 1790. Vor diesem Zeitpunkt haben sich bis dahin 33 verschiedene Karten oder Kartenzkizzen finden lassen ( die älteste aus dem Jahr 1606 ), welche den Fracmont darstellen oder verzeichnen. Darunter befinden sich 17 verschiedene Karten, auf denen der Pilatussee eingezeichnet ist. Um das Jahr 1727 entstund die genannte Spezialkarte Kappelers. Unter den 33 Karten sind eine stattliche Reihe deutscher, französischer oder niederländischer Provenienz. Ein weiterer Beleg für den Ruf dieses Berges in früheren Zeiten.

Noch älter ist seine Darstellung mittelst Bildern. Sie beginnt nämlich im Jahr 1512 in der Verwendung als Landschaftshintergrund. Die drei ersten Darsteller, die uns bekannt geworden, sind Diebold Schilling, Hans Holbein der Jüngere und Hans Rud. Manuel. Schon um die Mitte des 17. Jahrhunderts begegnen uns zwei bildliche Darstellungen in ausländischen Werken, beidemal in Verbindung mit Pilatus-drachen. Die erste Ansicht des Mondmilchloches datiert aus dem Jahr 1708, weitere Details dieser Höhle aus den Jahren 1727 und 1894 1 ). Das Bergprofil des Pilatus ist bereits 1830 durch Hugi, seither wiederholt durch Karl Brunner 1851, dann durch Kaufmann und Buxtorf entworfen worden.

Da der Berg „ das formenreichste, kühnste und prächtigste Relief unserer Voralpen " darbietet 2 ) und selbst eine erstklassige Aussichtswarte ist, so konnte es nicht fehlen, daß er in vielen Panoramen von anderen Bergen und vom Hügelland her Aufnahme fand und eine Reihe eigener Panoramen erhielt. Der Kürze halber sei nur an dasjenige von Imfeld erinnert.

Der Pilatus ist auch vom Jahr 1750 weg bis in die Neuzeit hinein etlichemal plastisch dargestellt worden und sowohl in Gipsabgüssen als in galvanoplastischer Metallreproduktion als Briefbeschwerer erhältlich 3 ). Das neueste Pilatusrelief hatten Sie gestern im Gletschergarten Gelegenheit zu bewundern, ein Relief im Maßstab 1: 10,000, begonnen 1908 durch Imfeld, nach Anweisung und unter Leitung von Professor Heim ausgeführt durch C. Meili 1913. Verehrteste Herren und Klubgenossen!

Seitdem um die Mitte des 18. Jahrhunderts der Zug der Vergnügungsreisenden aus der Schweiz, aus Deutschland, Frankreich und England begonnen hatte, namentlich aber seitdem um die Mitte des 19. Jahrhunderts die Alpenvereine mit der Erforschung und Erschließung der Bergwelt einsetzten, ist der Alpensinn allmählich zum Gemeingut vieler Völker geworden. Jeder von uns hat heute wohl seinen Lieblingsberg oder seine Lieblingsberge. Aber seit jenen Zeiten, in denen man die Berge noch als uneingeschränkte Tummelplätze tückischer Dämonen oder als „ krankhafte Auswüchse und unnatürliche Geschwülste der Erdoberfläche " 4 ) betrachtete, bis zur Entwicklung des romantischen Naturgefühls von heute — wo die Alpenreisen längst als geistiges Bildungsmittel gelten — hatte die Alpenkunde einen langen Weg zurückzulegen. Kaum an einem zweiten Berg spiegelt sich dieser lange, Wechsel- und mühevolle Weg, spiegeln sich die verschiedenen Etappen der alpinen Geschichte besser ab als am Pilatus. Wir wollen sehen!

Der ältere Bergname taucht spätestens ums Jahr 1100, der heutige um 1433 aus dem Dunkel auf. Zuerst steht der Berg im Schleier uralter Sagen da. Das Betreten der Berggegend mit dem mysteriösen Pilatussee ist verboten. Gleichwohl wagen sechs Kleriker eine Pilatusreise im Jahr 1387. Und noch im Zeitalter der Renaissance und des Humanismus fällt die erste Stimme zu einer natürlichen Erklärung des vermeintlichen Naturwunders am Pilatussee. Die erste nachweisbare Gipfelbesteigung findet bereits im Jahre 1518 statt. Bald hernach wandern Scharen von Botanikern und Naturfreunden auf die Pilatushöhen. Je mehr sie vordringen, um so mehr verblaßt das Kolorit der Sage. Ein Reisebericht aus dem Jahr 1555 schreibt bereits von Alpenrosen, Bergheu und Alpenstöcken, und fernher von der Alp Trockenmatt hören wir den begeisterten Alpinisten Geßner das Alphorn blasen.

Das Widderfeld wird vereinzelt bereits ums Jahr 1555, im Jahr 1680 aber schon in größerer Zahl bestiegen. Und mit seiner Messung im Jahr 1702 setzen die frühzeitigen Höhenmessungen aller Pilatusgipfel ein. Denn als mit der Bezwingung des Montblancgipfels die Ära der hochalpinen Touristik anbrach, hatte Generalleutnant Pfyffer längst als Erster alle Pilatushöhen erobert und bezwungen. Im 19. Jahrhundert hören wir alsdann eine stattliche Schar von Geologen am Faltenwurf des ganzen Bergkörpers pochen. Aber der Berg besteht auch diese Prüfung glänzend. Und jetzt erscheint die neueste Zeit. Kühne Bahningenieure erleichtern den Höhenflug, eine technisch hervorragende Bergbahn stellt sich in den Dienst der Reisewelt und der Forschung. Wege und Herbergen entstehen, die Völker wandern, und des Jubeins ist kein Ende.

Wie Sie sehen, fanden alle genannten Zeitepochen und ihre grundverschiedenen Bestrebungen am Felsenbau des Pilatus ihren deutlichen Widerhall. Und so lebt in der Geschichte dieses Berges ein großes Stück Kulturgeschichte wieder auf. Die ehedem verfemte Berggestalt hat durch die Zeiten ihre Anziehungskraft bewahrt und erfüllt eine ebenso lange wie vornehme Kulturaufgabe.

Der früher so zahlreich begangene Weg zum Pilatussee ist mittlerweile zum vergessenen Bergpfad geworden. Der See schlummert im Waldmoder der Oberalp seinen Dornröschenschlaf. Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis zum Jahr 1912 hat man Bücher, Karten und Umwohner umsonst nach der richtigen Lage des einst während Jahrhunderten besuchten Seeleins gefragt. Die Angaben in alten Schriften, selbst Kappelers Pilatuskärtchen, schienen vergessen zu sein. Die großen Errungenschaften im Hochgebirge und die allgemeine Eroberung der Alpenwelt im 19. Jahrhundert hatten die Aufmerksamkeit vom Pilatussee, von dieser „ Naturmerkwürdigkeit " aus Olims Zeiten gründlich abgelenkt. Als ihm der Herold des Alpinismus, Konrad Geßner, und der Bergpfarrer Magister Müller seinerzeit die Existenzberechtigung absprachen, da dämmerte das Frührot einer neuen Anschauungsweise der Alpennatur über unseren Bergen. Am Pilatus selbst wandten sich die Menschen immer mehr vom Seelein ab und den fernsichtreichen vorderen Gipfeln zu. Die Neuzeit ihrerseits sandte viele Hunderttausende von Menschen diesen Berghöhen zu. Es kann uns hier nicht um die Feststellung von Zahlen zu tun sein. Wohl aber darf betont werden, daß die Bergpfade in die ernste, fast hochalpine Natur des Pilatus für viele Tausende aus dem In- und Auslande zur Schule und ersten Einübung in die Kunst des Bergsteigens geworden sind. Ungezählte weiteten im Rückblick auf die fruchtbaren Gaue der schweizerischen Hochebene Sinn und Liebe zur Mitwelt und zur heimatlichen Scholle und holten sich im Ausblick von seinen Zinnen das erste Sehnen nach den herzerhebenden Schönheiten der Höhenwelt.

Die Sagen und die energische Plastik dieses Berges haben es in der Folge den Menschen derart angetan, daß wir schon vom Jahr 1387 weg und alsdann in jedem der folgenden Jahrhunderte lokale Notizen, Forschungen oder Reiseschilderungen von ihm besitzen. Als Verfasser bekennen sich unter anderen eine Reihe von Männern, deren Namen in der Geschichte der schweizerischen Gelehrtenwelt von bestem Klange sind. Die stattliche Reihe eröffnete 1387 der Stadtschreiber von Luzern 1 ) mit einer Eintragung im Ratsprotokoll. Sie bringt uns die über- Die Oberalp am Pilatus mit den ehemaligen Pilatusseen.

raschende Kunde, daß der Besuch der damals einzig bekannten, höher gelegenen Berggegend des Fracmonts verfemt war. Ihm folgt 1447 Magister Felix Hämmerlin von Zürich. Er hatte sich um jene Zeit zweifellos persönlich in der Oberalp umgesehen, denn er kennt bereits die Zahl der dortigen Seelein und die Höhenlage der Gegend; er beschreibt nicht nur den Charakter des gefürchteten Pilatussees, sondern auch dessen ungefähren Umfang. Von ihm stammt auch die erste Notiz über die Bestoßung dieser entlegenen und damals wohl schwierig zugänglichen Alp mit Nutzvieh. Es ist bezeichnend für die Kulturepoche der Renaissance, daß sich der Menschengeist schon in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts mit dem Wald-teich auf dem Pilatusberg befaßte, der damals als mysteriöse Naturmerkwürdigkeit verschrieen war. Bekannter sind Vadians ( 1518 ) und Geßners ( 1555 ) Beschreibungen, während diejenige von Felix Plater ( zirka 1584 ) bis dahin unauffindbar geblieben ist. Von Stadtschreiber Renward Cysat ( zirka 1590 ) besitzen wir unter anderem zwei ausführliche Schilderungen 1 ), worunter die „ gründtliche historia von dem Pylatussew uf Pylatiberg by Lucern ". Griffen in diesem Jahrhundert vier bekannte Männer zur Feder, um ihre Reiseeindrücke von jener Berggegend zu schildern, so sind aus dem nachfolgenden 17. Jahrhundert — das im übrigen hinsichtlich der alpinen Literatur eine Ebbe bedeutet — immerhin zwei Reiseberichte erhalten und nennenswert. Einmal der Bericht des Natur- und Höhlenforschers Elias Georgius Loretus ( 1666 ) und sodann derjenige des Zürcher Stadtarztes Joh. Jak. Wagner ( 1676 ). Dieser hatte die drei Sümpfe in der Oberalp besucht und den größten davon aus- 1 ) In Renward Brandstetters: „ R. Cysat, der Begründer der Schweiz. Volkskunde 1909 ", liegen einige kleinere Teile daraus gedruckt vor.

gemessen. Er berechnete die Distanz dieser Örtlichkeit vom höchsten Gipfel ( gemeint war das Widderfeld ) auf gut 4000 Schritt. 35 Schriftsteller waren ihm bekannt, welche Fabeln über den Pilatussee in ihre Schriften aufgenommen hatten. Um das Jahr 1700 verzeichnete der Luzerner Stadtarzt Karl Niki. Lang die auf dem Berg gefundenen Pflanzen; er unternahm auch ( 1723 ) die Beschreibung einer botanischen Exkursion über die nördliche Berghälfte. Zur selben Zeit legte Joh. Jak. Scheuchzer die Beobachtungen auf seinen dreimaligen Wanderungen zum Pilatussee und aufs Widderfeld in verschiedenen seiner Schriften nieder. Dabei ermangelte er auch nicht, einen Grundriß des Pilatussees nebst Angabe der tiefsten Stelle und die Abbildung eines Drachen von der angeblichen Spezies dieses Berges mitzugeben. In diese nämliche Zeit ( 1727 ) fällt auch die Abfassung der bekannten lateinischen Pilatusbeschreibung seitens des Luzerner Stadtarztes Mor. Ant. Kappeler. Sie enthält 188 Quartseiten und 7 Bildertafeln. Entsprechend der Bedeutung des Pilatussees für die Geschichte dieses Berges, gibt auch Kappeler unter seinen Bildern einen Grundriß des Pilatussees nach Scheuchzer.

Grundriß des Pilatussees nach Kappeier.

Grundriß des Sees mit. Das Buch räumt bei näherem Zusehen mit manchen Wahn-gebilden früherer Zeiten auf. Es enthält kritische Bemerkungen über die Drachen, bildet eine für die damalige Zeit gute Naturgeschichte der weiteren Landesgegend und präsentiert uns die älteste Monographie eines Schweizerberges. Erwähnenswert sind ferner die Beschreibungen der Pilatusreisen junger Zürcher, worunter jene des Joh. Georg Sulzer ( 1742 ); Generalleutnant Pfyffers „ Anleitung für Pilatusbesucher„ ( eine Schilderung der gewöhnlichen An- und Abstiegsrouten und der Bergaussicht ), sowie seine Beiträge zur mehrfach gedruckten Promenade sur le mont Pilate ( worunter der Besuch des Mondmilchloches 1752 und die Anleitung zum Bergsteigen ). Abschließend sei noch an Hofrat Willi. Gotti. Beckers Beschreibung einer Pilatusreise vom Jahr 1782 und endlich an Zschokkes Ausführungen über das Echo der Bründlenalp erinnert, und an seine Einladung an die Freunde der Tonkunst, sich einen derartigen Genuß zu verschaffen. Mit dem Eintritt des 19. Jahrhunderts mehren sich alsdann die Berichte und Traktate von Gelehrten, Alpinisten und Vergnügungsreisenden in einer Weise, daß wir hier von einer Nennung der Autoren absehen.

Nach den Alpenhistoriographen sah der Mont Ventoux ( Anno 1336 ) den ersten begeisterten Alpinisten, sah die Rocciamelone ( Anno 1358 ) den ersten Ersteiger eines hohen Schneegipfels, sah der Mont Aiguille ( Anno 1492 ) den ersten Kletterer. J. Burckhardt hielt dafür, in den Briefen der Frau v. Sevigné ( Anno 1689 ), welche „ den vollen Zauber der landschaftlichen Nähen und Fernen empfunden hat ", habe sich vielleicht zuerst ein neues Naturgefühl gezeigt. Als die erste wissenschaftliche Gebirgsreise größeren Maßstabes wird die ( Anno 1735 ) unternommene peruanische Reise der Franzosen Bouguer, Lacondamine, Godin und Jussieu und der Spanier Ulloa und Jorge Juan genannt, und die Bezwingung des Montblanc gilt als der Ausgangspunkt der hochalpinen Touristik.

Es sind das einige der denkwürdigsten Fakta aus der Geschichte der Alpenkunde. Andere Bergreviere reihen sich den genannten würdig an. Darunter der Pilatus.

Die Bedeutung des Pilatus liegt in seiner langen und reichen Berührung mit den Menschen. Er tritt in der Alpenkunde nicht sporadisch hervor: als Sagenberg, als Operationsfeld der Botaniker des 16. oder der Geologen des 19. Jahrhunderts, um nachher wieder ins Dunkel zurückzutreten. Die Reihe seiner Besucher ist andauernd. Darin liegt die bleibende und hervorragende Bedeutung des Pilatus in der Alpenkunde. Die Pontius Pilatus-Sage machte ihn frühzeitig populär, und er seiner seits vergalt dankbar diesen Ruf. Emsig1 und unermüdlich hat er mitgeholfen, die Kenntnisse seiner Besucher und ihrer Mitwelt hinsichtlich der Natur, der Charaktereigenschaften und der Eigenart der Bergwelt zu verbreiten und zu vertiefen. Freilich, die Triebfedern zu den Bergbesuchen waren — den Geistesströmungen der verschiedenen Zeiten gemäverschieden. Sein erstes Aufsehen machte er mit seinen Sagen, seiner vermeintlichen Naturmerkwürdigkeit, seinen Wildbächen und seiner Lage bei einer Stadt am Gotthardpaß. Anfänglich ist daher auch hier keine Bergersteigung zu verzeichen, die um ihrer selbst willen betrieben worden wäre.

Der Pilatus hat aber nachgehends während vier Jahrhunderten so viele hervorragende Männer in seinen Bereich und auf seine Höhen gesogen, daß er ohne Überhebung unter die berühmtesten Berggestalten gezählt werden muß.

Er steht an der Spitze jener Berge der Alpenländer, denen die Natur- und Gebirgserforschung von Anbeginn bis zum heutigen Tag unverwandt ihr Augenmerk zuwandte.

Er besitzt die erste zum Druck gelangte Lokalflora; ihm galt die erste Gipfelbesteigung, die erste Bergmonographie und das erste Bergrelief der Schweiz. Meine Herren!

Ich meine: da, wo seit 400 Jahren unausgesetzt so viele Alpenfreunde und so viele ernste Männer aus der Gilde der Naturerforscher ausgezogen sind, um dem Pilatus zu Leib zu rücken, da feiert zweifellos der Schweizer Alpenclub seinen 50jährigen Bestand auf klassischem Bergsteigerboden!

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